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Logaus Epigramme in europäischer Perspektive

  • Thomas Althaus / Sabine Seelbach (Hg.): Salomo in Schlesien. Beiträge zum 400. Geburtstag Friedrich von Logaus (1605-2005). (Chloe - Beihefte zum Daphnis 39) Amsterdam, New York: Rodopi 2006. 493 S. EUR (D) 110,00.
    ISBN: 90-420-2066-0.
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Als Lessing und Ramler den Epigrammatiker Friedrich von Logau der lesenden Öffentlichkeit ihrer Zeit präsentierten, kam das einer Wiederentdeckung gleich: »Es kann leicht sein, daß ich Ihnen hier einen ganz unbekannten Mann nenne«, 1 schreibt Lessing im April 1759 im »36. Literatur-Brief«, wenige Wochen vor Erscheinen ihrer Auswahlausgabe.

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Heute, nach einer wechselvollen Rezeptionsgeschichte, darf der Verfasser der Deutscher Sinn-Getichte Drey Tausend wohl als der bekannteste deutschsprachige Epigrammatiker des 17. Jahrhunderts gelten. Zum Anlass von Logaus 400. Geburtstag wurde 2005 an der Universität Oppeln eine Tagung veranstaltet; der daraus hervorgegangene Sammelband präsentiert in vier Abteilungen (»Genre und Denkverfahren«, »Weltsatire und gnomische Enzyklopädie«, »Geschichte und Werkgeschichte« und »Logau-Rezeption«) die zur Diskussion gestellten Beiträge.

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Das Epigramm in der Frühen Neuzeit:
Gattung und Strukturen

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Die Frühe Neuzeit kennt das Epigramm in zwei basalen Spielarten: mit Betonung der ›argutia‹ als pointiertes Stachelgedicht, mit der Kategorie der ›suavitas‹ als gnomisches, spruchartiges Gedicht ohne Pointe. Ferdinand van Ingen (S. 23–45) ordnet die erste – von der zeitgenössischen Theorie bevorzugt diskutierte – Spielart dem Hintergrund der frühneuzeitlichen Apophthegmata-Sammlungen zu und stellt die zweite – quantitativ überwiegende –»in den Horizont der ›Lebenshilfe‹-Literatur«, die mit ihrem »Angebot an ›Klugreden‹« (S. 45) Sinn- und Deutungsmuster zur Alltags- und Weltbewältigung an die Hand zu geben versprach. Im Wirkungsanspruch konvergieren beide Traditionslinien freilich, insofern stets mit Hinweis auf die Leser-Aktivierung der Gegensatz von äußerer Kürze und lang anhaltender Wirkung betont wird.

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In einem ähnlichen Ansatz rückt Thomas Althaus (S. 47–71) Logau in den Hintergrund der zeitgenössischen enzyklopädischen Großprojekte. Er zeigt, dass Logau viele Stoffe bearbeitet, die auch in anderer Kompilationsliteratur zu finden waren. Dabei geht es Althaus nicht, wie noch der älteren Forschung, um Quellennachweise, sondern um ein »Argument gegen seine [Logaus] Eigenständigkeit« (S. 50). Indem Kompilationen selbst schon Extrakte bieten und das Aufgenommene in ein »Verhältnis gedanklicher Zuspitzung« (S. 54) setzen, war für den Epigrammatiker der Weg schon vorgezeichnet. Auch Logaus »Pointierung und gegenläufige Behandlung« (S. 54) des Erwartbaren sind dann nicht einmal genuine Leistungen, denn das Prinzip der ›varietas fordert ohnehin die Differenz zum Überkommenen als Eigenleistung.

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Althaus’ Überlegungen zur Topik der ›inventio‹ werden im Beitrag von Fabienne Malapert (S. 73–102) ergänzt. Sie zeigt, dass sich die Sinn-Getichte sehr genau in die zeitgenössisch verhandelte Kategorie der ›argutia‹ einfügen. Eine Vielzahl von ihnen lassen sich nach der zeitgenössisch avanciertesten und erfolgreichsten Topik, der fontes-Lehre von Jacob Masen, beschreiben. Als »Beweis dafür, dass Masens Pointen-Sytem [...] die ganze Vielfalt der epigrammatischen Scharfsinnigkeit zu erfassen« (S. 98) vermöge, wird man das freilich noch nicht gelten lassen. Erhellend ist Malaperts Untersuchung in Bezug auf Logau; sie zeigt, dass der immer wieder für nationalchauvinistische Ideologien Vereinnahmte selbstverständlich teilhat an einer europäischen Poetik- und Stildebatte.

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Bernhard Jahn (S. 103–123) verfolgt die Theoriedebatte um das Epigramm weiter ins 18. Jahrhundert (namentlich zu Lessing und Herder) und stellt sie in den Hintergrund der von Erich Schön vorgebrachten These von der Entsinnlichung des Lesens im 18. Jahrhundert. Die Materialität der Buchstaben, im 17. Jahrhundert in Anagrammen oder Chronogrammen noch selbstverständlich, wird durchlässig auf den in ihnen transportierten Sinn und setzt ihm nicht mehr widerständig Eigenes entgegen oder hinzu. 2

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Sabine Seelbach (S. 127–150) begründet das semantisch-strukturelle Profil der Sinn-Getichte von deren Objektbezogenheit her: Die »Menge menschlichen Fürhabens« (Sinn-Getichte, Drittes Tausend, Zugabe während des laufenden Drucks, Nr. 254) gilt seit Aristoteles als Erkenntnisbereich, in dem man keine Wahrheit, sondern nur Wahrscheinlichkeit beanspruchen kann und der untrennbar mit der Kategorie der Erfahrung gekoppelt ist. Als Erkenntnisfähigkeit wird ihm die Klugheit (›phronesis‹) zugeordnet, die mit betrügerischer Durchtriebenheit (›panurgia‹) eine Schnittmenge bildet: die ›deinotes‹. Im Humanismus wird diese ›Lebensklugheit‹ dann vom sapientialen Wissen abgekoppelt: »Damit wird politische Philosophie autonom.« (S. 144) Weil Logau diese Differenzierung nicht mitvollzieht, fällt bei ihm die prudentielle Lebensklugheit unter das Verdikt der Durchtriebenheit, sie wird aus dem Klugheits-Begriff ausgegrenzt: »Dadurch wird Logaus Ethik axiomatisch [...]« (S. 149); sie steht damit in einem überraschenden Gegensatz zur Sinnoffenheit, wie sie etwa in den bekannten poetologischen Epigrammen betont wird.

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Ordnungsmuster und Leserlenkung

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Mehrere Studien nähern sich dem in der Forschung immer wieder angesprochenen Problem, inwieweit die unerhörte Menge von über 3500 Epigrammen nach strukturierenden Kriterien angelegt ist, bzw. ob der Leser in ihr Kohärenzen und Ordnungsmuster wahrnehmen kann.

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Ulrich Seelbach (S. 275–304) überprüft den Ansatz des Logau-Herausgebers Gustav Eitner, der im 19. Jahrhundert eine Biographie des Schlesiers entlang der in den Epigrammen (etwa in Kasualgedichten) greifbaren Daten entwarf. Indem Seelbach verschiedene Epigramme auch in Drucken außerhalb der Sinn-Getichte nachweist, kann er Eitners ›interne Chronologie‹ durch eine ›externe‹ ergänzen und an einigen Stellen präzisieren.

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Eckehard Czucka (S. 305–328) verfolgt die Frage, inwieweit poetologische Selbstaussagen in Paratexten das Problem von Ordnungsstrategien in »Mengen und Summen der Barockliteratur« (S. 309) reflektieren. Mit Herzog Anton Ulrichs Roman Aramena und Logaus Sinn-Getichten zieht er – ungewöhnlich, aber anregend – zwei gattungstraditionell denkbar verschiedene Texte heran. 3

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Strukturierungsangebote scheinen auf den ersten Blick die Paratexte zu machen: Die verschlüsselten Widmungen zu den fünf Bänden geben mit dem gemeinsamen Motiv ›Freundschaft‹ einen semantischen Rahmen vor, der jeweils durch ein Adjektiv näher bestimmt wird. Was Czucka aber nicht deutlich sagt: Die Widmungsträger sind weibliche Personen, mit denen der Autor verwandtschaftlich verbunden war, und die der Freundschaft jeweils zugewiesenen Attribute spiegeln eben genau diese Verhältnisse wider. Bevor man also mit Czucka von »Leserorientierungen«, vom »Konzept seiner [des Romans] Rezeption« (S. 317) oder einer »Abstraktionsebene der Darstellung« (S. 328) spricht, wäre zunächst einmal ein Zusammenhang zwischen den paratextuell vorgegebenen Begriffen und der Handlung in den entsprechenden Romanteilen nachzuweisen. Unergiebig sind auch die Versuche, in Logaus Sinn-Getichten eine strukturierende Funktion der – schon während des Produktionsprozesses aufgegebenen – Zahlensymbolik nachzuweisen. Es handelt sich letztlich bei den Paratexten der Aramena wie der Sinn-Getichte doch um abstrakte Einteilungsschemata »ohne entsprechende Durchstrukturierung der Fülle« (S. 327).

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Dies aber unmittelbar mit einer »›gesteigerte[n] Komplexität der politischen Welt am Ende des 17. Jahrhunderts‹« (S. 314), mit einer »unübersehbar[en] und undurchschaubar[en]« (S. 328) Gegenwart zu erklären, scheint allzu kurz gegriffen. So pauschal erweist sich die Interpretation, in der Thomas Althaus’ These von der epistemologischen Bedingtheit des ›epigrammatischen Barock‹ 4 anklingt, als eine Sackgasse, die weitere Fragen verstellt. Ergänzend zur Aramena wäre auch die Strukturierungs- bzw. Erschließungsleistung von der Textmasse angefügten Registern, etwa in Lohensteins Romanen, zu berücksichtigen gewesen.

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Auch auf Logau bezogen, sind die Reflexionen auf Ordnungsleistungen in den Paratexten freilich noch zu ergänzen, wie Cornelia Rémi (S. 151–184) zeigt. Indem Logau seinen Namen auf dem Titelblatt der Sinn-Getichte etymologisierend zu Salomon (= Friedrich) verändert, schlüpft er in die Rolle des biblischen Königs als Verkünder der göttlich inspirierten »dreitausend Sprüche« (1 Könige 5,12). Damit sind Sprecherrollen und Textmodelle vorgegeben, und die Frühe Neuzeit wusste diese Signale aufzunehmen, wie Rémi in einer breiten Kontextualisierung plausibel machen kann: Zahlreiche Sammlungen von Lebensweisheiten in Spruchform führen Salomo als Gewährsmann im Titel. Immer setzen diese Texte ein Mitdenken auf Seiten des Lesers voraus, wenn auch nicht immer so dezidiert wie bei Logau.

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Während die frühneuzeitliche Bibelhermeneutik sich aber am Skandalon der Inkohärenz der überlieferten ›salomonischen‹ Sprüche abarbeitete und immer wieder deren Einheit zu erweisen suchte, betont Logau eher die Isoliertheit des einzelnen Epigramms und setzt gegen didaktische Eindeutigkeit die Sinnoffenheit und die Widersprüchlichkeit seiner Epigramme, aus denen eine Lehre nur situationsabhängig zu ziehen ist. Im Namen der höchsten Richterautorität wird so überraschend die Richterrolle dynamisiert: Die Epigramme kommen ebenso auf den Prüfstein wie der ihnen gegenüberstehende Leser.

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Motiv- und themenbezogene Zugänge

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Unter den themenbezogenen Beiträgen versuchen einige mehr sozialhistorische, andere eher gattungs- bzw. motivtraditionelle Kontextualisierungen. Tomasz Jabłecki (S. 229–249) verbindet beide Frageperspektiven und interpretiert die Funktionalisierung von Satire bei Logau als Verarbeitung von Zeiterfahrung. Anna Stroka (S. 253–273) beleuchtet einige Epigramme vor dem Hintergrund des Kampfes der schlesischen Piasten um Unabhängigkeit vom Reich. Aleksandra Iwanik (S. 329–347) untersucht das Motiv der Kinder bzw. der Kindheit in den Sinn-Getichten und identifiziert die zwei Logau-Epigramme auf dem Sarg des einjährig verstorbenen Christian Albert, Sohn des Piastenherzogs Ludwig IV. Kalina Mróz-Jabłecka (S. 349–360) untersucht, wie der Konflikt zwischen Stadt- und Landbevölkerung in den Sinn-Getichten verarbeitet wird. Dirk Niefanger (S. 211–228) zeigt an Logaus Epigrammen zu Medizin und Ärztesatire, dass man von jedem beliebigen Motiv aus einen repräsentativen Ausschnitt aus Logaus Sinn-Getichten erstellen kann. Peter Hess (S. 185–210) arbeitet heraus, dass Logau im Vergleich zu seinen Zeitgenossen besonders deutlich auf die korrumpierende, ja verführerische Seite des Kriegs hinweist. 5

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Die Kontextualisierungen zeigen, dass Logau im Motivischen durchaus als traditionell anzusprechen ist; die Logau-Rezeption wird aber bald den Blick dafür verlieren und einerseits einen nationalistischen Wertmaßstab an ihn anlegen, ihn andererseits als Originalgenie missverstehen.

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Die Rezeption Logaus und der Sinn-Getichte

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Mehrere Beiträge zeichnen in chronologischer Reihenfolge die Rezeption von Logaus Sinn-Getichten nach. Sie beziehen sich dabei zum Großteil auf die verdienstvolle Monographie von Andreas Palme 6 und akzentuieren die entscheidenden Momente. Agnieska Ciołek-Jóźwiak (S. 363–378) untersucht die von Lessing und Ramler veranstaltete Logau-Ausgabe von 1759, zu der Lessing nicht nur ein Vorwort, sondern auch ein Glossar beitrug. Dieses belegt Lessings Interesse an dialektalen Eigentümlichkeiten und an Logaus sprachschöpferischem Umgang mit dem Deutschen; in Ramlers erweiterter Logau-Ausgabe von 1791 wird das Glossar fehlen.

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Andreas Palme (S. 395–412) konzentriert sich auf diejenigen Momente in der Logau-Rezeption des 18. und 19. Jahrhunderts, in denen es zu für die Folgezeit prägenden Paradigmenwechseln kam. Ramler und Lessing stellen Logau noch dezidiert in eine epigrammatische Tradition von der Antike her – und zwar auf Augenhöhe, wie das Titelkupfer ihrer Ausgabe andeutet –, für deren Spielarten Martial (Satire), Cato (Gnomisch-Spruchhaftes) und Catull (Elegisches) stehen. In der weiteren Rezeptionsgeschichte werden dagegen zunehmend Logaus Biographie oder zeitgenössische Hintergründe eine Rolle spielen. Herder unterbewertet Logaus Traditionsverhaftetheit und versteht seine Epigramme als Äußerungen eines deutschen Nationalcharakters. Im Paradigma der Genieästhetik nimmt bei Franz Horn die Betonung der Originalität, auch der persönlichen Erfahrungen des Epigrammatikers zu. Bei Wilhelm Müller kulminiert diese Tendenz: Mit seiner Logau-Ausgabe (1824) ist der entscheidende Schritt von einer historisierend gattungs- und traditionsbezogenen zu einer persona-bezogenen Rezeption getan, die im weiteren Verlauf in nationalistischen und gar völkischen Vereinnahmungen gipfelte.

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Biographistische und aktualisierende Lesarten bestimmen noch im 20. Jahrhundert die Logau-Rezeption. Eugeniusz Klin (S. 413–428) zeigt aber am Beispiel des Logau-Herausgebers Ernst Lubos, dass der Epigrammatiker nicht nur für nationalistische, sondern auch für pazifistische Argumentationen die Belege liefern konnte.

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Frieder von Ammon zeigt einen bisher nicht beachteten Aspekt in der Logau-Rezeption durch die Aufklärung auf. Er weist auf eine Parallele zwischen Logaus Epigrammsammlung und dem aufklärerischen Literaturverständnis hin, die im »dialektisch-kritsche[n] Verhältnis zwischen Autor und Leser« (S. 380) liege. In denjenigen Epigrammen Logaus, die den Leser und sein Verhältnis zu den Texten zum Thema machen, konnten die Aufklärer einen Gewährsmann für das eigene Text- und Kommunikationsmodell sehen. Die »offene Sinnstruktur« (S. 382) der Sinn-Getichte kam ihrer Forderung nach einer Lesererziehung zu kritischem Denken entgegen. Logaus bekannter Zweizeiler »Leser / wie gefall ich dir? | Leser / wie gefellst du mir?« wird unter anderem von Herder, Klopstock und Jacobi zitiert.

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Zwei Beiträge von Michail A. Novožilov und Richard E. Schade ergänzen die Abteilung zur Rezeption um externe Perspektiven. Ihre Beiträge zeigen, dass in der sporadischen Wahrnehmung Logaus in Russland wie im angloamerikanischen Raum den Sinn-Getichten ein durchaus exemplarischer Rang für die Literatur des 17. Jahrhunderts zukam.

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Schlesischer Barock in
europäischer Perspektive

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Die Beiträge des großzügig aufgemachten Bandes 7 zeigen, dass eine adäquate Sicht auf die Sinn-Getichte erst in breiten und historisch tiefenscharfen Kontextualisierungen zustande kommen kann: »Logau verlangt nach einem europäischen Leser [...]« (Eugeniusz Klin, S. 427); die nationalistisch grundierte Wahrnehmung der älteren deutschen Germanistik verengte den Blick ebenso wie eine nunmehr weitgehend überwundene polnische Perspektive, die die deutsch schreibenden Schlesier des 17. Jahrhunderts aus der eigenen Kulturgeschichte möglichst ausgrenzte. Vor diesem Hintergrund ist nicht nur folgerichtig, dass die Veranstalter Beiträger aus Ost und West miteinander ins Gespräch brachten. Besonders ist auch hervorzuheben, dass der Oppelner Universitäts-Direktor, selbst ein Naturwissenschaftler, den (auch kulturpolitischen) Stellenwert der Tagung erkannt und diese durch ein Grußwort aufgewertet hat.

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Impulse für anschließende Forschung sind vor allem da zu erwarten, wo aus der Analyse von Logaus Epigrammen übergreifende Thesen zu Kohärenzherstellung, semantischer Konsistenz und Ordnungsstiftung in Sammlungen und Kompilationen der Frühen Neuzeit entwickelt werden. Mit dem Fokus auf Logau wäre unter anderem die Frage zu verfolgen, warum der von Sabine Seelbach herausgearbeitete ›axiomatische‹ Klugheitsbegriffs bei Logau und die auf poetologischer Ebene zu beobachtende Offenheit der Sinn-Getichte (Thomas Althaus, Frieder von Ammon) miteinander vereinbar sind. Auch Althaus bemerkt, dass »zu den einfachen Wahrheiten Logaus sehr schwierige Situationen gehören können« (S. 56).

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Liegt es in der Logik der Sinn-Getichte, dass sie semantisch offen sein können, gerade weil die Grenzen zwischen Zulässigem und Abzulehnendem klar gezogen sind? In frühneuzeitlichen Texten, etwa in Fabeln, ist ja des Öfteren zu beobachten, dass semantische Offenheit eine radikale Komplexitätsreduktion da erfährt, wo die moraldidaktische Lehre gezogen wird. Irritierend bleibt dann aber, dass die Grenzen des rechten Weltverhaltens nur en passant, in verstreuten Gedichten abgesteckt werden und deshalb leicht übersehen werden können.

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Die hier versammelten Studien bauen auf einem kleinen Kern von beinahe kanonischen Beiträgen zur Logau-Forschung auf: aus neuerer Zeit vor allem die Monographien von Andreas Palme und Thomas Althaus, 8 daneben die Arbeiten von Fabienne Malapert, Peter Hess sowie Ulrich Seelbachs Edition von Logaus Einzeldrucken. 9 Mit dem vorliegenden Band wird sich die Ausgangslage für die künftige Forschung entschieden profilierter darstellen; dass einige der besonders anregenden Studien gerade von den jüngeren Beiträgern stammen, bestätigt die Herausgeber in ihrer Konzeption der Tagung.

 
 

Anmerkungen

Gotthold Ephraim Lessing: Briefe, die neueste Literatur betreffend. Nr. 36, 26.4.1759. In: G. E. Lessing: Werke und Briefe in zwölf Bänden. Hg. von Wilfried Barner u.a. Frankfurt/M.: Deutscher Klassiker Verlag 1997, Bd. 4, S. 451.   zurück
Durch die zusätzlich angestellte Engschließung des Epigramms mit Madrigal und Emblem wirkt der Artikel insgesamt disparat. Die Überlegungen zum Emblem sind in einem Punkt zurechtzurücken: Im 17. Jahrhundert bedarf es keiner »durch die Simulationsleistung hergestellten Nähe des Epigramms zum Emblem« (S. 112), denn ›emblema‹ bezeichnet in Titeln wie in Praefationes und Emblemtraktaten in erster Linie nicht, wie heute, die dreiteilige textlich-bildkünstlerische Mischform aus Motto, Pictura und Subscriptio, sondern nur das Epigramm. Der die Gattung begründende Andrea Alciato hatte eine Sammlung ekphrastischer Epigramme in der Tradition der Anthologia Graeca geplant; dieser Emblematum liber war in der ersten Ausgaben (Augsburg 1531) ohne Wissen des Verfassers mit passenden Holzschnitten ausgestattet worden.   zurück
Die von der Forschung viel beklagte Ordnungslosigkeit des Großromans von etwa 7000 Druckseiten versucht Czucka in einem ersten Schritt über die makrostrukturelle Gliederung zu relativieren. Ein starkes Argument ist daraus nicht zu entwickeln: Bei fünf Bänden mit je vier Teilen gliedern sich die 7000 Druckseiten der Aramena in Blöcke von durchschnittlich 350 Seiten – die ihrerseits nicht weiter strukturiert sind.   zurück
Thomas Althaus: Epigrammatisches Barock. (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 9 [= 243]) Berlin, New York: de Gruyter 1996.   zurück
Hess’ Darstellung wäre im Einzelnen zu diskutieren. Begrifflich unscharf und hinter die jüngere Forschung (vgl. etwa Ralph Müller: Theorie der Pointe. (explicatio) Paderborn: mentis 2003) zurückfallend ist sein Pointen-Begriff. Bemüht wirkt die Interpretation des Kriegs-Epigramms I,3,80, in der Hess patriarchalische Ordnung und weibliches (Kriegs-)Chaos einander gegenüberstellt (S. 209 f.).   zurück
Andreas Palme: Bücher haben auch jhr Glücke: Die Sinngedichte Friedrich von Logaus und ihre Rezeptionsgeschichte. (Erlanger Studien 118) Erlangen, Jena: Palm & Enke 1998.   zurück
Einige Inkonsequenzen in der Aufmachung fallen auf, beeinträchtigen aber weder die Lesbarkeit noch die Überprüfbarkeit der Argumentationen. Die meisten falschen Querverweise in den Anmerkungen kann jeder Leser leicht richtigstellen. In Klins Beitrag findet sich das in Anmerkung 31 belegte Zitat im dort genannten Band nicht, wie angegeben, auf S. 151, sondern wird bis zu den Auslassungszeichen aus S. 133 zitiert. Den folgenden Halbsatz konnte ich nur ähnlich lautend auf S. 151 finden. Anmerkung 32 bezieht sich dem Fließtext nach auf eine Anthologie, die indes kürzer ist, als der Nachweis angibt. In Rémis Beitrag muss die Jahresangabe in Anmerkung 32 (»1574«) richtig »1674« lauten.   zurück
Vgl. Andreas Palme (Anm. 6); Thomas Althaus (Anm. 4).   zurück
Fabienne Malapert: Friedrich von Logau (1605–1655). L’art de l’épigramme. (Collection contacts: Série 3, Etudes et documents 57) Bern: Peter Lang 2002; Peter Hess: Poetologische Reflexionen in den Epigrammen von Friedrich von Logau: Versuch einer Rekonstruktion seiner Poetik. In: Daphnis 13 (1984), S. 299–318; Friedrich von Logau: Reimensprüche und andere Werke in Einzeldrucken. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Ulrich Seelbach. (Rara ex bibliothecis Silesiis 2) Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1992.   zurück