IASLonline

Eine Verlegerkarriere während der
»Sattelzeit des deutschen Buchhandels«

  • Doris Reimer: Passion & Kalkül. Der Verleger Georg Andreas Reimer (1776-1842). Berlin, New York: Walter de Gruyter 1999. XIV, 460 S. 22 s/w Abb. Gebunden. EUR (D) 111,00.
    ISBN: 978-3-11-016643-9.
[1] 

Es ist normalerweise nicht üblich, ein Buch, dessen Erscheinung mehr als sieben Jahre zurückliegt, zu besprechen. Doch in diesem Falle soll eine Ausnahme gemacht werden. Die umfassende Beschäftigung mit einer führenden Persönlichkeit des deutschen Buchhandels im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert verdient eine erneute Anzeige und Erinnerung.

[2] 

Aufbau

[3] 

Die Gliederung der Dissertationsschrift folgt den Standards einer wissenschaftlichen Biographie. Eingangs werden der Forschungsstand und die Quellen vorgestellt, um in den nachfolgenden Abschnitten folgende Schwerpunkte zu setzen: Entstehung und Entwicklung der Firma Reimer, die Phasen der Verlagsgeschichte, das Verlagsprogramm, die ökonomische Entwicklung und Reimer als Verleger romantischer Literatur.

[4] 

Im Anhang des Buches befinden sich u.a. eine Zeittafel und eine CD-ROM mit zahlreichen Ergänzungen zum Buch, u.a. Bild- und Textdokumente enthaltend wie Korrespondenzen, Verträge, Auszüge aus den Briefkopierbüchern und der Hauptbuchhaltung, Tabellen zu Verträgen, Honoraren und Herstellungskosten sowie ein Verlagskatalog von 1843.

[5] 

Aufstieg zu einer führenden Verlegerpersönlichkeit

[6] 

Der aus guten kaufmännischen Verhältnissen stammende Reimer kam 1790 zur Lehre in die Greifswalder Langesche Buchhandlung, eine Filiale des Berliner Buchhändlers und Musikverlegers Gottlob August Lange, wechselte bald in das Berliner Hauptgeschäft und stieg zum leitenden Prokuristen und Miteigentümer auf. Um die Jahrhundertwende erwarb er die Realschulbuchhandlung der Königlichen Realschule in Berlin (gegr. 1749) und entwickelte sie seit 1817 unter der Bezeichnung Reimersche Buchhandlung zu einem führenden Unternehmen. Doris Reimer beschreibt detailliert die Lebensstufen, die Georg Reimer zum Verlegerberuf führten. Die Sozialisation in Pommern, die Berufsausbildung, die Einführung in die Berliner Gesellschaft und das Verhältnis zu den zahlreichen bedeutenden Autoren. Diese biographischen und sozialgeschichtlich interessanten Details werden mit der Auswertung wirtschaftlicher Daten des Verlags kombiniert, die tiefe Einblicke in das zeitgenössische Geschäftsgebaren erlauben.

[7] 

Das Verlagsprogramm von Reimers war beeindruckend und umfasste im Zeitraum 1800 bis 1843 eine Produktion von ca. 2.300 Titeln. Etwa 65 Prozent davon – genau 1.476 Titel – produzierte er selbst; ca. 850 Titel kamen durch den Aufkauf anderer Verlage hinzu. Eine statistische Auswertung, die Doris Reimer erstmals vornimmt (S. 161–164), kommt zu folgendem Ergebnis: Führend nach der reinen Titelstatistik (ohne Berücksichtigung von Auflagenhöhen, Umsätzen und Gewinnen) waren die Sparten Theologie (11 %), Medizin (10,2 %), Belletristik (9,6 %), Altphilologie (7,9 %), Politik, Rechts- und Volkswirtschaft (7 %), Naturwissenschaften (6,5 %), Kunstblätter (6,4 %), Mathematik/Astronomie (5,8 %), Geschichte/Biographien (5,2 %) und Philosophie (4,1 %) während die Schulbücher mit nur 2,5 % Anteil das Standbein des Unternehmens darstellten. Anhand dieser Zahlen wird deutlich, wie breit gestreut sein verlegerisches Tätigkeitsfeld war. Nur für 184 Titel haben sich die konkreten Auflagenhöhen erhalten, die Doris Reimer an anderer Stelle auswertet (S. 204–212). Die Erstauflagen schwankten zwischen 500 und 5.000 Exemplaren und lagen – für diesen Untersuchungszeitraum beachtlich – im Mittel bei 1.400 Exemplaren. Auch dies dokumentiert den geschäftlichen Erfolg des Universalverlags.

[8] 

G. A. Reimer stieg in den Kreis der führenden deutschen Verleger und Buchhändler seiner Zeit auf und gilt als einer der bedeutendsten Verleger der deutschen Romantik. Zu seinen belletristischen Erfolgsautoren gehörten u.a.: Ernst Moritz Arndt, Brüder (Jacob und Wilhelm) Grimm, Friedrich von Hardenberg (Novalis), E. T. A. Hoffmann, Heinrich v. Kleist, Friedrich Schleiermacher und Ludwig Tieck. Doris Reimer widmet sich Ludwig Tieck und den Brüdern Grimm ausführlicher. Enge Kontakte bestanden zu der 1810 gegründeten Berliner Universität und zu der 1812 umgegründeten Kgl.-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin.

[9] 

Der Verleger betätigte sich auch in der Branchenpolitik des deutschen Buchhandels und war innerhalb des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig (gegr. 1825) an Reformbestrebungen zur Verrechtlichung des Buchhandels und am Kampf gegen die Zensur beteiligt. Vom privaten Verleger und Familienvater, der mit Wilhelmine (geb. Reinhardt) glücklich verheiratet war und aus deren Ehe 16 Kinder hervorgingen, hätte der Leser freilich gerne mehr erfahren. Dies lag aber erklärtermaßen nicht im Fokus der vorliegenden Biographie, die sich ganz der beruflichen und ökonomischen Entwicklung des Verlegers widmet.

[10] 

Fazit

[11] 

Insgesamt handelt es sich um eine gelungene und gewichtige Detailstudie zur deutschen Buchhandelsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, die zudem gut geschrieben ist. Im Prisma einer Biographie sind der Aufschwung der deutschen Buchbranche aber auch viele zeittypische Problemlagen deutlich zu erkennen. Die Verschränkung von sozial- und wirtschaftshistorischen Ansätzen wie Fragestellungen ist beispielhaft.