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Schöne neuzeitliche Medienwelt

  • Johannes Burkhardt / Christine Werkstetter (Hg.): Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit. (Historische Zeitschrift. Beiheft. Neue Folge 41) München: Oldenbourg 2005. VII, 564 S. 26 Abb. Broschiert. EUR (D) 94,80.
    ISBN: 3-486-64441-6.
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Die »Unwahrscheinlichkeit« der Kommunikation, so wissen wir spätestens aus der Lektüre Niklas Luhmanns, hemmt den Aufbau sozialer Systeme. Das Dilemma mangelnder Verständigung bedürfe daher der Entwicklung geeigneter Medien, die an »jenen Bruchstellen der Kommunikation ansetzen und funktionsgenau dazu dienen, Unwahrscheinliches in Wahrscheinliches zu transformieren«. 1 Somit könne man »den Prozeß der soziokulturellen Evolution begreifen als Umformung und Erweiterung der Chancen für aussichtsreiche Kommunikation, um die herum die Gesellschaft ihre sozialen Systeme bildet«. 2 Die Geschichte der Medien führt folglich ins Zentrum gesellschaftlicher Entwicklung, ihre Innovationen und Impulse markieren die Zäsuren epochalen Wandels.

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Aufbruch in die Gutenberg-Galaxis?

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»Beginnt die frühe Neuzeit mit dem Buchdruck«, so lautet demgemäß die provokante Eingangsfrage des Bandes. Behandelt wird sie im Rahmen einer in Schriftform gebrachten Podiumsdiskussion. Dieses einführende »Medienexperiment« (S. 3) spiegelt indes weniger kontroverse Debatten als erratische Meinungsblöcke, die kaum eine Annäherung der Positionen zulassen. So akzentuiert der Kommunikationswissenschaftler Michael Giesecke unter wiederholtem Rekurs auf sein ›Buchdruck-Buch‹ das innovative Potential der typographischen Technik zur interaktionsarmen Vernetzung und damit zur Normierung psychischer Informationsverarbeitung sowie zur Generierung einer veränderten Weltsicht. Hier springt ihm Johannes Burkhardt mit einer groß angelegten Fortschrittsskizze bei. Das nahezu exponentielle Wachstum der Druckerzeugnisse um 1517 habe die großen Zäsuren von Reformation und Bauernkrieg nicht allein begleitet, sondern ursächlich angestoßen. Erst die typographische Textproduktion konnte eine massenwirksame, bibelzentrierte ›Medientheologie‹ und damit eine neuartige ›reformatorische Öffentlichkeit‹ hervorbringen. Den monolithischen Charakter des Buches als kulturelles Leitmedium zieht hingegen Gudrun Gersmann mit Blick auf die derzeitigen Digitalisierungsprozesse in Zweifel. Überzeugend verweist zudem Werner Faulstich unter historisch weitgestelltem Fokus auf eine ganze Reihe von Impulsen, die für einen epochemachenden Wandel der Medienkultur verantwortlich zeichnen: Papierherstellung, Blockdruck und Holzschnitttechnik lassen ihn eine erste Zäsur bereits um 1400 ansetzen. Die Dominanz der Druckmedien habe hingegen erst um 1700 eingesetzt, technische Innovationen hätten schließlich ab 1830 für eine neuartige Massenwirksamkeit der Medienlandschaft gesorgt.

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Printmedien zwischen Postvertrieb, Profit
und Publikumsinteresse

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Die weiteren Beiträge des Bandes scheinen dieser Position weitgehend Recht zu geben, bereichern sie jedoch um wesentliche Facetten. So operiert Wolfgang Behringer zwar mit dem Konzept einer ›Kommunikationsrevolution‹, die allerdings als »langfristiger, systematisch verwobener Umwälzungsprozeß« (S. 53) zu deuten sei. Nicht mit dem Buchdruck, sondern mit Etablierung des Postwesens, der »Taxis-Galaxis« um 1500 und deren »Take-Off« im 17. Jahrhundert (S 49), sei eine strukturell neuartige Beschleunigung historischer Prozesse eingetreten. Mit der Erfindung Gutenbergs sei »auf keinen Fall ein in harter Bruch in der Mediengeschichte zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit« (S. 58) zu konstatieren, so urteilt im Anschluss daran Stefan Füssel. Die von ihm eingeleitete Sektion über klassische Druckmedien legt verschiedene Schichten der typographischen Informationsverbreitung frei. So dokumentiert Ute Schneider die mit der neuen Technologie verknüpfte Ausweitung des Wissensmarktes, der freilich von einer engen Interaktion zwischen Verlegern, Buchführern und Lesepublikum gekennzeichnet war und erst allmählich neue Programmsegmente erschloss. Hierzu zählt die mediale Verbreitung politischer Sinnzuschreibungen mittels Flugschriften, die Silvia Serena Tschopp anhand der ›Magdeburger Hochzeit‹ 1631 exemplarisch erschließt. Dabei zeigt sich eine Verwurzelung der drucktechnisch verbreiteten Bild- und Sprachbotschaften in der allegorischen Topik von Antike und Mittelalter. Die regelmäßige Publikationsform der periodischen (Zeit-)Schriften als Medium kritischer Diskussionskultur gelangte nach den Ausführungen Holger Bönings hingegen erst an der Wende zum 18. Jahrhunderts zum Durchbruch und vermochte vornehmlich im letzten Jahrhundertdrittel eine kritische Öffentlichkeit zu konstituieren.

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Diverses: Dorfklatsch, Wirtshaustratsch
und Rathausgeschichten

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Das Fortbestehen traditioneller Orte des Informations- und Meinungsaustausches, aber auch deren schrittweise Umgestaltung belegt die von Gerd Schwerhoff eingeleitete Sektion über den »Kommunikationsraum Dorf und Stadt«. Werner Freitag kann am Beispiel der katholischen Dorfkirche im Kontext der tridentinischen Reform neue Ansprüchen an Reinlichkeit und Andachtsausstattung belegen. Die im »Prozeß der Sozialdisziplinierung« (S. 156) fortschreitende funktionale Zentrierung der Kirchenräume auf die individuelle Devotion der Gläubigen steht in deutlichem Kontrast zur stark aufgefächerten Kommunikationssphäre des frühneuzeitlichen Rathauses. Das ›multifunktional‹ genutzte Gebäude bewährte sich dabei nach Ansicht Christopher R. Friedrichs als Kommunikationsraum im Spannungsfeld obrigkeitlicher Arkanpolitik und bürgernaher Transparenz. Dass die Besetzung sozialer Räume die Strategien dörflicher Kommunikation in Konflikt und Streitschlichtung wesentlich prägte, belegt die facettenreiche Studie Maria Heideggers. Die Verknüpfung traditioneller Orte des Informationsaustausches mit den neuen typographischen Verbreitungsmedien und einer zunehmenden konfessionellen Polarisierung kondensierte in den von Dagmar Freist untersuchten englischen Wirtshäusern in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu neuen Ausdrucksformen politischen Partizipationswillens.

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Seuchen, Pleiten und Indianerüberfälle –
Kommunikation lohnt sich

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Gerade diese kreative Vernetzung oraler Traditionen mit den Möglichkeiten beschleunigter Mobilität und effektiverer Informationsverbreitung kennzeichnet die im dritten Untersuchungsabschnitt behandelte Kommunikation zwischen Reich und Region. Wie die Beiträge von Dietmar Heil und Christine Werkstetter belegen, unterstützte das Zusammenwirken von Netzwerken, Institutionen und Nachrichtentechnologien die Konsensfindung im konfessionell gespaltenen Reichstag und sorgte im Katastrophenfall der Pest für eine effektive Seuchenbekämpfung. Ähnliches gilt für die im vierten Vortragskomplex beleuchtete globale Dimension frühneuzeitlicher Kommunikation. In den Studien Christl Karnehms zum Korrespondenznetzwerk Hans Fuggers sowie Martin Stuber zum Briefkorpus Albrecht von Hallers wird dabei indes nicht dem Printmedium, sondern dem handschriftlich verfassten und institutionell beförderten Brief ein zentraler Anteil an der wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Vernetzung Europas zugeschrieben. Den hohen Stellenwert nicht allein fremdsprachlicher sondern auch kultureller Kompetenzen stellt zudem Mark Häberlein am Beispiel der Indianer-Diplomatie des kolonialen Nordamerika heraus.

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Kommunikation mit Nebenwirkungen

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Aus der gesteigerten Intensität medialer Interaktion resultierten zugleich veränderte Strategien sowohl der Über-, als auch der Des- und Nichtinformation. Sie fasst unter den Stichworten ›Propaganda, Geheimhaltung, Nachrichtennetze‹ der von Sabine Doering-Manteufel vorgestellte Untersuchungskomplex zusammen. Sie selbst untersucht darin die bis heute nachwirkende Verbreitung antijesuitischer Polemiken. Konspiratorischer Charakter wurde von Seiten österreichischer Religionskommissare auch den krypto-protestantischen ›Ketzergruppen‹ zugeschrieben. Regina Pörtner analysiert in ihrer instruktiven Skizze nicht nur die Dissimulationstechniken der konfessionellen Außenseiter. Sie belegt zugleich die Bedeutung tradierter Lesefähigkeit und gedruckter Glaubenslehren bei der Bewahrung religiöser Überzeugungen. Als maßgebliches Medium reformatorischen Gedankenguts tritt der Buchdruck hier allerdings erst zwei Jahrhunderte nach der von Giesecke und Burkhardt postulierten Zeitenwende hervor.

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Interaktion und Individualisierungsschub

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Angesichts der in nahezu allen Beiträgen thematisierten Heterogenitäten und Ungleichzeitigkeiten in Gebrauch und Breitenwirkung der neuen Druckmedien muss es erstaunen, wenn am Ende des Bandes noch einmal »die Frühe Neuzeit als Umbruchszeit mit epochaler Kohärenz« (S. 552) beschworen wird. Gerade die theoretisch vorzüglich fundierten Reflexionen Rudolf Schlögls zur Körperkommunikation zeichnen das Bild einer erst an der Schwelle zum 18. Jahrhundert vollzogenen Wende. Die zu Beginn der Epoche fassbare Kultur körperlicher Präsenz habe in der städtischen Politik an strukturbildender Bedeutung verloren. Während körperbezogene Praktiken in Religion und Wirtschaftsleben schrittweise abgelöst wurden, stieß auch »die Leistungsfähigkeit der Interaktionskommunikation in den funktional bestimmten und organisatorisch ausgeformten Sozialbezügen von Herrschaft und Politik an ihre Grenzen« (S. 559). Entsprechend verweist Mark Hengerer in seinem Beitrag zur Medialität höfischer Körper auf die potentielle Störung zeremonieller Zeichensetzung durch Körpersignale. Ergebnis sei daher letztlich eine »Lockerung des engen Zusammenhangs von körperlicher Kopräsenz und Sinnproduktion« (S. 545) gewesen. In gleichem Maße, in dem der Körper als Zentrum der intersubjektiven Ehrkommunikation zurücktrat, so Schlögl, habe eine Akzentverschiebung in Richtung individueller Authentizität und Aufrichtigkeit stattgefunden. Die von Stefan Haas thematisierten emphatischen Ausdrucksformen von Liebe und Zuneigung stellten demnach ein zukunftsweisendes, von gesellschaftlichen Zwängen abgegrenztes Sonderrefugium dar. Franz-Josef Arlinghaus kann indes in seinem kenntnisreichen Aufsatz über die symbolische Rollenzuweisung im Gerichtswesen des 14. bis 17. Jahrhundert einer Teleologie »von den starren Auffassungen des Mittelalters zu differenzierten Konzepten der Neuzeit« überzeugend widersprechen. Die Verschiebungen in der Rollenmarkierung von ritualisierter Selbstpräsentation zu räumlicher Statusdifferenzierung stellen aus seiner Sicht lediglich diskursive Varianten eines gleichbleibenden Kommunikationszusammenhangs dar.

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Punktuelle Revolutionen?

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In der Zusammenschau der Beiträge wird man tatsächlich weder von einer zeitlich punktuell einsetzenden Medienrevolution, noch von einer linear verlaufenden Evolution der Kommunikationskultur oder einer epochenübergreifenden Prozesshaftigkeit sprechen können. Von ihrer jeweiligen analytischen Warte aus akzentuieren die einzelnen Autoren eigene, zeitlich und räumlich stark divergierende Wendepunkte und Entwicklungsschübe der frühneuzeitlichen Kommunikationsgeschichte. Gerade das in Theorie und Terminologie der Leitbegriffe ›Kommunikation‹ und ›Medien‹ bewusst offene Konzept des Bandes trägt jedoch dazu bei, die tiefgreifende Wirkung medialer Phänomene auf die soziale, religiöse und politische Praxis ihrer Zeit in zahlreichen Facetten zu erhellen. Künftige Forschungen werden von dieser Perspektiven- und Methodenvielfalt zweifellos profitieren.

 
 

Anmerkungen

Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt/M. 1984, S. 220.   zurück
Ebd., S. 219.   zurück