IASLonline

Neues aus den Geisterwissenschaften

  • Katrin Schumacher: Femme fantôme. Poetologien und Szenen der Wiedergängerin um 1800 / 1900. (Studien und Texte zur Kulturgeschichte der deutschsprachigen Literatur 6) Tübingen: Francke 2007. 310 S. Kartoniert. EUR (D) 58,00.
    ISBN: 978-3-7720-8209-2.
[1] 

Über Gespenster zu schreiben, ist ein mutiges Unterfangen. Es bedarf der Courage, die Gespinste in eben jenem Medium, der Schrift, anzurufen, in welchem sie sich besonders gern und durchaus nicht nur mit den besten Absichten zeigen. Auf das Spektakel der Heimsuchung durch seinen Gegenstand muss also besonders der Phantomforscher gefasst sein, der in einem geordneten Diskurs, sozusagen auf der lichten Seite, Wissen vermitteln will. Wenn es ein so ernstes wie ironisches Problem gibt, das die Wissenschaft mit dem Phantom haben kann, dann scheint es allererst ein sprachliches zu sein: Phantome, Phantasmen, Gespenster, Gespinste – ihnen entspringt eine semantische und etymologische Unruhe, die nicht still gestellt sein muss, nur weil man sie benennt. Dies muss man wissen, wenn man allein den Titel der hier zu besprechenden Studie gewahrt.

[2] 

Methode und Material

[3] 

Um es vorweg zu nehmen: Katrin Schumacher übersteht die Irrfahrt durch das Reich der Geister mit Souveränität. Und dies nicht zuletzt deshalb, weil sie sich methodologisch gewappnet hat: Sie instrumentiert ihr wissenschaftliches Vokabular auf der theoretischen Grundlage der Diskursanalyse, wie auch in einem allerdings abgeschwächten Maße der Gendertheorie, und schließlich macht sie den Begriff der ›Poetologie‹ stark als einen der »Kunde der Hervorbringungsweise literarischen Wissens« (S. 14). Im übrigen wird dieses Wissen an einer Stelle auch als ein skandalöses beschrieben, das den wissenschaftlichen Disziplinen vorausgeht oder aus ihnen »ausbricht« (S. 22), womit bereits eine weitere Metapher allein dafür gefunden ist, dass schon die Literatur selbst wesentlich unheimlich ist.

[4] 

Schumacher hat nun die Absicht, nicht nur das Phantom durch die Zeit zu verfolgen und zu definieren, wie etwa so: »Ein Phantom ist eine narrative Struktur aus Phänomen und Erklärungsangebot(en)« (S. 19). Darüber hinaus geht es ihr um das weibliche Exemplar, also die femme, der stets schon entweder ein »fragile« oder »fatale« zuzuordnen ist – und der hier das »fantôme« beigestellt wird, womit auch die originelle Forschungsperspektive dieser Arbeit auf einen Nenner gebracht ist. Verfolgt wird diese Wiedergängerin an den Jahrhundertwenden von 1800 und 1900 (und ganz knapp um 2000). Die Diskurse, in denen diese Figur oder »narrative Struktur« verortet werden, sind eben jene der mehr oder weniger disziplinierten Wissenschaften und Literaturen.

[5] 

Die femme fantôme um 1800 und um 1900

[6] 

Um nun in unbotmäßiger Verkürzung einige Pointen zu rekapitulieren, die mittels einer reichhaltigen Materialsichtung generiert werden: Um 1800 sieht Schumacher den Wechsel einer theozentrischen Perspektivierung des Jenseits zu einer anthropozentrischen: »Die Geisterwelt wird nicht mehr als ein Ort verstanden, der abgeschieden vom Diesseits existiert, sondern wird als immer schon im Diesseits enthalten angesehen […] – und ist damit als potenziell erfahrbar markiert.« (S. 33) Diese Einschätzung führt zu vielen aufeinander wirkenden Forschungen und Experimenten, die allesamt getragen zu sein scheinen von der Neugier an Daten und Fakten, die zwischen Leben und Tod, Diesseits und Jenseits zu erlangen sind. Da die ganze Szenerie noch vom Licht der Aufklärung beschienen wird, geht es also nicht mehr (ernsthaft) um Geisterseherei (die ist mit Kant und Schiller auf die Plätze verwiesen worden). Stattdessen geht es in einem strengeren biologisch-physikalischen Sinne um Fragen nach der Wahrnehmung von Abgeschiedenen und Intensitäten – und so auch etwa um Experimente mit Elektrizität, bei denen Leichen kurzfristig unter Strom gesetzt werden, um zu beobachten, ob und wie lange das Leben in sie zurückkehrt. Im Zuge dieser und anderer experimenteller Grenzgänge, die gerade aufgrund ihrer szientifischen Rhetorik die Fragen nach dem Erscheinen aus dem Jenseits als »prinzipiell beantwortbar« ausweisen (S. 70), wird auch die Wiedergängerin ins Leben und in die Texte gerufen. Die femme fantômewird vorzüglich in romantischen Texten, etwa in Novalis’ Todesdiskurs, als »flüchtige und indefinite Erscheinung« umkreist (S. 79). In den romantischen Texten und Experimenten geht es also um die Erfahrung von Sichtbarkeiten, von Intensitäten und damit Daten aus dem Jenseits.

[7] 

Einhundert Jahre später verlagert sich die Perspektive von außen nach innen, und damit ist auch die epistemologische und anthropologische Irritation vorüber. Jetzt, gleichsam in der Ästhetisierung oftmals männlicher Phantasmen, darf, so scheint es, auch erst die Wiedergängerin mit großer Geste in ihre Rechte (die freilich keine wirklichen sind) treten, was übrigens in dieser Studie auch dadurch unterstrichen wird, dass sie diesem Zeitraum über zwei Drittel ihres Umfangs zukommen lässt. Um 1900 erscheint die femme fantômealso vor allem im Zuge der Entdeckung des Unbewussten auf der Szene. Schumacher erzählt nun die Geschichte des Zusammenfalls einer Psychologisierung und Ästhetisierung mit dem Auftauchen moderner Medien, wie etwa der Photographie, die als melancholisches Medium die Geister erscheinen lässt. Die Lektüren von Texten von Turgenjev (mit Bezug auf die Photographie), Schnitzler (mit Bezug auf die Psychologie) und schließlich Heinrich Mann (mit Bezug auf Satire und Komik) zeigen Glanz und Lächerlichkeit jenes Wiederholungsphänomens der femme fantôme um 1900.

[8] 

Doch zuletzt wird sie noch einmal in der Diskussion explizit phantastischer Texte vor tödlichem Gelächter, jedenfalls teilweise, bewahrt, da nun literarische Inszenierungen ins Spiel kommen, die wie etwa Kubins Die andere Seite gleich ihre gesamte Topographie ins Reich der Phantasmen verlegen. Hier geht es also schon nicht mehr um den Einbruch des Fantastischen in die Normalität, sondern um deren Ersetzung. Und die Wiedergängerin selbst ist nur mehr »ein Element in einem unmäßigen Schauspiel« (S. 241), dessen apokalyptische Teleologie als politische ausbuchstabiert wird. Im Zuge der Politisierung des Diskurses, wie er sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ereignet, steht die Wiedergängerin der fantastischen Literatur nicht mehr allein für die Bedrohung des Subjekts, vielmehr wird sie eingeschrieben und aufgelöst in Diskurse, die zunehmend die Masse als anonyme, gespenstische Phänomenalität inszenieren.

[9] 

Die Fantastik des Raums um 2000

[10] 

Aber damit ist die femme fantôme nicht ausgestorben, wie Schumacher zuletzt in ihrem Ausblick auf das späte 20. und frühe 21. Jahrhundert unterstreicht. Hier findet man sie in Texten von Jelinek, O’Nan und Murakami ebenso wie in Filmen von Lynch und Rivette wieder. Habe man an den vorangegangenen Jahrhundertwenden zunächst von einer »Fantastik des Wissens« und dann von einer »Fantastik der Zeit« (S. 265) sprechen können, so sei nun die »Fantastik des Raumes« (S. 268) angebrochen. Tatsächlich bleibt dieser letzte Ausblick einigermaßen unbestimmt und sehr vorsichtig. Denn ausbaufähig ist doch die Beobachtung, dass man etwa in Jacques Rivettes L’histoire de Marie et Julien einem paradoxen »Naturalismus« auf die Spur kommt, dessen fantastischen Elementen keine Erklärungsangebote zur Seite gestellt würden. Vielleicht ist eben damit ein Skandalon angedeutet, das viel eher mit den so avancierten wie bizarren Experimentaldiskursen um 1800 als mit den Ästhetisierungen um 1900 zu verbinden wäre. Heute müsste jener seltsame Naturalismus zusammengedacht werden mit Analysen der gespenstischen Qualität der Medien: also nicht nur der melancholischen Photographie, sondern natürlich auch des Films und zuletzt des Internets. Die Gespenster werden nicht mehr an den Grenzen des Todes und des Leibes erforscht, stattdessen wird der Tod vertrieben, werden die Grenzen des Todes verwischt, werden Realitäten mit Virtualitäten, natürliche Biomassen mit künstlichen verbunden, werden neuartige Homunculi geboren und Welten geschaffen, in denen Subjekte ohne leibliche Präsenz agieren.

[11] 

Fazit

[12] 

Wie weit reichen die Lichter der Aufklärung? Gebiert nicht jede Zeit ihre Gespenster? Gehören die Lemuren und Geister nicht inzwischen (wieder?) ganz selbstverständlich in eine sich auflösende Welt, deren Finsternis von Melancholikern wie Virilio und Baudrillard (eben mit Blick auf Körper, Zeit, Realität etc.) umschrieben wurde? Und ist es nicht – aus einer ganz anderen Perspektive – seltsam, dass ein aufgeklärter Wissenschaftler und Dichter wie W.G. Sebald ganz unaufgeregt in einem Essay von einer Begegnung mit Gespenstern erzählt – nicht um eine Schauergeschichte zu erzählen, sondern um das allmähliche Verschwinden der Wiedergänger zu beklagen, die es nämlich vorziehen könnten, in eine Welt, die den Tod verdrängt, nicht mehr wiederzukehren? Und jenseits dieser zugegeben moralisch konnotierten Diskurse mag man fragen: Sind denn alle erkenntnistheoretischen Fragen in Sachen Phantom gelöst? Ist der sekundäre Metadiskurs nicht selbst schon ein phantasmatischer, der sich durchaus seines skandalösen (und das heißt immer auch: politischen) Wissens bewusst werden könnte? Schumachers Buch bleibt in der kritischen Perspektivierung ihrer Materie sehr zurückhaltend, was indes gering wiegt angesichts der disziplinierten Orientierung, mit der die tatsächlich heillose Semantik der Gespenster durchschritten wird. So ist ein weiterer begrüßenswerter Beitrag entstanden, den Spuk der Geisteswissenschaften fortzuspinnen.