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Vom Möglichkeitssinn der Technik

  • Christoph Hubig: Die Kunst des Möglichen I. Grundlinien einer dialektischen Philosophie der Technik. Bd. 1: Technikphilosophie, Reflexion der Medialität. Bielefeld: transcript 2006. 302 S. Paperback. EUR (D) 29,80.
    ISBN: 978-3-89942-431-7.
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Mit Technikphilosophie als Reflexion der Medialität legt Christoph Hubig den ersten Band einer umfassenden Techniktheorie vor, der sich die Frage nach Wesen und Begriff der Technik stellt. Ein zweiter, den praktischen Umgang mit Technik betreffender Band erschien im Herbst 2007 unter dem Titel Ethik der Technik als provisorische Moral. Der Autor kann mit gutem Recht als einer der profiliertesten Technikphilosophen im deutschsprachigen Raum gelten. Der Reiz seiner Arbeiten liegt darin, dass sie innertechnische Entwicklungen sowie soziale und ökologische Technikfolgen weder als Gegenstände einer von ihr unabhängigen Philosophie begreifen, noch, wie in weiten Teilen der Technikphilosophie ansonsten üblich, sie als Beispiele innerhalb geschichtsphilosophischer Szenarien anführen.

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Stattdessen macht sich Hubig ein der Technologie inhärentes Reflexionspotential zunutze und nähert Technik damit der Philosophie an. Technikphilosophie lässt sich für ihn nicht, als Bindestrichphilosophie, von ihren Gegenständen aus definieren, sondern steht für einen Aspekt allen Philosophierens. Die klassischen Fragen der Philosophie artikulieren sich in einem immer schon technischen, auf sprachliche Vermittlung und technische Mittel verweisenden Horizont. Indem sie Technik als reflexiv und Philosophie als technogen beschreibt, erweist sich Hubigs Technikphilosophie als dialektisch im besten Sinne des Wortes.

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Möglichkeitssinn

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Im Anschluss an Christian Wolff versteht der Autor Philosophie als eine Wissenschaft des Möglichen. Technik gilt ihm als Ort, an dem sich die Frage nach Wirklichkeit und Möglichkeit mit einer besonderen Dringlichkeit stellt. Sie eröffnet und beschneidet Freiheitsspielräume, ermöglicht und verunmöglicht menschliches Denken und Handeln: was auch ihre unhintergehbare Interferenz mit dem Bereich der Kunst begründet. Technische Artefakte erscheinen vor diesem Hintergrund nicht länger als Inbegriff eindeutig determinierter Zweck-Mittel-Gefüge, sondern als Kunst oder Horizont einer Ermöglichung, die sich nie vollständig von außen steuern lässt, sondern gegenüber allen Versuchen ihrer Bestimmung einen gewissen Eigensinn bewahrt.

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Das Buch stellt sich der Aufgabe, diesen Eigensinn auf den Begriff zu bringen. Es gewährt dabei zunächst einen zugleich fasslichen und hoch reflektierten Einblick in die Geschichte der Technikphilosophie, oder genauer: in diejenigen Aspekte klassischer philosophischer Positionen, in denen diese immer schon auf ihre eigene Technizität und Rhetorizität reflektieren. So wird eine auf das Motiv der Medialität verweisende Technikphilosophie bei Platon, Aristoteles, Kant und Hegel rekonstruiert, bei Autoren also, die gemeinhin nicht als Technikphilosophen sui generis gelesen werden. Eindrucksvoll verteidigt Hubig die Ideenlehre Platons gegenüber Heideggers Vorwurf, sie würde das Ganze der Welt am Leitfaden eines technisch-verfügenden Herstellens denken, welches die Ideen als im Handeln zu verwirklichende Modelle begreift. Mit Derrida weist er darauf hin, dass Platon der Dichotomie von Vor- und Nachbild, von idealem Entwurf und realer Ausführung ein Drittes vorangehen lässt, einen Raum (chora), in dem beide Seiten überhaupt erst aufeinander bezogen werden können.

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Diese (etwa im Timaios beschriebene) chora, der Raum der Vermittlung oder Medialität, gilt Hubig als die eigentliche Verkörperung einer Technik, die sich weder auf das traditionell mit ihr assoziierte Zweck-Mittel-Schema reduzieren lässt, noch notwendig an materielle Geräte oder Artefakte gebunden bleibt:

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Während in verkürzter Sichtweise Technik als Inbegriff rational organisierter Handlungsmittel bzw. ihres Einsatzes erachtet wird, untersucht eine Reflexion der Technik als Medium, wie das System der Mittel den Möglichkeitsraum für die Wahl von Mitteln und Zwecken abgibt. (S. 259)
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Dialektiken der Technik

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Weite Teile der sich seit dem späten 19. Jahrhundert explizit als technikphilosophisch definierenden Arbeiten fallen, wie Hubig im Anschluss an seine von Platon bis zu Hegel reichende Rekonstruktion der Technikphilosophie als einer Philosophie der Medialität zeigt, hinter diesen Reflexionsstand zurück. Insbesondere anthropologische Theorien vermögen der Medialität der Technik begrifflich nicht gerecht zu werden. Technik fügt sich keinen handlungstheoretischen oder intentionalistischen Deutungen, die sie einem autonomen Subjekt unterstellt.

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Der Autor verweist gleich zu Beginn seiner Studie auf eine »Erfahrung der Differenz zwischen den intendierten Zielen und ihren Realisaten« (S. 12), die es notwendig macht, Technik an ein Scheitern der Intentionalität zu binden und dieses Scheitern wiederum als Medialität auszulegen und zu positivieren. Intentionalistische Technikphilosophien bleiben, so Hubig, selbst technomorph; sie nehmen »das technische Handeln, wie es ist, in seinen Grundelementen (Plan, Mitteleinsatz, Realisierung eines Werkes etc.) als Topik […] zur Erschließung der Welt insgesamt« (S. 78), die dann zum Substrat möglicher technischer Bearbeitungsschritte regrediert. Ausgehend von Heideggers Deutung der Technik als Geschick und Gestell werden diese technomorphen Theorien einer subtilen Kritik unterzogen, die allerdings auch in der Position Heideggers nicht ihr letztes Maß findet.

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Die konsequente, an Hegels Dialektik geschulte Entfaltung einer Philosophie der Mittelhaftigkeit macht die eigentliche Stärke des Buches aus. Das Mediale wird ausgehend von der klassischen philosophischen Tradition, insbesondere vom Begriff des Begriffs her konzipiert und nicht, wie in vielen anderen sogenannten Medienphilosophien üblich, von den Massenmedien oder digitalen Medien unserer Tage. Medialität steht für Hubig nicht am Ende der Technik- und Kulturgeschichte, sondern an ihrem Anfang; das Medium wird Hubig ganz im literarästhetischen Sinne zur »absoluten Metapher« (S. 143), was auch bedeutet, dass es mehr ist als ein begriffliches Konzept. Die Spur des Medialen lässt sich allen Phänomenen ablesen.

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Aus dieser Vorentscheidung ergibt sich allerdings auch eine Schwäche des Buches. Die hier entfaltete Theorie des Medialen geht auf Kosten der Konkretion. Die Leser erfahren nur sehr wenig über einzelne Techniken und ihre Differenzen. Gegenüber einer bei Hubig weitgehend im Singular auftretenden Technik wäre ein höheres Maß an Nominalismus einzuklagen, eine Sensibilität für Unterschiede, die sich hinter dem einen Label der Technik verbergen, für Phänomene, die vielleicht nur über ein lockeres Netz von Familienähnlichkeiten verbunden sind. Das gilt auch für Medialität, die niemals nur eine ist. Ausgehend von den Arbeiten Friedrich Kittlers oder Vilem Flussers ließe sich gegen Hubig die Brüchigkeit von Medienentwicklungen einklagen, die häufiger eher als Revolutionen denn als Evolutionen zu beschreiben wären.

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Technik als Kunst

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Erhellende Ausführungen zum Verhältnis von Technik und Kunst ziehen sich durch das gesamte Buch, werden aber im achten Kapitel unter dem Titel »Die Kunst des Möglichen und die Möglichkeit der Kunst« eigens thematisch. Hubig knüpft hier an den Diskussionsstand der dritten Kritik Immanuel Kants an, der für den Mainstream der philosophischen und literarischen Ästhetik auch heute noch verbindlich ist. Kunst und Technik werden seit Kant in analoger Weise unterschieden, wie die beiden Tätigkeitstypen der Poiesis und Praxis bei Aristoteles.

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Während Kunst und Praxis ihren Zweck in sich selbst haben, sind Technik und Poiesis für etwas anderes da, d.h. sie haben ihren Zweck außerhalb von sich selbst. Hubig weist auf die Brüchigkeit dieser klassischen Unterscheidung hin. Betrachte man nicht nur das isolierte Kunstwerk, sondern das Werk in den sozialen Kontexten seiner Produktion, Rezeption, Archivierung und Tradierung, dann ist natürlich auch das Kunstwerk für etwas gut; es hat wie die Technik eine spezifische Wirkung. Darüber hinaus gehen in die Produktion von Kunstwerken vielfältige Techniken und technische Fertigkeiten ein, weshalb die antiken Autoren das, was wir heute als Kunst bezeichnen, schlicht zur techne gerechnet haben.

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Eine weitere Möglichkeit, die sich nun anbieten würde, um technische von künstlerischen Artefakten zu unterschieden, bestünde darin, die Art ihrer jeweiligen Wirksamkeit zu unterscheiden. Hubig schließt sich hier Nelson Goodman an, der die Spezifik der ästhetischen Wirksamkeit als »metaphorische Exemplifikation« (S. 264) begreift. Im Gegensatz zur Technik könne die Kunst sich derart auf etwas in der Welt beziehen, dass sie nicht nur dieses etwas repräsentiert, sondern darüber hinaus auch noch die Weise darstellt, in der wir uns auf dieses etwas beziehen.

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Kunst und mit ihr nicht zuletzt die Literatur leiste also eine Erschließung unserer alltäglichen Formen der Welterschließung. Insofern könne Kunst, so Hubig, auch in privilegierter Weise einen »Zugang zur Welt des Technischen« (S. 265) bieten, der durch diskursive Medien nicht einfach ersetzt werden kann. Für Hubig kommt der Kunst also letztlich ein Überschuss gegenüber der Technik zu. Zwar ist auch Kunst in ihrem Innersten technisch verfasst, nicht jede Technik sei aber umgekehrt als Kunst zu explizieren.

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Resümee

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Über vieles, was heute unter dem Titel STS (Science- and Technologie Studies) firmiert, geht Hubigs Studie weit hinaus. Untersuchungen im Kontext der STS erschöpfen sich nur allzu oft in einem Befund, der inzwischen selbst Technikern und Ingenieuren banal vorkommen muss: dass alle Technik sozial kontextualisiert ist. In einem wichtigen Punkt gehen sowohl die STS wie auch der Cultural Studies aber auch über eine Technikphilosophie als Reflexion der Medialität hinaus: Sie verweisen darauf, dass jede Vermittlung einen politischen Index trägt. Technische und begriffliche Verhältnisse werden von Hubig tendenziell in ein politisches Vakuum versetzt, als Resultate selbstläufiger, gleichsam evolutionärer Prozesse dargestellt.

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Doch zur Technik gehören immer auch politische Konflikte, rhetorische Formen der Durchsetzung, der Aneignung und des Widerstandes, wie sie etwa Oliver Marchart in seinem Buch zum Techno-Kolonialismus (Wien 2004) beeindruckend rekonstruiert hat. Selbst wenn noch diese Konflikte eine technische Infrastruktur hätten, bleibt jede Technik mindestens in dem Maße, wie sie auf sprachliche Vermittlung verweist, in ihrem Innersten politisch umkämpft. Es wäre zu hoffen, dass der zweite Band der Kunst des Möglichen diesem Umstand stärker Rechnung trägt.