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Gestirn und Literatur im 20. Jahrhundert

  • Maximilian Bergengruen / Davide Giuriato / Sandro Zanetti (Hg.): Gestirn und Literatur im 20. Jahrhundert. Frankfurt/M.: S. Fischer 2006. 352 S. Broschiert. EUR (D) 13,95.
    ISBN: 978-3-596-16780-7.
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Den Herausgebern des Bandes Gestirn und Literatur im 20. Jahrhundert, Maximilian Bergengruen, Davide Giuriato und Sandro Zanetti, ist ein wichtiger, perspektivenreicher und methodisch vielfältiger Beitrag zur Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Gestirn im 20. Jahrhundert gelungen. Die Beiträge, die auf das vom 15. bis 17. Januar 2004 in Basel abgehaltene, gleichnamige Symposium zurückgehen, untersuchen »das vielschichtige Beziehungsgefüge, das im 20. Jahrhundert zwischen dem Bereich des ›gestirnten Himmels‹ und jenem der Literatur geknüpft wurde […].«(S. 9) Schon der Titel des Bandes »Gestirn und Literatur« – statt »Gestirn in der Literatur« – zeigt an, dass es den Herausgebern auch um eine methodische Abgrenzung zu »rein motivischen Zugangsweisen« (S. 9 f.) geht: Das Beziehungsgefüge zwischen Literatur und Gestirn wird in den insgesamt 20 Beiträgen auf seine poetologischen, methodologischen, wissensgeschichtlichen und geschichtsphilosophischen Bedeutungen hin untersucht. Diesen vier Blickwinkeln ist auch die Struktur des Buches verpflichtet, das sich in die Abschnitte »I: Literarische Poetiken«, »II: Programmatische Entwürfe«, »III: Figuren des Wissens« und »IV: Historiographien« gliedert.

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Stern und Wort

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Die fünf Beiträge des ersten Abschnittes, »Literarische Poetiken«, eröffnen eine Perspektive, aus der die in der Literatur des vergangenen Jahrhunderts oftmals erloschenen oder entstellten siderischen Leitbilder als für die poetischen Verfahren der Texte konstitutiv gedeutet werden. Anhand von Werken Franz Kafkas, Walter Benjamins (Davide Giuriato), Rainer Maria Rilkes (Wolfram Groddeck), Hans Henny Jahns (Martin Jörg Schäfer), Paul Celans (Anja Lemke) und Samuel Becketts (Andres Gelhard) werden Lektüren entwickelt, die den poetologischen Implikationen dieser beschädigten siderischen Leitbilder nachspüren. Besonders produktiv wird ein solches Interesse in jenen Beiträgen, in denen der Verlust siderischer Leitbilder auch als Verlust eines intakten Sprachdenkens gedeutet wird.

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So gelingt es Davide Giuriato in »Finsternis (Franz Kafka – Walter Benjamin)« anhand von Benjamins In der Sonne und seinem Essay über Franz Kafka sowie dessen Beschreibung eines Kampfes und Die Sorge des Hausvaters zu zeigen, dass der nächtliche Himmel beiden Autoren Anlass für erkenntnis- und sprachkritische Reflexionen geworden ist: Das Erlöschen der Sterne, das sich bei Benjamin und Kafka durchaus verschieden (bei Kafka etwa in Form der sternförmigen Zwirnspule »Odradek«) inszeniert findet, geht, so Giuriato, mit einer Abkehr von den Sternen selbst und einer Zuwendung zu ihrer Benennung einher. Aus dem Himmel als einer Metapher für Erkenntnis ist hier eine Metapher für die Sprache geworden; einer Sprache allerdings, die sich durch ihre Unverfügbarkeit auszeichnet und die zugleich als Sprache der Dichtung lesbar wird, die sich, nachdem ihr der Sternenhimmel abhanden gekommen ist, in ihrer eigenen Orientierungslosigkeit zu erkennen gibt.

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Einer anderen Form von poetischer Reflexion anhand des Siderischen geht Wolfram Groddeck nach, der in seiner Lektüre von Orpheus. Eurydike. Hermes, der 7. Strophe der 10. Duineser Elegie und drei Passagen aus den Sonetten an Orpheus die entstellten und trügerischen Sterne und Sternbilder in Rilkes Lyrik in den Blick nimmt: In Rilkes Formulierung von den »entstellten Sternen–:« 1 sieht Groddeck nicht nur die Erinnerung an Orpheus’ Schmerz, dessen physische Entstellung, ausgedrückt, sondern versteht sie poetologisch gelesen auch als Sterne, »die aus ihrer gewohnten Ordnung in Sternbildern und damit auch aus ihrer Lesbarkeit herausgelöst sind und die neu zu konstellieren, zu entziffern und zu deuten wären« (S. 44). Während er das Sternbild »M« aus der 10. Duineser Elegie als Umkehrung, als »entstelltes« Sternbild der Kassiopeia, das einem W (einem umgekehrten M) gleicht, versteht, impliziert für ihn die Rede von den trügerischen Sternbildern im 11. Sonett an Orpheus die Möglichkeit, neue Sternbilder herzustellen. Schließlich lässt sich das Sternbild aus dem 8. Sonett an Orpheus, das einerseits auf Ovid referiert und zugleich »eine neue orphische Poetologie entwirft« (S. 50), nach Groddeck auch als Metapher der Verschriftlichung lesen. Groddecks Mikrolektüren verbindet der Befund, dass sich Rilke eines poetischen Verfahrens der »Dekonstellation« (S. 51) bedient: einer Praxis des Umschreibens mythologischer Bilder, mit der eine Um- und Entstellung der Sterne zu einem neuen poetischen Sternenhimmel einhergeht, der sich aber einer interpretatorischen Fixierung entzieht.

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Stern und Manifest

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Während es im ersten Abschnitt um Poetologien geht, die in der Literatur mit eingeschlossen sind, widmet sich der zweite, »Programmatische Entwürfe«, Manifesten und programmatischen Schriften, in denen Sternbilder in expliziter Weise für die (Selbst-)Bestimmung der Literatur in Anspruch genommen werden. Besonders in diesem Teilabschnitt wird die komparatistische Anlage des Buches sichtbar: Behandelt werden Texte von Stéphane Mallarmé und Velimir Chlebnikov (Sylvia Sasse und Sandro Zanetti), Walter Benjamin (Malte Kleinwort), Georges Bataille (Inés Mateos) und Eugen Gomringer (Madleen Podewski). Am aufschlussreichsten sind hier jene Beiträge, die die Funktionen der Gestirne für die Propagierung von Schreibweisen und Literaturtheorien konkret bestimmen.

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In einer vergleichenden Analyse von Gedichten und theoretischen Reflexionen Mallarmés und Chlebnikovs gehen Sylvia Sasse und Sandro Zanetti davon aus, dass sich beide Autoren ungeachtet der verschiedenen politischen Umstände bei ihrer jeweiligen Suche nach einer universalen Sprache an den Sternen orientierten. Anhand von Mallarmés Gedicht Ein Würfelwurf wird nie den Zufall tilgen und Chlebnikovs Entwurf einer Sternsprache konstatieren Sasse und Zanetti ein Verfahren der Reduktion sprachlicher Bedeutung zugunsten einer Aufwertung des Schriftbildlichen (bei Mallarmé) beziehungsweise akustischer Facetten eines Wortes (bei Chlebnikov). Das Zurücktreten der Bedeutung, so die beiden Autoren, wird sowohl von Mallarmé als auch von Chlebnikov als Zurücktreten des Tageslichts zugunsten des Lichts der Sterne (des Schriftbilds beziehungsweise der Akustik) inszeniert. Beide Dichter hätten dabei in ihren poetischen Texten auch den Leser im Kalkül, dem durch diese Schreibverfahren neue Bestimmungen und Relationen bekannter Phänomene eröffnet würden.

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Von der Inanspruchnahme des Siderischen zur Positionsbestimmung des Lesers schreibt auch Inés Mateos, wenn sie anhand von L’œil pinéal und der Erzählung Histoire del’œil Georges Batailles Nachdenken über die Sonne, besonders seiner Idee eines anderen In-Beziehung-Tretens des Menschen zur Sonne nachgeht, die sich in seiner Vorstellung von einem dritten Auge am Scheitel manifestiert. Mateos Interesse gilt hier weniger den vom Blick in die Sonne gezeichneten literarischen Figuren als den Implikationen von Batailles Modell für eine Theorie der Literatur: Das Einbeziehen des Menschen in die solare Ökonomie der Verschwendung sei, so die Autorin, auf das Autor-Leser-Verhältnis zu übertragen, wodurch das Modell einer »Literatur der Entgrenzung« (S. 145) entworfen wurde, in dem es keine Position der Distanz, keine Grenze, sondern ein absolutes Involviert-Sein gäbe.

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Madleen Podewski gelingt es schließlich, Eugen Gomringers Programm einer ›Konkreten Poesie‹ weniger aus sprachtheoretischen Prämissen als aus seiner Orientierung am Sternenhimmel herzuleiten. Die vielschichtigen Implikationen, die Gomringers oft behauptete, und nicht zuletzt in der Bezeichnung ›Konstellation‹ zum Ausdruck gebrachte Anleihe an Sternbildern bergen, entfaltet Podewski dann vor dem historischen Kontext ihres Auftretens: Das Naheverhältnis von Gestirn und Literatur bedeutet hier erstens, dass die Dichtung in eine ebenso »kosmische[ ] Ferne« (S. 158) gerückt ist; zweitens aber impliziert es auch – da die Literatur nun physikalisch berechenbarer wird – ihre De-Mystifikation. Mit letzterer Implikation, so Podewski, gehe eine Anknüpfung an Techniken der Zeit einher, die der Vorstellung einer Entkoppelung von Lyrik und Gesellschaft, wie sie in den 1950er Jahren diskutiert wurde, entgegensteht.

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Stern und Wissen

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Die sechs Beiträge des dritten und längsten Abschnittes »Figuren des Wissens« gehen aus verschiedenen Perspektiven den Überschneidungen nach, die sich beim Sprechen über Gestirne zwischen der Literatur und anderen Diskursen zeigen. Die unterschiedlichen Diskurse, die dabei herangezogen werden und die verschiedenen Methoden, mit denen ihr Verhältnis zur Literatur bestimmt wird, stehen einerseits für die Vielfalt dieses Kapitels, andererseits aber auch für die Unschärfe und Offenheit, die den Begriff des ›Wissens‹, der von den Herausgebern dieses Buches theoretisch unreflektiert bleibt, gegenwärtig bestimmt.

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Das Verhältnis von literarischem und naturwissenschaftlichem Diskurs wird in Beiträgen über Hugo von Hofmannsthal (Jochen Thermann), Gottfried Benn (Marcus Hahn) Hermann Broch (Andrea Albrecht und Christian Blohmann) und Arno Schmidt (Stefan Willer) in den Blick genommen.

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Andrea Albrecht und Christian Blohmann zeigen anhand von Hermann Brochs Roman Die unbekannte Größe, wie Broch den in den exakten Wissenschaften seiner Zeit gestellten, aber von ihnen nicht erfüllten Anspruch, eine Totalität des Lebens zu erstellen, zur Forderung an sein eigenes literarisches Schreiben macht. Diesem Anspruch kommt Broch durch eine an James Joyce geschulte »poetische »Simultantechnik«« (S. 220) nach, durch die es gelingt, eine Verdichtung von Symbolstrukturen zu erreichen, die sich zu einem Totalitätsbild zusammenfügen. Besonders die Sterne, so die beiden Autoren, waren für Broch Symbol, um diesem in der Wissenschaft gestellten Anspruch mit den Mitteln der Literatur beizukommen.

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Zu einer anderen Verhältnisbestimmung zwischen Literatur und Astronomie gelangt Stefan Willer anhand einer Reihe von Texten Arno Schmidts: Die tabellarischen Aufschreibsysteme der zeitgenössischen Astronomie, so Willer, dienten Schmidt dazu, seine eigene Poesie zu formalisieren, was sich einerseits in den Prämissen von Genauigkeit und Wirklichkeitstreue und andererseits in Schmidts Berechnung des Scheins – Berechnungen ist auch der übergreifende Titel einer Reihe von Schmidts Texten aus den 1950er Jahren – manifestiert. Das Sprechen über die Gestirne, so der Autor, sei bei Schmidt schließlich als Analogon zum irdischen Geschehen zu lesen. Indem Willer gerade den verschiedenen Orientierungen Schmidts an der Astronomie nachgeht, zeigt er, dass diese in dessen Werk durchaus gegensätzliche Funktionen hat.

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Anderen diskursiven Überschneidungen als denen von Literatur und Astronomie widmen sich Beiträge über Maragrete Susman und Franz Rosenzweig (Andreas B. Kilcher) und Rainer Maria Rilke (Caroline Torra-Mattenklott).

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Andreas B. Kilcher stellt in seinem Beitrag über die verschiedenen Deutungen von Franz Rosenzweigs 1921 erschienenem Stern der Erlösung durch Maragrete Susman sowohl das in der jüdischen Tradition bestehende Spannungsverhältnis zwischen Sternenkult und Monotheismus als auch die politischen Kontexte von Susmans Rosenzweig-Lektüren in Rechnung. Während Susman Rosenzweigs Stern 1936 noch als ebenso »universales, siderisches Symbol« (S. 250) wie »spezifisch jüdisches Symbol« (S. 250) liest, durch das – entgegen der Tendenz der Zeit – die Wiederherstellung des Verhältnisses Mensch-Welt-Gott propagiert wird, ist ihr derselbe Stern 1965, nach dem Zweiten Weltkrieg, zum Symbol einer Wiederherstellung der politischen Ordnung geworden.

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Einer wiederum anderen Relation geht Caroline Torra-Mattenklott in ihrem materialreichen Beitrag »Das Sternbild als ›Pathosformel‹. Zur Poetik der Abstraktion in Rilkes zehnter Duineser Elegie« nach, wenn sie Rilkes Sternbilder unter der Perspektive von Aby Warburgs Konzept der ›Pathosformel‹ beschreibt: Warburgs Modell, ein ursprünglich aus dem Studium der Ausdrucksgebärde gewonnener Begriff, bezeichnet eine Form der Rezeption unter den Vorzeichen der Abstraktion und Ent-Kontextualisierung, welche die Autorin in Rilkes ästhetischer Aneignung von Sternbildern wieder erkennt. Eine zusätzliche Überschneidung zwischen dem Kunsthistoriker Warburg und dem Dichter Rilke macht Torra-Mattenklott deutlich, wenn sie Rilkes Sterne nicht nur als Archiv verschiedener kultureller Bilder, sondern auch als Reflexion über die Möglichkeiten literarischen Erinnerns liest und dabei Verbindungen zu Warburgs Theorie des sozialen Gedächtnisses schlägt.

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Stern und Geschichte

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Im vierten und letzten Abschnitt, »Historiographien«, in dem die Literatur nach 1945 in verstärktem Maße Thema ist, sind Beiträge zu Georg Trakl (Maximilian Bergengruen), Thomas Mann (Alexander Honold), Friedrich Dürrenmatt, Italo Calvino, Cees Nooteboom (Monika Schmitz-Emans) und W.G. Sebald (Claudia Öhlschläger) versammelt. In den genannten Beiträgen wird den verschiedenen Funktionen der Gestirne für historiographische Entwürfe nachgegangen, wobei besonders jene Beiträge überzeugen, in denen die beiden Bereiche in ein unmittelbares Naheverhältnis gesetzt werden.

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In einer mikroskopischen Lektüre erklärt Maximilian Bergengruen die Differenz der beiden Textstufen von Georg Trakls Gedichtzyklus Abendland II aus dessen Aneignung von Eichendorffs Mondnacht-Gedicht. Anhand einer Reihe sprachlicher Analogien macht Bergengruen seine These evident, wobei es ihm dann besonders um die gegensätzlichen Implikationen dieser Ähnlichkeiten sowie um die historisch-politische Einbettung von Trakls Eichendorff-Lektüre geht: Indem Trakl – in einer Antithese zu Eichendorff – den Wäldern und Sternenhimmeln die apokalyptische Katastrophe (des Ersten Weltkriegs) einschreibt, führt er indirekt eine pseudodarwinistische Denkfigur seiner Zeit ad absurdum, die das ganze Leben und die Natur zwar als Krieg deutet, diesen aber, auf Eichendorffs Waldfrieden Bezug nehmend, zugleich poetisch verklärt.

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Während Bergengruen Trakls Eichendorff-Rezeption als eine (Gegen-)Position zu historisch-politischen Standpunkten seiner Zeitgenossen liest und sich damit konkret auf den Kontext der Zeit um 1914 bezieht, entfaltet Claudia Öhlschläger ausgehend von W.G. Sebalds Die Ringe des Saturn ein allgemein-gültigeres Modell des Geschichtsverlaufs: Öhlschläger geht den Funktionen des für Sebalds Roman titelgebenden, kosmologischen Bildes nach und deutet es als Metapher für den zivilisatorischen Kreislauf von Konstruktion und Destruktion. Diese geschichtsphilosophische Dialektik, so die Autorin, lasse sich schon bei Walter Benjamin (Der Saturnring oder Etwas vom Eisenbau) und zuletzt auch in der Gegenwartsliteratur, in Alexander Kluges Die Lücke, die der Teufel läßt, finden.

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Christine Weder beschließt den Band mit einer kritischen Reflexion über Begriff und Konzept der ›Konstellation‹: Die Autorin geht in ihren Ausführungen vom Befund aus, dass es in der Philosophie eine methodische Reflexion über das Konzept der ›Konstellation‹ (›Konstellationsforschung‹) gäbe, dem in der Literaturwissenschaft – wie der reiche Fußnotenapparat ihres Beitrages zeigt – eine Fülle von Publikationen gegenübersteht, an denen sich lediglich eine übermäßige Verwendung dieses Begriffes festmachen ließe. In ihrem methodenkritischen Beitrag macht die Autorin einerseits auf die Reibungen zwischen den Bedeutungsimplikationen der ›Konstellation‹ als Metapher und ihrer Verwendung als methodischer Konzeption aufmerksam, und profiliert sie andererseits als Beschreibungskategorie für die Beziehungen zwischen Texten in Relation zu Michel Foucaults ›Diskursanalyse‹ und Stephen Greenblatts ›New Historicism‹.

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Weders Analyse, die mit einem Plädoyer für ein Konzept der ›Konstellation‹ endet, das »kühn, bisweilen tollkühn, aber nicht völlig beliebig« (S. 337) sein dürfe, problematisiert ebenso wie Malte Kleinworts im zweiten Abschnitt des Buches positionierte, philosophiegeschichtliche Deutung von Walter Benjamins oft bemühtem Satz: »Die Ideen verhalten sich zu den Dingen wie die Sternbilder zu den Sternen« 2 eine allzu vorschnelle und unreflektierte Verwendung des ›Konstellation-Begriffs‹ seitens der Literaturwissenschaft. Mit diesen beiden Beiträgen gelingt es, innerhalb eines Buches, das gerade dem Naheverhältnis von Literatur und Gestirn gewidmet ist, auch eine Stimme hörbar zu machen, die der inflationären literaturwissenschaftlichen Rede von ›Konstellationen‹ kritisch entgegensteht und sich von dieser differenziert.

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Fazit

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Den Herausgebern des Buches kommt ein zweifaches Verdienst zu: zum einen, die von der Literaturwissenschaft weitgehend vernachlässigte Beziehung zwischen Gestirn und Literatur im 20. Jahrhundert in einer perspektivenreichen Studie erstmals in den Blick genommen zu haben; und zweitens, einen methodisch vielstimmigen Sammelband orchestriert zu haben, in dem sich sowohl poetologisch ausgerichtete Lektüren als auch solche einer wissensorientierten Literaturwissenschaft in überaus produktiver Form vertreten finden. Eine kritische Bemerkung wäre allein hinsichtlich des, von den Herausgebern selbst als Defizit verzeichneten Umstands (S. 19, Fußnote 6) zu machen, dass sich keiner der Beiträge die für das Leitthema des Buches so relevante und umfangreiche Science-Fiction-Literatur des 20. Jahrhunderts zum Thema macht. Aber auch hier ist einschränkend zu bemerken, dass es sich die Herausgeber auf dieser ersten systematischen Spurensuche nach literarischen Sternen und Sternbildern im 20. Jahrhundert zu Recht zum Ziel gesetzt haben, den von ihnen behandelten Themenkomplex nicht abzudecken, sondern zu umreißen. So entfaltet der Band ein Kaleidoskop instruktiver Einzelstudien, die zusammen gelesen einen Themenkomplex anzeigen, der Raum für künftige Forschungsarbeiten eröffnet.

 
 

Anmerkungen

Rainer Maria Rilke: Orpheus. Eurydike. Hermes. In: R. M. R.: Werke. Kommentierte Ausgabe in 4 Bänden. Bd. 1: Gedichte 1895–1910. Hg. von Manfred Engel und Ulrich Fülleborn. Frankfurt/M.: Insel Verlag 1996, S. 500–503, hier S. 502.    zurück
Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928). In: W. B.: Gesammelte Schriften. Bd. I.1. Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1976, S. 203–430, hier S. 214.    zurück