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Foucaults Werkzeugkasten als Begriffslexikon

  • Michael Ruoff: Foucault-Lexikon. Entwicklung - Kernbegriffe - Zusammenhänge. (UTB 2896) Paderborn: Wilhelm Fink 2007. 242 S. Kartoniert. EUR (D) 18,90.
    ISBN: 978-3-8252-2896-5.
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Der Versuch, das wissenschaftliche Werk eines einzelnen Forschers über ein Begriffslexikon zu erschließen, muss diesen letztlich – in Foucault’schen Termini – als einen ›Diskursivitätsbegründer‹ markieren: Nur solche haben eine derartige Menge an eigenständigen Begriffen formuliert, die nicht durch die etablierten Wörterbücher von einzelnen Disziplinen oder Paradigmen abgedeckt werden, dass ein eigenes Lexikon sinnvoll sein könnte. In der Einleitung des vorliegenden Bandes werden vor allem zwei Gründe für die Plausibilität dieses Foucault-Lexikons angeführt: Zum einen ist Foucault keiner etablierten Disziplin zugehörig, hat aber gerade deshalb in eine Vielzahl an Disziplinen mit seinen spezifischen Begriffsbildungen hineingewirkt. Zum anderen ist es kennzeichnend für Foucault, dass er weniger neue Fachtermini geprägt hat (dies gilt vielleicht am ehesten noch für Begriffe wie ›Aussageformation‹ oder ›Gouvernementalität‹), als vielmehr durchaus vertraute Konzepte in ihrer Bedeutung ganz entscheidend verschoben hat: ›Subjekt‹, ›Diskurs‹, ›Wissen‹, ›Macht‹ sind hierbei wohl die prägnantesten Beispiele.

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Eine weitere Herausforderung für ein Lexikon zu Foucault besteht darin, dass dieser kaum – wie etwa Luhmann, der inzwischen mit mindestens zwei Wörterbüchern geehrt wurde – auf ein konsistentes Theoriegebäude zielte, sondern vielmehr im Zuge seiner dominant historischen (respektive ›genealogischen‹) Analysen ein analytisches Instrumentarium immer sehr dicht an den Gegenstandsbereichen entwickelte und dabei durchaus wechselnde Begriff für durchaus ähnliche analytische Funktionen zum Einsatz brachte.

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Michael Ruoff akzentuiert diese innere Dynamik des Foucault’schen Werks und stellt Verschiebungen und Varianten der zentralen Begriffe explizit dar. Das Lexikon beginnt mit einer kurzen Darstellung der ›Hauptwerke‹ (diese umfasst neben den Monografien auch die in den letzten Jahren publizierten Vorlesungen). Dass hier zwar die schmale »Ordnung des Diskurses« nicht aber die literaturwissenschaftlichen Arbeiten angeführt werden, entspricht einer Akzentsetzung des gesamten Lexikons, in dem es auch keinen eigenen Eintrag ›Literatur‹ gibt). Danach werden insgesamt 80 Grundbegriffe in unterschiedlich langen Einträgen erläutert. Die meisten Einträge sind gut verständlich und leisten schon durch den umfangreichen Ausweis von Bezugsstellen auch für die kleineren Schriften Foucaults gute Dienste. Gerade für mit Foucault weniger Vertraute ist es sicher hilfreich solche teils schon als Schlagworte zirkulierenden Konzepte wie ›Analytik der Endlichkeit‹, ›Panoptismus‹ oder ›Repressionshypothese‹ in prägnanter Form erläutert zu bekommen.

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Wie immer bei Lexika kann Kritik an der Auswahl und der Verzahnung der Einträge geübt werden: Warum gibt es die Lemmata ›Feld‹ und ›Theorie‹, nicht aber ›Monument‹ oder ›Politik‹? Warum wird ›Dispositiv‹ so knapp abgehandelt – eine Seite im Vergleich zu acht für ›Raum‹ – und nicht mit ›Panoptismus‹ in Beziehung gesetzt? Dies können aber keine ernsthaften Einwände gegen die Konzeption des Bandes sein.

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Ruoff folgt der mittlerweile etablierten Dreiteilung der Foucault’schen Arbeiten in die (historisch einander ablösenden) Schwerpunkte ›Diskurs‹, ›Macht‹, ›Subjekt/Ethik‹ und versteht diese als Teil einer »Schraubenlinie« (S. 13), mit der ähnliche Themen in immer wieder neuer Perspektivierung aufgenommen werden. Sowohl die Darstellung der einzelnen Werke als auch die der Begriffe erfolgt strikt immanent: Der Nachvollzug der Argumentation Foucaults sowie die konzeptionellen Verschiebungen von Buch zu Buch stehen im Mittelpunkt; die historischen Beschreibungen werden zum Teil detailliert nachvollzogen. Demgegenüber wird auf die spezifische Arbeitsweise Foucaults und seine häufig nur implizite Methodologie sehr viel weniger eingegangen. So wird darauf verzichtet, jenseits der expliziten Deklarationen (was etwa die Ablehnung der Ideengeschichte betrifft) die Distanz aber gegebenenfalls auch die Überschneidungen zu anderen Modellen im konkreten Vorgehen zu verdeutlichen.

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Vor allem aber bleibt der je aktuelle Bezugspunkt seiner Forschungen (und somit ihre politische Stoßrichtung) weit gehend ausgeblendet. Dass Foucault – wie unter dem Eintrag ›Genealogie‹ zitiert wird – seine Analyse »von einer gegenwärtigen Frage aus« (S. 129) betreibt, wird in der Darstellung der Werke und all der anderen Begriffen nicht nachvollzogen. Vor allem aber bleiben sowohl der zeitgenössische Diskussionskontext als auch die weitere Rezeption und die zum Teil heftigen Auseinandersetzungen unberücksichtigt.

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Dies mag für ein Lexikon gute Gründe haben, kommt ihm doch die Funktion zu, zunächst einmal eine möglichst klare Definition der Begriffe vorzulegen. Es bleibt aber in mehrfacher Hinsicht problematisch: Zum einen scheint es mir sinnvoll, die Begriffe so zu explizieren, dass sie gegen voreilige und oberflächliche Kritik ›in Schutz‹ genommen werden; so wäre es wünschenswert gewesen, beispielsweise in der Erläuterung des Machtbegriffs den verbreiteten Einwänden, dass es bei Foucault kein ›Außerhalb‹ der Macht gäbe und dass er repressive Aspekte leugne, von vornherein stärker zu begegnen. Zum anderen fehlt in dieser immanenten Rekonstruktion manchen Begriffen die Reibungsfläche, die sie eigentlich erst zu Begriffen macht. Welchen Einsatz etwa der Gouvernementalitätsbegriff im Kontext von Diskussionen über Souveränität, Staatsapparate etc. leistet, wird nur angedeutet.

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Schließlich bleibt die Dynamik der Begriffe selbst, obwohl sie mehrfach betont wird, zum Teil auf der Strecke. Dies betrifft insbesondere die enge Verzahnung von analytischer Arbeit und Begriffsbildung. So erscheint etwa der ›Diskurs‹ weniger als flexibles analytisches Instrumentarium, dessen konkrete Gestalt sich erst in der Analyse herausbildet, denn als ein bestimmter, in jedem Gegenstandsfeld auffindbarer Bereich, der den »Zusammenhang von Denken und Sprache« organisiert (S. 129). Das Lexikon nimmt hier sehr viel mehr die expliziten Aussagen von Foucault zum Diskurs zum Maßstab, als den konkreten produktiven Einsatz des Diskursbegriffs in den historischen Analysen.

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Deutlicher noch zeigt sich dies an Beispielen wie der ›Kriegshypothese‹, die durch die Eintragung zu einem theoretischen Begriff vereindeutigt wird, obwohl sie bei Foucault ganz ambivalent, halb auf der Ebene des analysierten Diskurses, halb auf der Ebene einer machttheoretischen Konzeption verbleibt. Ähnliche Probleme zeitigt die lexikalische Vorgehensweise, wenn beispielsweise ›Episteme‹, ›Archiv‹, ›Formationssystem‹, ›historisches Apriori‹ u.a. je getrennt als Begriffe mit je spezifischen Eigenschaften vorgestellt werden, ohne dass in einer stärkeren Distanznahme zur immanenten Foucault’schen Argumentation erläutert wird, dass die Begriffe keineswegs distinkte Dinge bezeichnen, sondern eher unterschiedliche Weisen sind, bestimmte Fragen zu stellen und dabei die im zeitgenössischen Strukturalismus und Marxismus eingeschlagenen Wege zu vermeiden.

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Vielleicht sind diese Einwände selbst nur Symptom dessen, dass die Foucault’sche Vorgehensweise für ein Lexikon wenig abwirft. Foucault mag seine Arbeiten als Werkzeugkasten konzipiert haben – es bleibt aber fraglich, ob die einzelnen Begriffe, die sich bei ihm finden lassen, tatsächlich schon Hammer und Zange bilden. Insofern es sich aber generell nicht vermeiden lässt (und es auch nicht zwanghaft vermieden werden muss), die in den Foucault’schen Arbeiten so produktiven Begriffe zu sammeln und zu definieren, bietet das Lexikon von Ruoff auf jeden Fall einen brauchbaren Bezugspunkt – selbst eine Schraube im Werkzeugkasten.