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Geschichten von früher in anderer Zeit

Zur »Zur Frühgeschichte computerisierter Texterzeugung und generativer Systeme«

  • David Link: Poesiemaschinen - Maschinenpoesie. Zur Frühgeschichte computerisierter Texterzeugung und generativer Systeme. München: Wilhelm Fink 2007. 151 S. 21 s/w Abb. Kartoniert. EUR (D) 29,90.
    ISBN: 978-3-7705-4493-6.
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1. Bestimmte Texte

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Aber damit wollen wir nicht so sehr ein einigen erlauben, nicht genug Achtung, die nicht imstande, dem Massenproduktion des Kunstwerk im Verborgene politischen Systeme in dem Studio eines Kunstwerks veränderung der einzigen, undankbaren Arbeiter steht der Massen ins Kino führte, das Fernsehen nun mit unserer Zeitungs-Somnambulismus eines Tiefseetauchers voranschreitet. 1
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Texte wie diese – kryptisch und doch irgendwie bekannt, metaphorisch, wenn auch syntaktisch katastrophal, an Anspielungen reich, obwohl bei genauerem Hinsehen sinnlos – sind es, die immer wieder Faszination wecken: als Texte ebenso wie hinsichtlich ihrer Genese, sei sie nun maschinell oder psycho(patho)logisch.

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Techniken der Kunst
und die zwei Kulturen

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David Link folgt in seiner Dissertationsschrift, die leicht abgewandelt nun bei Fink erschienen ist, dieser – seiner – Faszination für »computerisierte[...] Texterzeugung und generative[...] Systeme« (Untertitel), auch bei ihm »scheint in Benennungen und Kommentierungen immer wieder die Sehnsucht [der Künstlichen Intelligenz-Forschung, T.K.] auf, an flexiblen Routinen und nicht an harten Daten zu arbeiten« (S. 103). In einem theoretischen Nachvollzug der programmierpraktischen Arbeiten an seiner »Poetry Machine« soll sich eine gegenseitige Bestätigung von Theorie und Praxis einstellen: »Die Programmierung einer Poesiemaschine und die Reflexion darüber befruchteten und durchdrangen sich gegenseitig« (S. 8).

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Mehr noch adressiert er damit einen grundlegenden methodischen Graben zwischen Geistes- und Naturwissenschaften: »Dadurch [d.i.: durch diese Befruchtung und Durchdringung] kann der Text der Geisteswissenschaften falsifiziert bzw. verifiziert werden, ähnlich wie es die Naturwissenschaften praktizieren. Die Programmierung tritt in der Theorie an die Stelle des Beispiels« (S. 8).

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Nicht allein diese Kluft zu schließen nimmt sich Link also vor, sondern zudem die Präzisierung des bei Turing »unscharf formuliert[en]« Projekts der Künstlichen Intelligenz (vgl. S. 21). Die drei wesentlichen Probleme, die Link dabei sieht, bestehen erstens in der Nutzung des »Vorteil[s] von Computern [...], Aufgaben automatisch erledigen zu können und dem Menschen so möglicherweise Zeit zu schenken«, zweitens Maschinen zu entwickeln, die sich nicht »als totes und unbeseeltes Display der einmal festgelegten Botschaft [enttarnen lassen]«, sondern die faszinierenderweise »Neues, zumindest aber Unterschiedliches [...] produzieren« und drittens den Mangel »der Gerätschaft an der Fähigkeit, in Kommunikation mit ihrer Umwelt zu treten«, zu mindern, wenn nicht sogar aufzuheben: »Auf ein vorüberhuschendes Tier oder die Worte ›vorüberhuschendes Tier‹ reagieren zu können, stellte einen beachtlichen Fortschritt in der Simulation des Geistes dar« (alle S. 21). 2

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Literatur und Technologie

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Damit adressiert David Link einen Bereich, der sicherlich nicht zum zentralen Inventar literaturwissenschaftlicher Fragestellungen gehört. Es geht ihm um die Wirksamkeit der so genannten »neuen« Technologien als literarische. Hierbei versucht er in der Tradition Friedrich Kittlers die Brücke zwischen übersteuerten Transistoren als der technologischen Grundlage von Digitalcomputern, den »auf« diesen »laufenden« Computerprogrammen sowie den Widergängern des aus den Geisteswissenschaften ausgetriebenen Geistes zu schlagen. Er versucht damit, die literarischen Effekte – ästhetische ebenso wie psychologische und soziale – kausal auf die Schaltungslogik von Digitalrechnern zu beziehen.

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Dieser Versuch hat in den Neuro- und Kognitionswissenschaften eine erstaunliche Parallele, die unter dem Namen »harte KI (künstliche Intelligenz)« als gescheitert angesehen werden darf. Ihr gegenüber lässt sich eine »weiche« Variante ausmachen, die Lücken in den Erklärungsketten zwischen der neuronalen / technologischen Ebene auf der einen und der ästhetischen / sozialen Ebene auf der anderen Seite zugesteht und die Ergebnisse der (literarischen, sozialen, kognitiven …) Simulationen mit geringerem Erklärungsanspruch und gleichzeitig höherer Wirksamkeit in die »Wissenschaft der Gesellschaft« (Luhmann) einbringt.

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In diesem Zwiespalt scheint David Links Arbeit sich zu bewegen: Als Künstler interveniert er mit Artefakten innerhalb der »Kunst der Gesellschaft« (Luhmann), wofür eine Kausalkette ausgehend von der Schaltungslogik nicht nur nicht notwendig, sondern, bei dem vorauszusetzenden Sachverstand des adressierten (Museums-)Publikums, eher hinderlich ist. Als Wissenschaftler versucht er hingegen, diese Intervention als Kausalkette zu ergründen, übersieht dabei jedoch grundsätzlich, dass die (hier nicht diskutierte) Wirkmächtigkeit seiner Kunst nur zum geringen Teil technologisch zu erklären ist.

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Methodik und Ausschweifungen

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Das Erklärungsprogramm wird in den folgenden Kapiteln in Angriff genommen: In einzelnen Kapiteln wird eine Auswahl textgenerierender (auch wenn Link den Begriff der »Generierung« für seine »Poetry Machine« reserviert) Software vorgestellt: »Variablenskripte«, die einen vorgegebenen (text-)syntaktischen Rahmen durch (pseudo-)zufällig ausgesuchte Instanzen belegen, beispielhaft realisiert durch Queneaus Cent mille millard de poèmes und den Romance Writer, ELIZA und PARRY von der Chatterbot-Fraktion, Hunt the Wumpus, Zork und Advent aus der Spiele-Ecke und schließlich SHRDLU für die Robotics.

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Diese Besprechungen oszillieren zwischen Sourcecode-Exegese, Bezügen zur westeuropäischen Geistesgeschichte (vornehmlich Hegel), psychoanalytischer Deutung (mit Freud) und nicht zuletzt Technikgeschichte(n), wobei am so mäandrierenden Wegesrand Kommentare und Geschichten in erheblicher Anzahl eingeflochten werden. Dabei versucht Link, zwischen diesen Ebenen, Disziplinen und Textsorten nicht nur zu vermitteln, sondern sie im Sinne der gegenseitigen Durchdringung sich argumentativ stützen zu lassen. Dabei verfehlt er jedoch die von ihm angestrebte »detailliert[e Verfolgung der] Paradigmen, Umgebungsbedingungen und Phantasmen [...], die sie [die Textgeneratoren] motivieren und inspirieren« (Waschzettel), nämlich zu Gunsten einer sich über weite Strecken assoziativ gebenden Folge von Anmerkungen, Geschichten, Kommentaren und Zitaten.

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So stellt beispielsweise das Kapitel zu Eliza (S. 31 ff.) einige Anmerkungen zu Rogers und dem Pygmalion-Stoff in den Fassungen von Shaw und Ovid voraus, um dann zunächst zwei Seiten Sourcecode abzudrucken, die auf den folgenden fünf Seiten punktuell erläutert werden. An diese Exegese schließen sich (S. 36 f.) weitere Hinweise auf den Pygmalion-Topos an, wird Kokoschkas Puppe ebenso wie Mary Shelleys Frankenstein erwähnt, um auf die Wandlung Weizenbaums zum Paulus der KI zu sprechen zu kommen und den Absatz mit einer Kittler-Äußerung zu Leserinnen und ihren Autoren um 1900 und Professor Higgins Schlussresumé aus My Fair Lady zu beschließen. In diese Kommune von Wissenschaftlern und Künstlern, literarischen und mythischen Figuren wird Eliza aufgenommen und in einem Maße personifiziert, was eine – nach der Sourcecode-Exegese überraschende – Distanzlosigkeit zum Gegenstand der Analyse durchscheinen lässt und zudem eine Geschlechtsumwandlung einschließt: »Eliza überschreitet und verwischt als Wanderer zwischen den Welten die Grenzen zwischen Beseeltem und Unbeseeltem, Lebenden und Toten, Frau und Mann, Mensch und Maschine, verschiedenen Rassen und Klassen« (S. 40).

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Damit erscheint Eliza nicht nur als literarische Figur in der Nähe von Eurydike und Echo (die beide für eine einzelne Erwähnung im Text auftauchen dürfen) sowie Pygmalion, sondern gleichzeitig als Ärztin im Sinne Rogers. So jedoch verschwimmen fundamentale Differenzen der angestrebten Analyse, nämlich die zwischen technischem Generator und Autor, zwischen Generator und Generiertem und damit auch zwischen »Paradigmen, Umgebungsbedingungen und Phantasmen« (Klappentext). Von dort aus treibt es Link noch zu Athanasius Kirchers Echowand, wonach er Colbys Phantasie einer Hochleistungsversion von Eliza als Panoptikum im Sinne der Foucaultschen Interpretation von Benthams Architekturvisionen interpretiert: »Eine solche Einrichtung (Eliza) bildet exakt die Struktur nach, die sich [...] im Panoptikum [...] inkarniert« (S. 42). Aus diesem Gedanken leitet Link Elizas angebliche Simulation von Allwissenheit und Präsenz ab und übersieht dabei, dass die von ihm postulierte Strukturäquivalenz weder evident noch von ihm belegt ist.

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2. Präzise Unbestimmtheiten

[18] 
Was will der Autor uns damit sagen?
(Deutschlehrer)
[19] 
Wort ist die gierigste der Verbindungen. Idee besaß nie, Mehrdeutigkeit zur Neurose vorbestimmt, alle Obsession ist eine Angst Gelegenheit, dieser Verdichtung jedenfalls gewährt was wirklich zeigt, die Verkleidung, das Wort, der Traum: ...
(S. 7)
[20] 
Wer läutet die Glocken? [...] Der Geist der Erzählung.
(Th. Mann, Der Erwählte)
[21] 
# define NAN \
(__extension__ \
((union { unsigned __l __attribute__((__mode__(__SI__))); \
float __d; }) \
{ __l: 0x7fc00000UL }).__d)
(Free Software Foundation, /usr/include/bits/nan.h)
[22] 
By this art you may contemplate the variation of the 23 letters
(Jorge Luis Borges, Die Bibliothek von Babel)
[23] 

Dieser überaus heterogene Verschnitt, dieses virtuelle Gespräch in der literarischen Kommune – das, stellte man es sich als in second life realisiert vor, das Zeug zu amüsantesten Absurditäten hätte – führt nicht zuletzt zur Frage seiner diskursiven Regelung, zu Fragen nach Textsorten und der Angemessenheit kritischer Herangehensweise. So gibt es Textsorten, bei denen die Frage, was der Autor uns damit sagen will, berechtigt scheint, während andere durch die Ausschlussmechanismen diverser moderner und postmoderner Literaturtheorien vor dieser Frage geschützt erscheinen.

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Vielleicht ist jedoch diese Frage inzwischen auch für die (geistes-)wissenschaftliche Literatur abgelöst worden durch Fragen nach der technischen Verfasstheit des Autors – pardon: Generators – der Texte, so dass alle Fragen nach Geltungsbedingungen und Handlungsorientierungen von Texten 3 der »von Shannon verwandte[n] Mathematik« unterzuordnen sind, um auf deren Basis »auch menschliche und darüber hinaus soziale Phänomene der Kommunikation zu beschreiben«. 4

[25] 

Lässt man sich, als Gedankenspiel, auf diese aus der »harten KI« der 60er stammende These ein, so stellt sich damit die Frage, welches die Mathematik ist, die sich in David Link inkarniert hat. Es spricht nach Sichtung der Literatur von Shannon bis David Link viel dafür, dass wir es hier mit stochastischen Prozessen zu tun haben, die Markovs Namen tragen. Um diese These zu prüfen, ist eine Auseinandersetzung zumindest mit ausgewählten anderen Inkarnationen notwendig.

[26] 

Stochastische Textmodelle

[27] 

Dabei stellen Markovs Untersuchungen zu Vokal-Konsonantenfolgen den ersten Bezugspunkt dar. Da in ihnen ein Textmodell zugrunde gelegt ist, das lediglich zwischen Vokal und Konsonant unterscheidet und mithin in Markovs Untersuchungen Texte als nicht beliebige, sondern in ihren Übergangswahrscheinlichkeiten beschreibbare Folgen von Vokalen und Konsonanten erscheinen, lässt sich mit diesem ›Alphabet‹ auch kein lesbarer Text schreiben. Die Notation ›KVVKVKVKVVK‹ (zu der »Die Notation« umgesetzt würde) trägt, als Folge von Merkmalen, keinen Sinn.

[28] 

Auf der Ebene der Markovmodelle, deren Übergänge Lettern emittieren und deren Zustände durch kurze Folgen von Lettern beschrieben werden, also solchen, die Shannon als Beispiel aufführt, lässt sich eine Sprachähnlichkeit der generierten Letternfolgen nicht absprechen. Während Shannon die Länge der Zustände aus Aufwandsgründen kurz hielt und damit lediglich Andeutungen englischer Sprache produzieren konnte, glaubt Link, dass bei weiterer Verlängerung lediglich eine Reproduktion des dem Markov-Modell zu Grunde liegenden Korpus zu erreichen sei (S. 106 f.). Dass dies erst bei sehr großen Kettenlängen der Fall ist, zeigt die auf eben diesen Modellen (mit einer Zustandslänge im Bereich der durchschnittlichen Wortlänge plus der begrenzenden Spatien) arbeitende Installation Delphi V. 2.1 des Rezensenten. 5

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Aus der Programmiererwerkstatt

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Diese Fehleinschätzung könnte der Grund gewesen sein, der Link dazu geführt hat, seine »Poetry Machine« nicht allein auf ein Markovmodell auf Basis von Wortformen aufzusetzen, sondern den eingesetzten »semantischen Netzwerken« nur die ›sinnvollen‹ Wörter einzuverleiben und damit implizit den Satzbaumustern, die die zweite Datenbasis darstellen, ›Sinnlosigkeit‹ zu konstatieren (S. 112 f.). Das generative Verfahren kombiniert also ein Markovmodell sinntragender Begriffe (also solche, die nicht »Partikel, Präpositionen, Konjunktionen, Hilfsverben, Pronomen etc.« (S. 112) sind) mit zufällig ausgewählten Satzbaumustern, in die die durch die jeweiligen Übergangswahrscheinlichkeiten und das Ergebnis eines Pseudozufallszahlengenerators ermittelten Wörter eingetragen werden. Damit reproduziert er jedoch genau die von ihm abgewerteten »Variablenskripte« vom Typ »Eliza«, denen zu entkommen er angetreten war.

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Zufällige Diskurse?

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Jenseits der angesprochenen Markovmodelle, die ihre Zustände / Knoten durch Merkmals-, Lettern- und Wortfolgen definieren, ließe sich – spekulativ, aber doch im Hinblick auf genuin technische »Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen« 6 – über stochastische Modelle auf der Ebene von Sätzen, eher jedoch noch von Geschichten oder Theoriefragmenten nachdenken. So könnte man auf die Idee kommen, dass Links vorliegende Arbeit einem solchen Markovmodell gehorcht.

[33] 

Als Basis (und in diesem Zusammenhang auch als einschlägige Lektüreempfehlung) könnten die im selben Verlag erschienenen Literatur- und Medienanalysen 1–4 (1989–1994) 7 dienen, vielleicht vermehrt um Kittlers Aufschreibesysteme 1800–1900. 8 Jedoch wird man aller Erfahrung nach bei diesem Versuch ein Problem gewärtigen, das allein mit Markovmodellen und ihrem prinzipiell begrenzten Fokus nicht zu lösen sein dürfte: das der Kohärenz der jeweils nächst größeren Einheit.

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3. Schluss

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Kohärenz und Werk

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Im Falle von Geschichten oder Theoriefragmenten wäre als nächst größere Einheit das »Werk«, in diesem Fall die Dissertationsschrift, anzusetzen, vorgelegt in einer traditionellen, geschlossenen medialen Form, als Buch. Bei aller möglichen (ideologischen, methodisch-theoretischen ebenso wie ästhetischen) Kritik am Werkbegriff lässt sich mit Thierse die Forderung nach Kohärenz aufrechterhalten: »Für den Werkbegriff bleibt – als elementare Mindestforderung – das Gebot der Ganzheit [...]. Die Notwendigkeit von Kohärenzbildung, die Unausweichlichkeit von [...] Sinnkonsistenz begründen [...] nicht zuletzt die Kontinuität des Werkcharakters von Kunst.« 9

[37] 

Genau an dieses Kriterium lässt sich das nach der Lektüre übrig bleibende Unbehagen an Links Arbeit binden. Die Reichhaltigkeit des von ihm hinzugezogenen Materials ist nur punktuell durch eine explizite Argumentation organisiert, vielmehr scheint die weder direkt noch indirekt beobachtbare Assoziationskraft Links das wesentliche werkkonstitutive Kohärenzkriterium darzustellen. Dies macht es dem Leser schwer zu folgen.

[38] 

Begriff und Geschichte

[39] 

Hinzu kommt, dass zentrale Begriffe zu selten in Bezug zu den oftmals umfangreichen und produktiven Diskussionen gestellt werden. So werden die von der »Poetry Machine« generierten Signifikantenketten umstandslos als »Poesie« (S. 7) bezeichnet, wird (der Hegelsche?) »Geist [als] in seinen Manifestationen« (menschliches Verhalten, sprachliche Akte und Neuronen) beobachtbar angesehen (S. 13), wird »Zeichen« in unreflektierter technischer Lesart mit Signifikant gleichgesetzt (S. 45), was hieße, dass Zeichen mit Poesie gleichzusetzen wäre, wird schließlich »Sinn« unter der Hand als substantielle Kategorie eingeführt, um zu behaupten, dass er von Computern nicht implementiert werden kann (S. 108) etc.

[40] 

Ähnlich selbstbewusst geht Link auch mit grundlegenden Schriften um. So schließt er aus Gödels Abhandlung Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica [ ...], dass »Software [...] nie frei von Programmierfehlern [...] sein [kann]« (S. 50), wo Nagel und Newman mit Bezug auf die Fähigkeiten von Rechenmaschinen präziser, begründeter und vorsichtiger schließen: »Wenn ein bestimmtes Problem gegeben ist, kann man wohl eine Maschine bauen, die es zu lösen imstande ist; aber es ist keine Maschine möglich, die jedes Problem zu lösen vermag.« 10

[41] 

Vergleichbar ergeht es Turing, dessen als »Maschine« bekanntes Gedankenexperiment nicht nur nicht die »konzeptuelle Vorwegnahme des heutigen Computers« ist (deren Schaltwerk eben keine Turingmaschine ist 11 ), und noch weniger »alles, was überhaupt kalkuliert werden kann, mechanisch [sic!] berechnet« (S. 44). Genauer wäre hier der Bezug auf die Church-Turing-Hypothese gewesen. 12 Es ist diese Art von Ungenauigkeit, die dem gesamten Text eine an manchen Stellen eher inspirierende, an anderen eine eher abschreckende Metaphorizität verleiht – wohl wissend, das diese erst in der Lektüre und damit im Rezipienten / Rezensenten erfolgt.

[42] 

Ziele und Abschweifungen

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Mit diesen Ungenauigkeiten einher geht auch eine Unsicherheit, welche Richtung Links Überlegungen »zur Frühgeschichte« nehmen sollen. Sucht man am Ende der Lektüre Aufklärung in der Einleitung, findet man unterschiedliche Ziele: Mal ist es die theoretische Absicherung seiner künstlerischen Arbeit, wie eingangs der Rezension herausgestellt, dann jedoch auch eine Technikchronologie: »Dieser Text verfolgt die Entwicklung des maschinellen Umgangs mit Worten und zeigt, in welcher Form die verschiedenen Ansätze auseinander hervorgehen« (S. 9), gegen die er sich aber unmittelbar selber wendet: »Die Untersuchung erfolgt achronologisch und betrachtet Geschichte nicht als aufwärtsgerichteten Pfeil akkumulierter Erfahrung« (S. 9), welche ihrerseits aufgehen soll in einer der Logik des Autors gemäßen Entwicklungsgeschichte: »Die Arbeit skizziert eine logische, also fiktive Entwicklung, in der sich komplexere Systeme aus den Beschränkungen einfacher entwickeln, und greift die Beispiele heraus, die die Konzepte und ihre Grenzen am besten illustrieren.« (S. 9)

[44] 

Link nimmt damit von den diskurstypischen Ansprüchen an wissenschaftliche Arbeiten – Kohärenz, Argumentation, bisweilen Vollständigkeit, wenigstens jedoch Exemplarität, Auseinandersetzung mit dem Kanon etc. – Abstand und positioniert sich mit der traditionellen avantgardistischen Attitüde »auf den Standpunkt der Gegenwart«. (S. 9) Er sieht von da aus »die Vergeblichkeit des Versuchs [...], Intelligenz, die sich der Unbegreiflichkeit des Anderen verdankt, imitativ zu implementieren« und zieht daraus den Schluss (und man möchte ihm die Freude daran nicht nehmen), dass »es deshalb nur [lohnt], das zu programmieren, was noch nicht begriffen, beschrieben und formalisiert ist, und an Algorithmen zu arbeiten, die dem Subjekt fremd sind [...].« (S. 19) Wie das jedoch geschehen soll, erschließt sich wohl nur, wenn man bereit ist, im Nachvollzug der ›Verzahnung der theoretischen und praktischen Aspekte‹ (vgl. S. 8) zu lesen.

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Finis

[46] 

»Die Programmierung tritt in der Theorie an die Stelle des Beispiels.« (S. 8), dem Leser wären Beispiele lieber, der Rezensent hätte sich auch mit den Sourcen begnügt.

 
 

Anmerkungen

Delphi V 2.1 am 27. Februar 2007, URL: http://ve117.zimt.uni-siegen.de/delphi/delphi.   zurück
Ob nun das »stellte« als Imperfekt zu lesen und damit auf Joyce zu beziehen ist oder als Konditional und damit auf die Link'sche Sicht der KI gemünzt war, bleibt offen, ist aber angesichts des mehr als ambitionierten Vorhabens auch wohl eher nebensächlich.   zurück
Vgl. Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. 5. Auflage. Frankfurt/M.: Suhrkamp, Bd. I, S. 369 ff.   zurück
Dirk Baecker: Kommunikation. Stuttgart: Reclam 2005, S. 17, der sich hier wesentlich auf Donald M. MacKay: Information, Mechanism and Meaning. Cambridge, Mass: MIT Press 1969 stützt.   zurück
Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses (Erweiterte Ausgabe). München: Fischer 1996, S. 11.   zurück
Friedrich Kittler / Georg Christoph Tholen (Hg.): Arsenale der Seele. München: Fink 1989; Jochen Hörisch / Michael Wetzel (Hg.): Armaturen der Sinne. Literarische und technische Medien 1870 bis 1920. München: Fink 1990; Martin Stingelin / Wolfgang Scherer (Hg.): HardWar, SoftWar: Krieg und Medien 1914 bis 1945. München: Fink 1991; Norbert Bolz / Friedrich Kittler / Christoph Tholen (Hg.): Computer als Medium. München: Fink 1994.   zurück
Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800–1900. 2. Auflage. München: Fink 1987.   zurück
Wolfgang Thierse: »Das Ganze aber ist das, was Anfang, Mitte und Ende hat.« Problemgeschichtliche Beobachtungen zur Geschichte des Werkbegriffs. In: Karlheinz Barck / Martin Fontius / Wolfgang Thierse (Hg.): Ästhetische Grundbegriffe. Studien zu einem historischen Wörterbuch. Berlin (0): Akademie-Verlag 1990, S. 378–414, hier S. 410.   zurück
10 
Ernest Nagel / James R. Newman: Der Gödelsche Beweis. München: Oldenbourg 1984, S. 98.   zurück
11 
Vgl. z.B. Wolfgang Coy: Aufbau und Arbeitsweise von Rechenanlagen. 2. Auflage. Braunschweig, Wiesbaden: Vieweg 1992.   zurück
12 
Z.B. wie in Wolfgang Coy: Aus der Vorgeschichte des Mediums Computer. In: Norbert Bolz / Friedrich Kittler / Christoph Tholen (Hg.) (Anm. 7), S. 19–38, hier S. 19, Anm. 1.   zurück