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Zum protestantischen Umgang mit Büchern

  • Nadezda Shevchenko: Eine historische Anthropologie des Buches. Bücher in der preußischen Herzogsfamilie zur Zeit der Reformation. (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 234) Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2007. 392 S. 5 Tab., 7 Abb. Hardcover. EUR (D) 59,00.
    ISBN: 978-3-525-35883-2.
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Überblick und Themenstellung

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Die Buchgeschichte Alt-Preußens war seit dem Untergang des deutschen Königsberg und seiner Universität lange nur mehr ein Randthema der Forschung gewesen. In jüngerer Zeit sind mehrere umfangreiche Arbeiten zur Buchgeschichte des Deutschordensstaates und des spätmittelalterlichen Preußenlands erschienen, wohingegen das frühneuzeitliche Herzogtum Preußen weitgehend ausgespart blieb, obschon auch hier unerschöpfliches Quellenmaterial vorliegt. Diese bemerkenswerte Lücke wird durch das vorliegende Buch geschlossen. Es entstand während eines Gastaufenthaltes am Max-Planck-Institut für Geschichte. Die Autorin entstammt dem Oblast Kaliningrad und ist heute an der Russischen Staatsuniversität für Geisteswissenschaften in Moskau tätig.

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Das engere Thema der Untersuchung ist der Umgang der frühneuzeitlichen preußischen Herzogsfamilie mit dem Medium ›Buch‹. Damit treten Herzog Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1490–1568, Hochmeister des Deutschen Ordens 1511–1525, preußischer Herzog seit 1525) und seine beiden Ehefrauen Dorothea von Dänemark (1504–1547) bzw. Anna-Maria von Braunschweig-Calenberg (1532–1568) ins Zentrum der Überlegungen. Die jeweiligen Kinder sowie die zahlreichen Gelehrten, Kanzleibeamten, Bibliothekare usw., die das kulturelle Leben des Königsberger Herzoghofs intellektuell ausgestalteten, treten weniger als Individuen denn als Kollektiv auf, die mit dem Herzog oder der Herzogin in Kontakt stehen. Die Arbeit stützt sich auf die reiche Quellenüberlieferung des ehemaligen Königsberger Staatsarchivs, die heute ein Teil des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin ist. Sie wird darüber hinaus durch eine breite Theoriediskussion untermauert.

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Das theoretische Anliegen wird in einer ausladenden und für den Freund heuristischer Methoden äußerst anstrengenden Einführung (S. 9–43) erläutert. Shevchenko schließt sich jedoch nicht einer bereits vorgeformten theoretischen Schule an, sondern versucht (ohne dass sie dies explizit sagt) der Heuristik über eine Kritik am oftmals postulierten »linguistic turn« im Gefolge Foucaults eine theoretisch fundierte Berechtigung zu erteilen. Der »historische Gegenstand« (wie es auch das Buch sei) werde in der aktuellen Theoriediskussion »als bloße diskursive Konstruktion betrachtet«. Demgegenüber müsse die »materielle Dimension historischen Wandels« gewürdigt werden, wozu auch der Umgang mit dem konkreten Buch gehöre (S. 31). Shevchenko möchte daher insbesondere die Ergebnisse der historischen Leseforschung mit einbeziehen (S. 41), die »an der Kreuzung von Buchgeschichte, Medientheorie und Wissenschaftsgeschichte« stehe (S. 204).

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Die Hauptuntersuchung gliedert sich in drei große Kapitel, von denen jedes ungefähr einhundert Seiten umfasst (vgl. S. 40). Das erste Kapitel »Buchherstellung« soll vom Fürstenhaus initiierte Bücher behandeln (beschäftigt sich aber primär mit dem Buchgebrauch des Herzogs und seiner Gemahlinnen), das zweite »Zirkulationsprozesse« (betrifft aber vor allem die Beziehungen zu Gelehrten) und das dritte die »Buchbenutzung« bzw. »Lesepraxis« in der Herzogsfamilie, wobei Fragen der gender studies und der Einrichtung von Bibliotheken und Studienräumen fokussiert werden.

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Das Buch und der neue Glaube

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Zu Beginn des ersten Kapitels setzt sich Shevchenko mit der erst in jüngerer Zeit problematisierten medialen Gleichzeitigkeit von Handschrift und Buchdruck auseinander. Sie kann im Verlauf ihrer Untersuchung zeigen, dass die traditionelle Interpretation des frühneuzeitlichen Buchdrucks als »agent of change« zugunsten der Reformation (neuer Glaube – neues Medium) eine verkürzte Sichtweise ist. Einerseits hat das neue Medium selbst die Reformation mit gestaltet, andererseits zeigt das Verhalten der preußischen Herzogsfamilie eine besondere Hochschätzung des eigenhändigen Abschreibens und Glossierens. In den herzoglichen Bibliotheken schwankt der Anteil der Handschriften. In der persönlichen herzoglichen Schlaf- und Arbeitskammer sind es 10,4 %, in der den Hofbeamten offenstehenden Kammerbibliothek 7,8 %, in der mit den Resten vorreformatorischer Bibliotheken durchsetzten Schlossbibliothek jedoch 30 % der Bücher (S. 46 f.). Anders als in der weiteren Familie, wo auch Manuskripte von Frauen angelegt wurden, war das Anfertigen eigener Handschriften in Königsberg Sache der männlichen Mitglieder (S. 60), erfreute sich unter ihnen aber einer besonderen Vorliebe. Dies wird von Shevchenko als religiös motivierter Versuch einer Intensivierung der Buchbenutzung gedeutet (S. 62).

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Beide Geschlechter sorgten sich gleichermaßen um die Ausstattung der Bücher. Diese wird zutreffend nicht bloß als »Luxus« gedeutet, sondern als symbolischer Ausdruck religiöser Verehrung und einer Korrelation von Inhalt und äußerer Form (S. 72 f. und S. 78). Dies drückt sich vor allem in den Bibeln und Gebetbüchern der Herzogsfamilie aus. Leider unterbleibt an dieser Stelle eine historische Ableitung aus den mittelalterlichen Buchformen, deren Konzeption hier im Grunde unverändert übernommen worden ist. Albrecht hat schon während seiner Zeit als Hochmeister des Deutschen Ordens und in der Übergangsphase zum evangelischen Bekenntnis eine besondere Vorliebe für Gebetbücher erkennen lassen. Daher ist Shevchenkos Feststellung zum »protestantischen Umgang mit Büchern: Das religiöse Buch wurde zum Gegenstand, wodurch Lutheraner ihre religiöse Identität zum Ausdruck brachten« (S. 86) zwar richtig, aber stark ergänzungsbedürftig.

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Es ist ein viel tiefer verankertes Wesensmerkmal christlichen Umgangs mit dem Geschriebenen überhaupt, weil das Christentum in besonderer Weise eine Religion des Buches ist. Die spezifisch lutherischen Merkmale liegen aber nicht in der aufwendigen Ausgestaltung von Bibeln oder Gebetbüchern an sich (dies verbindet vielmehr die abendlichen Konfessionen auch nach der Spaltung), sondern in der Ausgrenzung anderer religiöser Buchtypen (wie insbesondere Liturgica und Heiligenlegenden). Das spezifisch lutherische Element der von der Herzogin Anna Maria gestalteten persönlichen »Silberbibliothek« (bei der jeder Band mit Wappen, Bibelsprüchen und dergleichen verzierten Silberbeschlägen versehen wurde) liegt nicht in dem enormen Aufwand bei der Herstellung und übrigens auch Pflege dieser Einbände. Es ist vielmehr die Verlagerung der Zimelien aus einem zumindest partiell öffentlichen kirchlichen Bereich in den persönlichen, ja intimen Bereich des protestantischen Herrschers. Leider unterlässt es die Autorin, hier auf die Rolle der Renaissance und des Humanismus hinzuweisen, die in katholischen Ländern ähnliche Auswirkungen hatten (päpstliche Bibliotheken, Hofbibliotheken in Paris, am Escorial und in Wien).

Die »äußere« Gestaltung der Bücher wurde so wichtig, dass Gelehrte, die sich die Kosten eines repräsentativen Einbands nicht leisten konnten, von der Zusendung von Dedikationsexemplaren an den Herzog Abstand nehmen mussten (Beispiele S. 87 f.)

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Schwieriges Schenken

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Damit ist das Thema des zweiten Kapitels erreicht. Nach den privaten Buchsammlungen der Herzogsfamilie werden die für den Hof geöffnete, also administrativ genutzte Kammerbibliothek und die prinzipiell auch der Gelehrtenwelt offen stehende Schlossbibliothek ins Auge gefasst. Nur letztere (zweifellos Albrechts bedeutendste Bibliotheksgründung) wird ausführlich betrachtet. Es wird einmal mehr auf Luthers Bedeutung für die Entwicklung des frühneuzeitlichen deutschen Bibliothekswesens hingewiesen (S. 111–113); als zusätzliche Wertkriterien neben der religiösen Wahrheit werden »Antiquität und Rarität« der Bücher ausgemacht (S. 126–136). Die führt auch zur Integration von Buchsammlungen aus der Deutschordenszeit (S. 136 f.), ein Zusammenhang mit der Königsberger Universitätsgründung von 1544 wird jedoch nicht gesehen (unter den Handschriften der Königsberger Schlossbibliothek stachen insbesondere die juristischen Codices aus dem 14. Jahrhundert hervor). Vielmehr beschränkt sich die Autorin auf das Thema »Bildung und Religion« (z.B. S. 151) und analysiert mit großem Geschick Begleitschreiben und Widmungsvorreden von Druckwerken, die an den Herzog oder seine Gemahlin gerichtet wurden. Sie warnt davor, diese rein ökonomisch zu verstehen (etwa in Hoffnung auf finanzielle Zuwendungen), vielmehr seien Dedikationen die einzige Möglichkeit gewesen, eine »Grenzüberschreitung innerhalb der sozialen Hierarchie und eine Kommunikation der Gelehrten mit Fürst und Fürstin« herzustellen (S. 200). Das Buch wurde so schon als Gegenstand und ohne jegliche Lektüre zum Objekt sozialer Kommunikation (S. 201). Dies kann kaum bestritten werden und ist als Erkenntnis auch ein Gewinn gegenüber allzu simplen Vorstellungen über persönliches Gewinnstreben von Autoren (und Buchhändlern). Doch würde ich mir an dieser Stelle, d.h. am Ende des zweiten Kapitels, eine Konkretisierung darüber wünschen, wie dies zum Vorteil und Nutzen des Landes Preußen wirksam wurde.

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Vom »guten Buch« und von bösen Büchern

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Der Straßburger Theologe Cyriacus Spangenberg (1528–1604) liefert in seinem 1594 gedruckten Adelsspiegel das Motto des dritten und umfangreichsten Kapitels dieser Untersuchung. Er mahnt darin seine Leser »das man der weisen vnd verstendigen Lehre höre, gute Bücher lese, vnd was man höret vnd lieset auch zu gemüt füre«. Das Ideologem des »guten Buchs« ist geboren, das die Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert hinein beschäftigen sollte. Vorerst gilt es dem Adel des 16. Jahrhunderts, für den regelmäßiges Lesen offenbar noch nicht selbstverständlich war (S. 204). Doch anstelle solcher historischen Dimensionen beginnt die Autorin eine Auslassung darüber, dass das Lesen die Hauptform der Buchbenutzung sei, »andere Formen […] wie das Interpretieren, Systematisieren, Schreiben, Beten und Singen werden als Bedingung, Fortsetzung oder Alternative des Lesens angesprochen« (S. 205). Beunruhigend ist dabei, dass diese Adaptation der »historischen Leseforschung« ahistorische Wahrheiten im Blick hat, deren Ewigkeitsanspruch hier einmal mehr als anthropologische Konstante deklariert wird.

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Was »eigentliche« und »uneigentliche« Buchnutzung ist, unterliegt einer massiven historischen Tektonik. Diese gerät leider nicht in das Blickfeld der Autorin. Sie kann zwar durch Analyse der Inventare der fürstlichen Kammern und der Schlossbibliothek zeigen, dass die von Spangenberg geforderte konfessionelle Bindung von »gutem Buch« und gutem Leben überall im Herzoglichen Schloss praktiziert wurde. Stets findet sich zur Zweckbestimmung der Bücher die passende Auswahl von wissenschaftlichen Instrumenten und von Porträts, Uhren und Spiegel werden symbolträchtig als Mahner zur geflissentlichen Bildung des Geistes aufgestellt (S. 230–251). In den Frauengemächern, wo die Einrichtung zunächst zurückhaltender war, wird im Laufe der Jahre nachgerüstet (S. 257). Doch bemerkt Shevchenko eher am Rande, dass der Herzog nur gegenüber Gelehrten von seinen Studien spricht (S. 303) und »weibliches Lesen« überhaupt nie thematisiert wird (S. 304). Die Autorin vermeidet die Frage, wie viel Zeremonialhandlung in einer solchen Raumgestaltung und in solchen doch offenbar gezielten Äußerungen des Herzogs enthalten sein mag.

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Das wäre für eine methodische Selbstkritik hilfreich. Shevchenko kann zwar zeigen, dass es für Albrecht eine Hierarchie der Bücher gab (S. 296): Die Bibel, Luthers Werke und dann die weiteren religiösen Schriften. Albrecht plädierte für penibles, mehrfaches Lesen gerade dieser Bücher (S. 298). Seine unermüdliche Schreibtätigkeit – autographe Glossierung von Büchern hier, Eintragung von eigenen Gebeten dort – lässt sehr wohl erkennen, dass es ihm selbst ernst damit war. Doch ist das alles? Gibt es nicht neben der persönlichen, biographischen Seite auch eine öffentliche? Handelt hier nur der gläubige Lutheraner Albrecht von Brandenburg oder inszeniert sich hier nicht auch – und durchaus auch vor der Kulisse der Nachwelt – der in Reichsacht gebannte Landesfürst, auf dessen Leben der untilgbare Schatten des gebrochenen Eides gegen Papst und Deutschem Orden lag? Denn zu den Besonderheiten des »guten Buchs« gehört, dass man es auch bloß dafür erwerben kann, um es zu besitzen, d.h. aus repräsentativen Gründen oder um das Gewissen zu beruhigen.

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Diese Janusköpfigkeit, auf der Albrechts historische Leistung basiert, sucht man bei Shevchenko vergebens, wie überhaupt die Persönlichkeiten des Herzogs und seiner Familienmitglieder extrem blass bleiben. Shevchenko arbeitet mit Akribie und bewundernswerter Quellenkenntnis die Selbstinszenierung des Herrscherpaares heraus, ohne jemals aus dem System dieser Inszenierung auszubrechen. Methodisch wäre ein Ausbruch nur möglich, wenn man die Definition der »eigentlichen« Buchnutzung nicht a priori (»anthropologisch«) setzt. Die nie abreißende Neuproduktion von Bibeldrucken und Ausgaben von Luthers Werken lässt eben gerade nicht erwarten, dass all diese Exemplare für das penible und mehrfache Lesen geschaffen wurden – ebenso wenig wie im katholischen Bereich alle Exemplare des Corpus iuris canonici dafür bestimmt waren (oder heutige Goethe-Ausgaben). Auch Herzog Albrecht, so viel er las, las keineswegs alle Bücher, die er um sich versammelte und versammelte keineswegs all diese Bücher um sich, um sie zu lesen. Er wollte und musste sich als perfekter lutherischer Herrscher inszenieren, weil die juristische Legitimation seiner Herrschaft in weiten Teilen Europas zumindest als zweifelhaft galt.

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Das führt zu einer letzten Frage. Gab es am preußischen Herzoghof »schlechte« Bücher? Nur das öffentlich als »schlecht« diffamierte Buch, dessen Besitz man verschweigen oder zumindest verteidigen muss, wird – wenn es denn überhaupt beschafft wird – tatsächlich einzig zu dem Zweck erworben, um es zu lesen. Hier geht es nicht primär um Erotika, an die der heutige Leser denken mag, sondern um »Ketzerschriften« wie z.B. De trinitatis erroribus libri VII (1532) des auf Calvins Betreiben hingerichteten Michael Servetus (1511–1553). Diese Schrift wurde von beiden großen Konfessionen gleichermaßen verfolgt, so dass sich kaum ein Drucker traute, sie in die Presse zu geben. Ebenfalls während des gesamten 16. Jahrhunderts umstritten waren die hebräischen Bücher. Luther, der sie zunächst intensiv rezipierte, verwarf sie schließlich.

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Was tat Albrecht? Er empfahl nach zweifacher Lektüre am 7.4.1543 – in einem Brief an Spalatin, der darüber gewiss an Luther weiter berichtete – des Reformators deutzsches Buchlein wider die Juden, und Jre leugenn … als ein heilsam werck (S. 296). Dieses berüchtigte Pamphlet forderte die Zerstörung der Synagogen und die Einziehung aller hebräischen Bücher. Leider kommentiert die Verfasserin diese Stelle nicht. Darum sei hier nachgetragen: Aus Albrechts Sicht waren Fragen nach Synagogen und hebräischen Büchern graue Theorie, denn es gab im Herzogtum keine jüdischen Gemeinden. Ein Jahr vor des Herzogs Tod, 1567, wurden auf Drängen der preußischen Stände schließlich alle Juden aus dem Herzogtum ausgewiesen 1 . Doch abseits von solcher Tagespolitik war Albrecht zweifelsohne wissbegierig genug, um sich auch für solches Schrifttum zu interessieren, Reuchlins Augenspiegel, der den Besitz von hebräischen Büchern verteidigt, wird er gekannt haben. Natürlich hat er solche Werke nicht in die Kammerbibliothek gegeben und schon gar nicht in Silberdeckel gebunden. Die Stätte dafür wäre die Schlossbibliothek gewesen, wo auch die papistischen Bücher aus seiner Hochmeisterzeit lagerten. Was also gab es an »bösen Büchern« im lutherischen Königsberg? Darauf gibt es derzeit keine Antwort, weil die Quellen danach nicht befragt wurden.

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Abschluss

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Die Wertung einer Untersuchung hängt stark davon, mit welchen Prämissen man an sie herangeht. So muss sich jede heuristische, quellenbasierte Arbeit gegen den rasch zu erhebenden und nie ganz zu widerlegenden Vorwurf wappnen, es sei ja keine Wissenschaft, sondern Fleißarbeit. Shevchenko wollte diesem möglichen Angriff dadurch entgehen, dass sie ihr Werk als »historische Anthropologie des Buches« auch möglichst hoch auf der Theorieebene ansiedelte. Dies kann nicht als geglückt bezeichnet werden. Nicht die Theoretiker der Kommunikation oder des sozialen Diskurses werden von diesem Buch profitieren – dazu ist es viel zu sehr mit Quellenarbeit gefüllt –, sondern die Heuristen, die aber ihrerseits eine solche Fundierung für ihre Methode gar nicht suchen, da für sie nicht die Quellenforschung eine deduktive Stütze durch die Theorie suchen muss, sondern umgekehrt die Theorie induktiv aus den Quellen gewonnen werden muss.

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Es wäre mehr zu gewinnen, wenn die Autorin ihre theoretische Kompetenz auf einer niedrigeren Ebene nutzbar gemacht hätte, etwa im Rahmen der Debatte um das Verhältnis von Reformation und Humanismus, oder zu einem Vergleich der beobachteten Phänomene mit anderen, wo möglich katholischen, Fürstenhöfen.

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Dennoch ist Shevchenkos Buch für die Erforschung der preußischen Landesgeschichte ein wirklicher Glücksfall. Es bietet die Möglichkeit, die Herzogsfamilie und ihre bis heute wirksame suggestive intellektuelle Selbstinszenierung kennenzulernen und über die reichhaltigen Fußnoten mittels belastbarer Quellennachweise weiter erforschen zu können. Unverkennbar ist z.B., dass nach dieser Untersuchung die Interessen und die Persönlichkeit des ersten preußischen Herzogs einer neuen kritischen Analyse unterworfen werden müssen. Ferner ist die akribische Aufdeckung von Quellen zur geschlechtsspezifischen Unterschieden in der Lesepraxis hervorzuheben (zusammenfassend: S. 328–330), die Nachahmung für andere Regionen verdient haben.

 
 

Anmerkungen

Vgl. Michael Brocke, Margret Heitmann und Harald Lordick (Hg.): Zur Geschichte und Kultur der Juden in Ost- und Westpreußen (Netiva – Wege deutsch-jüdischer GeschichteundKultur). Hildesheim 2000, S. 19. Die Situation hatte sich also gegenüber der Ordenszeit erheblich verschärft. Albrecht wird dennoch als »Gestalter eines von konfessioneller Toleranz geprägten Humanismus« bezeichnet (S. 19) – ältere Darstellungen sehen ihn eher, wie anscheinend auch Shevchenko – als strengen Lutheraner, der allenfalls innerhalb des Protestantismus Toleranz walten ließ, vgl. z.B. Erich Roth: Albrecht von Preußen als Osiandrist. In: Theologische Literatur-Zeitung 1 ( 1953 ), S. 55–64.   zurück