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Mehr-Semiotik-Genießen

  • Anne Peters: Politikverlust? Eine Fahndung mit Peirce und Zizek. Bielefeld: transcript 2007. 326 S. Paperback. EUR (D) 29,80.
    ISBN: 978-3-89942-655-7.
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Die Semiotik von Peirce ist das einzigartige Unterfangen einer genuin dreiwertigen Theorie, die als solche eine echte Alternative zu zweiwertigen Theorien darstellt, wie wir sie in den Geisteswissenschaften kennen. Mit einer Ausnahme: der ebenfalls dreiwertigen Psychosemiologie von Jacques Lacan und ihrer Weiterentwicklung durch Slavoj Žižek. Beide Theorien stellen zeichentheoretische Modelle dar, weswegen sie in allen geisteswissenschaftlichen Disziplinen, die es mit hermeneutischen Problemen zu tun haben, von unüberschätzbarer Bedeutung sind. Umso begrüßenswerter ist es, dass mit der vorliegenden Studie ein erster Versuch unternommen worden ist, beide Theorien aufeinander zu beziehen und miteinander zu kombinieren. Dabei stellt diese politikwissenschaftliche Doktorarbeit ein ungemein ehrgeiziges Projekt dar, handelt es sich doch um zwei ausgesprochen komplexe und schwer zugängliche Theorien.

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Tatsächlich bieten sich die Peirceschen Kategorien, Erstheit, Zweitheit und Drittheit zu einem Vergleich mit der Lacanschen Triade Imaginäres, Reales und Symbolisches geradezu an, wobei etwa das Regelhafte, Gesetzmäßige und Repräsentative der Peirceschen Kategorie der Drittheit gut mit Lacans Bereich des Symbolischen in Verbindung gebracht werden könnte. Ebenso intuitiv erschiene aber beispielsweise eine Untersuchung der Peirceschen Schlussfolgerungsweise der Abduktion, in der Erstheit und Zweitheit herausragende Rollen spielen, mit den Lacanschen Konzepten des Subjekts als einem begehrenden Subjekt und dem »Objekt klein a«, mit der man aufzeigen könnte, welche Parallelen sich zwischen beiden Denkern bezüglich prozessualer Aspekte ihrer Theorien entdecken lassen – man denke hierbei an die konstitutive Funktion des Mangels bei Lacan, der der Garant des fortdauernden Begehrens des Subjekts ist, sowie an die zentrale Idee des Kontinuums der Semiose bei Peirce.

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Peters schlägt mit ihrer Arbeit einen komplizierteren und problematischeren Weg ein, denn sie konzentriert sich nicht auf solche vergleichsweise luziden Grundkonzepte beider Theorien, sondern in umfangreichem Maße auf sehr intrikate Einzelkonzepte insbesondere der Lacanschen/Žižekschen Psychoanalyse, die mit Begriffen wie etwa dem »pathologischen Rest«, der »Jouissance«, dem »Überschuss des Realen« markiert werden können. Der Anschluss an die Peircesche Semiotik über solche Begriffe und Konzepte erscheint dabei ungleich schwieriger.

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Sich statt der Lacanschen Psychosemiologie der Žižekschen Weiterentwicklung der Psychoanalyse zuzuwenden, erscheint im Rahmen einer politikwissenschaftlichen Studie als sinnvoll, da sich Žižek in vielen seiner Arbeiten explizit mit Ideologie, dem Ideologiebegriff und Beschreibungen des Politischen in der postmodernen Gesellschaft auseinandersetzt. Die Wahl dieser beiden Denker, Peirce und Žižek, leuchtet insofern nicht nur unmittelbar ein, sondern verspricht eine ungemein spannende Analyse, die zu einer Neubestimmung der Politik und des Politischen führen soll.

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Inhalt und Vorgehensweise

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Das Ziel der Studie ist es, »Potentiale einer Verbindung von Zeichentheorie, psychoanalytischer Theorie und Politiktheorie sichtbar zu machen.« (S. 14) Der Schwerpunkt der Arbeit liegt allerdings in der Untersuchung der beiden theoretischern Modelle von Peirce und Žižek, deren Darstellung auch den größten Teil des Buchs ausmacht, das heißt, es geht um Grundlagenforschung. Peters kann bei Ihrem Vorhaben dort an das Werk von Žižek anknüpfen, wo es um die »politische Ausformulierung der Psychoanalyse« (S. 15) geht, dort wo es um eine Semiotik der Politik bzw. des Politischen geht, betritt sie Neuland.

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Peters geht von einem grundsätzlichen Unterschied zwischen der »Theorie der Politik« und der »Theorie des Politischen« aus, wobei sich Politik für »die Frage interessiert, wie Fixierungen zustande kommen« (S. 45), das Politische jedoch »Prozesse nachzeichnet, die Fixiertes in Bewegung bringen« (S. 45). Dabei wird die Theorie der Politik in der Tradition von Hobbes gesehen, die Theorie des Politischen in der Rousseaus, so dass der grundlegende Unterschied zwischen diesen beiden Tendenzen darin besteht, dass die Theorie der Politik eine Notwendigkeit darin erkennt, eine politische Einheit herzustellen, wohingegen die Theorie des Politischen die »Subjekte« dazu zwingt, sich und ihre Standpunkte ständig neu zu definieren und um deren Anerkennung zu ringen, bzw. eine Kultur der »Mikropolitiken« (S. 16) fördert. Jenseits dieser Dichotomie müsse es, so Peters, etwas Drittes geben, das »diesen Widerstreit nicht zugunsten einer Seite erstarren« (S. 45) lässt. Dies stellt die Ausgangslage der Studie dar, die die Suche nach diesem »Dritten« und die Wahl zweier triadischer Theorien motiviert.

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Parallel hierzu entwickelt Peters den Begriff des Symbolischen, bzw. die Theorie der »symbolischen Politik«, wobei das Symbolische ebenfalls beiden Tendenzen, den Fixierungen und den Bewegungen, folgen kann. Bewegen und Fixieren, so Peters, sind überhaupt das »Grundmotiv der Studie« (S. 72). Diese radikale Abstraktion ist ein geschickter Schachzug, denn auf dieser Ebene kann sie die Theorieaspekte, für die sie sich vornehmlich interessiert, Prozessualität und das »Dritte«, auf die Theorie der Politik und des Politischen applizieren. Der Begriff des Symbols bzw. des Symbolischen ist in der Tat sowohl in der Lacanschen Psychosemiologie (ebenso bei Žižek) als auch in der Peirceschen Semiotik von zentraler Bedeutung. Peters beschäftigt insbesondere die Idee, dass sowohl »die politische Theorie als auch die Symboltheorien [...] nach der ›Einheit‹ getrennter Sphären« fragen (S. 19). Ob damit die Bedeutung des Symbolischen in den Theorien von Lacan/Žižek und Peirce sinnvoll erfasst werden kann, bleibt allerdings fraglich.

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Die Verbindung von Peircescher Zeichentheorie und Žižekscher Psychoanalyse soll eine »einheitliche Grundlagentheorie« (S. 70) ergeben, die eben jenes gesuchte Dritte bereithält und es in das »antagonistische Verhältnis von Theorie der Politik und Theorie des Politischen« (S. 70) selbst eintreten lässt. Es geht also dezidiert nicht darum, das antagonistische Verhältnis zu synthetisieren, sondern darum, diesem »Dazwischen« als Drittem einen eigenständigen Raum, oder eine eigenständige Ebene einzuräumen. Der zentrale Begriff, der das Dritte zwischen diesen beiden Tendenzen der Politik und des Politischen bezeichnet, ist der von Žižek eingeführte Begriff der »politischen Einbildungskraft«, der allerdings erst gegen Ende der Studie expliziert wird.

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Hier beginnen bereits die eingangs erwähnten Schwierigkeiten, die sich aus der psychoanalytischen Theorie Žižeks und ihrer Begrifflichkeit ergeben. Die zentralen Begriffe dieser Variante der Psychoanalyse changieren nämlich fortwährend (beinahe mehr noch als bei Lacan), je nachdem aus welcher Perspektive sie thematisiert werden. Peters unterzieht sich daher der mühevollen Aufgabe, diese Begriffe in all ihren schillernden Facetten aufzugreifen. Dabei erweist sich etwa die Bestimmung des Dritten als ein »Dazwischen« als äußerst schwierig, da Begriffe und Konzepte in einem dreiwertigen Theoriedesign selbst zwei- bzw. mehrdeutig werden.

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Peters holt aber noch weiter aus und rekapituliert zunächst den Saussureschen, dualistischen Zeichenbegriff, an dem sich die dichotomische Figur wiederholt, um die es ihr geht, und bekräftigt, dass sie nach dem Übergang oder der Schnittstelle zwischen der statischen langue und der dynamischen parole »fahndet«. Mit Peirce soll dann »gezeigt werden, dass prozessuale Zeichensysteme in sich fixierbar sind, ohne von zwei getrennten Sphären (Sprachsystem vs. Sprechen) ausgehen zu müssen.« (alle Zitate S. 78) Aber auch auf Freud bezieht sich Peters: »Wir sehen hier die Figur von Fixieren und Bewegen bzw. von Verdichten und Verschieben.« (S. 82) Dazwischen wird nun ein Drittes angenommen: »Eine wirkliche Differenz kann es – so die These dieser Arbeit – nur geben, wenn drei Elemente gleichursprünglich gegeben wären.« (S. 93) Auf diese Weise wird zugleich bereits der Bogen zur Peirceschen Semiotik mit ihren genuinen Triaden geschlagen. Ein solches »Dazwischen« wird man sich als etwas vorstellen müssen, das als Nicht-Intentionales, Unbewusstes die beiden Tendenzen von »Fixierung« und »Bewegung« mitkonstituiert.

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Gemäß der Žižekschen Psychoanalyse werden im Verlauf der Studie noch weitere Facetten des Dritten durchgespielt. Ausgehend von der Lacanschen Idee des »gespaltenen«, durch einen zentralen Mangel konstituierten Subjekts tauchen dort nämlich an allen möglichen Theoriestellen Formen dieses Mangels, der zentralen Leere oder Lochs oder aber auch, in ihr Gegenteil verkehrt, als »nichtintegrierbare[r] Rest« oder als »Exzess« (S. 54 et passim) wieder auf. Peters geht auf diesen Mangel auch als »Überschuss« ein, den das Unbewusste hervorbringt. (vgl.: S. 94 et passim) Andererseits wird das gesuchte Dritte auch mit »Objekt klein a« (S. 272) oder mit dem »Genießen« identifiziert (vgl.: S. 269 et passim). Oder es wird das Unbewusste als »dritte Ebene« zwischen »psychisch-bewusst und körperlich« (S. 280) konzipiert. Die Konstituenten des Psychischen treten in der Lacanschen/Žižekschen Psychoanalyse in zutiefst ambigen Erscheinungsweisen auf, entsprechend vieldeutig und vielseitig werden sie von Peters für eine Theorie der Politik und des Politischen rekonstruiert.

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In zwei Großkapiteln bespricht Peters zunächst Peirce’ Semiotik und daraufhin die »Zwingende Theorie« als Žižeks Variante einer psychoanalytischen Theorie des Politischen. Grundsätzlich können die Peirceschen Kategorien als Seinsweisen und die Zeichenbestimmungen über die ihnen zuordbaren Begriffe des Scheins (Erstheit), der Wirklichkeit (Zweitheit) und der Realität (Drittheit) (vgl.: S. 114) plausibel in Verbindung mit den psychoanalytischen Registern gebracht werden. Von hier aus ergeben sich für Peters verschiedene Vergleichsmomente, die sie für ihr »Leitmotiv des Fixierens und Bewegens« nutzbar macht, wie beispielsweise die bei Peirce konstatierte »Dialektik« zwischen dem Zweifel und dem »Festigen einer Überzeugung« (vgl.: S. 164), oder auch die Kontinuumstheorie von Peirce, die ebenfalls auf den dialektischen Prozess des »Fixierens und Bewegens« bezogen wird.

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Auch bei Pierce gilt es, ein Drittes als »Dazwischen« zu entdecken. Es wird von Peters in der Peirceschen Kategorie der Zweitheit ausgemacht, da Zweitheit Differenz ist, in der Peirceschen Terminologie die Differenz beispielsweise von »Anstrengung und Widerstand« (vgl.: S. 112). Das stellt eine interessante Interpretation der Peirceschen Kategorien dar, denn tatsächlich ist Zweitheit relationenlogisch betrachtet dyadisch. Ob plausibel dargestellt werden kann, dass Zweitheit das gesuchte »Dazwischen« sein kann, und zwar im Sinn der vorgestellten Überlegungen, als »Rest«, »Überschuss«, Unbewusstes oder »Genießen« kann hier nicht entschieden werden, es soll jedoch darauf hingewiesen sein, auf welche Weise Peters die Theoriebausteine miteinander verwebt. Ich habe allerdings den Eindruck, dass hier (und auch an anderen Stellen in der Arbeit) die triadische Semiotik von Peirce unnötigerweise auf binäre, oppositionelle Strukturen reduziert wird, um dann ein »Dazwischen« als Drittes zu rekonstruieren.

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Analog zu den changierenden Begriffsbestimmungen der Žižekschen Psychoanalyse sieht Peters auch in der Peirceschen Semiotik zahlreiche Perspektivierungsmöglichkeiten als Anschlussstellen für das gesuchte Dritte. Als ein weiteres »Dazwischen« kommen beispielsweise neben den kategorialen Bestimmungen auch die Zeichen selbst in Frage. Peters schreibt:

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Dieses dritte Moment ist in der Zeichentheorie die Kluft zwischen dem dynamischen und dem unmittelbaren Objekt, deren kontinuierliche Nichtübereinstimmung aus der Perspektive des jeweiligen Interpretanten zugleich den Semioseprozess vorantreibt. (S. 213)
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Wiederum kann hier nur exemplarisch vorgestellt werden, wie Peircesche Semiotik und Žižeksche Psychoanalyse bei Peters aufeinander bezogen werden; die Frage, ob man zwischen dynamischem und unmittelbarem Objekt eine solche »Kluft« annehmen kann, die als Schnittstelle das »Dazwischen« markiert, um das es Peters geht, soll dabei offen gelassen werden. Da das dynamische und das unmittelbare Objekt keine Opposition bilden, und das dynamische Objekt eher eine hypothetische Annahme ist, erscheint es mir jedoch fragwürdig, inwiefern zwischen beiden die hier intendierte »Kluft« angenommen werden kann. Peters versucht, hier eine Analogie herzustellen zwischen der in der Saussureschen Semiologie entdeckten Schnittstelle zwischen Signifikant und Signifikat, aber auch zu der systemtheoretischen Differenz und der Peirceschen Semiotik. Mit diesem Rückbezug auf zweiwertige Theorien vergibt sie meines Erachtens jedoch die Chance, die genuine Dreiwertigkeit der Peirceschen Semiotik für ihre Ziele zu nutzen.

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Das Dritte als in die symbolische Ordnung nicht integrierbarer Rest ist Peters zufolge das Unbewusste, das konstitutiv an beiden Tendenzen, den »Fixierungen« und der »Bewegung« beteiligt ist, und auf diese Weise als »ein anderes Politisches« (S. 18) wirkt. Es ist das »Genießen« (S. 269) und erlaubt den »Akt« (S. 282) als »Selbstsetzen des Subjekts« als »konstitutive Geste der Subjektivität« (S. 283). Peters stützt sich hierbei auf Žižeks Theorie des Politischen, die sie mit dem Begriff »Zwingende Theorie« (S. 163 et passim) bezeichnet: Mit diesem Begriff soll der Raum beschrieben werden, »in dem Subjekte immer schon zwingend für sich und ihren eigenen Kontext verantwortlich sind.« (S. 179) Der Zwang dabei wirkt durch eben jenen nicht integrierbaren, unbewussten Rest oder Überschuss.

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In einem letzten Anlauf wird dieser Rest und seine politische Dimension noch einmal konkretisiert als »politische Einbildungskraft« (S. 286 ff.) Diese sei unbewusst, bzw. die »radikale Einbildungskraft ist das Subjekt des Unbewussten« (S. 290). Schließlich wird hier jener dritte Ort ausgemacht, »an dem unbewusst, also ohnmächtig, ein Akt gesetzt wird.« (S. 286) Hierdurch sei Veränderung möglich und zwar als Perspektivenänderung. In dieser Einbildungskraft handle es sich »weder um Bewegen noch um Fixieren, sondern um die Bedingung der Möglichkeit von Bewegen und Fixieren.« (S. 291) Sie bedeutet einen Zustand der »Subjektivität als Leere der selbstbezüglichen Negativität.« (S. 293) Nur hier sei »der Akt der freien Wahl« (S. 293) möglich. Diese politische Einbildungskraft ist das von Peters vorgeschlagene Dritte, das gleichursprünglich neben der Theorie der Politik und der Theorie des Politischen, neben den Tendenzen der »Fixierungen« und der »Bewegungen« besteht.

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Kritik

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Als einführende Lektüre in die beiden Theorien der Lacan-/Žižekschen Psychoanalyse und der Peirceschen Semiotik kann die Studie nicht empfohlen werden, sie stellt eher das weiterführende Verarbeiten der Erträge dar, die das ersichtlich intensive Studium beider Theorien eingebracht hat. Damit wendet sich Peters an ein Leserpublikum, das über fundierte Kenntnisse beider Theorien verfügt und die interpretatorische Leistung dieser Studie ermessen kann.

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Bei der Lektüre entsteht der Eindruck, Peters habe sich von ihrem Gegenstand, insbesondere der Psychoanalyse Žižeks fortreißen lassen. Peters übernimmt die Position der Forschergruppe um Žižek, die sie als »Zwingende Theorie« bezeichnet; die erschwerte Lektüre ihrer Arbeit ist daher dieser diskursiven Praxis verdankt:

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Die Texte der Zwingenden Theorie weigern sich, ein Subjekt, dem Wissen unterstellt wird, zu sein. Der Riss, der sich wie eine Laufmasche durch die Texte zieht, wird förmlich gefühlt. Und trotzdem ist man im Unterschied zu den Theorien des Politischen irgendwie genau an dieser Stelle des gefühlten Sinnbruches gefangen und hält daran fest, zu glauben, dass nur der Durchgang durch das Denken eine Antwort böte. (S. 276)
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Das ist natürlich kein Understatement der Zwingenden Theorie und soll als solches auch nicht Peters unterstellt werden – ganz im Gegenteil präsentiert sie eine immense Fülle an Wissen. Gleichwohl wird der Leser zum Teil von diesem Wissen ausgeschlossen. Denn auch wenn Vorkenntnisse der Lacanschen Psychosemiologie und ihrer Žižekschen Lesart erwartet werden können, sollten Konzepte wie beispielsweise der »Exzess« (S. 54 et passim) kurz erklärt werden, anstatt den Leser mit dem Verständnis solcher Begriffe allein zu lassen. Der Begriff des Exzesses, der bei Žižek eine ganz spezielle Rolle spielt, wird beispielsweise im Kontext der Theorie der Politik von Hobbes erwähnt, und wirkt dort, ohne jede Erläuterung, eher irritierend als erhellend. Eine Überfülle Lacan-/Žižekscher Fachterminologie fließt auf diese Weise in die Studie ein, das notwendige Hintergrundwissen wird hierbei bei dem Leser vorausgesetzt. In gewisser Weise wird hier also der Leser selbst zum Lacanschen »sujet supposé savoir«, zum Subjekt, dem Wissen unterstellt wird. Es bleibt aber beispielsweise unklar, was das »Objekt klein a« mit dem »Mehr-Genießen« und dem Kategorischen Imperativ zu tun haben soll (vgl.: S. 170), und auch die »politische Relevanz dieses exzessiven Genießens« liegt keineswegs »auf der Hand« (S. 170), solange diese Konzepte nicht geklärt werden.

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In der Fülle der in der Studie präsentierten oder zumindest aufgerufenen Ansätze und Interpretationen, der verschiedensten Details aus diesen beiden großen Theorien und darüber hinaus auch noch aus Theorien der abendländischen Subjektphilosophie bis hin zu Luhmanns Systemtheorie verliert sich Peters manchmal; die ausschweifenden Darstellungen beispielsweise zu dem Symbolbegriff von Kant über Goethe bis hin zu Ricœur und Cassirer haben in einer Qualifikationsarbeit ihre gute Berechtigung; für die Publikation wäre es wünschenswert gewesen hier zu straffen, um die Begriffsvielfalt zugunsten einer einheitlicheren Argumentationsstrategie einzugrenzen. Eine Spezifizierung des intendierten Symbolbegriffs geht in der Menge der herangezogenen Interpretation unter und die Konturen einer Kombination der Žižekschen Psychoanalyse mit der Peirceschen Semiotik zu einer »einheitlichen Grundlagentheorie« verschwimmen.

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Oft werden dem Leser Sätze wie Schlüsselsätze vorgelegt, aber nicht kontextualisiert, so dass sie vielversprechend klingen, aber hermetisch bleiben. Zu viele Fäden werden aufgehoben, probehalber miteinander verknüpft, und wieder fallengelassen. Beinahe stakkatoartig werden in vielen Passagen Sätze aneinandergereiht, so dass jeder wie eine These erscheint, wobei mit jedem Satz ein Wechsel der jeweiligen Fachterminologie vollzogen wird: das stiftet keine Kohärenz zwischen den teilweise einander widersprechenden Theorien und Konzepten, sondern erzeugt Verwirrung. Peircesche Semiotik und Žižeksche Aperçus werden dabei teilweise einfach aufeinander montiert, so dass es zu Aussagen kommt, die doch plausibilisiert werden müssten, wenn es beispielsweise heißt: »Die symbolische Ordnung [...] erinnert somit stark an den drittheitlichen Aspekt der Kategorientheorie von Peirce: die symbolische Ordnung ist an sich unsinnig, stellt aber die Bedingung der Möglichkeit von Sinn dar.« (S. 192) Teilweise resultieren aus dieser montageartigen Theorienkombination schlicht nicht nachvollziehbare Aussagen, wie beispielsweise die Annahme, dass »die Philosophie ihre eigene Gründungsgeste – nämlich das Unbewusste – verdrängen muss«. (S. 168) Hier stellen sich gleich mehrere Fragen, nämlich inwiefern das Unbewusste eine Gründungsgeste sein könnte und wie es zu verstehen sei, dass also das Verdrängte verdrängt wird.

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Durch dieses montageartige Übereinanderlegen verschiedener Theoriebausteine entsteht zum Teil auch der Eindruck, verschiedene Denker würden ins Žižeksche Einvernehmen gezerrt werden, wenn beispielsweise Gödel in einen Zusammenhang gestellt wird, als habe er von einem »Rest« in formalen Systemen mit »ideologischem Gehalt« gesprochen (vgl.: S. 212), wenn angeblich Peirce »über die Kontingenz von Grenzen« spricht und wie diese »dekonstruiert« werden können (vgl.: S. 91), oder auch, wenn Peirce vorgeworfen wird, er habe mit seiner pragmatischen Maxime das »Moment des Genießens« (S. 284) verkannt. Insgesamt entsteht hierdurch der Eindruck, einzelne Theorieaspekte würden zum Teil gewissermaßen aufeinandergeschoben, ohne dass diese Verbindungen plausibel einleuchten oder dass hierdurch ein theoretischer Mehrwert entspringt.

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Der soeben zitierte Vorwurf an Peirce bringt mich abschließend auf eine prinzipielle Frage, die sich mir mit dem Verlauf der Lektüre gestellt hat. Natürlich beschäftigt sich die Psychoanalyse insbesondere mit Fehlleistungen, mit dem Unbewussten und den nicht kontrollierbaren Symptomen und Mechanismen des Unbewussten, die bewusste Prozesse ständig unterlaufen, durchkreuzen, hemmen usw. In dieser Hinsicht sind psychologische Fragestellungen aber gerade nicht das Thema der Peirceschen Semiotik. Seine Semiotik ist ja gerade dem logisch richtigen Schlussfolgern gewidmet, mit dem Ideal einer sich kontinuierlich ausbreitenden, allgemeinen Rationalität. Könnte man der Logik vorwerfen, sie verkenne das Genießen? Lacan (der wesentlich semiotischer argumentiert als Žižek) hat seinerseits versucht, im Unbewussten logische Strukturen zu entdecken, da das Unbewusste ganz erheblich durch Gesetzmäßigkeiten konstituiert ist. Vielleicht könnte die Frage daher andersherum gestellt werden. Nicht: Welche Rolle spielt das Genießen, der »pathologische Kern« etc. für eine Rolle in der Semiotik? Sondern: Inwiefern könnte Peircesche Semiotik etwas zur Psychoanalyse, etwa als eine »Logik des Unbewussten« beitragen?

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Fazit

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Mit dieser aufwendigen und vor Ideen sprudelnden Arbeit ist ein wichtiger Anfang gemacht. Diese beiden Großtheorien in Verbindung miteinander zu bringen, stellt an sich schon eine enorme Leistung dar. Über beide noch den Bogen zu schlagen zu einer Neuausrichtung auf eine Theorie der Politik und des Politischen mit dem Konzept der »politischen Einbildungskraft« stellt eine überaus einleuchtende und neuartige Idee dar, die im Einzelnen natürlich aus politikwissenschaftlicher Perspektive zu beurteilen sein wird.

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Zu einer »einheitlichen Grundlagentheorie« wäre noch einiges an Weg zu meistern, weil die »Montagetechnik« nicht überzeugt, und weil letztlich noch nicht ganz klar ist, ob die Peircesche Semiotik wirklich gebraucht wird, denn Peters stützt sich insbesondere auf die Žižeksche Psychoanalyse und versucht diese der Peirceschen Semiotik überzustülpen – aber ein Fundus interessanter und anregender Ideen bietet die Studie ganz unbestreitbar. Sie wird sicher Semiotiker dazu animieren, sich mit der Lacanschen bzw. Žižekschen Psychoanalyse zu beschäftigen, und andersherum Lacanianer, sich mit der Semiotik von Peirce auseinanderzusetzen. Die Studie birgt eine Überfülle an Ideen und durchaus das Potential zu kontroversen Diskussionen, aber das liegt beinahe schon in der Natur der Sache, wenn derart hochkomplexe Themen verhandelt werden, und das ist prinzipiell ja durchaus zu begrüßen: das Verdienst dieser Studie ist es insbesondere, beide Theorien kombiniert und auf diese Weise in die Diskussion gebracht zu haben, die sich, das ist der Arbeit von Peters zu wünschen, fruchtbar entwickeln wird.