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Vom Wählen in der Kleiderkammer:

Auf der Suche nach einer Theorie des (Film)Kostüms

  • Daniel Devoucoux: Mode im Film. Zur Kulturanthropologie zweier Medien. Bielefeld: transcript 2007. 350 S. zahlr. Abb. Broschiert. EUR (D) 34,80.
    ISBN: 978-3-89942-813-1.
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Dass die Ausstattung des Films sehr genau bedacht sein muss, weil sie erheblich zu seiner Glaubwürdigkeit und inneren Klarheit beiträgt, ist sicherlich evident. Dass in Sonderheit die Kostümbildnerei höchst spezielle Kenntnisse und Fertigkeiten verlangt, ist erst spät klargeworden. Einen eigenen Oscar gibt es erst seit 1948. Bis heute sind Namen wie Edith Head oder Walter Plunkett, die maßgeblich die Kleidungswelt des klassischen Hollywood mitbestimmt haben, selbst für Eingeweihte oft unbekannt. Ebenso wenig gehört es zum Wissen über die Geschichte der Filmproduktion, dass erst um 1915 Film-Kostümbildnereien entstanden und die Hollywood-Studios erst in den späten 1920ern eigene costume departments einrichteten. Die Couturiers wurden in den 1950ern regelmäßige Beiträger zum Look zahlreicher Hollywood-Filme, obwohl sie schon früher immer wieder als Ausstatter aufgetreten sind. Eine ganze Reihe von Modetrends sind durch Filme ausgelöst worden – vom ›pancake-look‹, nach einem Hut, den Joan Collins 1952 trug, über die ›blousons rouges‹, die nach James Deans Tod modisch wurden, bis zum ›Safari-Look‹, dessen weltweite Verbreitung der Film Out of Africa 1985 begründete.

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Filmwissenschaft der Mode

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Über all dieses ist wenig geschrieben worden. Das meiste sind Bildbände 1 und Bildgeschichten 2 . Analysen 3 sind selten; manches ist eher speziell und marginal 4 oder begrenzt auf nationale oder subkulturelle Stile 5 .

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Filmsemiotik und -rhetorik der Mode

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Decouvoux‘ Buch trifft also auf ein empfindliches Terrain, das der theoretischen Durcharbeitung dringend bedarf. Und der Titel scheint auch eine These anzudeuten, der nachzuspüren sich lohnt: Zwei Medien, zwei Ausdruckssysteme, die sich verbinden und verbünden. Das Faszinosum, mit dem die Lektüre vorliegender Abhandlung beginnt, ist die Vorstellung, dass Kleidung ein semiotisches Instrumentarium ist, mit dem die dramatischen Konflikte eines Films, die Charaktereigenschaften der Figuren, die Subtexte und thematischen Diskurse, die in einem Film eine Rolle spielen, inszeniert werden können, indem außerfilmische Qualitäten der Kleidung adaptiert oder neu funktionalisiert werden. Durchaus in diesem Sinne ist von einem eigenen »Kleidungsdiskurs« im Film die Rede, da wird eine »Kostümrhetorik« behauptet, das Kostüm im Gefüge der Selbst- und Fremdbilder angegangen. »Kostüme sind filmische Mittel« (S. 25), heißt es ebenso lapidar wie folgenreich. Und sie bleiben dabei ein »komplexes kulturelles Handlungsfeld« (S. 29), lokalisieren die bekleidete Figur zwischen Selbst- und Fremdinszenierung, zwischen Kleidungscode und vielleicht dem Bedürfnis, Eigenes gegen den Stilzwang durchzusetzen. Oder auch nur, Eigenes mittels kleiner Accessoires auszudrücken – sei es, mittels eines gelben Halstuchs, mit dem Angehörige ihre Verbundenheit zu einem anderen signalisieren, der im Kriegsdienst ist, sei es, mittels des Intifada-Tuchs, das die Solidarität mit dem Recht der Palästinenser auf Wohnrecht in ihrer Heimat ausdrückt.

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Die Art, sich zu kleiden, hängt im Film wie in der Realität eng mit der Integration in die Gruppe derer zusammen, für die der Kleidungs-Code gilt. Manchmal ist es von Wert, Kleidung zu erlangen, die es ermöglicht, die Zugehörigkeit zur in-group zu signalisieren. Und manchmal ist es von Bedeutung, die subjektive Differenz zwischen Code und Subjekt zu artikulieren. Sich zu kleiden, hat darum ein elementar soziales, aber auch ein ebenso subjektives Bedeutungselement. Dies gilt sogar in den Fällen des »exotischen Kostüms« (zum Bollywood-Film findet sich ein ganzes Kapitel, 229 ff.), das auf keine eigene soziale Praxis von Zuschauern (und oft auch nicht auf Recherchen von Filmemachern) zurückgreifen kann, um seine signifikative Potenz zu entfalten. Gleichwohl bleiben die sozialen und meist auch semiotischen Funktionen, die Kleidung im Film erfüllt, durchsichtig und erkennbar – so dass Devoucoux’ Vermutung, dass »Filmsemantik, -semiotik und -rhetorik« instabil seien (S. 308), weil diese in jedem Text konstruiert werden könnten, auch wenn sie in der Realität nicht (mehr) existieren, höchst zweifelhaft erscheint.

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Worin besteht nun aber eine »Kostümrhetorik«? Kostüme beziehen elementare Bedeutungsimpulse in der Regel aus zwei Quellen: Zum einen aus ihrer Existenz außerhalb des Films; die meisten Kleidungsstücke referieren funktional, stilistisch und typologisch auf das reale Erfahrungsfeld der Kleidung (S. 62); zum anderen aus der Kontextbindung, der sie im jeweiligen Film ausgesetzt sind (S. 61). Zahlreiche intertextuelle Bezüge stellen auch dann Beziehungen zur äußeren Realität her, wenn die Kleidung nicht-alltäglich ist (wie das Kostüm Julia Roberts’ in Pretty Woman, das an das Auftreten Prinzessin Dianas in Ascot erinnert, S. 67). Auch diese Bezüge stützen die Typage der Figuren, geben Aufschluss über ihren (individuellen oder sozialen) Charakter. Ob Kostüme darum schon als »Argumente« angesehen werden dürfen (S. 70), ob sie als »Ideogramme« gelesen werden (S. 71), darf gleichwohl bezweifelt werden.

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Mode und Maskerade

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Devoucoux verzichtet denn auch auf eine genauere Darstellung. Ihm geht es darum, das Rhetorische des Kostüms auf den Aspekt der Körper-Repräsentation zu beziehen. Als Kernbegriff taucht »Maskerade« auf (S. 89, passim) – und es bleibt vollständig dunkel, was damit gemeint sein könnte: Männlichkeit sei grundsätzlich eine Maskerade, heißt es da, ein »kosmetisches Sozialphänomen« (S. 89), ein »Inszenierungs- und Ritualapparat, in dem die Männer ihre fantasmatischen ›Siege‹ immer wieder ausspielen« (ebd.). Das deutet darauf hin, dass in einem Modell der Maskerade Geschlechterrollen Elemente eines semiotischen Spiels sind, in dem es einerseits um die Maskierung der Rollenspieler geht, in dem andererseits aber vermittels der symbolischen Verfestigung und Bestätigung von Machtbeziehungen (allein durch die Tatsache, dass das Spiel weitergeht) verhandelt wird. Rollenkonformes Kostüm würde dann aber seine Spezifik verlieren, nur noch zu einem Instrument eines umfassenden repressiven Prinzips, das den ganzen Film (und das soziale Leben dazu) bestimmt.

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Mode und Plot

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Gelegentlich ist auch von einem »Kleidungs-Plot« (oder »Dress-Plot« nach einer Formulierung Edith Heads, S. 130; später spricht Devoucoux auch von einem »Haar-Plot«) die Rede. Eine derartige Anbindung des Kostüms an die narrative Struktur scheint höchst interessant zu sein, weil die verschiedenen Handlungswelten, die der Held im Verlauf einer Geschichte betritt, auch einen Reflex in der Kleidung hinterlassen, durch Veränderung der Bekleidung angezeigt werden, vielleicht sogar narrativen Fortschritt anregen. Immer wieder finden sich im Abenteuerfilm Szenen, in denen Frauen die Schuhe und vor allem das Mieder ablegen müssen, weil sie sich sonst in der Wildnis nicht bewegen könnten. Im gleichen Genre signalisiert die Übernahme von Kostüm (einschließlich Körperschmuck) die Rolle von Grenzgängern, die zu Konvertiten zwischen Kulturen werden; auch hier signalisiert die Kleidung den sozialen und kulturellen Ort. Ist das mit »Kleidungs-Plot« gemeint? Immerhin wird die Scherung des Kopfhaares der jungen Soldaten in Stanley Kubricks Full Metal Jacket später als »Übergangsritual« bezeichnet (S. 169).

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Fazit

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Das Buch hinterlässt einen höchst zerrissenen Eindruck. Ein insgesamt völlig unklarer Aufbau der Gesamtdarstellung. Eine ganze Reihe unnötiger Exkurse, diverse Anzüglichkeiten, manchmal wirr erscheinende Beispieldarstellungen – dazu eine Reihe von vermeidbaren Interpunktionsfehlern. Stilistisch diverse Ungeschicklichkeiten, verdreht erscheinende Satzkonstruktionen. Terminologische Unsicherheiten (Mode und Film sind keine »Ikonen«, S. 263), sachliche Fehler (wie »Pierce« statt Peirce, S. 70), historisch nicht unbedingt stimmige Behauptungen (Unterbekleidung ist vor 1990 nicht immer nur Hinweis auf Schwäche, Erniedrigung oder Lächerlichkeit gewesen, wie im Text behauptet [S. 100], man denke nur an Rambos Unterhemd oder an das viel ältere Beispiel Marlon Brandos in A Streetcar Named Desire, 1951, oder der älteren Broadway-Aufführung), der Verzicht auf die Regulierung von Kleidungsdarstellung durch solche Instrumente wie den Hays-Code. Fehlende Literaturangaben (z.B. Gaines 1990). Ein (natürlich) fehlendes Register. Der Band hätte ein viel genaueres Lektorat verdient – dafür enthält die Darstellung zu viele wertvolle Beobachtungen. Es ist schade, dass der Band so schwer zugänglich und verdaulich ist; das, was auf den ersten siebzig, achtzig Seiten entwickelt wird, hätte viel weiter nach hinten gehört (oder einer genaueren Begründung und Herleitung bedurft; immerhin ist auf den mehr als 200 letzten Seiten des Bandes von der eingangs mühsam umzirkelten Theorie der »Mode als Medium« keine Rede mehr).

 
 

Anmerkungen

Z.B.: Film und Mode. Mode im Film. Hg. v. Regine u. Peter W. Engelmeier. München/New York: Prestel 1990.   zurück
Z.B.: Elizabeth Leese: Costume Design in the Movies. An Illustrated Guide to the Work of 157 Great Designers. New York: Dover 1991.   zurück
Vor allem sei hingewiesen auf: Stella Bruzzi: Undressing Cinema. Clothing and Identity in the Movies. London/New York: Routledge 1997.   zurück
Z.B.: Jay McInerney: Dressed to Kill. James Bond – The Suited Hero. Paris/New York: Flammarion 1996.   zurück
Z.B.: Pam Cook: Fashioning the Nation: Costume and Identity in British Cinema. London: The British Film Institute 1996; Sarah Berry: Screen Style. Fashion and Femininity in 1930s Hollywood. Minneapolis: University of Minnesota Press 2000; Stella Bruzzi and Pamela Church Gibson: Fashion Cultures. Theories, Explanations, and Analyses. London/New York: Routledge 2000.   zurück