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Deutsch als Medienfach?

Von der Suche nach einem Medienbegriff für die Deutschdidaktik zur Neubestimmung des fachlichen Gegenstandsbereichs

  • Michael Staiger: Medienbegriffe, Mediendiskurse, Medienkonzepte. Bausteine einer Deutschdidaktik als Medienkulturdidaktik. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2007. 299 S. Kartoniert. EUR (D) 24,00.
    ISBN: 978-3-8340-0191-7.
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Ausgangslage

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Dass Kinder und Jugendliche heute die Welt zu einem erheblichen Teil über Medien wie Fernsehen und Computer erfahren, Wirklichkeit von ihnen also maßgeblich über Medien konstituiert wird und Medien inzwischen immanenter Bestandteil der kulturellen Erscheinungen unserer Gesellschaft sind, ist Anstoß für die zahlreichen Publikationen in der Deutschdidaktik über Medienintegration im Deutschunterricht. Der Deutschunterricht mit der ihm genuinen Aufgabe der kulturellen Sozialisation muss Kindern und Jugendlichen auch bei anderen Medien als dem Buch einen analytischen und reflexiven Zugang ermöglichen. Konstitutiv ist hier ein erweiterter Textbegriff, der neben printmedialen auch auditive, visuelle, audio-visuelle und filmische Texte einschließt, auf die das Lesen und Schreiben als die im Deutschunterricht zu erwerbenden Kulturtechniken entsprechend ausgeweitet werden.

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Neben ›Medienintegration‹ in Bezug auf den Deutschunterricht finden sich in den Titeln entsprechender Publikationen auch Begriffe wie ›Medienverbund‹, ›Medienerziehung‹, ›Medienkritik‹, ›Intermedialität‹ oder ›Symmedialität‹, 1 die programmatisch für den jeweiligen ›medienintegrativen‹ Ansatz der Autoren stehen. 2

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Michael Staiger ergänzt im vorliegenden Band, dem die Dissertation des Autors an der Pädagogischen Hochschule Freiburg zugrunde liegt, die verschiedenen medienintegrativen Konzepte für den Deutschunterricht durch einen weiteren Begriff: Er möchte zu einer Neukonzeption der Deutschdidaktik als ›Medienkulturdidaktik‹ anregen.

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Kultur- und gesellschaftstheoretische Begründungen
für einen Deutschunterricht als Medienfach

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Die gesellschaftliche und kulturelle Relevanz von Medien ist auch für Staigers Konzept der Deutschdidaktik als Medienkulturdidaktik grundlegend. In seinem ersten, der Einleitung folgenden Kapitel führt er aus, wie neuere Gesellschaftstheorien Zusammenhänge von medialen und sozialen Veränderungsprozessen beschreiben. Staiger stellt die verschiedenen auf Medien bezogenen Gesellschaftskonzepte wie ›Informationsgesellschaft‹, ›Wissensgesellschaft‹ und ›Mediengesellschaft‹ vor, um anschließend jeweils die Bedeutung einer Mediennutzungs- und Medienreflexionskompetenz für eine Teilhabe an Gesellschaft und Kultur hervorzuheben, die vor allem im Deutschunterricht entwickelt werden soll.

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Mit den Ästhetiken der ›neuen‹ Medien gehe außerdem eine Veränderung der Wahrnehmung einher und die potenzierte medial vermittelte Welterfahrung wirke sich aus auf die soziale und kulturelle Konstitution des Menschen – so resümiert Staiger Prämissen und Konklusionen mediengeschichtlicher und medienanthropologischer Konzeptionen (vgl. S. 24 ff. und S. 30 ff.).

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Die Schule als gesellschaftliche Bildungsinstitution und insbesondere der Deutschunterricht als Vermittler von Kulturtechniken und Medienkompetenzen stehen in besonderem Maße in der Pflicht, die veränderten Formen der Aneignung von Welt in der Medienkultur zu reflektieren und in neue didaktische Zielvorstellungen zu integrieren (S. 33).
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Auf der Suche nach einem Medienbegriff
für die Deutschdidaktik

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Nach den aufgezeigten »Voraussetzungen des Deutschunterrichts in der Medien(kultur)gesellschaft« folgt zur Annäherung an einen wissenschaftlich gesicherten Medienbegriff die Darstellung der Mediendiskurse verschiedener Wissenschaftsdisziplinen. Staiger diagnostiziert hier die Heterogenität der Verständnisse von ›Medien‹. Je nach Erkenntnisinteresse der sich mit medienbezogenen Fragen befassenden Wissenschaftsdisziplin und zugrunde liegender Theorie unterscheiden sich Definitionen und Systematisierungsversuche.

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Auf der Suche nach einem »deutschdidaktischen Medienbegriff«, der sich »im Spannungsfeld der Basis- und Bezugsdisziplinen der Deutschdidaktik zu verorten [hat], also der Sprach- und der Literaturwissenschaft, der Kommunikations- und Medienwissenschaft und der Erziehungswissenschaft sowie deren Bezugswissenschaften« (S. 213) wird Staiger schließlich bei der so genannten ›Medienkulturwissenschaft‹ fündig. Sie stelle einen »integrativen medientheoretischen Ansatz« bereit, »der zwischen den unterschiedlichen disziplinären Perspektiven auf ›die Medien‹ zu vermitteln vermag« (S. 116) und den Staiger seiner ›Medienkulturdidaktik‹ zugrunde legt. Das Verhältnis von Medien und Kultur wird als ein Bedingungsgefüge, Sozialisation als Mediensozialisation verstanden (vgl. S. 118 ff.). Medien werden hier mehr als nur vermittelnde bzw. übermittelnde Funktionen zugesprochen, sie bestimmen die alltägliche Konstruktion von Wirklichkeit, werden selbst als bedeutungstragend gesehen, indem sie die ›Botschaft‹, die sie transportieren, gleichzeitig ›überformen‹ (vgl. S. 122).

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Namentlich hält sich Staiger an den hauptsächlich aus konstruktivistischer Perspektive konzipierten integrativen Medienbegriff Siegfried J. Schmidts, der Medienverständnisse aus technischer wie aus anthropologischer Perspektive vereint und »zwischen vier konstitutiven Komponenten von Medien« (S. 121) 3 unterscheidet. Schmidts Medienkonzept beruht auf dem »systemische[n] Zusammenwirken dieser vier Komponenten unter jeweils konkreten sozio-historischen Bedingungen.« 4

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Die daraus für den Deutschunterricht erwachsenden Implikationen überschreiten den bisherigen Zuständigkeitsbereich des Faches um Einiges. In einer tabellarischen Übersicht (S. 215) führt Staiger die vier »Dimensionen eines integrativen deutschdidaktischen Medienbegriffs« auf: »Medien als semiotische Kommunikationsinstrumente (z.B. Sprache, Schrift, Bild, Ton)«, »Medien als technisch-mediale Dispositive bzw. Medientechnologien (z.B. Druck-, Film-, Fernsehtechnik)«, »Medien als Organisationen und Institutionen (z.B. Rundfunkanstalt, Verlag, Filmverleih)«, »Medien als Medienangebote« (z.B. Schrifttext, Fernsehsendung, Film)«. Als deutschdidaktische Implikationen der Dimension »Medien als Organisationen und Institutionen« werden – nur um am Beispiel einen Eindruck zu vermitteln, was auf die ›Medienkultur-Deutschlehrer‹ so zukommt – »Medienkunde (Produktionsbedingungen usw.), Medienökonomie, Medienrecht, Mediensoziologie und Medienpolitik, Mediennutzungsdaten, Intermedialität zw. Organisationen« (S. 215) angegeben.

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Medienintegration im Deutschunterricht:
Divergenz von Theorie und Praxis

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Appellcharakter hat die exemplarische Analyse einiger Deutschlehrwerke, in der aufgezeigt wird, dass der Deutschunterricht im Verhältnis zu den ausgiebigen Verhandlungen der Deutschdidaktik, wie sie Staiger in seinem Kapitel »Deutschdidaktische Medienkonzepte« (S. 133 ff.) umreißt, bisher die Medien als Gegenstand wenig integriert hat.

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[…] im Blick auf die derzeit zugelassenen Lehrwerke für das Fach Deutsch [kann] trotz einiger sehr überzeugender Beispiele – noch – nicht davon die Rede sein, dass Medienintegration im Deutschunterricht sich als allgemein anerkanntes Prinzip durchgesetzt hat. (S. 209)
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Mit der Lehrwerksanalyse soll auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass »den Lehr- und Bildungsplänen, die vor dem Hintergrund der KMK-Vorgaben entwickelt wurden«, hauptsächlich »ein technisch-instrumentelles Medienverständnis« zugrunde liegt, d.h., dass »Medien […] im Unterricht in erster Linie als Arbeitswerkzeuge dienen [sollen], beispielsweise zur Informationsbeschaffung bzw. -speicherung oder als Präsentationsmittel« (S. 209). »Fragen der Medienreflexion oder die Analyse und Interpretation von Medienangeboten« (ebd.) bleiben hier weitgehend unberücksichtigt.

[18] 

Ein Blick auf die Gründe, warum auditive, visuelle, audiovisuelle und die diese inzwischen integrierenden digitalen Medien – trotz pädagogischer Forderungen seit den 70er Jahren nach Medienintegration und einer bis heute sich unablässig türmenden Welle entsprechender medienpädagogischer, mediendidaktischer und deutschdidaktischer Publikationen – nur vereinzelt in der Praxis des Deutschunterrichts angekommen sind, zumindest was ihre Behandlung als Lerngegenstände betrifft, verdeutlicht die Schwierigkeiten der Umsetzung von Staigers Konzept.

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Besinnung auf traditionelle Aufgabenbereiche
des Deutschunterrichts nach PISA

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Trotz der Relevanz von Medien für Sozialisation und Enkulturation von Kindern und Jugendlichen, mit der Staiger eine Neuausrichtung der Deutschdidaktik nachvollziehbar begründet, stehen der hiermit verbundenen Ausweitung des fachlichen Gegenstandsbereichs Hindernisse im Weg. Ein Hindernis stellen die schlechten Ergebnisse der deutschen Schülerleistungen im Rahmen internationaler Schulleistungsstudien dar, die im Fachdiskurs der Deutschdidaktik Stimmen laut werden ließen, die eine Rückkehr des Deutschunterrichts zu traditionellen Aufgabenbereichen, vor allem zur Vermittlung basaler Kulturtechniken des Lesens und Schreibens fordern (vgl. S. 210). So unterstellt beispielsweise Jürgen Belgrad in Deutschunterricht nach der PISA-Studie, dass Lesen und Schreiben im Deutschunterricht zu wenig stattfinden und damit nicht genügend gefördert würden. 5

[21] 

Staiger dagegen sieht in diesen Forderungen die Gefahr der Einengung in der Neuorientierung des Deutschunterrichts. Er moniert, dass sich »Vorschläge für Neuorientierungen und grundsätzliche Neuordnungen des Schulsystems und des Selbstverständnisses der einzelnen Fächer […] leider [meine Hervorhebung, M.L.] […] fast ausschließlich auf Maßnahmen zur Förderung von Lese- und Schreibkompetenzen« (S. 208) bezögen und dass sich im »Hinblick auf die bislang formulierten Bildungsstandards und Kerncurricula und der nun stattfindenden Revision der Lehr- und Bildungspläne […] insgesamt keine medienreflexive Grundhaltung« (S. 209) abzeichne.

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In Staigers Konzept einer Medienkulturkompetenz bilden »Lesekompetenz/literarische Kompetenz« und »Schreib- und Schriftkompetenz« gleichrangige Elemente zu »Visueller Kompetenz«, »Intermedialer Kompetenz« und »Auditiver Kompetenz«. In einer Graphik (vgl. S. 266) lässt Staiger diese Elemente eine gemeinsame Schnittmenge bilden:

[23] 
Zentral ist […] die Fähigkeit, die verschiedenen Kompetenzen miteinander zu verbinden und so die komplexen multitextuellen und multimedialen Erscheinungsformen reflektiert zu erfassen: von Bild-Text-Relationen in Printmedien über das Zusammenspiel von Bild und Ton im Film bis zur Verknüpfung von Schrifttext, Bild, Ton und Animation in Computerspielen und Multimedia- Umgebungen oder im World Wide Web. (S. 266)
[24] 

Die hier nebengeordnete Rolle der Lese- und Schreibförderung entspricht Staigers zusammenfassender Darstellung der Medienentwicklung (S. 24 ff.), die »seit dem 20. Jahrhundert mit ihren Leitmedien Fotografie, Film und später Fernsehen […] im Zeichen einer neuen Dominanz des Visuellen [steht]« (S. 29). Entsprechend stellt sich für Staiger die Frage, ob »das Fach Deutsch sich zukünftig vornehmlich als Hort – oder gar Festung – der Schriftkultur verstehen oder […] es die Kinder und Jugendlichen auch in die komplexen Fragen der Bildkultur einführen« soll (S. 25). Staigers Antwort darauf ist Programm der vorliegenden Publikation.

[25] 

Gewisse Defizite im Zusammenhang mit der (literarischen) Lesekompetenz lassen sich nach Staiger denn auch nicht mit mangelnder Förderung und Übung des Lesens erklären. Staiger sieht die von Spinner beklagten Schwierigkeiten von Schülerinnen und Schülern bei der Vorstellungsbildung in der »mangelnde[n] visuelle[n] und auditive[n] Kompetenz der Schüler« begründet (S. 243). Schülerinnen und Schüler hätten offensichtlich nicht gelernt, »sich mit Bild und Ton reflexiv auseinanderzusetzen« und könnten daher »ihre visuellen und akustischen Medienerfahrungen nicht produktiv in den Imaginationsprozess einbringen« (ebd).

[26] 

Weitere Schwierigkeiten bei der Ausweitung
des fachlichen Gegenstandsbereichs

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Ein weiteres Hindernis für einen Deutschunterricht als Medienunterricht, so wie Staiger ihn fordert, bleibt unberücksichtigt: Während Staiger das Theoriedefizit der Deutschdidaktik in Bezug auf Medien aufdeckt und hier ein Desiderat formuliert, bedenkt er nicht, dass dieses Defizit in erster Linie die Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer betrifft. Denn die Lehramtsstudierenden der Germanistik studieren weder Soziologie noch eine der zahlreichen Medienwissenschaften, sondern Sprach- und Literaturwissenschaft. Auch wenn andere Medienprodukte als das Buch hier auf unterschiedliche Weise Eingang gefunden haben bzw. zu den Gegenständen einer kulturwissenschaftlich orientierten Germanistik gehören, fehlt den Lehrenden für die Vermittlung der von Staiger konzipierten umfassenden »Medienkulturkompetenz« (S. 211 ff.) die Bezugswissenschaft.

[28] 

Eine Ausweitung des Deutschunterrichts auf semiotische, technologische, institutionelle und produktorientierte Aspekte von Medien geht daher notwendig mit der Gefahr des Dilettantismus der Lehrenden einher. Auf die Problematik verweist bereits Wolfgang Gast in einem Vortrag auf dem deutschen Germanistentag 1994, indem er aufzeigt, welche Hilfswissenschaften allein für eine angemessene Analyse von Literaturverfilmungen herangezogen werden müssen, wobei der Film und besonders die Literaturverfilmung der »Zuständigkeit des Faches Deutsch noch verhältnismäßig nahe« 6 stehen. Und hier wird »nur« die Analyse von Medienprodukten besprochen, noch nicht die Auseinandersetzung mit medienökonomischen, -rechtlichen, -soziologischen, -politischen etc. Fragen.

[29] 

Die Integration neuer Lernbereiche in den Deutschunterricht könnte außerdem nur auf Kosten bereits bestehender Unterrichtsgegenstände bzw. zu vermittelnder Kompetenzen erreicht werden. 7 Vor dem Hintergrund dieser Schwierigkeit scheint es angemessener zu fragen, wie der Deutschunterricht zum einen die Medienerfahrungen der Schülerinnen und Schüler auch für eine literarische Sozialisation, die im Alltag wenig stattfindet, fruchtbar machen kann, und wie zum anderen an literarischen Texten Kenntnisse erworben und Fähigkeiten entwickelt werden können, die sich auf andere Texte im weitesten Sinn transferieren bzw. entsprechend modifizieren und erweitern lassen.

[30] 

In diese Richtung verweist auch Elisabeth K. Paefgen, indem sie für die Behandlung von Filmen im Deutschunterricht zeigt, wie sich durch Filmanalyse Erkenntnisse über literarische Texte gewinnen lassen und wie durch die Arbeit an literarischen Texten das Sehen von Filmen geschult werden kann. 8 Paefgen stellt am Beispiel der Filmanalyse Medienintegration in einen sinnvollen Zusammenhang mit traditionellen Aufgabenbereichen des Deutschunterrichts. Staigers Vorwurf, Paefgen plädiere für eine Desintegration von Film und damit auch der übrigen Medien aus dem Deutschunterricht, spiegelt nicht deren aktuelle Haltung. 9

[31] 

Zudem ist die Kritik an Paefgen Gegenstand des ersten Unterkapitels 10 zu Staigers »Erste[r] Leitlinie: Medienreflexion« (S. 225 ff.) und somit an einer Stelle platziert, an der man als Leser eigentlich hofft, Konkretes über das Konzept der Medienkulturdidaktik zu erfahren. Staigers Gliederung ist (nicht nur) an dieser Stelle schwer nachvollziehbar.

[32] 

Deutschunterricht im Medienland:
»Medienkulturdidaktik« als Anleitung zum
Experimentieren mit Sinneseindrücken

[33] 

Nach mehr als zweihundert Seiten kommt Staiger zum Konzept seiner im Titel angekündigten »Medienkulturdidaktik«, als die er die Deutschdidaktik zukünftig verstanden wissen will und die die Ausbildung einer umfassenden und integrativen ›Medienkulturkompetenz‹ zum Ziel haben soll. Staigers Leitlinien »Medienreflexion«, »Wahrnehmung« und »Intermedialität« und die sich jeweils anschließenden Ansatzpunkte für einen entsprechenden Deutschunterricht werden in meinen Augen allerdings den durch den theoretischen Überbau evozierten Erwartungen wenig gerecht.

[34] 

Deutschunterricht wird hier beispielsweise als »Schule der Sinne« (S. 246) präsentiert und soll zu Experimenten mit Modifizierungen von üblichen über die Medien angesprochenen Wahrnehmungskanälen einladen, um Wahrnehmung über Verfremdungseffekte zu entautomatisieren (vgl. S. 247). Oder Schülerinnen und Schüler sollen die unterschiedliche Wirkung der verschiedenen Medientechniken reflektieren, indem sie Schreiben, Schrift, Bilder und Audiovisionen in verschiedenen Medien vergleichend untersuchen (vgl. S. 234 f.). Als konkreter Ansatzpunkt zur »Medienreflexion« wird u.a. der Vergleich »statische[r] Bilder in verschiedenen Medien« (S. 235) vorgeschlagen:

[35] 
Die Experimente mit Lesen und Schreiben in verschiedenen Medien können mit Schülern beim Betrachten eines Gemäldes oder einer Fotografie weitergeführt werden. Es macht einen grundsätzlichen Unterschied, ob ein Bild in einem auf Hochglanzpapier gedruckten Bildband, als Farbkopie aus diesem Band, in einer Zeitung, am Bildschirm von einer CD-ROM oder aus dem World Wide Web, in Form einer DIN-A6-Postkarte oder eines großformatigen Plakats betrachtet wird. Die Auflösung der einzelnen medialen Vermittlungsformen ist sehr unterschiedlich und wirkt auf den Gesamteindruck eines Bildes nachhaltig ein. (S. 235)
[36] 

Insgesamt wecken die hier aufgezählten und ansatzweise konkretisierten Implikationen eines nach Staigers Leitlinien ausgerichteten Deutschunterrichts den Eindruck der Beliebigkeit bzw. einer Überdehnung der Fachgrenzen.

[37] 

Vor allem die nach den Ergebnissen von PISA und anderen Studien laut gewordenen Einwände der ›Medienskeptiker‹ lassen sich mit Staigers Konzept der Medienkulturdidaktik kaum entkräften.

[38] 

Die Konkretisierung einer »Deutschdidaktik als Medienkulturdidaktik« nimmt sich als knapp gehaltenes Anhängsel zu dem durch Redundanzen gekennzeichneten theoretischen Überbau aus. Nun sind Anregungen für die Praxis nicht die Aufgabe einer Arbeit, die sich vornehmlich »zum Ziel gesetzt [hat], die für eine deutschdidaktische Medienreflexion relevanten Diskurse über Medien kritisch aufzuarbeiten« (S. 13). Der Versuch, dennoch – wie es die »Bausteine« im Titel auch erwarten lassen – »Ansatzpunkte für einen medienreflexiv und intermedial orientierten Deutschunterricht« (S. 14) aufzuzeigen, kann bei interessierten Deutschlehrerinnen und Deutschlehrern zur Enttäuschung führen, liefern diese Ansätze doch insgesamt wenig Neues.

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Störend wirkt sich die offensichtlich nicht erfolgte Überprüfung des Manuskripts auf Grammatik- und Rechtschreibfehler, bibliographische Angaben und überhaupt auf die inhaltliche und formale Gestaltung aus. So stößt man im Durchschnitt alle vier bis fünf Seiten auf »Versehen« in Rechtschreibung oder Satzbau, sucht im Literaturverzeichnis beispielsweise vergeblich nach dem mehrfach zitierten Jens Schröter, bleibt im Unklaren darüber, auf welche – im Literaturverzeichnis entsprechend durch »a« oder »b« gekennzeichneten – Veröffentlichungen desselben Jahres sich Fußnotenverweise wie auf »Schönert (1999)« 11 oder »Schmidt (1996)« 12 beziehen und wird vergeblich nach den Kapiteln »C.2.1.1« oder »C.4.5.2« suchen, auf die der Autor auf Seite 213 zurückverweist, die aber nicht existieren.

[40] 

Resümierend lässt sich sagen, dass Staiger mit seinen ausführlichen medientheoretischen Vorklärungen und den kurz umrissenen praktischen Ansätzen die Konturen einer ›Medienkunde‹ zeichnet. Ein eigenes Unterrichtsfach lehnt Staiger allerdings ab, weil ein solches aufgrund des ›Gerangels‹ »anlässlich der momentan gegebenen Fächervielfalt […] um Unterrichtszeit-Anteile« (S. 226) kaum realisierbar wäre. Ein schlüssiges medienintegratives Konzept, das den elementaren Zielen des Deutschunterrichts verpflichtet ist und dabei die Grenzen des Faches berücksichtigt, bleibt Staiger aber schuldig.

 
 

Anmerkungen

Vgl. beispielsweise die Titel folgender Publikationen: Jutta Wermke: Integrierte Medienerziehung im Fachunterricht. Schwerpunkt: Deutsch. München: KoPäd 1997; Matthis Kepser / Irmgard Nickel-Bacon (Hg.): Medienkritik im Deutschunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2004; Volker Frederking: Lesen und Leseförderung im medialen Wandel. Symmedialer Deutschunterricht nach PISA. In: V. F. (Hg.): Lesen und Symbolverstehen. Medien im Deutschunterricht 2003. Jahrbuch. Mündchen: kopaed 2004, S. 37–66; Volker Frederking / Petra Josting (Hg.): Medienintegration und Medienverbund im Deutschunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2005; Marion Bönnighausen / Heidi Rösch (Hg.): Intermedialität im Deutschunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2004.   zurück
So liegt beispielsweise Matthis Kepser mit seinem ›medienkritischen‹ Ansatz daran, dass Kinder und Jugendliche vor allem »eine distanzierte Position gegenüber den Medienangeboten und der eigenen Rezeptionshaltung« einnehmen (Matthis Kepser: Medienkritik als kultureller Selbstverständigungsprozess in Gesellschaft und Deutschunterricht. In: Kepser / Nickel-Bacon, Medienkritik im Deutschunterricht(vgl. Anm. 1), S. 2–22, hier S. 12. Und Volker Frederking grenzt das von ihm gewählte Attribut ›symmedial‹ ab zu den Bezeichnungen ›medienreflexiv‹, ›intermedial‹ und ›multimedial‹, um »das sinnvolle Aufeinanderbezogensein ›alter‹ wie ›neuer‹ Medien« und die »auf Komplementarität, Integration und Synergie gerichtete[ ] Beschaffenheit des mit den neuen Digitalmedien verbundenen medialen Paradigmenwechsels« hervorzuheben (Frederking, Lesen und Leseförderung [vgl. Anm. 1], S. 38).   zurück
Staiger bezieht sich in seinem tabellarischen »Systematisierungsversuch des Kompaktbegriffs ›Medium‹ nach Schmidt« (S. 122), in dem er die vier Komponenten »semiotische Kommunikationsinstrumente«, »technisch-mediale Dispositive bzw. Medientechnologien«, »Organisationen und Institutionen« und »Medienangebote« aufführt, auf: Siegfried J. Schmidt: Kognitive Autonomie und soziale Orientierung. Konstruktivistische Bemerkungen zum Zusammenhang von Kognition, Kommunikation, Medien und Kultur. 2. Aufl. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1996, S. 83, sowie auf: Siegfried J. Schmidt: Kalte Faszination. Medien – Kultur – Wissenschaft in der Mediengesellschaft. Weilerswist: Velbrück Wissenschaft 2000, S. 94 f.    zurück
Siegfried J. Schmidt: Medienkulturwissenschaft. In: Ansgar Nünning / Vera Nünning (Hg.): Konzepte der Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen – Ansätze – Perspektiven. Stuttgart, Weimar: Metzler 2003, S. 351–369, hier S. 355. Zitiert nach Staiger, S. 122.   zurück
Jürgen Belgrad: Lesekompetenzschwächen: Versäumnisse des Deutschunterrichts. In: Michael Kämper-van den Boogaart (Hg.): Deutschunterricht nach der PISA-Studie. Frankfurt/M.: Peter Lang 2004, S. 37–58.   zurück
Wolfgang Gast: Deutschunterricht und mediale Bildung. In: Ludwig Jäger (Hg.): Germanistik. Disziplinäre Identität und kulturelle Leistung. Vorträge des deutschen Germanistentages 1994. Weinheim: Beltz Athenäum 1995, S. 274–284, hier S. 276.   zurück
Vgl. hierzu: Michael Kämper-van den Boogaart: Einerseits – andererseits. (Zur Frage: »Sprechen die Ergebnisse der PISA-Studie für mehr oder für weniger Medien im Deutschunterricht?«) In: Frederking, Lesen und Symbolverstehen (vgl. Anm. 1), S. 200–202, hier S. 200 ff.   zurück
Vgl. Elisabeth K. Paefgen: »Denn man kann es nicht erzählen.« Deutschunterricht und Film – eine alte Beziehung neu diskutiert. In: Kämper-van den Boogaart, Deutschunterricht nach der PISA-Studie (vgl. Anm. 5), S. 185-200, hier S. 191. Vgl. auch: E. K. P.: Einführung in die Literaturdidaktik. 2., aktual. und erw. Aufl. Stuttgart, Weimar: Verlag J.B. Metzler 2006, S. 175 f.   zurück
Staiger bezieht sich hier auf die 1. Auflage der Einführung in die Literaturdidaktik von 1999 (vgl. Anm. 8), S. 156 und auf Paefgens Vortrag beim Germanistentag 1999 (Elisabeth K. Paefgen: Lesen von Literatur als sprachästhetische Basisqualifikation des Deutschunterrichts. In: Hansjörg Witte / Christine Garbe / Karl Holle / Jörn Stückrath / Heiner Willenberg (Hg.): Deutschunterricht zwischen Kompetenzerwerb und Persönlichkeitsbildung. Germanistentag des Fachverbandes Deutsch im Deutschen Germanistenverband e.V. in Zusammenarbeit mit der Universität Lüneburg vom 26. bis zum 29. September in Lüneburg. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2000, S. 198–211). In einer Fußnote (S. 226) merkt Staiger selbst an, dass Paefgen inzwischen ihre Forderung nach ›Filmkunde‹ als eigenes Unterrichtsfach »etwas entschärft« hat.   zurück
10 
»Medienintegration statt Mediendesintegration« (S. 226–228).   zurück
11 
So z.B. wiederholt auf den Seiten 124 bis 126.   zurück
12 
So z.B. auf den Seiten 117, 119 und 122.   zurück