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Genug Gabe

  • Gisela Ecker: 'Giftige' Gaben. Über Tauschprozesse in der Literatur. München: Wilhelm Fink 2008. 227 S. Kartoniert. EUR (D) 26,90.
    ISBN: 978-3-7705-4566-7.
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Theorie(n) der Gabe

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Wer hofft, dass der so schön alliterierende Titel ›Giftige‹ Gaben auf geradem Weg von der Philosophie und Theologie zur Literatur führt, wird schon auf der ersten Seite des Buches bitter enttäuscht. Gisela Ecker geht nämlich eigene Wege, für die sie eine philosophisch-philologische Landkarte anlegt. Es geht ihr nicht um die ›reine‹ Gabe, über deren Möglichkeit oder Unmöglichkeit die Gelehrten streiten, sondern um die Störfälle literarischen Gebens und Empfangens auf der Bühne literarischer Inszenierungen:

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Während sich die meisten Theoretiker der Gabe Gedanken über die Existenz und Definition einer ›reinen‹ Gabe machen, bekümmert dies die fiktionale Literatur nicht in demselben Maße. Unvollständige, verquere, listige, demütigende, zerstörerische, berechnende Gaben dienen zuhauf als Erzählanlässe. (S. 9) 1
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Diese ambivalenten oder ›giftigen‹ Gaben stehen im Zentrum eines systematischen Interesses an der Gabe – eines Interesses, das einerseits die störanfällige Individualität des jeweiligen Aktes einer Gabe, andererseits deren Idealität berücksichtigt. In der Literatur entfalten sich nämlich verschiedene ›Gifte‹, wobei Story- und Plot-Strukturen sowie Figuren-Konstellationen die kulturellen »Regeln des Gabentauschs« illustrieren und kommentieren (S. 11). Literarische, genauer gesagt: erzählte Gaben erweisen sich dergestalt immer und konstitutiv als ›giftig‹ – allerdings wiederum nicht so ›giftig‹, dass sie nicht dennoch Gaben, oder anders gewendet, dass sie nicht trotz ihres ›Giftes‹ genug Gaben wären. Im Rekurs auf etymologische Studien und den initialen Essay von Marcel Mauss hält Ecker dem Modell der ›reinen‹ Gabe daher das der ›giftigen‹ entgegen:

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Das heißt also, dass die heute so vielfältig eingesetzte Sichtweise von Gabe als uneigennützige Gabe zumindest sprachhistorisch nicht gestützt werden kann und dass sie eine idealisierende Reduktion darstellt. Wie viel ›Gift‹, so ist nun zu fragen, erlauben die Gabentheorien? (S. 14)
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Diese Frage führt Ecker zu den bekannten Gabentheorien in Philosophie und Theologie, denen es – deduktiv entwickelt, wie sie sind – an jener »Vielfalt von Gabenaspekten« mangelt, wie sie sich nur induktiv aus der Literatur gewinnen lassen. Von dieser Kritik ist lediglich Jacques Derrida ausgenommen, der sich keinen »phantasmatischen Überfrachtungen« schuldig macht (S. 17), weil er mit dem Paradox der ›reinen‹ Gabe als notwendig unmöglicher kalkuliert. Den »festen Glauben an die Existenz einer reinen Gabe jenseits des Ökonomischen an sich« teilt Derrida daher nicht, »sondern lässt seine Rede über die Gabe im Zustand der Unentschiedenheit und ›dissémination‹. Die vom Ökonomischen und anderen Interessen kontaminierte Gabe aber wird von ihm nicht anerkannt« (S. 18), während sie für Ecker – mit realitätsgerechtem Blick – diejenige ist, mit der wir es überhaupt nur zu tun bekommen können, wenn Menschen ›als‹ Menschen geben und empfangen.

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Das Verquere gerät aber nicht nur in Philosophie und Theologie aus dem Blickfeld, sondern auch in Claude Lévi-Strauss’ anthropologisch-strukturalem Modell der Gabe, die vom Einzelfall abstrahiert, während Pierre Bourdieu in seinem temporalen Modell der Gabe durchaus einen Status diesseits des Ökonomischen zuweist, obwohl er sowohl wirtschaftliche als auch andere pragmatische Aspekte der Gabe berücksichtigt:

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Nimmt man die Zeit ernst, die notwendig zwischen Gabe und Gegengabe verstreichen muss, eröffnet sich in der Tat eine immense Variationsbreite von Möglichkeiten; sie reicht von der zurückgewiesenen bis zur nicht erwiderten Gabe, sie lässt versteckte Täuschungen zu, sie geht davon aus, dass nicht immer die erwartete Dankbarkeit und Verpflichtung eintritt. (S. 22)
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Solche Transformationsprozesse –›soziale Alchimie‹ – führen Ecker zu Jean Starobinskis Modell ambivalenter Gaben, in dem all diejenigen Aspekte an der Gabe betont werden, die dysfunktional, unproduktiv, unentscheidbar, unberechenbar oder unrepräsentierbar sind. Man könnte daher auch vom Anderen der oder an der Gabe sprechen, dem Eckers Aufmerksamkeit gilt. Auf dieses Andere zielt Georges Batailles triebökonomisch grundiertes Konzept der ›unproduktiven Verausgabung‹, mit dem gleichzeitig der Angelpunkt markiert ist, der die Gabe als Gegenstand in der Kunst mit der Kunst als ästhetischem Verfahren verbindet. Denn »[i]m Paradigma der Kunst lassen sich Batailles Utopien der Verausgabung, die Transgression und Gefahr einschließen, unterbringen«, resümiert Ecker (S. 32). Schließlich führen sie diese Überlegungen zur Gabe zwischen ›reiner‹ Gabe und Gabenökonomien zu den Dingen an und für sich, die entweder Ware oder Gabe bzw. sowohl Ware als auch Gabe zugleich sein können, je nachdem, welche pragmatische Rahmung sie erfahren.

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Topoi des Gebens und Empfangens

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Auf den ersten Blick mag die Gliederung des Buches befremden. Denn trotz der theoretischen Vermessung der Gabe verzichtet Ecker auf eine systematische Anordnung der folgenden Kapitel, in denen sie die Ökonomie des Gebens und Empfangens in der Literatur der europäischen Moderne verfolgt – in »Einzeltexten, deren Gaben sich dadurch auszeichnen, dass sie auffällige Abweichungen von der Idealität aufweisen, die aber dennoch als Gaben funktionieren« (S. 35). Stattdessen wählt sie ein topisches Ordnungsmodell, das dem Gegenstand durchaus angemessen ist, obwohl es vom Leser verlangt, an jedem einzelnen Ort, den Ecker aufsucht, die philosophisch-philologische Landkarte, also den Zusammenhang des in der Einleitung entworfenen Problemzusammenhangs, stets bereitzuhalten. In dieser topischen Ordnung korreliert Ecker entweder einen einzelnen Text oder eine Reihe thematisch verbundener Texte einer Autorin oder eines Autors mit einem ›Ding‹, einer psycho-sozialen Disposition oder einer kulturellen Praxis des Gebens und Empfangens – einer Disposition oder Praxis, die eng an die narrative Ordnung bzw. ästhetische Inszenierung eines jeweiligen Textes gebunden ist.

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Dergestalt präsentiert Ecker in einer losen Reihe acht Kapitel, die ich im Folgenden kurz zusammenfassen werde, um im Anschluss daran eines (dasjenige, das ich für das luzideste halte) in seiner argumentativen Dichte exemplarisch vorzustellen. Die Reihe beginnt mit dem Topos des Brotes – startet im Hinblick auf die Gabe und ihre theologisch-ethische Grundierung also medias in res, wie Ecker anhand der Werke von vier so genannten Nachkriegsautoren vorführt: Heinrich Böll, Primo Levi, Rainer Werner Fassbinder und George Tabori:

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Das Brot als Gabe hebt sich von allen anderen Gaben ab, denn nicht nur besitzt es eine weitschweifige Verweiskraft, sondern es werden, wenn es als Gegenstand verschenkt wird, über den konkreten Spender hinaus gleichzeitig weitere, vorgängige, Geberinstanzen aufgerufen, sei es die Natur oder eine göttliche Instanz. […] Als Zeichen fungiert Brot in den unterschiedlichsten Ordnungen. Kulturgeschichte, Ökonomie und Religionsgeschichte verschränken sich auf vielfältige Weise. (S. 41f.)
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Die symbolischen Ordnungen und performativen Akte, in denen das Brot verankert ist, werden in den Texten dieser Autoren mit der Wirtschaftsordnung in den Konzentrationslagern der NS-Zeit ebenso wie mit der Tauschwirtschaft vor und nach der Währungsreform im Nachkriegsdeutschland eng geführt. Dabei kommentieren, kritisieren und reflektieren sich diese Ordnungen wechselseitig.

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Der zweite Topos der Gabe ist derjenige der Dankbarkeit, den Ecker anhand der großen Gesellschaftsromane Jane Austens profiliert. ›Gratefulness‹ und ›gratitude‹ stellen dort die zentralen, weiblich konnotierten Dispositive gesellschaftlichen Handelns dar, bilden aber vor allem »einen ganz bestimmten Typus weiblicher Identitätskonstruktion« aus: desjenigen, der sich für unverheiratete Frauen in niedriger sozialer Stellung (und den damit verbundenen ökonomischen Problemen) anbietet. Dabei entlarvt Ecker die Dankbarkeit, die im Kontext von Etikette durchaus gesellschaftstragende Funktionen haben mag, als Verdinglichung der weiblichen Existenz:

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›Gratitude‹ als Disposition sichert also die Einordnung weiblicher Figuren in das Netz sozialer Strukturen, die bei Austen in der genauen Abwägung von finanzieller Ausstattung, sozialer Position, angemessenen äußeren Verhaltensformen und inneren Verfasstheiten ausbalanciert werden. Im besten Fall, wenn sie nicht ganz im Bereich der Dissimulation verbleibt, stellt sie eine Verbindung zwischen innen und außen dar. Die ständig nach außen zu zeigende Dankbarkeit allerdings lässt diese Leistung nicht als solche erkennen, sondern verschleiert sie. Das dankbare Subjekt verhält sich so, ›als ob‹ es eine Gabe erhalten hätte, es wird also ein Verhaltensmodus angenommen, der das Subjekt im Status der Empfängerin festhält, ohne dass ihr die Gelegenheit zu einer Gegengabe eröffnet wird. (S. 90)
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Geiz ist der dritte (Ana-)Topos, den Ecker am Beispiel von Honoré Balzacs Roman Eugénie Grandet aufsucht:

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Der Geizige ist im anthropologischen Gefüge von Typen und verkörperten Leidenschaften derjenige, der dem Geben ›per definitionem‹ abhold ist und dem innerhalb der westlichen Wertewelt antagonistisch ein ganzes Spektrum von Geberfiguren vom Verschwender bis zum Wohltäter entgegengesetzt ist. (S. 93)
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Nicht der geizige Vater, sondern die »exzessive Verausgabung auf der Seite der Tochter« stehen im Zentrum der Geschichte (S. 93), die Ecker im Dialog mit Batailles »Der Begriff der Verausgabung« analysiert und gleichzeitig den Problemkomplex der Gabe noch einmal mit einem Gender-Index versieht:

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Nicht die mildtätige, großzügige, aber dennoch in den Konventionen ›normalen‹ Gabentauschs verbleibende Person ist in Balzacs Mikrokosmos das Gegenstück zum Geizigen […], sondern eine, die sich einer ›unproduktiven Verausgabung‹ hingibt, die mit Leidenschaft und ohne Zweckdenken ausgeführt wird, die aber nicht zuletzt das Subjekt genauso beherrscht wie die ichbezogene Leidenschaft ihres Gegenspielers [des Vaters, F.B.]. (S. 108)
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Unter dem Titel »Wandernde Gaben« fasst Ecker im Folgenden eine Konstellation zusammen, in der die Gabe in Bezug auf das Subjekt konstitutiv wird: »Begabung, Aufgabe, Geschenk, Erbe und Gift« (S. 114). Mit diesem vierten, einem Sammeltopos, dessen Bestandteile sie anhand von Hilda Doolittles – H.D.s – autobiographischem Experiment The gift metonymisch rekonstruiert, verlagert Ecker die Aufmerksamkeit vom ›Was‹ der Geschichte (histoire) zum ›Wie‹ ihrer Darstellung (discours). Die Gabe wird von einem Gegenstand des Erzählens zu einem Erzählverfahren:

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Nur mit Blick auf das Genre Autobiographie kann die Vielzahl der ins Spiel gebrachten Dimensionen von Gabe erfasst werden, da deren Subjekt nicht nur im Kreuzungspunkt dessen steht, was gegeben, weitergereicht, geerbt wird, sondern auch weil das rückerinnernde, erlebende und erzählende Subjekt die erzählerische Klammer bildet, die ausgesprochen divergierende Inhalte zusammenhält. Das Formenvokabular des Genres selbst […] wird dabei experimentierend erweitert. (S. 116)
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Dem fünften Topos der Kunst (s.u.: ›Flüchtige Gabe Kunst: Isak Dinesens Babette’s Feast‹) folgt der sechste, den Ecker als »Leerstelle in den Gabentheorien« bezeichnet: Es handelt sich dabei um den »vergeblichen Versuch eines Gabenempfängers, dem Geber Dank abzustatten«, weil dieser »keinen Dank entgegennehmen will« (S. 159). Diese Ökonomie, an der sie nun die komplexe Zeitstruktur der Gabe entwickeln kann, findet Ecker in Saul Bellows Roman The Bellarosa Connection. Gabe ist nämlich kein punktuelles Ereignis, sondern eine Ereignisfolge, die an jedem einzelnen Zeitpunkt Ambivalenzen erzeugen kann, während Dankbarkeit einer anderen, ganz eigenen Zeitstruktur folgt, »denn sie steht außerhalb des für den Gabentausch charakteristischen zeitlichen Aufschubs zwischen Gabe und Gegengabe«. Dementsprechend führt Ecker aus, dass die »Dankbarkeit der empfangenden Seite […] nicht nur vor dem Akt der Gegengabe« beginnt, sondern auch »über diesen hinaus[reicht]. Gerade an diesem zeitlichen Schema entzünden sich gegensätzliche Bewertungen« (S. 159). Der abgewiesene Dank, der bei Bellow soziale, politische, religiöse, ja auch kolonialistische Aspekte hat und strukturell auf einer Asymmetrie zwischen Gebendem und Empfangendem basiert, führt dazu, dass auch das Leben des Protagonisten Fonstein im erinnernden Rückblick seines Sohnes nicht ›vollendet‹ werden kann.

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Komplementär zum Topos des versagten Dankes ist der siebente Topos der verweigerten Annahme einer Gabe, den Ecker anhand zweier Gedichte einführt: Marianne Moores Feed me, Also, River God und Ilse Aichingers Nachruf, in dem St. Martin aufgefordert wird, – gefälligst – seinen ganzen Mantel herzugeben. Um die Komplikationen, die Stolz, Ehre und Würde auf der einen Seite, Bedingungen auf der anderen beim Gabentausch verursachen, kreisen sowohl beide Gedichte als auch Marie von Ebner-Eschenbachs Erzählung Der Muff, wie Ecker ausführt und beobachtet:

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In beiden Gedichten tritt ein Ich auf, das fordert, wo es bitten sollte, und das eine Gabe bereits im Voraus zurückweist, wo es um Annahme gehen sollte. Die angesprochene Figur ist in beiden Gedichten auf einer dem Normal-menschlichen abgehobenen Ebene angesiedelt, einmal ist es ein Heiliger, das andere Mal ein Gott. Beide Male handelt es sich nicht um einen singulären Akt der Zurückweisung von Gaben, sondern um die Verweigerung einer gemeinhin als angemessen verstandenen Haltung, die Annahme einer Gabe unter Akzeptieren der Bedingungen, die vom göttlichen oder gottähnlichen Geber stammen. (S. 188)
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Der letzte und achte Topos, den Ecker ansteuert, ist derjenige von Souvenirs oder Andenken, die Ecker nicht im Hinblick auf deren Memorialfunktion, sondern auf deren »Gabenaspekt« interessieren (S. 197), weil es sich um ›Geschenke zur Erinnerung‹ handelt, wie es im Grimm’schen Wörterbuch heißt. An Beispielen von Bettine von Arnim, Gottfried Keller, Guy de Maupassant, Henry James, Carlo Fruttero und Franco Lucentini sowie Alessandro Baricco untersucht Ecker das »Spannungsverhältnis innerhalb der selbstverständlich gewordenen Alltagspraktiken« von Souvenirs und Andenken, die einerseits auf einer Auratisierung des Gegenstandes, andererseits auf seiner Unnützlichkeit und Unwirtschaftlichkeit basieren. Eckers Beispiele »zeigen vor allem deren Leerstellen, Versagens- und Hohlformen auf, und sie unternehmen Rettungsversuche von Konventionen« (S. 201).

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Flüchtige Gabe Kunst:
Isak Dinesens Babette’s Feast

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Im Topos der Kunst wird die Gabe reflexiv, so dass in der Interpretation Babette’s Feast sämtliche Aspekte der Gabe, die Ecker topisch entfaltet hat, noch einmal wie durch eine Linse gebrochen in Erscheinung treten. In Isak Dinesens, d.i. Karen (alias Tania) Blixens Erzählung geht es um ein Dinner, das die französische Köchin Babette Hersant Ende des 19. Jahrhunderts in einer lutherischen Gemeinde eines kleinen norwegischen Städtchens im Hause der beiden Töchter eines Probstes anlässlich von dessen 100. Geburtstag und – als Variante des dramatischen deus ex machina – dank eines Lottogewinns der Protagonistin ausrichtet. Das Ganze basiert auf dem Prinzip des suspense: Die protestantischen Schwestern verabreden, über den Luxus der Speisen kein Wort zu verlieren – Babettes Gabe also zu verleugnen, die aber dennoch ihre sinnliche Wirkung entfaltet und »die alte Harmonie« in der Gemeinde wiederherstellt –; Babette selbst gibt sich erst am Ende des Festes als »die berühmte Köchin im ›Café Anglais‹ des nachrevolutionären Paris« zu erkennen (S. 140).

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Die Konstruktion, retrospektiv mit drei, das Vorleben der drei Frauen beinhaltenden Analepsen erzählt, ist intrikat – gerade intrikat genug, um mehrere Aspekte der Gabe kunstvoll zu inszenieren: »Babettes Fest als Gabe ist umrahmt von verschiedenen Gabentypen wie der Rückgabe, der Begabung und der Wohltätigkeit« (S. 143). Darüber hinaus kombiniert das Fest in der »Fülle seiner intertextuellen Platzierung, den Assoziationen, Zitierungen, Wiederholungen innerhalb des Textes« die Symbolik des Gastmahls mit derjenigen des Abendmahls (S. 145), wobei wir es mit einer Art ›disguised symbolism‹ zu tun bekommen: »Der Bilder- und Anspielungsreichtum in Dinesens Geschichte stammt aus dem Zusammenspiel zweier semantischer Bezugsfelder, die man verkürzt mit Religion und Kochkunst beschreiben könnte« (S. 145). Auf der Ebene der Geschichte (histoire) überlagern sich dabei Babettes Gabe an die Schwestern und Gäste mit dem Konfliktpotenzial, das aus der Unvereinbarkeit ihrer (Koch-)Kunst mit ihrer politischen Gesinnung als Kommunarde erwächst: »Der entscheidende narzisstische Bruch entsteht durch die Tatsache, dass Babettes Kunst eine Idealisierung der Rezipienten ihrer Kunst verlangt« – der adeligen Kundschaft –,

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während ihre politische Einstellung eine solche verbietet. Da die Introjektion, die sich im Akt einer ›gelungenen‹ Trauer ereignet, mit Formen der Idealisierung arbeitet, bleibt im Falle eines solchen Widerspruchs die Trauer blockiert, sie findet keine Worte, sondern wird im Subjekt förmlich begraben, was im Sakrophag der Speise [Cailles en Sacrophage, F.B.] einen treffenden Ausdruck findet. (S. 151)
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Diese Gratwanderung von Anerkennung und Verleugnung realisieren in der Geschichte (histoire) eine Reihe dramatischer Elemente (Harmatia, Peripethie, Anagnorisis), wie sie für das Anekdotische üblich sind (vgl. S. 140). Gleichzeitig ist es aber die Darstellung (discours) selbst, der in Babette’s Feast strukturell zur Gabe wird:

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Der in der Gattungsbestimmung [Anekdote, F.B.] angelegte Weg von Ohr zu Ohr und von Mund zu Mund wird auf der inhaltlichen Ebene der Geschichte gespiegelt, denn in der Erzählung öffnet die Inkorporation der Speisen einen blockierten Weg zur Sprache: die Zungen werden gelöst. Die Gattung selbst also ist auf ein beständiges Empfangen und Geben orientiert, das in Dinesens ›anecdote of destiny‹ noch dadurch intensiviert wird, dass sich ein Verstehen erst allmählich und in kleinen Schritten einstellen kann. (S. 143)
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Mit dieser Erzählstruktur geht ein Modell der Autorisierung einher, in der dem väterlichen Gesetz – in der Geschichte buchstäblich verkörpert durch die Namen des Vaters: Martine (nach Martin Luther) und Philippa (nach Philipp Melanchthon) – das weiblich konnotierte Modell der Gabe entgegenwirkt. Babette gibt nicht nur ihren Gerichten Namen, sondern »sie stellt sich über ihr Künstlertum jenseits von Abhängigkeiten« (S. 150). Autonom wird diese Kunst daher in einer Art und Weise, mit der die ›giftige‹ Gabe so nah wie nur irgend möglich an die ›reine‹ herankommt, von der ja noch nicht einmal gewusst oder geahnt werden darf, dass es sich um eine Gabe handelt, die also per se diesseits jeder symbolischen Ordnung angesiedelt ist. Und so verhält es sich in Babette’s Feast mit der Kunst wie mit dem Erzählen:

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Dinesen lässt das, was als gegeben erscheint, so im Ungewissen und Flüchtigen, dass keine symbolische Struktur entsteht. […] Babettes Verausgabung kann in diesem Sinn verstanden werden, denn keine der Figuren der Erzählung versteht ihre Gabe, und nur wir weisen ihr nachträglich einen Sinn zu, der selbst wieder über eine ganz bestimmte Auffassung von Kunst zu konstruieren ist. (S. 156)
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Bilanz

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›Giftige‹ Gaben ist ein Buch, das seine Gelehrsamkeit nicht zu demonstrieren braucht, weil diese die Auswahl und Präsentation der Beispiele steuert, ohne sich permanent in den Vordergrund drängen zu müssen. Das Ergebnis führt zu pointierten Thesen und schlanken Argumenten, denen wir auf gepflegten Wegen folgen – vielleicht sogar lustvoll folgen. Denn die Störfälle literarischen Gebens und Empfangens, die Gisela Ecker vorführt, sind in ihrer Ambivalenz dergestalt viel sagend, dass man gut daran tut, sie nicht in das Prokrustesbett (irgend-)einer Theologie oder Philosophie zu zwängen. So mag es zwar keine ›reine‹ Gabe geben, aber es gibt offenbar stets genug Gabe in jeder einzelnen; und das ist nicht nur raffiniert gedacht, sondern macht auch Hoffnung.

 
 

Anmerkungen

Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf den rezensierten Titel. Dort kursivierte Begriffe oder Hervorhebungen sind in einfache, kursivierte Titel in doppelte Anführungszeichen transkribiert.   zurück