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»Wenn ihr jetzt alle ein bisschen klatscht ...«

Text-Performance-Zusammenhänge als Faktoren für Publikumswertungen bei Poetry Slams

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1. Wertungen bei Poetry Slams

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Kommt die Sprache auf Poetry Slams, lassen Wertungen nicht lange auf sich warten: Reinhart Meyer-Kalkus lobt, dass die Autoren, die ihre Texte bei dieser Form des Dichterwettstreits vortragen, sich »nicht zu fein [sind], ihr Publikum mit gröberen Reizen des Schocks […] zu attackieren«. 1 Als »wortgewaltige Subkultur« 2 verortet Jenni Roth Poetry Slam »[i]m Kreuzfeuer von Clubkultur und literarischem Boxkampf«. 3 Und die ehemalige Poetry Slammerin Verena Carl bezeichnet die Slam-Bühnen, auf denen sie früher noch selbst anzutreffen war, polemisch als »Selbstdarstellungs-Arena«. 4 Doch nicht nur der Diskurs in Magazinen und Zeitungen ist normativ ausgerichtet, selbst in einigen wissenschaftlichen Beiträgen wird das Phänomen Poetry Slam emphatisch wertend thematisiert. 5

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Die vorliegende Untersuchung soll kein Beitrag zur Diskussion um die ästhetische Legitimation von Poetry Slams sein. Sie geht vielmehr von der Frage danach aus, warum monatlich mehrere tausend Zuschauer die inzwischen über einhundert regelmäßig stattfindenden Slams 6 im deutschsprachigen Raum besuchen, die in den Medien so emphatisch wertend dargestellt werden. Die Beantwortung dieser Frage impliziert eine Untersuchung der zugrunde liegenden Wertmuster der Publika: Was gefällt den Zuschauern an Poetry Slams?

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Das Veranstaltungsformat Poetry Slam zeichnet sich durch zwei konstitutive Merkmale aus. Das erste besteht im Wettbewerbscharakter der Veranstaltung: Bei einem Poetry Slam treten Autoren 7 mit dem Vortrag ihrer eigenen Texte, der Performance, gegeneinander an. Das Publikum bewertet die Auftritte per Jurywertung oder Applaus und bestimmt so den Gewinner der Veranstaltung. Zweitens ist die thematische, stilistische und genrebezogene Offenheit der vorgetragenen Texte für Slams kennzeichnend: Poetry Slam ist ein in hohem Maße integratives Veranstaltungsformat, bei dem neben traditionellerweise als ›literarisch‹ bezeichneten Spielarten von Lyrik und Prosa auch Rap, Comedy, kabarettistische Beiträge und Ähnliches gehört und gesehen werden können. Die Auftritte unterliegen lediglich einigen formalen Beschränkungen: Neben der Regel, nur eigene Texte vorzutragen, dürfen die Vortragenden mit ihrem Auftritt eine bestimmte Zeit nicht überschreiten (zumeist zwischen drei und zehn Minuten), keine Hilfsmittel außer Mikrofon und Textblatt verwenden und nicht die längste Zeit des Auftritts singen. 8

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Fragt man danach, was den Zuschauern an Poetry Slams gefällt, muss man zwischen axiologischen Werten differenzieren, 9 die an die Veranstaltung insgesamt angelegt werden, und solchen, auf deren Grundlage die einzelnen Auftritte der Slammer beurteilt werden. Dabei lassen sich die meisten der erstgenannten Werte auf solche zurückführen, die die einzelnen Auftritte betreffen. Für einige Werte, die sich auf die Gesamtveranstaltung beziehen, gilt dies jedoch nicht, so zum Beispiel für das möglicherweise entstehende Gemeinschaftsgefühl der Zuschauer oder den Umstand, dass Wertungshandlungen ein wesentlicher Teil der Veranstaltung sind.

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Ich möchte im Folgenden vor allem auftrittsbezogene Wertungen betrachten. 10 Es gibt viele Eigenschaften eines Auftritts, die zum Gegenstand positiver und negativer Wertungen werden können, seien es das Textgenre, die Lautstärke, mit der der Vortragende spricht, oder seine Frisur. Angesichts der Vielfalt der eingesetzten sprachlichen und theatralen Mittel stellt sich die Frage, welche abstrakteren axiologischen Werte es gibt, auf die sich die positive oder negative Bewertung der meisten Auftritte zurückführen lässt.

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In den wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema Poetry Slam werden unterschiedliche Gründe dafür genannt, dass ein Auftritt wirkungsvoll ist und positiv bewertet wird: Stephan Porombka stellt die These auf, dass beim Poetry Slam »seit jeher die Performance« 11 in höherem Maße für die Bewertung relevant sei als der Text. Auf Grundlage eines axiologischen Wertes, der sich wohl am ehesten als ›Engagement des Auftretenden‹ fassen lässt, werde der Performance ein umso höherer Wert zugeschrieben, je stärker sie ›ausgeprägt‹ ist, so legen Porombkas Ausführungen nahe. 12 Nach Boris Preckwitz’ weniger begründeter als vielmehr behaupteter ›Interaktionsästhetik‹ sind vor allem »die Interaktionsstrukturen« 13 »auf der Textebene« 14 der ausschlaggebende Faktor für die Publikumswertung.

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Betrachtet man die Vielzahl der Auftrittsformen bei Poetry Slams, erscheinen beide Ansätze unzureichend, zumal Porombka in seinem ansonsten interessante Perspektiven bietenden Aufsatz keine differenzierte Begründung seiner These vorlegt und Preckwitz’ Ausführungen vage bleiben. Der Blick auf die tatsächlichen Bewertungen bei Poetry Slams zeigt, dass ein Autor sowohl mit einem Auftritt gewinnen kann, in dem die Performance gegenüber dem Text dominant wirkt, als auch mit einem ›lediglich‹ vorgelesenen Text.

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Bei einem Poetry Slam wird dem Publikum ein Text immer im Rahmen einer Performance vermittelt: 15 Die Autoren müssen ihre Texte vortragen, sie dürfen Textaspekte durch ein Schauspiel darstellen oder durch andere Handlungen illustrieren, vermittelt durch stimmliches und körperliches Handeln werden der Bedeutung der Texte zusätzliche Dimensionen hinzugefügt. 16 Es ist deshalb intuitiv einsichtig, dass bei einer Analyse der faktischen Bewertung von Poetry Slam-Auftritten das Verhältnis von Text und Performance in den Blick genommen werden muss. 17 Meine auf empirischen Erhebungen basierte Untersuchung wird deshalb von den folgenden Hypothesen ausgehen: (H1) Das Publikum bewertet solche Auftritte positiv, bei denen Text und Performance ›zusammenpassen‹; (H2) Das Publikum bewertet solche Auftritte negativ, bei denen Text und Performance nicht ›zusammenpassen‹; (H3) Solche Auftritte, bei denen Text und Performance weder in einem negativ- noch positiv-funktionalen Zusammenhang stehen, werden tendenziell neutral bewertet. 18

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2. Methodisches Vorgehen

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Ob sich die Hypothesen verifizieren lassen, werde ich mit der empirischen Untersuchung von Poetry Slams im Stuttgarter Lokal Rosenau überprüfen. Hierzu habe ich im Jahr 2006 bei drei aufeinander folgenden Slams Erhebungen mit Fragebögen vorgenommen. 19

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Der Stuttgarter Poetry Slam ist mit monatlich circa 230 Zuschauern einer der größten regelmäßig stattfindenden Slams im deutschsprachigen Raum. Durch seine Moderation verleiht der als Conférencier angekündigte Slammaster Timo Brunke den Events eine kabarettistische Note. 20 Verstärkt wird diese durch den Veranstaltungsort: Dort ist es wie in vielen Kabaretts möglich, während der Veranstaltung Speisen und Getränke zu sich zu nehmen, zudem finden in der Rosenau häufig Kabarett- und Comedy-Veranstaltungen statt. Von dieser Ausrichtung unabhängig lässt sich beim Rosenau-Poetry Slam die gesamte Breite der bei deutschsprachigen Slams eingesetzten sprachlichen und theatralen Mittel beobachten. Brunkes Veranstaltung kann deshalb als ein paradigmatischer Poetry Slam betrachtet werden, dessen Zuschauer möglicherweise kabarettistische Auftritte differenzierter oder sogar positiver beurteilen als andere.

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In einem ersten Schritt möchte ich die genannten Hypothesen überprüfen. Sie betreffen die Auftritte bei den drei untersuchten Poetry Slams allgemein: Korreliert die Bewertung der Auftritte mit der Bewertung der Relation von Text und Performance? Ich gehe davon aus, dass sich die Ausgangshypothesen empirisch bestätigen lassen.

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Aus der Erkenntnis, dass die Text-Performance-Relation für die Bewertung des Auftritts durch die Zuschauer relevant ist, ließen sich jedoch noch keine Schlüsse darauf ziehen, auf welchen konkreten Eigenschaften des Auftritts die Bewertung beruht. Was heißt es, dass Text und Performance ›zusammenpassen‹? Die Frage nach den hierfür relevanten Auftrittseigenschaften soll in einem zweiten Schritt am Beispiel zweier Auftrittsanalysen beantwortet werden. Den Untersuchungsgegenstand dieser Analysen bilden die Videomitschnitte der Auftritte von Volker Strübing am 11.9.2006 und Andreas Maier am 4.6.2006. Um zu verhindern, dass die Identifikation relevanter Auftrittseigenschaften willkürlich vonstatten geht, orientiere ich mich auch bei den Auftrittsanalysen an den Ergebnissen der Fragebogenerhebungen. Dabei dienen die quantitativen Daten als ›Suchanweisung‹: Ausgehend von weiteren Angaben der Zuschauer zur Bewertung und Wahrnehmung der Auftritte lege ich den Blick auf bestimmte Auftrittsaspekte, um ihre Bewertung zu erklären und damit die Gründe dafür zu rekonstruieren, dass einem Auftritt bestimmte axiologische Werte (und vor allem der Wert der adäquaten Text-Performance-Verknüpfung) attribuiert werden. 21 Hierzu beziehe ich mich außerdem auf einige Zuordnungsvoraussetzungen der Zuschauer, die aus ihren Angaben auf dem Fragebogen erschlossen werden können. 22

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Mein Vorgehen impliziert die Annahme eines ›Modell-Zuschauers‹: 23 Erstens bilden quantifizierte Daten die Basis der Analyse. Zweitens bedürfen viele der rekonstruierten Rezeptionsprozesse bestimmter kognitiver Kompetenzen, von denen nicht angenommen werden darf, dass alle realen Zuschauer über sie verfügen. 24 Drittens werden nicht alle Rezeptionsvorgänge und die dazu notwendigen Schlüsse bewusst erlebt beziehungsweise gezogen. 25 Dass methodisch auf einen Modell-Zuschauer rekurriert wird, erwähne ich bei den unten folgenden Auftrittsanalysen nicht mehr explizit.

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3. Möglichkeiten des Zusammenhangs von Text und Performance

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Damit im Rahmen des zweiten Analyseschritts gezielt nach Text-Performance-Relationen und ihren kommunikativen Effekten gefragt werden kann, sollen im Folgenden die Möglichkeiten des Zusammenhangs der beiden Bereiche kurz aufgezeigt werden. Ausgehend von den oben genannten Definitionen von ›Text‹ und ›Performance‹ (zu der auch der Kotext zu zählen ist, vgl. Anm. 15), ergibt sich folgendes Schema möglicher qualitativer Text-Performance-Zusammenhänge:

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(A) Bezugnahme durch die Äußerung des Textes

(A.1) auf die Performance
(A.2) auf die Situation 26
(A.2.1) auf die aktuelle Situation
(A.2.2) auf den allgemeinen Poetry Slam-Rahmen / auf die Poetry Slam-Szene

[19] 

(B) Darstellende Bezugnahme auf den Text durch die Performance

(B.1) durch stimmliches Handeln
(B.2) durch körperliches Handeln

[20] 

(C) Bezugnahmen mithilfe des Kotextes oder anderen stimmlichen Handelns

(C.1) auf den Text
(C.1.1) so dass der Text unterbrochen wird
(C.1.2) so dass der Text nicht unterbrochen wird

(C.2) Textunterbrechende Bezugnahme auf die Situation
(C.2.1) mithilfe des Kotextes
(C.2.2) mithilfe nonverbalen stimmlichen Handelns

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Welche kommunikative Funktion diesen Zusammenhängen von Text und Performance zukommt, muss für die Auftritte jeweils einzeln bestimmt werden.

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4. Allgemeine Untersuchungsergebnisse

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Bevor ich zu den Analysen einzelner Auftritte übergehe, zunächst zu den Ausgangshypothesen meiner Überlegungen. Die Zuschauer wurden gebeten, ihre zwei Favoriten des jeweiligen Poetry Slams anzugeben. 27 Zudem wurde nach ihrer Bewertung der Text-Performance-Zusammenhänge gefragt. Die Antworten auf diese beiden Fragen korrelieren stark signifikant miteinander. Dies gilt nicht nur für die gemeinsame Auswertung aller drei Slams (r = 0,332), 28 sondern auch für jeden einzelnen Slam in ähnlicher Weise (Poetry Slam [PS] I: r = 0,337; PS II: r = 0,337; PS III: r = 0,309). Die Zuschauerwertung der Auftritte bei den Rosenau-Poetry Slams ging also in stark signifikantem Maße mit einer ähnlich positiven beziehungsweise negativen Bewertung des Zusammenhangs von Text und Performance einher. 29 Alle anderen bei den Beurteilungen der einzelnen Auftritte abgefragten Größen, die die positive Bewertung eines Auftritts durch die Zuschauer erklären könnten, sind für die Erklärung der Gesamtvarianz der Bewertung des Auftritts weniger relevant als der Zusammenhang von Text und Performance. Ich vermute, dass dieses Ergebnis durch die Untersuchung der meisten anderen Poetry Slams bestätigt werden würde. Hierauf weist vor allem die Tatsache hin, dass die Slammer, die in Stuttgart erfolgreich waren, auch bei vielen anderen Poetry Slams mit ihren in Stuttgart vorgetragenen Texten gewinnen oder zumindest sehr positiv bewertet werden.

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5. »Ok, der war jetzt vielleicht n bisschen billig«. 30
Die Analyse der Wertung zweier Slam-Auftritte

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Im Folgenden werde ich die Bewertung zweier Auftritte unter besonderer Berücksichtigung der Text-Performance-Zusammenhänge auf die Eigenschaften dieser Auftritte zurückführen. Als Beispiel für einen Auftritt, der positiv bewertet wurde, dient Volker Strübings Vortrag seines Textes Schmetterlingseffekt beim Rosenau-Poetry Slam am 11.9.2006.

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Video 1: Volker Strübing: Schmetterlingseffekt

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Strübings Vortrag wird der Auftritt von Andreas Maier am 4.6.2006 gegenübergestellt, der aus der Sicht des Publikums misslang.

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Video 2: Andreas Maier: Die Frauen in meinem Leben

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Beide Auftritte verbindet, dass Erzähltexte vorgetragen werden, die eine komische Wirkung entfalten (Strübing) oder entfalten sollen (Maier). Die Beurteilungen der beiden Auftritte durch die unterschiedlichen Publika lassen sich deshalb vergleichen, weil die soziokulturellen Hintergründe der Publika bei beiden Veranstaltungen nahezu gleich sind. 31

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5.1 Volker Strübing:
Schmetterlingseffekt

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Der Berliner Lesebühnenautor Volker Strübing, der auch bei Poetry Slams sehr erfolgreich ist, 32 gewann den dritten untersuchten Rosenau-Poetry Slam am 10. September 2006. Für seinen Auftritt lässt sich ein signifikanter Zusammenhang von Auftrittsbewertung und Text-Performance-Verknüpfung ausmachen (r = 0,201). Im Allgemeinen wurde Strübings Auftritt auffällig positiv bewertet: Es gibt keinen Zuschauer, dem kein Aspekt des Auftritts gefallen hat und der höchste und somit schlechteste Wert bei den Fragen danach, wie der Auftritt zu Strübing und wie der Text zur Performance gepasst haben, beträgt 4 (von möglichen 7).

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Zur positiven Bewertung des gesamten Auftritts hat vor allem der Text beigetragen: 87 % der Zuschauer geben an, dass ihnen die Thematik des Textes gefallen hat, und 77 % bewerten die ›Machart des Textes‹ positiv. Gleichzeitig scheint die positive Bewertung der Text-Performance-Zusammenhänge eine wesentliche Rolle für die Bewertung des Auftritts zu spielen (Abb. 1).

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Zu diesen bei der Analyse der Auftrittsbewertung zu berücksichtigenden Faktoren kommt ein weiterer: Das Publikum schreibt Strübing vor allen anderen Auftretenden am 10.9.2006 zu, während des Auftritts ›ganz er selbst‹ gewesen zu sein (Abb. 2), und zwar obwohl der Auftritt in der Mitte zwischen Lesung und Schauspiel verortet wird (Abb. 3). Die Zuschauer scheinen ihn also als Selbstinszenierung Strübings wahrgenommen und daran Gefallen gefunden zu haben. Deshalb bewerten sie das Zusammenpassen von Auftritt und Auftretendem sehr positiv (Abb. 4). Das ›Bild‹, das die Zuschauer aufgrund der gewonnenen Informationen von den Auftretenden haben, werde ich im Folgenden in Anlehnung an den von Benedikt Vogel entwickelten Begriff der Darstellerfigur als ›Akteursfigur‹ bezeichnen. 33

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Bereits mit der Einleitung seines Auftritts erzielt Strübing komische Effekte (Video 3). Das Publikum erwartet deshalb auch, dass im Folgenden ein komischer Text vorgetragen wird. Strübings Ankündigung, dass er mit seinem Text die Themen »Mathematik und Weltrevolution, also zwei sehr theoretische Themen […] mit Leben […] erfüllen« 34 werde, bekräftigt diese Erwartung, insofern sie einen auf Inkongruenz beruhenden komischen Effekt bewirkt. Ausgehend vom Grundsatz der Chaosforschung, dass die Entwicklung von Systemen von minimalen Veränderungen ihrer Anfangsbedingungen abhänge, werden mit dem Text Schmetterlingseffekt verschiedene Gedankenexperimente durchgeführt. Dabei wird auf absurde Weise die Frage erörtert, ob und wie die bloße Tatsache des Handelns einzelner oder des gemeinsamen Handelns aller Menschen die Welt verändern würde.

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Dass Strübings Auftritt tatsächlich komisch wirkt, zeigt das Lachen des Publikums an. Vom Lachen des Publikums kann aber noch nicht auf die positive Bewertung der Pointen im Text geschlossen werden, wie die Analyse von Andreas Maiers Auftritt zeigen wird. Dass ein Gelingen der Pointen jedoch bei Volker Strübings Vortrag gegeben ist, deutet die häufige Nennung der ›Machart des Textes‹ als positiven Auftrittsaspekt an (Abb. 19, Abb. 6). Ich werde deshalb im Folgenden dafür argumentieren, dass nicht nur die Komik des Textes für das ›Gelingen‹ von Strübings Auftritt relevant ist, sondern auch die Verbindung des Textes mit der authentischen Akteursfigur Strübing. Dieser Zusammenhang fungiert vor allem als Verstärkung komischer Effekte und wird wesentlich durch Bezüge zwischen Text und Performance hergestellt.

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Was für eine Akteursfigur präsentiert Strübing durch seinen Auftritt? Er leitet seinen Text mit einer stockenden, häufig durch Verzögerungen (»äh«, »ähm«) unterbrochenen Vorrede ein. Dadurch wirkt er wie jemand, der kaum Bühnenerfahrung hat. Trotz dieses unprofessionell wirkenden Sprechduktus vermag es Strübing, komische Effekte zu erzeugen, wodurch tendenziell positive Einstellungen der Rezipienten zu seiner Person hervorgerufen werden: Die Kombination dieser beiden Eigenschaften bietet den meisten Zuschauern vermutlich ein hohes Identifikationspotential.

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An vielen Stellen des Textes geht es um alltägliche Sachverhalte: die Hollywoodschaukel im Garten eines älteren Ehepaars, 35 »eine Tüte Pfandflaschen in der Nähe des Bottroper Hauptbahnhofs« 36 oder »die Anordnung der Streusel auf einem Stück Brausekuchen auf der Kindergeburtstagsfeier von Sven Gomolka aus Neustadt an der Dosse«. 37 Einerseits sind diese Bezüge auf Alltägliches durch das Thema des Textes bedingt, der wie oben genannt die Frage behandelt, inwiefern scheinbar unbedeutende Ereignisse schwerwiegende Folgen haben können. Werden diese Textpassagen aber mit Strübing in Verbindung gebracht, charakterisieren sie ihn als einen Autor, der nicht den Habitus eines Künstlers aufweist, sondern vielmehr das Gewöhnliche würdigt.

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Strübings Inszenierung als jemand ›ganz Gewöhnliches‹ wird dadurch verstärkt, dass er mit leichtem Berliner Dialekt spricht. Da der Slammaster Timo Brunke bei der Anmoderation des Auftritts bereits erwähnte, dass Strübing aus Berlin Marzahn kommt, bestätigt Strübings Dialekt Brunkes Behauptung (Video 4). Nicht nur die einleitenden Äußerungen des Autors, sondern auch sein Text wirken hierdurch authentisch: 38 Zwar ändert Strübing seine Intonation beim Übergang vom Kotext zum Text, so dass Kotext und Text klar voneinander unterscheidbar sind. Er behält jedoch den Dialekt, den parataktischen Satzbau und das schnelle Sprechtempo bei (Text-Performance-Zusammenhang des Typs C.1.2). Somit ist eine Kontinuität zwischen dem Auftrittsteil vor dem Vortrag des Textes (von dem ausgehend die Akteursfigur des ›gewöhnlichen Berliners‹ konstruiert wird) und dem Vortrag selbst erkennbar, wodurch der Text als authentisch ausgewiesen wird. Dementsprechend ›passen‹ alle Teile des Auftritts zur Akteursfigur Strübings: Durch den Kotext wird die Akteursfigur konstruiert und der Text scheint durch sie beeinflusst.

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Der wichtigste Grund für die positive Wertung des Auftritts besteht aber meines Erachtens darin, dass Strübing nicht nur sympathisch wirkt, sondern darüber hinausgehend mit der Erzählinstanz des Textes identifiziert werden kann. Sein Text, der sich weder eindeutig als Narration noch als Argumentation kategorisieren lässt, beginnt wie folgt (Video 5):

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Wenn der Flügelschlag eines kleinen Schmetterlings irgendwo in Mitteleuropa einen Orkan in Brasilien auslösen kann, wie viel mehr kann dann ein Mensch bewirken? Wenn ich – wusch – diese Blätter hebe, fällt in Amerika eine Lottokugel anders und statt dem widerlichen Arsch gewinnt die nette ältere Dame den Jackpot. 39
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Die Rezipienten können Strübing deshalb mit dem autodiegetischen Erzähler des Textes identifizieren, weil Strübing bei der Äußerung des Onomatopoetikums »wusch« tatsächlich die Papierblätter anhebt, die er in der Hand hält (B.2). Alle Bezüge der Erzählinstanz auf sich selbst verweisen in der Folge deiktisch auf Strübing (A.2.1). Die hiermit festgelegte Rezeptionshaltung der Zuschauer, für die sich die Frage gar nicht mehr stellt, ob die Erzählinstanz des Textes von Strübing verschieden ist, scheint an späteren Stellen die Wirkung komischer Effekte zu verstärken: So wirkt zum Beispiel Strübings Überlegung, was wohl passieren würde, wenn er sich »einen Blumenstrauß in den Po steck[t]e und laut aus Faust. Der Tragödie zweiter Teil zitierend im Hockstrecksprung durch die Rosenau hüpf[t]e« 40 durch den Bezug auf ihn selbst komischer, als wenn er mit dem Personalpronomen ›ich‹ auf eine lediglich textintern realisierte Figur verweisen würde (Video 6). Es kann davon ausgegangen werden, dass die Referenz auf den logischerweise allen Zuschauern bekannten Veranstaltungsort den komischen Effekt ebenfalls verstärkt (A.2.1).

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Im Verlauf des Textes kommt Strübing noch mehrmals auf die aktuelle Situation zu sprechen (A.2.1): Erstens abermals auf den Veranstaltungsort, 41 zweitens auf seine Probleme, vor dem Rosenau-Poetry Slam »einen Ersatz für seine in Berlin vergessene Zahnbürste zu erwerben«. 42 Drittens schließt er das Publikum durch die Verwendung des Personalpronomens »wir« in seine absurden Überlegungen mit ein. 43 Diese Bezugnahmen dienen der Verstärkung komischer Effekte. Eine besondere Funktion kommt viertens den zwei Bezügen auf sein »Textwedeln[ ]« 44 zu Beginn seines Vortrags zu (A.1): Ohne Strübings Handlung am Anfang des Vortrags würde es in diesen Passagen zu einem Referenzfehlschlag kommen. Text und Performance hängen hier also notwendig zusammen, was als weiterer Grund für die positive Bewertung ihres Zusammenhangs durch die Zuschauer in Betracht kommt. Fünftens kommt Strübing am Ende seines Textes von hypothetischen Überlegungen auf die aktuelle Auftrittssituation zu sprechen und bringt damit den Text und den Auftritt zu einem Abschluss (Video 7):

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Hat nicht letzten Endes das Wetter viel größeren Einfluss auf den Schmetterling als umgekehrt? Und kann es nicht sein, dass gerade wegen meines meines Textes ... Textwedelns vorhin statt der alten Dame der Arsch den Jackpot gewonnen hat? Ich weiß es nicht.
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Aber eins weiß ich: Wenn Ihr jetzt alle ein bisschen klatscht, dann freue ich mich, und wenn ich mich freue, dann ist ein klitzeklitzekleines bisschen mehr Freude in der Welt. Und wer weiß, was schon … was so ein kleines bisschen Freude mehr bewirken kann. 45
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Strübing beschreibt seine Gedankenexperimente als überflüssig, insofern sie inhaltlich zu keinem Resultat geführt hätten. Mit Gewissheit könne er nur etwas über die Auswirkungen der möglichen Publikumsreaktion auf seine Emotionen sagen: »Wenn ihr jetzt alle ein bisschen klatscht, dann freue ich mich« 46 . Dass Strübing seine Hoffnung auf Applaus äußert, erfüllt also einerseits eine textinterne Funktion, insofern sie den Text inhaltlich zu einem Abschluss bringt. Wie mit dem vorangegangenen Text stellt Strübing auch an dieser Stelle hypothetische Überlegungen an. Er verbindet mit der deiktisch auf den aktuellen Zeitpunkt bezogenen Äußerung des Konditionalsatzes seinen Vortrag und die mögliche Wertung durch das Publikum. Hiermit schließt Strübing seinen Auftritt performativ ab, da die Rezipienten wissen, dass dem Applaus nach dem Auftritt das Ende des Vortrags vorangeht. Berücksichtigt man die vorherige Feststellung, dass seine Überlegungen ergebnislos geblieben sind, impliziert Strübing damit, dass sein Vortrag einen anderen Wert gehabt haben könnte, als den Inhalt: Es liegt nahe, dass dieser Wert die Wirkung des Textes sein soll (die Erzeugung komischer Effekte, Unterhaltung usw.). Gerade weil Strübing seinen Text aber hiermit noch nicht bewertet (was eher eine negative Zuschauerwertung nach sich ziehen würde, wie die Analyse von Andreas Maiers Auftritt zeigen wird), ist zu vermuten, dass er durch seine abschließenden Äußerungen eine positive Bewertung seines Auftritts bewirkt hat. Das implizite ›fishing for compliments‹ scheint allerdings vor allem dadurch wirksam zu werden, dass es gleichzeitig mehrere auftrittsimmanente Funktionen erfüllt.

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Die Bewertung von Strübings Auftritt hängt also erstens mit der Konstruktion einer sympathischen und authentischen Akteursfigur zusammen. Da die Akteursfigur Strübing mit der Erzählinstanz des Textes identifiziert wird, gelingt eine Verstärkung komischer Effekte, wenn mit dem Text auf die Figur referiert wird. Zweitens bewirken die in den Augen der Zuschauer gelungenen, teilweise für das Textverständnis notwendigen Verknüpfungen von Text und Performance eine positive Bewertung des Auftritts. Drittens hat das Publikum die Thematik von Strübings Text besonders positiv bewertet (Abb. 5, Abb. 6). Ich vermute, dass diese Bewertung auf die inhaltliche Vielfalt zurückgeführt werden kann, die das Thema Schmetterlingseffekt ermöglicht: Es scheint auf Inkongruenz beruhende Pointen, die das Publikum noch nicht kennt, geradezu herauszufordern.

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5.2 Andreas Maier:
Die Frauen in meinem Leben

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»[M]uss auch sein«, 47 behauptet Andreas Maier von einer Pointe seines Textes, auf die jede Reaktion des Publikums ausbleibt (Video 8). Den Publikumsbewertungen zufolge hätte Maiers Auftritt nicht ›sein müssen‹: Maier, der nicht für einen Auftritt eingeladen wurde, sondern sich vor Beginn der Veranstaltung am 4.6.2006 in die so genannte ›offene Liste‹ eingetragen hat, wurde lediglich zwei Mal als Favorit genannt. Dass die Hälfte der Zuschauer angegeben hat, kein Aspekt von Maiers Auftritt habe ihnen gefallen, spricht im Kontext der Publikumswertungen anderer Slammer deutlich dafür, dass das Publikum seinen Auftritt als misslungen angesehen hat (Abb. 7).

[51] 

Es ist nicht allein aussagekräftig, dass diese Bewertung von Maiers Auftritt stark signifikant mit der Bewertung des Zusammenhangs von Text und Performance korreliert (r = -0,253): Wenn den Zuschauern kein Aspekt des Auftritts gefallen hat, dann hat ihnen folglich auch der Zusammenhang von Text und Performance nicht gefallen. Dass aber selbst die Zuschauer, denen mindestens ein Aspekt von Maiers Auftritt gefallen hat, den Zusammenhang von Text und Performance eher negativ bewertet haben, weist auf die Relevanz der Text-Performance-Bezüge für die eher negative Bewertung des gesamten Auftritts hin (Abb. 8)

[52] 

In Maiers Text Die Frauen in meinem Leben berichtet ein männlich kodierter, autodiegetischer Erzähler von seinen Versuchen zwischen dem fünften Lebensjahr und der Gegenwart, Liebesbeziehungen mit Frauen einzugehen. Der Erzähler schildert zunächst seine frühen Versuche, die deshalb misslangen, weil sich herausstellte, dass seine vermeintliche Gefährtin ein Junge war, weil er zu ungeschickt und direkt vorging, oder weil Tanja zwar »eine echte Wucht« 48 war, aber einen Vollbart hatte. Deshalb schlägt der Erzähler vor, Frauen ausgehend von der Frage danach, ob sie lieber unsichtbar wären oder lieber fliegen könnten, auf ihre ›Eignung‹ als potentielle Partnerin zu testen: Welche Frau auf diese Frage nicht aggressiv reagiere, sei ein solches »liebreizendes Geschöpf« 49 . Abschließend berichtet der Erzähler, dass er inzwischen seine »Traumfrau« gefunden hat, die – wie das erste vermeintliche Mädchen in seinem Leben – Günther heißt.

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Zu Beginn des Auftritts benennt Maier das Thema des Textes sehr allgemein: »Frauen«. 50 Im Mittelpunkt des Textes steht das spezifischere Problem, einen passenden Partner beziehungsweise eine passende Partnerin zu finden. Vielen Zuschauern ist es neben der eigenen Erfahrung aus verschieden medial vermittelten Erzählungen bekannt. Man kann also davon ausgehen, dass die Rezipienten mit dem Thema des Textes vertraut sind. Zudem ist ein Teil des Publikums an dem Thema interessiert, worauf die häufige Nennung des Textthemas als positiver Auftrittsaspekt hinweist (Abb. 9, Abb. 10). Da die Zuschauer jedoch keine anderen Aspekte des Auftritts überdurchschnittlich positiv oder überhaupt positiv bewertet haben, hätte eine positivere Bewertung des Auftritts vor allem aus einer besonderen Weise der Umsetzung des Themas resultieren können. Weshalb gelingt es Maier also nicht, das Thema des Textes so umzusetzen, dass die Zuschauer seinen Auftritt positiv bewerten?

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Das Thema soll – so hat Maier zuvor angekündigt – komisch umgesetzt werden. 51 Dass die Umsetzung des Themas misslingt, kann also dadurch erklärt werden, dass Maiers Versuche, komische Effekte zu erzeugen, scheitern, wodurch die Erwartungen des Publikums nicht erfüllt werden. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass Maier auf Pointen zurückgreift, die einem Großteil des Publikums vermutlich schon aus anderen Zusammenhängen bekannt sind und es nicht mehr überraschen können. Es kann als Indiz für die Richtigkeit dieser These angesehen werden, dass den meisten Zuschauern, die das Thema des Textes positiv bewertet haben, die ›Machart des Textes‹ nicht positiv aufgefallen ist (Abb. 11).

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Weitere Möglichkeiten, ein Thema ›umzusetzen‹, bieten beim Poetry Slam-Auftritt die Aspekte Stimme, Gestik, Mimik und Bewegungen. Sie gefielen in Maiers Fall jedoch nur einem verschwindend geringen Teil des Publikums (Abb. 12, Abb. 13). Prinzipiell sind es auch diese Aspekte von Auftritten, mit denen die Bezugnahmen zwischen Text und Performance A.1 und B hergestellt werden können. Sucht man in Maiers Auftritt nach diesen Arten der Verbindung von Text und Performance, lassen sich keine konkreten Realisierungen ausmachen.

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Gäbe es in Maiers Auftritt keinerlei für die Wertung des Auftritts relevanten Text-Performance-Verbindungen, wäre dem allgemeinen Ergebnis der Untersuchung zufolge eine neutrale Bewertung des Aspekts Text-Performance-Zusammenhang zu erwarten. Von allen Auftritten beim Rosenau-Poetry Slam am 4.6.2006 wurde der Zusammenhang von Text und Performance bei Maiers Vortrag jedoch am schlechtesten bewertet (Abb. 14). Um die negative Bewertung von Maiers Auftritt zu erklären, sollen deshalb im Folgenden negativ-funktionale Text-Performance-Zusammenhänge aufgezeigt werden.

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(I.) Bei vielen Poetry Slam-Auftritten identifizieren die Rezipienten den Ich-Erzähler des Textes beziehungsweise das lyrische Ich mit dem Auftretenden, solange es keine Hinweise darauf gibt, dass es sich bei beiden um verschiedene Instanzen handeln könnte. Da Maiers Text eine autodiegetische Erzählung ist, könnte man vermuten, dass die Akteursfigur Maier von den Rezipienten mit dem Erzähler des Textes identifiziert wird und es dementsprechend durch die Äußerung des Textes zu einer Bezugnahme der Art A.1 kommt. Es ist aber davon auszugehen, dass eine Identifikation der beiden Instanzen nicht vorgenommen wurde: Weder hat Maier in den Augen des Publikums einem Schauspieler ähnlich die Rolle der Figur angenommen (Abb. 15), noch stellte er in den Augen der Zuschauer deutlich eine Akteursfigur dar (Abb. 16), die zum Auftritt gepasst und authentisch gewirkt hätte (Abb. 17): Das Publikum scheint sich nicht vorstellen zu können, dass der Text Maier selbst betrifft. Dies wiederum könnte die negative Bewertung des Text-Performance-Zusammenhangs zu einem Teil erklären.

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(II.) Untersucht man den Auftritt mithilfe der oben erstellten Typologie der Text-Performance-Verbindungen, so lassen sich an mehreren Stellen Zusammenhänge des Typs C ausmachen: Maier referiert an verschiedenen Stellen des Auftritts mit dem Kotext verbal auf seinen Text. Da das Publikum die Text-Performance-Zusammenhänge insgesamt negativ bewertet hat, ist es wahrscheinlich, dass auch die Art der Zusammenhänge des Typs C zu dieser negativen Bewertung beiträgt. Relevant für die Zuschauerwertungen erscheint hier vor allem, dass Maier selbst seinen Text bewertet und damit eine Aufgabe an sich nimmt, die den Poetry Slam-Regeln gemäß dem Publikum zukommt.

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Einen ersten Zusammenhang von Text und Performance des Typs C.1.2 stellt er mit der Ankündigung des Textes her: »So, jetzt kommt wieder was Lustiges, oder zumindest soll es lustig sein« 52 (Video 9). Mit dieser Äußerung soll der nachfolgende Vortrag des Textes vom vorangegangenen Auftritt abgegrenzt werden. Es ist davon auszugehen, dass Maier hier nicht nur eine komische Wirkung des Vortrags, sondern auch des vorgetragenen Textes postuliert. Er gibt den Rezipienten auf diese Weise die axiologischen Werte vor, auf deren Grundlage der Vortrag beziehungsweise der Text bewertet werden sollen. Indem er aber schon vor dem Vortrag infrage stellt, ob es ihm gelungen ist, einen komischen Text zu verfassen, bewirkt er vermutlich eher, dass das Publikum nun von vorneherein nach Versuchen sucht, komische Effekte zu erzielen. Maier provoziert also die bewusste Anwendung des wirkungsbezogenen axiologischen Wertes der Komik durch die Zuschauer. Dass dem Publikum hierdurch eher auffällt, wenn zum Beispiel eine Pointe nicht überraschend ist, verstärkt deren negative Bewertung.

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(III.) Viele der Pointen von Maiers Text bewirken, dass ein Teil der Zuschauer lacht. Im Vergleich zu den Reaktionen auf andere Auftritte bei demselben Poetry Slam fällt die Lautstärke des Gelächters jedoch sehr gering aus. Dies weist darauf hin, dass die Versuche, komische Effekte zu erzielen, nicht durchweg als gelungen anzusehen sind. Zusätzlich zur bereits geringen Resonanz des Publikums bewertet Maier selbst einen seiner Versuche, einen komischen Effekt zu erzielen, negativ. Als auf eine Pointe jede Publikumsreaktion ausbleibt, konstatiert er angesichts dieses misslungenen Versuchs, einen komischen Effekt zu verursachen: »Ok, der war jetzt vielleicht n bisschen billig« 53 (Video 8).

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Mit der Behauptung »muss auch sein!« 54 versucht er anschließend, die Pointe zu legitimieren, der er vorher selbst ein niedriges Niveau zugesprochen hat. Da ein großer Teil des Publikums aber hofft, beim Rosenau-Poetry Slam ›anspruchsvolle‹ komische Texte vorgetragen zu bekommen (Abb. 18), akzeptieren die Zuschauer Maiers Rechtfertigung vermutlich nicht, so dass ihr ein eher negativer Effekt für die Bewertung des Auftritts zukommen dürfte.

[62] 

(IV.) An einer weiteren Stelle seines Auftritts versucht Maier nicht nur, sich für eine Pointe zu rechtfertigen, die kein Gelächter auslöst, er lässt sich sogar vom Publikum verbessern (Video 10). In einer Textpassage beschreibt er die Zettel, von denen man weiß, dass gerade vorpubertäre Jugendliche sie sich gegenseitig zukommen lassen, um zu fragen: »Möchtest du mit mir gehen?« 55 Das Publikum lacht hierauf, vermutlich weil es bereits ahnt, dass nachfolgend ein misslungener Versuch einer solchen Kontaktaufnahme geschildert werden soll. Maier reagiert auf das Lachen der Zuschauer, indem er ihre Reaktion deutet und fragt (C.1.1 sowie C.2.1): »Kennt ihr auch noch, was?« 56 Spätestens an dieser Stelle wird dem Publikum das Wissen um solche Situationen wieder in Erinnerung gerufen. Maier nennt anschließend die Antwortmöglichkeit zur Frage »Möchtest du mit mir gehen?«, von denen eine vom Adressaten ausgewählt werden soll: »Ja«, »Nein« und »Das verrat ich nicht«. 57 Daraufhin verbessern die Zuschauer den Text, indem sie Maier laut das Wort ›Vielleicht‹ zurufen, das für gewöhnlich an der Stelle von »Das verrat ich nicht« steht. Die Zurufe erscheinen wie ein an Maier gerichteter Vorwurf, dass er im Gegensatz zum Publikum die geschilderte Situation (oder die Konventionen von Erzählungen über solche Situationen) nicht genau genug kennen würde, um sie angemessen beschreiben zu können. Maiers Eingeständnis bewertet seinen eigenen Text erneut implizit negativ (C.1.1, C.2.1): »Also, manchmal steht da ›vielleicht‹… Ja, ok, ›vielleicht‹! Ich seh’s ja ein!« 58 Maier hat meines Erachtens durch seine vorherige Kommunikation mit dem Publikum (»Kennt ihr auch noch, was?«) einen Dialog begonnen, und damit die Zwischenrufe selbst mit verursacht: Das Publikum muss nicht erst einen direkten Dialog mit Maier beginnen, was einen Verstoß gegen die Konventionen des Publikumsverhaltens bedeutet hätte, 59 sondern führt den Dialog mit Maier lediglich fort.

[63] 

(V.) Während des Auftritts unterbricht Maier seinen Vortrag noch mehrere Male, indem er zu lachen beginnt (C.1.1, vgl. z.B. Video 11) oder auf das Initiallachen der Zuschauer einsteigt (C.2.2, vgl. z.B. Video 12). Hierdurch bewertet er seinen Text beziehungsweise einzelne Pointen positiv, was eigentlich die Aufgabe des Publikums ist. 60 Wenn Maier über eine Pointe lacht, bevor er sie vorgetragen hat, bewirkt er zudem erstens, dass das Publikum eine besonders komische Textstelle erwartet – und umso leichter enttäuscht werden kann. Zweitens nimmt sein Lachen der Pointe gleichzeitig ihr Überraschungsmoment und damit dem komischen Effekt einen Teil seiner Wirksamkeit. 61

[64] 

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Maiers Auftritt deshalb vom Publikum als eher misslungen wahrgenommen wird, weil erstens der Text seine angekündigte Funktion nicht in angemessenem Maße zu erfüllen vermag: Zwar lacht das Publikum an vielen Stellen des Textes, eine Vielzahl an Pointen misslingt aber. Zweitens stellt Maier nur solche Bezüge zwischen Text und Performance her, die tendenziell negativ beurteilt werden: Zunächst bewertet er seinen eigenen Auftritt explizit negativ, was wiederum eine gleichartige Wertung durch das Publikum provoziert. Außerdem bewertet er seinen Auftritt durch Lachen über den eigenen Text implizit positiv und übernimmt damit in unangemessener Weise die Aufgabe des Publikums. Es kann vermutet werden, dass sein Lachen außerdem deshalb negative Effekte für die Zuschauerbewertung seines Auftritts hat, weil Maier dadurch Pointen vorwegnimmt und verhindert, dass die Zuschauer sie als komisch erleben. Die Unterbrechungen des Textes durch den Kotext ermöglichen oder verstärken die komische Umsetzung des Textthemas hier also nicht, sondern verhindern sie vielmehr.

[65] 

6. Fazit

[66] 

Möchte man die Zuschauerwertungen der Auftritte bei Poetry Slams erklären, stellt die publikumswirksame Vielfältigkeit der Texte und Performances auf theoretischer Ebene das zentrale Problem dar. In der Forschung führte sie bislang dazu, dass allgemeine Gründe für die Zuschauerwertungen beim Poetry Slam – einem typischen Phänomen der Erlebnisgesellschaft 62 – nicht systematisch untersucht, sondern lediglich behauptet wurden. Basierend auf empirischen Untersuchungen von drei aufeinander folgenden Slams in Stuttgart konnten hier hingegen die Ausgangshypothesen statistisch belegt werden, denen zufolge die positive oder negative Zuschauerwertung von Poetry Slam-Auftritten als Ganzes von der entsprechenden Bewertung der Text-Performance-Relation abhängt. Es ist wahrscheinlich, dass dieses Ergebnis durch die Untersuchung anderer Slams bestätigt werden würde. Auf welche Weise die Bewertungen von Auftritten bei Poetry Slams im Detail vorgenommen werden, lässt sich nur auf der Grundlage einer Faktorenanalyse und weitergehender empirischer Verfahren rekonstruieren. Die Untersuchung einzelner Aspekte der Wertungshandlungen von Zuschauern vermag jedoch bereits, gute Anhaltspunkte für die Analyse der wertungsrelevanten Auftrittswirkungen zu liefern, so auch die Untersuchung des wichtigen Faktors der Text-Performance-Zusammenhänge.

[67] 

Die Vielfältigkeit der in den Auftrittsanalysen herausgestellten spezifischen Bezüge von Text und Performance deutet an, dass die Bewertung des Zusammenhangs der beiden Größen und damit des Auftritts nicht davon abhängt, welcher Typ der Bezugnahmen (A)–(C) vorliegt. Entscheidend für die Wertung der Zuschauer ist vielmehr, welche Funktionen die Text-Performance-Zusammenhänge erfüllen. Mehrere Funktionen sind hier von besonderer Bedeutung: Erstens kann ein Text-Performance-Zusammenhang notwendig sein, damit Teile des Textes als sinnvolle Äußerungen verstanden werden können. Zweitens können die Text-Performance-Verbindungen textbasierte kommunikative Effekte verstärken oder behindern, so zum Beispiel Pointen. 63 Drittens können sie der Darstellung einer Akteursfigur zu- oder abträglich sein und den Text in einen Zusammenhang zu ihr stellen.

[68] 

Diese drei Funktionen von Text-Performance-Zusammenhängen waren mit großer Wahrscheinlichkeit auch für die Bewertung der Auftritte von Strübing und Maier relevant. Während jedoch der nur selten bei Poetry Slams auftretende Andreas Maier durch seine Performance verhinderte, dass die vor allem textbasierten Pointen seines Textes gelingen konnten, überzeugte der Lesebühnen-Autor Volker Strübing das Publikum neben überraschender Komik unter anderem durch eine enge Verschränkung von Text und Performance – und so spielte es am Ende von Strübings Vortrag für das Publikum auch keine Rolle, dass seine amüsant-absurden Gedankenexperimente inhaltlich zu keinem Ergebnis geführt haben.

 
 

Anmerkungen

Reinhart Meyer-Kalkus: »Ich schreibe so laut ich kann«. Literatur auditiv. In: goon. Magazin für Gegenwartskultur, Nr. 17 von März 2006, S. 36–39, hier S. 36.   zurück
Jenni Roth: Die Reimwerker. Deutschland sucht den Superdichter: Poetry Slam goes TV im WDR (12.2.2007). In: Der Tagesspiegel online. URL: http://www.tagesspiegel.de/medien-news/Medien;art290,2031938 (12.8.2007).   zurück
Verena Carl: 10 Jahre Poetry Slam. Hier spricht der Dichter! (25.2.2005) In: SPIEGEL ONLINE. URL: http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,343597,00.html (13.5.2006).   zurück
Vgl. z.B. Stefanie Westermayr: Poetry Slam in Deutschland. Theorie und Praxis einer multimedialen Kunstform. Marburg: Tectum 2004, S. 103; Boris Preckwitz: Poem und Performance. In: B.P.: Kleine Schriften zur Interaktionsästhetik. Wien: Passagen 2005, S. 79–86, hier S. 83 f.   zurück
Die Bezeichnungen ›Slam‹ und ›Poetry Slam‹ werden im Folgenden synonym verwendet.   zurück
›Autor‹, ›Slammer‹, ›Auftretender‹, ›Rezipient‹ usw. werden im Folgenden als grammatische Genera verwendet und schließen – soweit nicht anders markiert – Autorinnen, Slammerinnen, Auftretende, Rezipientinnen usw. mit ein.   zurück
An den meisten Slams kann jeder teilnehmen, der eigene Texte schreibt. Die Teilnahme ist also nicht nur für in der Szene etablierte Autoren möglich. Poetry Slams zeichnen sich außerdem dadurch aus, dass sie von einem so genannten Slammaster bzw. MC (›Master of Ceremony‹) moderiert werden. Dieser führt das Publikum durch zumeist zwei Vorrunden und ein abschließendes Finale, in dem die Gewinner der Vorrunden gegeneinander antreten und an dessen Ende der Gewinner des Abends gekürt wird. Bei vielen Poetry Slams werden die Pausen zwischen den Vorrunden von einem DJ gefüllt, der Musik auflegt. Da Slams häufig in Kneipen stattfinden, können sich die Zuschauer während der Veranstaltung mit Getränken und ggf. Speisen versorgen. All diese Aspekte, v.a. aber die direkte Beteiligung des Publikums am Ablauf der Veranstaltung durch seine Wertungshandlungen, legen es nahe, von Poetry Slams als Events mit dem Potential zu einem »kulturellen und ästhetischen Synkretismus« zu sprechen (Winfried Gebhardt: Feste, Feiern und Events. Zur Soziologie des Außergewöhnlichen. In: W.G. / Ronald Hitzler / Michaela Pfadenhauer (Hg.): Events. Soziologie des Außergewöhnlichen. Opladen: Leske + Budrich 2000, S. 17–31, hier S. 20), bei denen »unterschiedlichste Erlebnisinhalte und Erlebnisformen zu einem nach ästhetischen Kriterien konstruierten Ganzen« verbunden werden (Winfried Gebhardt / Ronald Hitzler / Michaela Pfadenhauer: Einleitung. In: W.G. / R.H. / M.P. (Hg.): Events. Soziologie des Außergewöhnlichen. Opladen: Leske + Budrich 2000, S. 9–13, hier S. 10).   zurück
Ich gehe im Folgenden von Renate von Heydebrands und Simone Winkos Theorie der Wertung von Literatur aus (vgl. Renate von Heydebrand / Simone Winko: Einführung in die Wertung von Literatur. München, Paderborn, Wien, Zürich: Schöningh (UTB) 1996). Es spricht m.E. nichts dagegen, ihre systematische Theorie der Wertungshandlungen auch auf andere Bereiche als die Wertung von schriftlich präsentierter Literatur zu übertragen. Den Begriff ›axiologischer Wert‹ definieren die Autorinnen als »den Maßstab, der ein Objekt oder ein Merkmal des Objekts als ›wertvoll‹ erscheinen läßt« (ebd., S. 40). Wertungshandlungen müssen von der handelnden Person nicht bewusst auf die zugrunde liegenden axiologischen Werte zurückgeführt werden können (vgl. ebd., S. 41). Axiologische Werte werden durch ein wertendes Subjekts auf Objekte bzw. Objekteigenschaften bezogen, wenn bestimmte Bedingungen auf Seite des Rezipienten – die so genannten Zuordnungsvoraussetzungen – erfüllt sind: Konkrete Eigenschaften von Objekten werden vom Wertenden aufgrund spezifischer subjektiver oder gesellschaftlich konventionalisierter Muster axiologischen Werten zugeordnet (vgl. ebd., S. 44). Diese Objekte bzw. Objekteigenschaften, die so als wertvoll bestimmt worden sind, bezeichnen die Autorinnen als ›attributive Werte‹ (vgl. ebd., S. 42–44).   zurück
10 
Der Einfluss, den der Ablauf der Veranstaltung und die Reihenfolge der Auftritte auf die Bewertung der Auftritte durch das Publikum hatten, könnte mithilfe der erhobenen Daten nur in Ansätzen bestimmt werden und wird hier deshalb ausgeklammert.   zurück
11 
Stephan Porombka: Slam, Pop und Posse. Literatur in der Eventkultur. In: Matthias Harder (Hg.): Bestandsaufnahmen. Deutschsprachige Literatur der neunziger Jahre aus interkultureller Sicht. Würzburg: Königshausen & Neumann 2001, S. 27–42, hier S. 31.   zurück
12 
Vgl. ebd.   zurück
13 
Boris Preckwitz: SLAM POETRY – Nachhut der Moderne. Eine literarische Bewegung als Anti-Avantgarde. Norderstedt: Books on Demand 2002, S. 40. Die ›Interaktionsstrukturen‹, von denen Preckwitz spricht, erfasst er leider nicht systematisch, weshalb der Verdienst seiner Monographie und seiner Aufsätze vor allem in der Rekonstruktion der Geschichte des Veranstaltungsformats Poetry Slam besteht.   zurück
14 
15 
Unter ›Performance‹ verstehe ich das Handeln des Slammers während seines Auftritts. Dieses schließt die Realisierung von Text und Kotext, also sowohl ihre Äußerung als auch die Art und Weise des stimmlichen Handelns, sowie das körperliche Handeln des Akteurs ein. Zu Letzterem wird auch das Erzeugen von nicht-stimmlichen Geräuschen gezählt. Der Auftritt eines Slammers umfasst seine Performance und das ›virtuelle Konstrukt‹ des Textes (vgl. Ruth Finnegan: Oral Traditions and the Verbal Arts. A Guide to Research Practices. London, New York: Routledge 1992, S. 20).
Prinzipiell können alle Äußerungen der auftretenden Person zum Textganzen des Auftritts gezählt werden. Ich möchte im Folgenden jedoch zwischen ›Text‹ und ›Kotext‹ unterscheiden: Die Auftritte von Autoren bei Poetry Slams sind auf die Präsentation dessen ausgerichtet, was ich hier ›Text‹ nenne. Kommentare zum Text, zur Situation o.ä. bilden den Kotext, also einen intratextuellen Kontext, der »zu anderen Ausschnitten eines […] [Textganzen] in (a) thematischer oder (nur) (b) sequentieller Hinsicht« in Beziehung steht (Lutz Danneberg: Kontext. In: Harald Fricke et al. (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Berlin, New York: de Gruyter 1997–2003. Bd. 2. Berlin, New York 2000, S. 333–337, hier S. 333). Text und Kotext können bei den meisten Auftritten (wenn auch keineswegs in jedem Fall) aufgrund von Abweichungen zueinander bestimmt werden. Diese können aufgrund syntaktischer oder semantischer Textmerkmale sowie aufgrund die Intonation oder körperliche Handlungen betreffender Performancemerkmale augenscheinlich werden und müssen jeweils für den Einzelfall bestimmt werden.
Da mit dem Kotext entweder der Text kommentiert oder auf die Situation der Äußerung Bezug genommen wird, er also in Abhängigkeit von den Bedingungen der Performance formuliert wird, zähle ich ihn ebenfalls zur Performance.   zurück
16 
Vgl. Ruth Finnegan: Where is the meaning? The complexities of oral poetry and beyond. In: Fotis Jannidis / Gerhard Lauer / Matías Martínez / Simone Winko (Hg.): Regeln der Bedeutung. Zur Theorie der Bedeutung literarischer Texte. Berlin, New York: de Gruyter 2003, S. 384–400, hier S. 385 f.   zurück
17 
Vgl. Reinhold Schulze-Tammena: Poetry Slam. Performance-Poesie als Buhlen um die Publikumsgunst. In: Anja Hill-Zenk / Karin Sausa (Hg.): To Read or Not to Read. Von Leseerlebnissen und Leseerfahrungen, Leseförderung und Lesemarketing, Leselust und Lesefrust. München: Iudicium 2004, S. 130–146, hier S. 138.   zurück
18 
Im Folgenden wird keine Faktorenanalyse erstellt, bei der alle Faktoren erfasst werden, die für die Bewertung einzelner Auftritte relevant sind. Zur Realisierung einer Faktorenanalyse wäre ein weit umfassenderes empirisches Projekt notwendig.   zurück
19 
Die Veranstaltungen fanden am 7. Mai, 4. Juni und 10. September statt. Zwischen dem zweiten und dritten Slam lag die Sommerpause des Rosenau-Poetry Slams.
Durch die Beschränkung der Erhebungen auf den Rosenau-Poetry Slam lassen sich die Ergebnisse dieser Untersuchung nur in begrenztem Maße verallgemeinern. Es ist jedoch zu erwarten, dass die Untersuchungen anderer Poetry Slams mit den gleichen empirischen Methoden die Ergebnisse bestätigen würden.   zurück
20 
Vgl. Michael Drauz (Red.): Das Kulturprogramm in der Lokalität Rosenau zu Stuttgart. URL: http://www.rosenau-stuttgart.de/c/programm.php (13.8.2007).   zurück
21 
Auf dem Fragebogen wird die Frage nach der positiven Beurteilung der Auftrittsaspekte (i) Gestik / Mimik / sonstige Bewegungen, (ii) Stimme und (iii) äußeres Erscheinungsbild des Auftretenden sowie (iv) Thematik und (v)  ›Machart‹ des Textes gefragt (in der Fragestellung wird (v) durch den Zusatz ›Stilmittel, Wortspiele usw.‹ erklärt). Darüber hinaus konnte angekreuzt werden, dass der Auftritt (vi) keine positiven Aspekte aufwies.
Die Zuschauer wurden auf dem Fragebogen weiterhin gebeten, die Auftritte durch Angaben auf einer siebenwertigen Likert-Skala hinsichtlich der folgenden Aspekte zu beurteilen (die äußeren Pole sind hier jeweils als (a) und (b) markiert): (1) Ich finde, der Slammer / die Slammerin (a) war beim Auftritt ganz er / sie selbst; (b) ist absichtlich gekünstelt aufgetreten. (2) Wie gut passte deiner Meinung nach der Auftritt zum / zur Vortragenden? (a) Sehr gut; (b) überhaupt nicht. (3) Ich finde, der Vortrag des Slammers / der Slammerin war eher wie (a) bei einer Lesung; (b) wie der eines Schauspielers / einer Schauspielerin. (4) Text und Performance passten (a) sehr gut zusammen; (b) überhaupt nicht zusammen.
Bei den Items (1)–(4) lässt sich für das Ankreuzverhalten der Zuschauer eine Tendenz nach links, also zu den numerisch niedrigeren Werten, beobachten. Diese prinzipielle Tendenz muss insofern berücksichtigt werden, als der numerische Mittelwert der Antwortmöglichkeiten nicht als Mittelwert bei der Auswertung der Fragen angenommen werden darf. Vielmehr muss hier die Interpretation der Daten zu einem Auftritt in Relation zur Bewertung des betreffenden Aspekts bei den übrigen Auftritten erfolgen. Darüber hinaus muss die Standardabweichung berücksichtigt werden, an der sich gleichsam erkennen lässt, wie ›einig‹ sich das Publikum bei der Bewertung bestimmter Auftrittsaspekte war.
Die aufgelisteten Fragen wurden zu allen Auftritten in den beiden Vorrunden des Slams gestellt. In den beiden Vorrunden der ersten beiden untersuchten Poetry Slams traten jeweils sechs, in denen des letzten Slams je fünf Slammer auf.   zurück
22 
Die Zuordnungsvoraussetzungen der Zuschauer (vgl. Anm. 9) lassen sich natürlich nicht vollständig rekonstruieren. Die Antworten der Zuschauer auf die Fragen nach ihren Erwartungen an die Auftritte (Multiple-Choice-Frage) und den axiologischen Werten, die sie an die Veranstaltung bzw. die Auftritte anlegen (offene Fragen), gewährleisten aber zumindest einen partiellen Einblick in die bestehenden Zuordnungsvoraussetzungen.   zurück
23 
Ich konstruiere den Modell-Zuschauer ausgehend von den erhobenen Daten. Er entspricht somit hinsichtlich seiner normativen Bewertung und deskriptiven Beurteilung des jeweiligen Auftritts der allgemeinen Zuschauermeinung. Darüber hinausgehend verfügt er – immer eingeschränkt durch die Annahmen, die aus den empirischen Daten abgeleitet werden können – über die Kenntnisse und Kompetenzen, um die notwendigen Operationen zur Bewertung und Beurteilung der Auftritte entsprechend der allgemeinen Zuschauermeinung durchzuführen (ähnlich definiert Fotis Jannidis seinen Modell-Leser, vgl. Fotis Jannidis: Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie. Berlin, New York: de Gruyter 2004, S. 254).   zurück
24 
Vgl. Fotis Jannidis 2004 (Anm. 23), S. 31.   zurück
25 
Vgl. Dan Sperber / Deirdre Wilson: Relevance. Communication and Cognition. Oxford: Blackwell 1986, S. 67.   zurück
26 
Bezugnahmen auf die Situation stellen einen indirekten Bezug zur Performance her, insofern die Situation die Bedingungen der Performance bildet.   zurück
27 
Aus den folgenden Gründen ist es zulässig, von der Favorisierung des Slammers auf eine Favorisierung des Auftritts zu schließen: Erstens sind die Slammer den Zuschauern bis zu ihrem Auftritt zumeist unbekannt, weshalb Favorisierungen von Slammern in der Regel nur auf ihren Auftritten basieren können. Zweitens werden in den Augen der Zuschauer gelungene Auftritte als Leistung des Slammers betrachtet und insofern auf den Auftretenden attribuiert.   zurück
28 
Der Korrelationsanalyse zufolge klären die beiden Variablen wechselseitig je 11 % ihrer Varianz auf, d.h. es können unter Rekurs auf die Bewertung des Zusammenhangs von Text und Performance 11 % der Gesamtvarianz der Bewertung einzelner Auftritte bei Poetry Slams statistisch erklärt werden.
Der Fragebogen lässt es zu, den Zusammenhang von Text und Performance bei allen Slammern positiv zu bewerten. Man kann auf dem Frageborgen aber nur zwei von ihnen überhaupt als Favoriten angeben (was bei Folgeuntersuchungen verändert werden sollte). Aus diesem Grund beläuft sich der Anteil an der Erklärung der Gesamtvarianz wahrscheinlich höher, worauf die stark signifikante Korrelation zwischen den Häufigkeiten der Favorisierung einzelner Slammer und des Mittelwerts der Bewertung des Zusammenhangs von Text und Performance bei ihren Auftritten hinweist (r = 0,9).   zurück
29 
Zwischen beiden Items besteht ein prinzipieller semantischer Zusammenhang: Die Frage nach der Favorisierung bezieht sich auf den gesamten Auftritt, jene nach der Bewertung der Text-Performance-Relation auf einen Aspekt des Auftritts. Wenn ein Auftritt positiv bewertet wird, müssen keineswegs auch die Text-Performance-Zusammenhänge positiv bewertet werden. Werden sie es jedoch, sind sie als ein Grund dafür zu betrachten, dass der Auftritt insgesamt positiv beurteilt wird. Die Korrelation zwischen den beiden Items ist deshalb als nicht-kontingent anzusehen.   zurück
30 
Andreas Maier: Die Frauen in meinem Leben. Auftritt beim Rosenau-Poetry Slam am 4.6.2006. 00:04:29. (Im Folgenden wird immer der Beginn des betreffenden Zitats angegeben.)   zurück
31 
Berücksichtigt wurden die Faktoren Alter, Geschlecht, Bildung, berufliche Stellung, Leseverhalten sowie die Erfahrung mit Poetry Slams.   zurück
32 
So gewann er u.a. den Einzelwettbewerb der deutschsprachigen Poetry Slam-Meisterschaften SLAM 2005 (http://www.slam2005.de/) und gemeinsam mit Michael Ebeling den Teamwettbewerb beim SLAM 2006 (http://www.slam2006.de/).   zurück
33 
Ich orientiere mich hier am Begriff der Darstellerfigur wie Benedikt Vogel ihn entwickelt (vgl. Benedikt Vogel: Fiktionskulisse. Poetik und Geschichte des Kabaretts. München, Paderborn, Wien, Zürich: Schöningh 1993, S. 82–85). Statt ›Darstellerfigur‹ wähle ich die Bezeichnung ›Akteursfigur‹, da die Rezipienten beim Poetry Slam nicht von einer Darstellungsfunktion der Handlungen der Akteure auf der Bühne ausgehen: Wenn nicht anders markiert, wird die Person auf der Bühne als Autor betrachtet, der einen Text vorträgt. Von ›Figur‹ wird hier deshalb gesprochen, weil vom epistemologischen Standpunkt der meisten Rezipienten nicht entschieden werden kann, ob der Vortragende ihnen gerade etwas vorspielt oder nicht.   zurück
34 
Volker Strübing: Schmetterlingseffekt. Auftritt beim Rosenau-Poetry Slam am 11.9.2006, 00:01:22.   zurück
35 
Strübing 2006 (Anm. 34), 00:02:00.   zurück
36 
Strübing 2006 (Anm. 34), 00:03:36.   zurück
37 
Strübing 2006 (Anm. 34), 00:04:50.   zurück
38 
Unter ›Authentizität‹ verstehe ich im Folgenden eine Qualität, die Produkten von Akteuren dann zugeschrieben wird, wenn der Rezipient der Produkte glaubt, dass ein bestimmter Akteur der Urheber des Produkts und dies seine individuelle Leistung ist. Authentizität wird im Folgenden ausschließlich als Darstellungseffekt betrachtet.   zurück
39 
Strübing 2006 (Anm. 34), 00:01:35.   zurück
40 
Strübing 2006 (Anm. 34), 00:02:43.   zurück
41 
Strübing 2006 (Anm. 34), 00:03:32.   zurück
42 
Strübing 2006 (Anm. 34), 00:04:29.   zurück
43 
Weil Strübing vorher die Referenz des Personalpronomens der ersten Person Singular festgelegt hat, beziehen die Zuschauer auch das Personalpronomen der ersten Person Plural auf in der Sprechsituation tatsächlich anwesende Personen. Da Strübing diese jedoch nicht genauer bestimmt, wird bei den Verwendungen des Personalpronomens der ersten Person Plural eine Referenz auf alle aktuell Anwesenden angenommen.   zurück
44 
Strübing 2006 (Anm. 34), 00:05:04, vgl. 00:02:29.   zurück
45 
Strübing 2006 (Anm. 34), 00:04:58.   zurück
46 
Strübing 2006 (Anm. 34), 00:05:10.   zurück
47 
Maier 2006 (Anm. 30), 00:04:32.   zurück
48 
Maier 2006 (Anm. 30), 00:06:02.   zurück
49 
Maier 2006 (Anm. 30), 00:08:15.   zurück
50 
Maier 2006 (Anm. 30), 00:01:36.   zurück
51 
Maier 2006 (Anm. 30), 00:01:29.   zurück
52 
Maier 2006 (Anm. 30), 00:01:27.   zurück
53 
Maier 2006 (Anm. 30), 00:04:29. Der Ausspruch stellt einen Bezug C.1.1 dar, insofern eine Eigenschaft des Textes bewertet wird. Gleichzeitig stellt Maier einen Bezug C.2.1 her, da er auf die ausbleibende Publikumsresonanz reagiert.   zurück
54 
Maier 2006 (Anm. 30), 00:04:32.   zurück
55 
Maier 2006 (Anm. 30), 00:04:58.   zurück
56 
Maier 2006 (Anm. 30), 00:05:00.   zurück
57 
Maier 2006 (Anm. 30), 00:05:07.   zurück
58 
Maier 2006 (Anm. 30), 00:05:16.   zurück
59 
Zwar lassen sich bei Poetry Slams häufig Zwischenrufe des Publikums beobachten, mit diesen wenden sich die Zuschauer aber fast nie direkt an den Slammer, sondern bewerten zumeist nur dessen Auftritt.   zurück
60 
Ich vermute, dass die Bewertung des eigenen Textes durch die Auftretenden einen negativen Effekt auf die Bewertung des Auftritts durch das Publikum hat. Auf Grundlage des vorhandenen Datenmaterials kann diese These aber nicht hinreichend belegt werden.   zurück
61 
Zum Zusammenhang von Pointiertheit und Überraschung vgl. Helga Kotthoff: Spaß Verstehen. Zur Pragmatik von konversationellem Humor. Tübingen: Niemeyer 1998, S. 63.   zurück
62 
Vgl. Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. 2. Aufl. Frankfurt/M., New York: Campus 1992.   zurück
63 
Pointen sind natürlich nicht immer ausschließlich textbasiert.   zurück