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  • Antje Wischmann: Auf die Probe gestellt. Die Debatte um die neue Frau der 1920er und 1930er Jahre in Schweden, Dänemark und Deutschland. (Nordica 11) Freiburg/Br.: Rombach 2006. 219 S. 7 s/w Abb. EUR (D) 42,00.
    ISBN: 978-3-7930-9464-7.
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Auf die Probe gestellt wird hier das Konzept der ›neuen Frau‹ in schwedischen, dänischen und deutschen Texten der Zwischenkriegszeit. Aber auch der aktuelle Forschungsdiskurs um die ›neue Frau‹ wird in die Untersuchung mit einbezogen. Wischmanns Ziel ist es, »Paradoxe der Modernisierung mit dem Fortschrittsaxiom der Emanzipation« (S. 9) zu konfrontieren und dadurch den Nachweis einer »modernisierungskritischen Zwischenposition« (S. 9) zu erbringen. Sie will aufzeigen, wie »verschiedene Ideologeme«, die häufig vorschnell in politisch ›rechte‹ und ›linke‹ Positionen polarisiert werden, »kompilatorisch verschmolzen und miteinander vereinbart worden sind« (S. 29). Hiermit hinterfragt sie die Frauenemanzipation als »Projekt soziokulturellen Fortschritts« (S. 29).

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Bei der Auswahl und Analyse ihres Textmaterials zeigt sich Wischmann unkonventionell und innovativ. Ein erklärtes Ziel ist die »Zusammenschau von kanonisierter und wenig beachteter populärer Literatur« (S. 29). Dies erfolgt zunächst in Kapitel 2 mit der Analyse verschiedener skandinavischer Studentinnenromane, Kapitel 3 thematisiert literarisch aufbereitete Arten des Blicks auf die ›neue Frau‹. In Kapitel 4 untersucht Wischmann ihr Vorhaben an wenig beachteten modernisierungskritischen Texten im Umfeld nationalsozialistischer Ideologie und schließt dann ab mit Reflexionen zu Auffassungen der ›neuen Frau‹ als einer »Metonymie moderner Urbanität« (S. 17).

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Paradoxe der Modernisierung und der Weiblichkeitskonzepte

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In diesem einleitenden ersten Kapitel diskutiert Wischmann das Konzept der ›neuen Frau‹ im kulturgeschichtlichen Kontext der involvierten Länder und erläutert die theoretischen Ausgangspunkte ihres Vorhabens. Sie stellt Gemeinsamkeiten, gesamtskandinavische Phänomene, in der Entwicklung von Schweden und Dänemark fest, wie z.B. starke Sozialdemokratien, die Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse und die Rezeption des Modernismus. Noch interessanter erscheinen mir allerdings die von Wischmann herausgearbeiteten Unterschiede in den beiden skandinavischen Ländern.

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In der schwedischen Funktionalismus- und ›folkhem‹-Debatte setzt sich »der kollektive Anspruch auf gesellschaftliche Zweckmäßigkeit« (S. 15) als offizielle staatliche Ideologie durch. Dagegen tritt der dänische Kulturradikalismus antibürgerlich und später antifaschistisch auf. Er wird nicht wie in Schweden von staatlichen, sondern von oppositionellen Gruppen getragen. Damit wird auch der Entwurf der ›neuen Frau‹ in Schweden ein »eher kollektives, staatstragendes Rollenmodell der Berufstätigen« (S. 16), wohingegen es in Dänemark eher ein individualisiertes Lebensmodell verbleibt, ohne den gesamtgesellschaftlichen Anspruch.

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In der linken und progressiven Verortung der ›neuen Frau‹ sieht die Verfasserin »die Gefahr einer solidarischen Voreingenommenheit« (S. 17). Diese habe wiederum dazu geführt, »protofaschistische und nationalsozialistische Definitions- und Aneignungsversuche« (S. 17) zu vernachlässigen. An diesem Mangel setzt Wischmann an und formuliert das Ziel, das gängige Bild der ›neuen Frau‹ als »politisch mündig, rational und effizient« (S. 17) zu überprüfen. Dieses scheint ihr wissenschaftlich unbegründet und eher einem »Identifikations- und Vorbildbedarf heutiger Leserinnen und Forscherinnen« (S. 17) entsprungen zu sein.

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Wischmann wählt die komparative Analyse, um das »Konzept einer rückschrittlichen oder reaktionären Antimoderne« (S. 18) zu hinterfragen. Hierbei legt sie eine »nicht-lineare, Paradoxe zulassende« (S. 25) Perspektive an, um neuartigen kompilatorischen Verbindungen scheinbar gegensätzlicher Ideologeme auf die Spur zu kommen.

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Zum Ende des Kapitels formuliert sie noch einmal deutlich das Ziel dieser Untersuchung, nämlich in Auseinandersetzung mit deutscher und skandinavischer Forschung Widersprüchlichkeiten im Bild der ›neuen Frau‹ herauszuarbeiten.

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Beispielhafte Karrieren?
Skandinavische Studentinnenromane 1915–1935

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Vor dem Hintergrund der politischen Entwicklung, mit der Erreichung des Stimmrechts für Frauen und erweiterten Möglichkeiten des Zugangs zu Universitäten, ist die Entstehung des literarischen Genres des Studentinnenromans eine logische Konsequenz. Die komparatistische Perspektive wird im zweiten Kapitel an drei schwedische, einen dänischen und zwei deutsche Romane angelegt. Die Texte behandeln Fragen des Egalitäts- und Differenzfeminismus, wobei vor allem die vermeintliche Gefahr einer Vermännlichung der Studentinnen im Zentrum steht. Auch weist Wischmann auf die didaktischen und lebensberatenden Funktionen der Romane für diese neue soziale Gruppe hin.

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Obwohl man von den Texten Patriarchatskritik erwarten könnte, stellt die Verfasserin fest, dass sie das Stadium des Zweifels oft nicht überwinden. Die Texte entwerfen literarische Erprobungsräume, in denen erkundet wird, wie weit Mut und Energie reichen, um sich von der Norm zu entfernen, ohne ausgegrenzt zu werden. (S. 37)

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Weder könnten die Romane als Emanzipationsromane eingeordnet werden, noch werden soziale Utopien entworfen. Eher gehe es um die Versicherung und Beruhigung, dass Studentinnen nicht beabsichtigten, in Konkurrenz zu ihren männlichen Kommilitonen zu treten. Die Autorinnen distanzieren sich vom Gleichheitsfeminismus, um dem Etikett der Vermännlichung zu entgehen und schreiben gegen die Befürchtung an, dass das Studium zu einem größeren Engagement für die Frauenemanzipation führen könne.

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Prüfende Blicke auf das Modell

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In Kapitel 3 wählt Wischmann die innovativ erfrischende Kombination zweier Medien: Schrift und Bild, bzw. das Bild im Text. Sie will damit »der konventionellen Figurentypologie eine von der Blickkommunikation und den involvierten Medien geleitete Systematik« (S. 115) entgegenstellen. Die Kommunikation mit einer verbildlichten Frauenfigur im Text dient Wischmann als Analysefokus. Frauenfiguren können die Form von Statuen und posierenden Akten haben, sie treten aber auch als (Schaufenster-)Puppen auf, womit die Warenerotik der Konsumgesellschaft thematisiert wird. Auch kann es bei der Interaktion mit dem Modell um Gemäldeverweise gehen. Wischmann geht es in erster Linie um die Frage, wie der Blick auf die Figur, bzw. die Kommunikation mit ihr in den Diskurs um die ›neue Frau‹ eingreift. In diesem Zusammenhang wird auch der Medienwechsel von Malerei und Skulptur hin zu den Bildmedien des 20. Jahrhunderts, Foto und Film, in ihrer Konkurrenzsituation angesprochen.

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Auch hier bedient Wischmann nicht frühere Auffassungen einer oft »vorausgesetzten Affinität zwischen ›neuer Frau‹ und dem Genre des Emanzipationsromans« (S. 77). Die ausgeprägte Tendenz zur Modellbildung, die in den Romanen zutage tritt, bewertet sie als einen klaren Hinweis auf eine »zeitgenössische Deutungskrise« und den »Bedarf an einer Neuverhandlung von Genderkonzepten« (S. 117). Doch trotz des innovativen ästhetischen Zugriffs werden weder weibliche Subjektpositionen noch weibliches Schreiben verhandelt. Der Blick auf die weiblichen Figuren sei immer »ein Blick auf das Andere« (S. 117).

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Modernisierungskritik im Zeichen des Differenzfeminismus –
Nation, Seele, ›Rasse‹ und Erneuerung

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An Texten aus den drei Ländern will Wischmann im vierten Kapitel nachweisen, dass man die Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit keineswegs national oder zeitlich isoliert betrachten könne. In Deutschland sei die Frauenbewegung mit dem Nationalsozialismus nicht beendet gewesen, sondern eher meint die Autorin von einer »Umetikettierung oder Einverleibung bestimmter Gruppen der bürgerlichen Frauenbewegung in NS-Institutionen« (S. 119) sprechen zu können. Sie will in diesem Kapitel nicht zuletzt die Gründe dafür offen legen, warum diese »vom ›linken Fortschrittsdenken‹ abweichenden Sprecherinnen häufig mit einem gewissen Unbehagen ausgeklammert oder verschwiegen worden sind« (S. 119). An den ausgewählten Texten lassen sich die Paradoxe der Modernisierung nachvollziehen, die das Selbstverständnis der feministischen Literaturwissenschaft und der Frauengeschichte »auf eine harte Probe gestellt und berechtigterweise Irritation ausgelöst« hätten (S. 120).

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Sämtliche Texte dieses Kapitels erschienen in den Jahren 1927 bis 1938 und richten sich »appellativ« (S. 120) an eine weibliche Leserschaft. Texte von zwei dänischen, einer schwedischen und zwei deutschen Modernisierungskritikerinnen zeichnen sich durch Heterogenität in der Form aus, doch ist ihnen gemeinsam das »Plädoyer für eine Erneuerung der Frauenbewegung unter Berufung auf den nationalen Auftrag« (S. 120). Die Texte der Schwedin Ebba Theorin-Kolare werden dagegen, aufgrund ihrer eindeutig antifaschistischen Position, in einem Exkurs behandelt.

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Wischmann weist nach, dass trotz starker Distanzierung vom Gleichheitsfeminismus egalitätsfeministische Komponenten in die differenzfeministischen Konzepte integriert sind. In dieser Kombination widersprüchlicher Ideologeme sieht sie eine »modernisierungskritische Zwischenposition« (S. 179) begründet.

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Die Autorinnen besetzen einen Typus der ›neuen Frau‹, um sie als »Repräsentantin einer wiedererstarkten Weiblichkeit« auszunutzen. Dabei werde der Differenzfeminismus auf eine biologistische Position verengt und durch »rassistische Differenzmodelle« erweitert. In diesen Texten scheinen, so das Ergebnis der Analyse, die Paradoxe der Moderne besonders wirksam zu sein: »Die Paradoxe selbst werden zum konstituierenden Merkmal der ›neuen Frau‹« (S. 187).

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Großstadt als sozialer Erprobungsraum und Topos der Modernisierungskritik

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In dem im Vergleich zu den anderen wesentlich kürzeren letzten Kapitel 5 greift Wischmann schließlich das Konzept der ›neuen Frau‹ als Metonymie für Großstadt und Urbanität auf. Sie benutzt hier keine neuen literarischen Beispiele, sondern bezieht sich auf die in vorhergehenden bereits präsentierten. Auch hier führt sie ihre kritische Auseinandersetzung mit befindlicher Forschung fort, indem sie auf die Vernachlässigung von »modernisierungskritischen Zwischenpositionen« verweist. Ihr erscheint es einseitig »durch den metonymischen Status, auf eine vollgültige ›moderne Urbanität‹ verweisend« (S. 191), die ›neue Frau‹ zur Personifikation von Modernisierungsfortschritt zu machen. Darüber hinaus betrachtet sie es als unzulässig, »Figur und Schauplatz zu wechselseitigen Gradmessern von Modernität zu machen« (S. 191).

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Zusammenfassung

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Antje Wischmanns Studie muss m.E. als wichtiger Forschungsbeitrag bewertet werden. Ihre Absicht, den Facettenreichtum und die Widersprüchlichkeiten, die sich hinter dem Konzept ›neue Frau‹ verbergen, aufzuzeigen, löst sie überzeugend ein. Dabei setzt sie sich souverän kritisch mit aktueller Forschung auseinander und beweist wohlfundierte Kenntnisse und einen gediegenen Überblick. Besonders Kapitel 4 bringt neues Licht in den feministischen Diskurs, da sie sich hier auf bisher vernachlässigte Texte bezieht.

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Wischmann erweist sich als gründliche Forscherin. In den Analysen verknüpft sie unmittelbare Arbeit am Text mit beeindruckendem Abstraktionsvermögen, wodurch das Ziel der Studie stets gegenwärtig bleibt. Ihr analytischer Blick ist präzise und ihr sprachlicher Ausdruck treffsicher und scharf. Zusammenfassend bin ich der Überzeugung, dass diese Untersuchung als wichtiger Beitrag zum Forschungsfeld ›neue Frau‹ / Feminismus bewertet werden muss.