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Neues zum Unterhaltungstheater

  • Johannes Birgfeld / Claude D. Conter (Hg.): Das Unterhaltungsstück um 1800: Literaturhistorische Konfigurationen, Signaturen der Moderne. Zur Geschichte des Theaters als Reflexionsmedium von Gesellschaft, Politik und Ästhetik. Hannover: Wehrhahn 2007. 272 S. EUR (D) 34,00.
    ISBN: 978-3865250056.
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Man kann nicht sagen, daß das Unterhaltungstheater um 1800 im Brennpunkt des germanistischen Interesses stünde. Nach wie vor tut sich die germanistische Literaturwissenschaft schwer mit all jenen Texten, die »nur« unterhalten wollen, daran hat auch die kulturwissenschaftliche Öffnung des Faches nichts geändert. Im Gegenteil: Gerade kulturwissenschaftliche Analysen orientieren sich eher an Kanontexten und meiden die Untertiefen der Unterhaltungsliteratur. Zwar ist die Zeit expliziter Verdikte gegen die Unterhaltungsfunktion von Theater und Literatur vorbei, doch die impliziten Vorbehalte bestehen fort und sind vielleicht sogar noch wirkungsvoller. Den Arbeiten zur Unterhaltungsliteratur haftet der Hautgout bloßer Fleißarbeiten an, die allenfalls philologisch korrekt sein können, denen die höheren Weihen des Faches aber auf immer versagt bleiben.

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Forschungslage

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Der hier zu rezensierende Band stellt demnach keine Selbstverständlichkeit dar, sondern muß als ungewöhnlich gelten. Von den um 1800 populären Dramatikern sind einige zwar immerhin noch dem Namen nach bekannt wie Schröder, Iffland, Kotzebue oder Raimund, doch die Forschung zu diesen Autoren und ihrem Theater stockt seit etwa dreißig Jahren. In den neueren Publikationen zu Konzepten des Populären fehlt das Theater entweder ganz, oder, wenn es um populäres Theater des 19. Jahrhundert geht, dann stehen das Wiener Volksstück sowie einige wenige kanonisierten Theaterstücke im Zentrum des Interesses.

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In ihrer Einleitung weisen die beiden Herausgeber darauf hin, daß die Dichotomisierung in hohes und niederes Theater der Theaterpraxis um 1800 noch fremd ist und sich erst nach 1810 auszubilden beginnt. Die Spielpläne trennen nicht zwischen »U« und »E«, zumal sich die Herausgeber zu recht dagegen wehren, Unterhaltungstheater umstandslos der Trivialliteratur zuzuordnen. Vielmehr greife gerade das Unterhaltungstheater die dem zeitgenössischen Publikum wichtigen Diskurse auf und verhandele sie auf der Bühne. Auf diese Weise beschränke sich das Unterhaltungstheater nicht auf die Funktion der Unterhaltung.

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Zugangsweisen 1:
Biographischer Überblick

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In den zehn Aufsätzen des Bandes lassen sich drei Umgangsweisen mit dem Thema erkennen. Zum einen findet sich der an die Biographie einer Autorin oder eines Autors geknüpfte Überblick über das dramatische Œuvre, meist verbunden mit einer spezifischen Fragestellung. Auf diese Weise rücken unbekannte Dramatiker aus der Zeit zwischen 1770 bis 1820 ins Zentrum des Interesses: Jan Roidner stellt den in München wirkenden Dichter Joseph Marius Franz von Babo (1756–1822) vor und vermittelt anhand einer Analyse der Figur des scheiternden Rebellen einen Eindruck von politischen Funktionen des Theaters am Münchner Hof. Der Schauspielerin und Schriftstellerin Marianne Ehrmann (1755–1795) widmet sich ein Beitrag von Martin Kagel, der Schauspielerin und Dramatikerin Johanna Franul von Weißenthurn (1773–1847) ein Aufsatz von Elin Nestje Vestli. In beiden Aufsätzen geht es um die Vermittlung weiblicher Rollenkonzepte durch das Theater. Dabei ist auffällig, daß sowohl Weißenthurn wie Ehrmann traditionelle Geschlechterrollen entwarfen, während sie selbst als Schauspielerinnen diesen Konzepten nicht entsprachen. In ihrem Beitrag zu Weißenthurn hebt Vestli außerdem die Rolle des Spiels im Spiel für das Theater der Autorin hervor. Hier hätte es sich angeboten, nach den Verbindungen zu den Komödienkonzepten der Romantik zu fragen. Das hätte neues Licht auf die schon von den Romantikern selbst etablierte Dichotomie von Unterhaltungstheater und romantischem Theater geworfen.

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Michael Niehaus präsentiert eine erhellende Analyse der Kommunikationsstrukturen in Ifflands Dramen. Er vermag zu zeigen, daß auch im vermeintlich trivialen Rührstück innovative Kommunikationsstrukturen vorgeführt werden. Die Familie erweist sich als ein Ort flexibler Kommunikation, das heißt, in der Familie können Worte (Flüche, Drohungen) immer wieder zurückgenommen und damit entschärft werden.

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Zugangsweisen 2:
Exemplarische Einzelanalysen

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Eine zweite Gruppe von Beiträgern stellt exemplarische Einzelanalysen ins Zentrum des jeweiligen Aufsatzes. Sandro Jung beschäftigt sich mit Kotzebues Lustspiel Die deutschen Kleinstädter, Claudia Nitschke mit Achim von Arnims Schattenspiel Das Loch, oder: das wiedergefundene Paradies. Johannes Birgfelds Analyse von Friedrich Ludwig Schröders Posse Die Heurath durch ein Wochenblatt (1786) kann als Beleg für die in der Einleitung des Sammelbandes vorgetragenen Thesen gelesen werden. Birgfeld möchte zum einen die ästhetischen Qualitäten des Unterhaltungstheaters näher bestimmen, die ihm bei einer rein kulturwissenschaftlichen Analyse verlorenzugehen drohen. Anstatt einer Innovations- und Autonomieästhetik skizziert Birgfeld für das Unterhaltungstheater überzeugend eine Ästhetik der Professionalität. Zum andern, aber damit zusammenhängend, geht es Birgfeld um den diskursiven Mehrwert des Unterhaltungstheaters. Am Beispiel von Schröders Posse zeigt er, wie der mediale Wandel und die zunehmende Macht der Tagespresse im Theaterstück thematisiert wird.

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Zugangsweisen 3:
Übergreifende Fragestellungen

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Eine dritte Gruppe von Autoren schließlich geht in ihren Beiträgen autor- und werkübergreifenden Fragestellungen nach. Norbert Otto Eke analysiert den Zusammenhang von Revolutionsthematik und eurozentrischer Darstellung Schwarzafrikas. Im Theater um 1800 verwandeln sich die guten Wilden Rousseaus wieder in animalische Wilde zurück, deren animalitas nicht diszipliniert werden kann und die so zum Analogon der revolutionswilligen europäischen Bevölkerungsschichten werden.

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In den Beiträgen von Stephan Kraft und Claude D. Conter schließlich geht es um poetologische und näherhin dramentheoretische Fragestellungen. Kraft untersucht die Funktion des Lachens im Unterhaltungstheater. Er stellt dabei eine zunehmende Entfernung des Unterhaltungstheaters vom letztlich gottschedischen Konzept des Verlachens fest. Das Komische gewinnt um 1800 auch im Unterhaltungstheater (und eben nicht nur in der romantischen Komödie) wieder an Eigendynamik. Viele Figuren werden ambivalent gezeichnet und haben die Lacher auf ihrer Seite, obwohl sie weit von einer moralischen Vorbildfunktion entfernt sind. Die Entdidaktisierung des Lachens setzt bei Dramatikern wie August von Steigentesch und Julius von Voß subversives Potential frei. Aber selbst Kotzebues Lustspiele gehen nicht mehr in didaktischen Konzepten auf. Die Schlußlösungen mit ihren Besserungsversprechen werden explizit als Scheinlösungen präsentiert und verlieren damit ihre affirmative Wirkung.

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Claude D. Conter zeigt am Beispiel der theoretischen Schriften wie auch einiger Dramen August Klingemanns, daß sich das Unterhaltungstheater und die Theaterkonzepte der Romantiker nicht im Sinne einer »E«-»U«-Dichotomie voneinander abgrenzen lassen, sondern daß Wechselwirkungen bestehen. Klingemann kritisiert den Rationalismus und die didaktische Zwangsjacke des Rührstücks und möchte im Sinne der Romantiker die zweckfreie Poesie auf dem Theater verwirklicht sehen. Dies führt zu einer zumindest partiellen Annäherung an romantische Theaterkonzepte.

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Fazit

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Durch die unterschiedlichen Perspektivierungen in den einzelnen Beiträgen entsteht ein facettenreiches Gesamtbild des Unterhaltungstheaters um 1800. Im Zusammenhang mit dem in der Einleitung angesprochenen Abbau unzeitgemäßer Dichotomien hätte wohl stärker berücksichtigt werden müssen, daß für das Unterhaltungstheater um 1800 auch die Trennung in Sprech- und Musiktheater nicht existiert, vielmehr selbst dort, wo das Sprechtheater sich vom Musiktheater abzugrenzen beginnt, ein Bezug aufeinander erkennbar bleibt. Einige Beiträge zur Unterhaltungsfunktion des Musiktheaters hätten das Gesamtbild noch stimmiger erscheinen lassen.

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Außerdem ist zu fragen, ob nicht die Kernfunktion des Unterhaltungstheaters – eben seine Unterhaltungsleistung – stärker hätte in den Blick gelangen müssen. Dies betrifft vor allem die emotionale Seite. Ob Rührstück, Tragödie oder Posse, Unterhaltungstheater möchte Emotionen bei den Zuschauern freisetzen und unternimmt dies auf ungebrochenere Weise als das »hohe« Theater. Eine Auseinandersetzung mit dem Unterhaltungstheater müßte diese Wirkungsabsicht akzeptieren und ins Zentrum der Analyse stellen. Im Band fragt vor allem der Beitrag von Stephan Kraft nach der emotionalen Wirkung. Die neueren Arbeiten zum Verhältnis von Emotionalität und Literatur könnten gerade dem Unterhaltungstheater zu seinem eigenen Recht verhelfen.

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Wer künftig zum Unterhaltungstheater arbeitet, wird den vorliegenden Sammelband zu schätzen wissen und auf ihm aufbauen können. Und wer sich nach so vielen theoretischen Perspektiven auf das Unterhaltungstheater ein wenig Unterhaltung durch das Unterhaltungstheater gönnen möchte, dem bieten die Herausgeber mit Ifflands Posse Der Komet (1799) ein überzeugendes Beispiel an. Das Stück, das allenfalls Arno Schmidt-Fans bekannt sein dürfte, handelt vom nahenden Untergang der Welt durch eine Kometen, der dann aber doch ausbleibt, wodurch die enttäuschten Apokalyptiker in allerlei Schwierigkeiten geraten. 1

 
 

Anmerkungen

August Wilhelm Iffland: Der Komet. Eine Posse in Einem Aufzuge. Nach dem Erstdruck von 1799. Mit Materialien zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte, einer Einführung und einem Essay hrsg. v. Claude D. Conter und Johannes Birgfeld. Hannover: Wehrhahn Verlag 2006.   zurück