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Die Geburt des Subjekts aus dem Geist des Signifikanten

  • Christoph Braun: Die Stellung des Subjekts. Lacans Psychoanalyse. Berlin: Parodos 2007. 352 S. Paperback. EUR (D) 23,00.
    ISBN: 978-3-938880-08-1.
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Wegebnungen zu Lacan

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Um den Namen Lacan rankt sich das Diktum eines dunklen, hermetischen und schwer zugänglichen Autors. Mittlerweile mangelt es zwar nicht an greifbarer Sekundärliteratur, Monographien, Einführungsliteratur und kritischen Kommentaren, die aus verschiedenen Richtungen Zugänge zu einem widerständigen, nebligen Terrain markieren. Aber wenn diese Autoren und Interpretationen auch Leuchtfeuer der Orientierung entzündet haben – manchmal überzeugend, zuweilen auch weniger erfolgreich und eher auf Holzwege führend – so bleibt doch das Sperrige und Uneinnehmbare an Lacans Werk bestehen.

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Bei allen Versuchen der Systematisierung und Übersetzung in kohärente gradlinige Interpretationsketten bleibt regelmäßig ein Bruch übrig, etwas Überschüssiges, das in Widerspruch gerät und stört. So scheint Begriffenes an anderer Stelle wieder zu entgleiten. Lacans Werk hier aber einen Mangel an Systematik zu unterstellen, wäre völlig verfehlt. Vielmehr ist dieses Hapern im Systematischen ein systematisches Hapern, welches seine Koinzidenz im Innern von Lacans Lehre findet. Die sprachliche und begriffliche Widerständigkeit vollzieht sich als eine Erosion des herrschenden Ego- und Logozentrismus, die jede Ein- und Ganzheitlichkeit dezentriert und als Effekt des Imaginären entlarvt. Gegen jede starre Rationalitätsharmonie und Systemhypertrophie gerichtet, gestaltet sich Lacans Lehre vielmehr als die Bewegung eines metonymisch gleitenden Diskurses, wobei der Begriff des Diskurses hier seine eigentliche und volle Bedeutung als dis-cursus, als ein Hin- und Hergehen auf dem sprachlichen Feld, erfährt.

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Eben dies hat nichts gemein mit einem begrifflichen Festzementieren, sondern mit einer perspektivischen, immer wieder neu ansetzenden Denkbewegung, in welcher die Bedeutungen und Begriffe zwar ihre funktionale Position erhalten, aber nie ein für alle Mal festgelegt werden können. So wird hierbei kein kategorischer »Sinn am Schnürchen« geliefert, sondern Lacan zu lesen erfordert eine besondere Lektürearbeit, die die Unmöglichkeit einer lückenlos geschlossenen Form, gewisse Unschärfen und eine diskursive Brüchigkeit auf sich nehmen muss.

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Eine anspruchsvolle Arbeit über Lacan kann sich daher nicht in festschreibenden Definitionen von Begriffen ergehen, sondern muss sich der Bewegung des lacanschen Diskurses aussetzen, mit ihm mitschwimmen im Hin und Her der Signifikanten und den Kontakt zum Originaltext nie verlieren. Dies verlangt eine besondere Übersetzungsarbeit, bei der es nicht nur um die Schwierigkeit der Übertragung der französischen Begriffe und ihres polysemantischen Gehaltes ins Deutsche geht, sondern zudem um die Übersetzung in eine Darstellungsform, die jenem flüssigen Diskurs Lacans gerecht wird und ihn nicht von vornherein durch starre taxonomische Systematisierung verfehlt. Denn damit würden gerade jene Brüche und Lücken übergangen werden, aus denen die lacansche Erfahrung herausscheint als eine ent-stellte sich ereignende Wahrheit, die nichts gemein hat mit einer vorgefertigt verfügbaren Ganzheitsform, sondern die sich nur in und durch diese Brüche und Ent-stellungen überhaupt erfahrbar macht.

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Dass durch das Sägen an tradierten abendländischen Rationalitätssäulen Irritationen provoziert werden, wird auch vor dem Hintergrund verständlich, dass man es hier mit einer Theorie im Anschluss an die Psychoanalyse Freuds zu tun hat, die das Selbst- und Weltverhältnis des modernen Vernunftmenschen in radikaler Weise reformuliert und ein Rearragement vorschlägt, die Strukturen von (Selbst-)Erkenntnis, Wissen, Subjekt und Objekt neu zu ordnen und zu denken versucht.

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Das jüngst im Berliner Parodos Verlag erschienene Buch Die Stellung des Subjekts – Lacans Psychoanalyse von Christoph Braun ist zu einer solchen bedachten und gewichtigen Arbeit zu rechnen, die diese Schwierigkeiten und Implikationen nicht nur reflektiert, sondern auch in sich aufnimmt und in überzeugender Art und Weise zu bearbeiten und darzustellen weiß. Dem Autor gelingt eine Darstellungsform, welche die Brüche und das Hin und Her des lacanschen Diskurses nicht übergeht und dabei doch als Sekundärliteratur systematisch, ordnend und kohärent vorgeht.

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»Ich ist ein Anderer« –
Lacans Dekonstruktion des Subjektbegriffs

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Die Arbeit ist um die Kernfrage nach der Stellung und der Konstitution des modernen Subjekts herum angeordnet. Ein zu eng gefasster psychoanalytisch-klinischer Zugriff wird dabei vermieden zugunsten der philosophischen, erkentnistheoretischen und sozialen Dimensionen, die die Psychoanalyse seit jeher impliziert, sich bei Lacan aber noch deutlicher und stärker ausgearbeitet präsentieren. Insofern sieht Braun seine Darstellung der Theorie Lacans auch als einen Beitrag zur Subjekttheorie (S. 1), welcher die Erkenntnisgewinne der (lacanschen) Psychoanalyse nutzt, um eine zeitgemäße (Re-)Formulierung moderner Subjektkonstitution vorzuschlagen. An dieser Thematik hält Braun durchgehend fest und arbeitet die lacansche Begriffswelt durch, wobei er die Begriffe und Konzepte in ihrer theoretischen Entwicklung verfolgt und zueinander in Beziehung setzt. Dabei gelingt die Gesamtdarstellung so gründlich und detailreich, dass mit dieser Arbeit zugleich ein vorzüglicher Überblick über die Psychoanalyse Lacans geliefert wird. Braun arbeitet zudem eng am französischen Originaltext, gibt eigene klärende Übersetzungen und erläutert die besonderen semantischen Konnotationen und Homophonien, die sich nur allzu oft in Lacans sprachlichen Kapriolen und stilistischen Extravaganzen zeigen. Er schafft hierdurch eine Klarheit in der Darstellung, die einige seiner Vorgänger vermissen lassen.

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Lacans Werk enthält in nuce eine Subjekt-Theorie (S. 2), so die These Brauns, und er stützt sich dabei u.a. auf Arbeiten von M. Dolar, M. Borch-Jacobson, B. Ogilvie und H.-D. Gondek. Dies ist an sich nicht originell und ist schon von anderen Autoren ausgearbeitet worden, Brauns Arbeit besticht aber ihrerseits durch die kenntnisreiche und strukturierte Aufschlüsselung der Texte Lacans, durch kohärente Analyse und stringente theoretische Durchdringung, was den Text zu einem wertvollen Lacan-Kompendium macht.

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Deutlich wird bei Braun auch die ganz eigene Position Lacans in der ideengeschichtlichen Entwicklung zwischen Strukturalismus und Poststrukturalismus. Lacan betont immer wieder die subjekttheoretische Zentrierung der Psychoanalyse entgegen den strukturalistischen Strömungen, die den Subjekt-Begriff zugunsten von Struktur gänzlich suspendieren. Sicher stellt auch Lacans Ansatz einen »Bruch mit der humanistischen und subjektzentrierten Tradition« (Dolar) dar, die Bestimmung, die Stellung des Subjekts bleibt bei ihm aber der Kern und die Aufgabe der Psychoanalyse, wobei es nunmehr darum geht, den historisch veränderten Subjektbegriff neu und positiv zu bestimmen (S. 75). Lacan postuliert das Subjekt, mit der philosophischen Tradition brechend, nicht als eines des Selbstbewusstseins, sondern als eines des Unbewussten. Insofern ist das lacansche Subjekt kein Subjekt der Erkenntnis oder des Wissens – jede Substanz und dauernde Existenz wird ihm entzogen.

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Lacans radikale psychoanalytische Wendung ist bestimmt vom linguistic turn, die Linguistik fungiert als Leitwissenschaft, als Paradigma für den Theoriebau, womit naturwissenschaftliche und biologi(sti)sche Kurzschlüsse und Reduktionen vermieden werden, was das Komplexitätsniveau steigert und zu wesentlich mehr Auflösungsvermögen und Differenzierung in der Analyse führt. Auch hier wird Braun der ideengeschichtlichen Entwicklung der Theorie Lacans gerecht und erhellt die Bezüge zur heideggerschen Phänomenologie und der Sprachanthropologie (Lévi-Strauss) sowie die später (ab Mitte der 1950er Jahre) deutlich werdende Aufnahme der Konzeptionen Ferdinand de Saussures und Roman Jakobsons. Dies führte Lacan zu einer strukturalen Psychoanalyse, in der das Unbewusste als sprachlich strukturiert gedacht und somit jeder ehemals romantischen oder naturhaften Konnotation ledig wird (S. 82). Das Subjekt als eines des Unbewussten lässt sich verstehen als ein Effekt, eine Funktion von Sprache. Die Sprache, heideggerisch gesprochen, »erwirkt« das Subjekt, dies aber als ein solches, das in seiner signifikanten Abhängigkeit und Bedingtheit dezentriert ist, als barriertes Subjekt gespalten, welches sich selbst nicht einholen kann – es ist eine bloße Repräsentation auf dem Feld der Sprache in einer endlos laufenden Kette von Signifikanten.

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Hier ist man mittendrin in der lacanschen Subversion: eine Konzeption von Subjektivität, die weder empirisch-sensualistisch noch personal oder ontologisch begründet wird (S. 90), sondern sich auf dem Feld der Sprache ereignet und eine spektrale »Existenz« der Nicht-Identität führt, eine Funktion, die sich aus den bedeutungstragenden sprachlichen Elementen, den Signifikanten, ergibt. Was Lacan bei seinem Subjekt-Begriff fokussiert, ist die untrennbare Verschlaufung von Individuum und sozio-symbolischer Struktur (S. 24) als »Strukjekt« (S. 151 ff.), dessen »Ich« (»je«) aus Prozessen der symbolischen Identifizierung hervorgeht. Das »Ich« als vermeintlich selbstbezügliches Zentrum der Persönlichkeit und zugeschriebener Ort des Erkennens ist vielmehr durchzogen und konstituiert vom Anderen, d.h. sozio-symbolisch vermittelt, was es zu einem in sich gespaltenen Subjekt macht; als sprechendes ist es sich niemals erreichbar, da es durch die symbolische Ordnung konstituiert ist, es sich auf diesem Feld zuerst realisiert.

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Das Cogito auf der Couch

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Eine besondere Beziehung unterhält das lacansche Subjekt zum cartesischen cogito (Descartes’ cogito ergo sum), welches Lacan einerseits – verstanden als Subjekt der Erkenntnis und des Wissens – als Negativfolie seiner Konzeption dient, andererseits aber in besonderem Maße der Mittelpunkt seiner Überlegungen zum Konnex von Denken, Sprechen, Subjekt und Sein wird. Hierzu liefert Braun eine sehr lesenswerte und verständliche Darstellung, welche die besondere Brisanz von Lacans Subversion des autonomen Ich-Subjekts deutlich werden lässt. Diese stellt nicht nur einen Feldzug gegen die (anglo-amerikanische) Ich-Psychologie mit ihrer Annahme eines sich selbst transparenten und selbstgenügsamen »Ich« dar, sondern ist von weitreichender disziplinübergreifender Relevanz, da hier eine grundlegende Kritik und Reformulierung philosophischer Konstitutionszusammenhänge von Subjekt und Objekt, Erkenntnis und Wissen formuliert ist.

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Fazit

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Lacans Werk gehört zu den faszinierendsten und herausforderndsten Beiträgen in der Erforschung und der Bestimmung moderner conditio humana. Seine Subjekt- und Kulturtheorie mit ihrer Revision und Subversion traditioneller Positionen ist für das humanwissenschaftliche Denken eine enorme Bereicherung. Der Arbeit von Christoph Braun gelingt es, die theoretische Relevanz Lacans deutlich werden zu lassen und es ist zu wünschen, dass diese Wegebung zu Lacan einer breiten Rezeption zuteil wird.