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»Ours is a visual culture« und das Image der Anwaltschaft ist entscheidend vom Medium des Films beeinflusst, so heißt es im Vorwort einer Neuerscheinung (S. xxii). Screening Justice ist das Resultat fast fünfzehnjähriger Vorbereitungen. Der Band versammelt etwa 50 Beiträge, überwiegend von Lehrern amerikanischer law schools. Die Artikel kreisen meistens um die Beschreibung eines, wiederum meistens amerikanischen, movies. Dabei geraten dann weitere Filme in den Blick, so dass allein das Filmregister des Bandes sieben Seiten umfasst. Damit ist schon angedeutet, wer die Zielgruppe des Buches ist und welche Informationen es primär enthält. Wer sich mit dem Thema »Recht im Film« beschäftigt und eventuell sogar entsprechende Lehrveranstaltungen als Dozent vorbereitet oder als Student besucht, für den ist Screening Justice eine echte Fundgrube.
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Sieben Jahrzehnte Filmgeschichte
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Die Artikel sind nach Jahrzehnten gegliedert. Die erste Sektion enthält Besprechungen von Filmen der Dreißiger- und Vierzigerjahre, während die folgenden Sektionen jeweils ein Jahrzehnt zusammenfassen, wobei die Siebzigerjahre etwas zu kurz kommen. Die jüngsten besprochenen Filme sind von 1999. Die siebte und letzte Sektion des Buches enthält sogar Vorschläge: »A Dozen and One Nights at the Movies: A Lawyer Film Festival«, geschrieben vom Mitherausgeber Rennard Strickland (S. 723 ff.), und »Further Readings«, zusammengestellt von der Mitherausgeberin Taunya Lovell Banks (S. 727 ff.). Wer bisher weitgehend auf den informativen Bestseller Reel Justice von Paul Bergman und Michael Asimow,
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auf Der amerikanische Gerichtsfilm von Michael Kuzina
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sowie die entsprechenden Websites
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angewiesen war, findet nun auch in diesem Band ein Nachschlagewerk mit Hintergründen zu ausgewählten Rechtsfilmen.
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Diskussionsfreude und Bekennerstolz
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Man kann das Buch auch lesen, um einen Eindruck von der intellektuellen Diskussion an amerikanischen law schools zu gewinnen. Zahlreiche Beiträge nehmen einen politischen, philosophischen und durchaus entschieden subjektiven Standpunkt ein, der zuweilen deutschen Lesern ungewohnt ist, um das Mindeste zu sagen. Mary Libby Paines (S. 123 ff.) Filmbeschreibung zu The Ten Commandments (1956) etwa ist von tiefer Bibelgläubigkeit geprägt und sieht in der Abweichung von Gottes Gebot eine große Gefahr für die Vereinigten Staaten. Auch andere Beiträge widmen sich der Intermedialität von Buch und Film. Nancy P. Rapaports Besprechung der zwei Verfilmungen von Lord of the Flies (1963 und 1990) verheddert sich ziemlich unglücklich in sozialpsychologischer und feministischer Literatur, ohne selbst zu einem Schluss zu kommen, ob es einer Gruppe von Mädchen anders gegangen wäre als einer Gruppe von Jungs (S. 253 ff.)
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Andere Beiträge sind politisch entschieden links, würden sich aber jedenfalls so nicht in der deutschen Diskussion finden. Das sind vor allem Beiträge von Autoren, die sich einer rassisch diskriminierten Minderheit – Hispanos, Indianer, African und Asien Americans – zurechnen. Sie kritisieren nicht nur negative Darstellungen in Filmen, sondern nehmen sie als Symptome weit verbreiteter Rassismen in der amerikanischen Gesellschaft. Etliche Artikel sind vertraut mit filmwissenschaftlicher Literatur und lassen deren Gesichtspunkte einfließen, andere wiederum nehmen einen Film, behandeln ihn kurz, und wenden sich dann der Diskussion eines im Film dargestellten Rechtsproblems zu.
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Insgesamt haben die Herausgeber mit der Auswahl der Autoren und der Qualität der Beiträge meistens Glück gehabt. Nur wenige Texte enttäuschen. Screening Justice enthält sogar etliche Beiträge, die zum Besten zählen, was im Bereich des »Law and Cinema Movement«
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geschrieben worden ist.
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Das populäre Bild des Anwalts
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Wenn sich dem auch nicht alle Artikel fügen, so gibt es doch einen klaren Schwerpunkt. Rennard Strickland deutet ihn bereits in seiner Einleitung (S. xxi ff.) an: Berufsethik und Berufspraxis der Juristen, ihren persönlichen Charakter und das Bild der Öffentlichkeit von den Juristen. Die geheimnisvolle Figur des Rick in Casablanca (1942) bildet den Ausgangspunkt von Stricklands Betrachtungen. Das Studio-Memo zum Film hält nämlich fest: »Only Rinaldo, French Prefect of Police, … knows of his background as a famous criminal lawyer« (zitiert bei Strickland, S. xxii). Ähnlich wie die von Humphrey Bogart gespielte Figur, so Strickland, versteckten zu viele Anwälte ihre Menschlichkeit, ihr professionelles und persönliches Leben (S. xxxiii). Strickland sieht darin einen Hauptgrund für das schlechte Ansehen der Anwälte in den USA.
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Kommerzielle Filme werden, so legt er es uns nahe, wohl immer eine verzerrte Sicht der Anwälte anbieten: »a bizarre combination of Groucho Marx, Gregory Peck, and Mae West« (S. xxxiii).
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Der Anwalt Atticus Finch in der Romanverfilmung To Kill A Mockingbird (1962) gilt vielen in den USA als größte Heldengestalt des Films.
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Gregory Peck erhielt einen Oskar für seine Rolle. Atticus Finch verteidigt einen unschuldigen Schwarzen in einem rassistischen Südstaatennest. Zwar verliert er den Fall und sein verzweifelter Klient kommt bei einem Fluchtversuch ums Leben, seine Haltung gilt aber als emblematisch für den Liberalismus einer rechtspolitischen Epoche – der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Taunya Lovell Banks nimmt sich nun aber Atticus Finch vor (S. 239 ff.). Seine Arbeit sei nicht viel mehr als das Mindestmaß an Engagement, das jeder vom Gericht ernannte Strafverteidiger auf sich nehmen müsse. Die Mitherausgeberin des besprochenen Bandes sieht beinahe so etwas wie Komplizenschaft, schließlich trage der Verteidiger mit seinem Rollenspiel dazu bei, dass das Verfahren vor einem rassistisch eingestellten Gericht ablaufen könne. Lovell Banks vermisst den politischen Protest gegen das System an sich und gegen die rassistische Gesellschaft. Abgesehen davon, dass die von Lovell Banks mit herangezogene Literaturvorlage von Harper Lee dann doch wohl einen den Rassisten gegenüber verständnisvolleren Finch konstruiert als der Film, übersieht sie, dass es gerade in Unrechtsverhältnissen darauf ankommen kann, dass jemand seine Arbeit »tolerant, moral, and ethical« (S. 139) macht und für seinen Klienten etwas zu erreichen versucht. Und klagt nicht das Scheitern des Aufrechten in To Kill A Mockingbird den Rassismus umso wirksamer an, appelliert es nicht überzeugender an die noch politisch Unentschlossenen?
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Einen Richter als Helden des auf geschichtliche Ereignisse zurückgehenden TV-Films Judge Horton and the Scottsboro Boys (1976) hebt Kenneth M. Murchinson (S. 331 ff.) hervor. Horton opferte seine Karriere in den Südstaaten der 1930er Jahre, um einen rassistisch motivierten Justizmord zu verhindern. Im Gegensatz zur Kritik von Taunya Lovell Banks an Atticus Finch würdigt Murchinson einen Juristen, der in ungerechter Gesellschaft seine Pflicht tut. Murchinson vergisst daneben nicht andere, die als Verteidiger, Polizisten oder mutige Zeugen mit die Grundlage dafür legten, dass der U.S. Supreme Court schließlich durch Neuauslegung der Bundesverfassung auch den Einzelstaaten der USA ein ›faires‹ Justizsystem abforderte. Wo mehrere Akteure die Chancen des Systems nutzen, um eine Bresche für die Menschenrechte zu schlagen, wird ein Erfolg möglich.
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Auch Mohandas K. Gandhi war ursprünglich Anwalt. Der Film Ghandi (1982) wird von Charles R. DiSalvo daraufhin untersucht, ob er die grundlegenden Prinzipien des charismatischen Politikers widerspiegelt (S. 445 ff.). DiSalvo zählt zu den Autoren, die Filmen Wirkungen auf das Publikum zuschreiben, er hofft, dass die Zuschauer das Vorbild Gandhis aufnehmen und sich an die Spitze einer gewaltlosen Reformbewegung setzen.
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Das Recht auch des Schuldigen auf Verteidigung
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Um die Anwaltsethik geht es auch in dem Beitrag von Francis M. Nevins (S. 275 ff.) über den Militärjustizfilm Man in the Middle (1964). Nevins sieht ihn als herausragendes Beispiel für die liberalen »Warren-Jahre«,
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gerade weil der Protagonist seine berufliche Zukunft als Offizier opfert, um einen unsympathischen (!) schuldigen (!), aber geisteskranken Mörder vor der Hinrichtung zu bewahren. Ein ähnliches Thema behandelt der Beitrag von Drew L. Kershen (S. 353 ff.) über den australischen Film Breaker Morant (1979). Bis heute erregen die historischen Ereignisse Teile der australischen Öffentlichkeit. Am Fall dreier Offiziere, die während des Burenkrieges vor einem britischen Gericht der Ermordung von Gefangenen und eines Missionars angeklagt waren, behandeln der Film und der Artikel von Kershen das zeitlose Thema des Kriegsverbrechens, seiner Hintergründe in der Kriegführung und in der Politik, sowie die Problematik instrumentalisierter Militärgerichte. Wiederum spielt Rassismus eine Rolle, hier Vorurteile der Briten gegen die ›disziplinlosen‹ Australier. Morant, die Titelfigur, ist klar schuldig, das unterscheidet auch diesen Film vom gängigen Muster, in dem ein Unschuldiger gerettet werden muss. Immerhin aber ist der jüngere der drei angeklagten Leutnants an keinem der Verbrechen beteiligt. Held des Films ist für Kershen der Verteidiger Major J.F. Thomas, im Zivilberuf ein Solicitor, also kein Prozessanwalt im englischen Rechtssystem. Zwar wird ihm viel zu wenig Zeit zur Vorbereitung eingeräumt und er wird von einem seiner Mandanten durch Fingieren eines Alibis hintergangen, er baut jedoch eine durchdachte Verteidigung auf und stemmt sich mit allen Kräften gegen das vom Oberbefehlshaber gewünschte Todesurteil, das die Tür zu Friedensverhandlungen mit den Buren öffnen und die Mitschuld der militärischen Führung endgültig verwischen soll.
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Systemfehler und Charakterschwächen
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Üblicherweise portraitieren Gerichtsfilme den Kampf des Guten gegen das Böse, des aufrechten gegen den korrupten Anwalt. Bei Michael Asimows Besprechung (S. 373 ff.) von Kramer vs. Kramer (1979) hingegen heißt es, hier seien nicht die im Sorgerechtsprozess scharf vorgehenden Anwälte schlecht, sondern das System selbst. Kramer vs. Kramer kritisiert die alte ›tender years doctrine‹, wonach kleine Kinder grundsätzlich bei der Mutter am besten aufgehoben seien. Asimow beeindruckt in seinen Ausführungen durch die Vielzahl der vergleichend herangezogenen Filme sowie durch die aufgezeigten gesellschaftlichen und rechtlichen Hintergründe.
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Keith Aoki bespricht (S. 679 ff.) den Film Snow Falling On Cedars (1999) und kritisiert die Darstellung der asiatisch-amerikanischen Bevölkerung. Zwar wünsche man sich bei all der Ungerechtigkeit in Snow Falling On Cedars einen Anwalts-Helden wie Atticus Finch, das Versagen sei aber wiederum nicht das Ergebnis eines Kampfes der »good guys« gegen die »bad guys«. Vielmehr gelte »the ›Rule of Law‹ is trumped by the many ways that liberal legalism fails to effect ›good choices‹ by everyday people« (S. 685). Überdies verbot amerikanisches ›Recht‹ japanischen Einwanderern den Erwerb von Grundstücken, was im Film eine Rolle spielt.
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In beiden Filmen, Snow und Kramer vs. Kramer, wird das Recht selbst zur Ursache von Ungerechtigkeit. Damit stehen sie im Gegensatz zu dem, was Susan M. Herman über den Film Philadelphia (1993) schreibt: »a Hollywood fantasy in which equality and fraternity are incorporated into the American dream of society and of law« (S. 618). Güte und Weisheit der Jury würden es schon richten. Anwälte fänden entweder zur Nächstenliebe oder unterfielen der Kategorie des Bösewichts (S. 619).
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Stephen R. Smith behandelt die Komödie The Fortune Cookie von 1966 und kommt zu einem interessanten Schluss (S. 305 ff.). Zu Atticus Finch bilde der gierige, trickreiche, von Walter Matthau gespielte, Whiplash Willie aus dem Fortune Cookie einen Gegensatz. Im Kampf um das öffentliche Ansehen der Anwälte habe Whiplash Willie gewonnen (S. 305). Willie sucht sich an einem Schadensersatzfall zu bereichern und nutzt dafür jede, auch die irrwitzigste Chance. Aber auch die gegnerische Anwaltsfirma scheut vor keiner Schurkerei zurück. Walter Matthau erhielt ebenso einen Oskar wie Gregory Peck. »Willie is our image« (S. 309).
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The Test of Time
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Den Studierenden eines zweisemestrigen Seminars »Crime and Law in Film« hat der Rezensent Screening Justice als eine der Literaturempfehlungen angegeben. Die Studierenden haben Reel Justice von Bergman und Asimow offenbar vorgezogen, vielleicht weil die Einträge zu den einzelnen Filmen dort prägnanter gefasst sind. Dennoch ist Screening Justice ein Buch, das nicht fehlen sollte, wenn man eine Lehrveranstaltung zum Thema Recht im Film anbietet. Bei der Vielzahl der Autoren fehlt es an der durchgehenden Perspektive, die Reel Justice bietet, und die auch Monografien wie Richard K. Sherwins When Law Goes Pop. The Vanishing Line Between Law and Popular Culture
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oder Nicole Rafters Shots in the Mirror. Crime Films and Society aufweisen.
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Man wird entschädigt durch die beeindruckende Bandbreite intellektueller Positionen, die dann letztlich doch ebenso gute Denkanstöße liefern kann.
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