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Neubestimmungen des Politischen mit
Hannah Arendt und Giorgio Agamben

  • Eva Geulen / Kai Kauffmann / Georg Mein (Hg.): Hannah Arendt und Giorgio Agamben. Parallelen, Perspektiven, Kontroversen. München: Wilhelm Fink 2008. 307 S. Kartoniert. EUR (D) 39,90.
    ISBN: 978-3-7705-4529-2.
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Das Wesen des Politischen muss neu bestimmt werden

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Das Wesen des Politischen muss neu bestimmt werden, schreibt Hannah Arendt 1958. Ihre Untersuchung Vita activa beschreibt das »Absterben des öffentlich-politischen Bereiches in der Neuzeit« und sieht darin nicht weniger als das Menschsein des Menschen überhaupt bedroht: Es gebe Anzeichen für die Gefahr, »daß der Mensch sich anschicken könnte, sich in die Tiergattung zu verwandeln, von der er seit Darwin abzustammen meint.« 1

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Das Wesen des Politischen muss neu bestimmt werden, schreibt Giorgio Agamben 1992. Nach der Errichtung einer »unverhüllten Herrschaft des demokratisch-kapitalistischen Staates auf globaler Ebene [...] verdecken nun die Wörter Souveränität, Recht, Nation, Volk, Demokratie und volonté générale eine Realität, die nichts mehr mit dem gemein hat, was diese Begriffe einmal bezeichneten«: 2 Das gesamte Vokabular der politischen Philosophie muss in einer veränderten Realität noch einmal, noch einmal neu buchstabiert werden.

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Die Texte des italienischen Philosophen und Kulturtheoretikers Giorgio Agamben haben im akademischen Milieu in Deutschland eine erstaunliche Relevanz und Prominenz erreicht. Seit dem Erscheinen der deutschen Ausgabe von Homo sacer sind nicht wenige weitere Bücher ins Deutsche übersetzt worden, und Agambens Kategorien wie das »nackte Leben«, das »Lager« oder der »Zeuge« werden inzwischen mit der gleichen Inbrunst diskutiert wie in den Jahren zuvor das Thema Erinnerung und Gedächtnis. Die geisteswissenschaftliche Diskussion kreist dabei wesentlich um zwei Fragestellungen: Zum einen um die Frage der Darstellung und Kritik von Agambens Konzepten, 3 zum anderen um die (mehr oder weniger gewinnbringende) ›Applikation‹ dieser Konzepte auf literarische oder philosophische Diskurse. 4

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Der hier nun vorgelegte Sammelband widmet sich einem dritten Fragenkomplex: Wie verhalten sich die Theoreme Agambens in Bezug auf die philosophische Tradition (vor allem deutscher Provenienz)? Im Mittelpunkt steht dabei die Diskussion der Frage nach dem Verhältnis der Texte Agambens zu Hannah Arendt, die anlässlich ihres 100. »Geburtstags« im Jahr 2006 so etwas wie eine kleine Renaissance erlebt hat.

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In der Tat ist das Verhältnis Agambens zu Hannah Arendts Philosophie nicht ohne Spannung. Agamben betont zwar ausdrücklich seine Verbundenheit gegenüber der deutschen Philosophin und äußert noch in einem Interview aus dem Jahr 2001 seine Freude darüber, dass Arendt in einem Buch aus dem Jahr 1970 einen seiner Aufsätze erwähnt. 5 Diese Dankbarkeit hat Agamben freilich in seinem Homo sacer nicht daran gehindert, Arendt eine gewisse theoretische Inkonsistenz und einen Mangel an »biopolitischer Perspektive« vorzuhalten. 6 Das von Harold Bloom unter dem Titel Einflußangst analysierte Aggressionsverhältnis gegenüber »starken« Vorläuferfiguren hat seine Wirkungen offenbar auch in der akademischen Welt.

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Diese Frage durchzieht die meisten Beiträge im vorliegenden Sammelband, der Ideengeschichte als intellektuelle Ahnenforschung konzipiert. Die Frage der philosophischen Genealogie – wer hat welchen Gedanken von wem übernommen? – steht von Anfang an im Raum. Nur wenige Beiträge beschränken sich hierbei allerdings auf den Vergleich zwischen Agamben und Arendt; die meisten legen indes ihren Schwerpunkt vielmehr auf einen der beiden Autoren und erweitern in der Analyse des jeweiligen Werks dann den Blick auf ganze Felder von Referenzautoren.

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Etwas bedauerlich ist dabei der Umstand, dass die Anordnung der Beiträge innerhalb des Bandes etwas willkürlich wirkt. Zwar ergeben sich im Laufe der Lektüre, wie es im Vorwort heißt, »eine Gruppe konstant, aber variantenreich wiederkehrender Motive« (S. 9), so etwa der Bezug auf »die Möglichkeiten, das Politische für die Moderne neu zu definieren« (ebd.). Dennoch steht der Leser dem hohen Heterogenitätsgrad der Beiträge ohne die Möglichkeit einer strukturierenden Ordnung vergleichsweise hilflos gegenüber.

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Umgekehrt ergibt sich daraus für jeden ausreichend geduldigen Leser, also auch den Rezensenten, die Möglichkeit, eine eigene Gliederung der Texte durchzuspielen. Leitfaden soll hier der Gedanke einer Neubestimmung des Politischen in der Moderne sein.

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Klassische Figuren der Gründung

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Die Beiträge von Eva Geulen, Marcus Twellmann, Friedrich Balke und Ingeborg Villinger kreisen um klassische Beschreibungen der Konstituierung des Politischen. Der Begriff der »Gründung« in Bezug auf die Frage der Neubestimmung des Politischen weist darauf, dass dies hier wesentlich ausgehend von der Terminologie Hannah Arendts geschieht. Eva Geulens Beitrag sucht nach »überraschenden Schnittmengen« (S. 66) zwischen Alain Badious, Hannah Arendts und Giorgio Agambens Auseinandersetzung mit dem Problem der politischen Gründung und kommt jedenfalls zu dem Ergebnis, man könne Arendt nicht »als friedfertigere Alternative« gegen Agamben »antreten lassen« (S. 74). Da es diese Tendenz sicherlich in einigen neueren Arbeiten gibt, ist Geulens Analyse hier zweifellos wertvoll.

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Marcus Twellmanns Beitrag über »Hannah Arends Kontraktualismus« beschäftigt sich eingehender mit dem Begriff des Gesetzes und der Gesetzgebung bei Arendt. Twellmann arbeitet nachvollziehbar einige wichtige Zusammenhänge heraus, man würde sich vielleicht hier und da vielleicht etwas mehr Mut zu einer eigenen These wünschen.

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Ingeborg Villingers Artikel widmet sich der Thematik der Souveränität und also vor allem der Beziehung zwischen den theoretischen Entwürfen Carl Schmitts und Giorgio Agambens. In ihrem sehr lesenswerten Artikel arbeitet Villinger einige Differenzen zwischen beiden Autoren heraus, aber auch so manche Übereinstimmung, die zeigt, dass der italienische Vordenker einer neuen politischen »Linken« dem deutschen Vordenker der alten »Rechten« möglicherweise mehr zu verdanken hat, als er zuzugeben bereit wäre. Eine weitere Untersuchung dieser Relation müsste wohl insbesondere noch ausführlicher auf Walter Benjamin eingehen, der vielleicht in gewisser Weise zwischen Schmitt und Agamben vermittelt.

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Den wahrscheinlich originellsten Beitrag in dieser Sektion bietet jedoch Friedrich Balkes Untersuchung über den Zusammenhang von »Gründung und Geburt« bei Hannah Arendt. Balke führt den Begriff des »Handelns« – eine der zentralen Kategorien in Arendts politischer Philosophie – auf ihre aristotelischen Wurzeln zurück. Gegen Arendts eigene Aussage ist, wie Balke schreibt, »Politik [...] für Arendt nicht das Gegenteil des Dramatischen, sondern beruht auf dem Ausschluß aller Affekte und Ereignisse, die den Vorgang des Zusammenfügens von Handlungen, des acting in concert, stören« (S. 109). Balkes Untersuchung greift geschickt auf Jacques Rancières Analysen des Zusammenhangs von Ästhetik und Politik zurück, um Arendts Buch über Revolution als Entwurf einer »neuen Logik der politischen Darstellung« (S. 113) zu interpretieren.

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Figuren des Ausschlusses

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Ein zweiter Block widmet sich den Gruppen, die von der traditionellen »Logik der politischen Darstellung« notorisch ignoriert wurden und daher aus der politischen Entscheidungsfindung immer wieder ausgeschlossen wurden. Für die Ausgeschlossenen haben sich bekanntlich sowohl Hannah Arendt als auch Giorgio Agamben stets besonders interessiert. Im Zentrum der Beiträge von Klaus-Michael Bogdal (der auf argumentative Auseinandersetzung mit Texten und Konzepten zugunsten einer recht übellaunigen Polemik gegen Agamben verzichtet), Alexander García Düttmann, Christoph Menke, Markus Rieger-Ladich, Jürgen Brokoff sowie Achim Geisenhanslüke stehen daher verschiedene Figuren des Ausschlusses.

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Alexander García Düttmann beschäftigt sich mit der Thematik der Sichtbarkeit der Armut, die ja – unter dem Schlagwort »soziale Exklusion« – auch ein Steckenpferd der aktuellen Soziologie darstellt. Christoph Menke beschäftigt sich mit der Rolle der Menschenrechte für die »Einheit der Argumentation Arendts«. Markus Rieger-Ladichs Beitrag widmet sich der Frage der Kindheit bei Arendt und Agamben und sichtet eine ganze Reihe von neueren Ansätzen in der wissenschaftlichen Pädagogik, die an Arendt oder Agamben anschließen.

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Jürgen Brokoffs Aufsatz über den »klassischen Begriff des Politischen« dagegen zielt gewissermaßen auf den Kern der politischen Philosophie sowohl von Arendt als auch Agamben: Auf den Entwurf eines neuen Begriffs des Politischen. Dies setzt für Agamben eine Berücksichtigung des Biopolitischen in der Moderne voraus, und der Vorwurf Agambens an Arendt ist bekanntlich, diese Dimension des Politischen nicht ausreichend bedacht zu haben. Brokoff zeichnet nach, inwiefern die von Arendt beschriebene Verdrängung des »Politischen« durch das »Gesellschaftliche« im Laufe des 19. Jahrhunderts mit der Entstehung eines spezifisch modernen Antisemitismus zusammenhängt, der sich gerade aus der Idee eines homogenen »Volks« speist. Aus diesem Zusammenhang verteidigt Brokoff das Plädoyer Hannah Arendts für einen »klassischen« Begriff des Politischen, weil nur dieser es ihr ermöglicht habe, »die Sphäre der Gesellschaft insgesamt, d.h. ›von außen‹« (S. 262) zu kritisieren. Über die Notwendigkeit und Aporie eines solchen Zugriffs »von außen« hätte man gerne mehr gelesen, ein Vergleich mit Foucaults Kategorie des »Außen« hätte hier vielleicht noch einiges erhellen können.

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Auch Achim Geisenhanslükes Beitrag beschäftigt sich mit einer Figuration des Ausschlusses, und zwar mit der Thematik der Scham und deren Zusammenhang zur Struktur der Subjektivität. Geisenhanslüke gelingt es, auf höchstem philosophischen Niveau und dennoch jederzeit vollkommen lesbar und verständlich argumentierend, Agambens Theorie der Scham nicht nur auf ihre philosophischen Kontexte bei Sartre, Heidegger, Nietzsche und vor allem Aristoteles zurückzuführen, sondern zugleich auch mit einem Blick auf literarische Darstellungen des Holocaust (von Primo Levi und Imre Kertécs) eine kritische Befragung dieser Theorie zu leisten. Agambens Diktum, die Scham sei »so etwas wie die verborgene Struktur jeder Subjektivität und jedes Bewusstseins« (S. 278) wird von hier aus nachvollziehbar und zugleich befragbar. Geisenhanslükes Lektüre der Scham kritisiert dabei letztlich vor allem die Differenzlosigkeit, mit der Agamben die Scham als Grundaffekt der Moderne und der Subjektivität behauptet.

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Figuren der Neubestimmung des Politischen

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Die Beiträge von Susanne Lüdemann, Manfred Schneider, Georg Mein, Mirko Wischke und Franziska Schößler thematisieren schließlich verschiedene Medien der Neubegründung des Politischen in den Texten Arendts und Agambens. Dabei stehen verschiedene Medien im Blickpunkt: Sprache, Zeugenschaft, Messianismus.

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Die Beiträge von Wischke, Schößler und Lüdemann fokussieren den Zusammenhang von politischer Theorie und Sprache bei Agamben. Am fruchtbarsten erweist sich dabei der Ansatz von Susanne Lüdemann: Sie liest Agambens Theorie der Souveränität als »gleichzeitig eine Theorie des Unterscheidens und der Sprache« (S. 31). Genauer: Lüdemann liest Agamben im Kontext der »Sprachkrise«, die immer schon, verstärkt allerdings um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert, die den Verlust der Individualität der Dinge durch eine zu grob unterscheidende Sprache beklagte. Lüdemann interpretiert Agambens politische Theorie konsequent als Theorie sprachlicher Unterscheidungen. Damit wird Agamben in eine Traditionslinie gerückt, in die er nur auf den zweiten Blick hineinzupassen scheint: In die Reihe von Autoren, welche die Urteilskraft (sensus communis, sens commun) als Grundvermögen des Politischen herausarbeiten. Gerade Hannah Arendt hat entscheidendes für das Verständnis dieser Tradition geleistet, indem sie Kants dritte Kritik konsequent als den Entwurf einer politischen Theorie interpretiert hat. Vor dem Hintergrund dieser Tradition kann Lüdemann entscheidende Differenzen zwischen Arendts und Agambens Theorien zur Neubegründung des Politischen aufzeigen. Agambens politische Theorie diffamiert das Prinzip der Unterscheidung überhaupt, während Arendt gerade im Unterscheiden und Urteilen die wichtigsten politischen Kompetenzen sieht.

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Georg Mein schließt, wie auch Geisenhanslüke, an Agambens Studie über Auschwitz an. Für Mein steht jedoch weniger die Frage der Subjektivität im Vordergrund als vielmehr »– horribile dictu –« (S. 224) so etwas wie eine Narratologie des Holocaust, ein »ästhetisches Muster« (S. 225) der Zeugenschaft der Shoah. Dies ist in der Tat ein heikles Unterfangen: Wenn sich nämlich ein ästhetisches Muster für die Zeugenschaft der Shoah nachweisen ließe, wäre augenblicklich jede Singularität einer Erfahrung – und damit jede Zeugenschaft für ein Ereignis – radikal in Frage gestellt. Die »Fassungslosigkeit« (S. 226) des Zeugen angesichts der Schrecken der Shoah wäre damit negiert und in die Fassung einer ästhetischen Form überführt. Mein formuliert aus diesem Grund eine aporetisch klingende Forderung: »Zu fragen wäre daher nach einer Narratologie von Zeugenschaft, nach den poetologischen Mechanismen, die das Erinnern ermöglichen, ohne es an die Logik der Schrift auszuliefern und damit zu verraten« (S. 228).

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Diese Problematik hat eine spannende methodologische Dimension: Das Paradigma der »Tradition«, das in den aktuellen kulturwissenschaftlichen Diskursen über Gedächtnis und Erinnerung eine prominente Rolle spielt, wird durch die Möglichkeit einer traumatischen »Diskontinuität« (S. 231) der historischen Erfahrung infolge der Schrecken des Nazi-Regimes radikal verunsichert. Mit Agamben kann Mein schließlich paradoxerweise gerade das Bezeugen »der Unmöglichkeit zu sprechen« (S. 238) als die Möglichkeit von Zeugenschaft überhaupt und damit auch einer Historiographie der Shoah ausweisen. Eine kurze, aber pointierte Lektüre von Tadeusz Borowskis Bei uns in Auschwitz zeigt zwar, dass dieses Modell nur schwierig in eine konkrete Lektüre literarischer Texte zu überführen ist – denn jedes Sprechen, auch über die Unmöglichkeit zu sprechen, setzt doch auch wieder die Möglichkeit des Sprechens voraus. Gerade in der Einsicht in diese Problematik macht Meins Aufsatz zentrale Aporien der Zeugenschaft der Shoah deutlich.

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Manfred Schneider schließlich ordnet die Theoreme Agambens in seinem Beitrag »Der Messias und die Reste. Giorgio Agambens Paulus-Lektüre« virtuos in den geistes- und philosophiegeschichtlichen Kontext des Abendlands ein. Diese Einschreibung von Agambens Paulus-Lektüre in eine ganze Traditionsreihe und philosophische Abstammungslinie bringt einige hermeneutische Vorteile. Vor allem ermöglicht sie Schneider eine wohltuende Unaufgeregtheit im Umgang mit Agambens Theoremen. Dass Agamben die »messianische Zeit« bei Paulus mit dem Konzept des als ob nicht und dieses wiederum mit der Aussetzung jeglichen Rechtsverhältnisses – mithin also mit dem Ausnahmezustand im Sinne Carl Schmitts – verbindet, erscheint in Schneiders Lektüre als eine überraschend traditionelle Geste, die »auch im Zentrum aller Paulus-Lektüren und Paulus-Kommentare steht« (S. 53). Agambens Lektüre von Paulus als Begründer der politischen Philosophie ist, so kann mit Blick auf die vorausgehende Tradition der Paulus-Kommentare gelernt werden, wenig originell.

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Dagegen betont Schneider die Verbindung, die Agamben zieht zwischen der messianischen Sprache und der »Poesie«: in beiden Sprechweisen gehe es um die Offenbarung der »Sprache als Sprache«, als »reine Potenz« (S. 54). Wie aber geht dieser Gedanke zusammen mit der – auf den letzten Seiten seines Essays vollzogenen und vielleicht etwas waghalsigen – Wende Schneiders zur aktuellen Weltpolitik? Helfen die Erkenntnisse über die reine Potenz des Sprechens im Messianismus und in der »Poesie« wirklich, den Messianismus »als politische Kraft im Herzen des Nahen Osten« (S. 57) zu begreifen? Manfred Schneider scheint hier zu zögern und schaltet eine Differenz ein zwischen dem eigentlichen Messianismus und dem »Messianismus ohne Messias« als »Messiasgespenst, Messiaspoesie« (S. 57). Damit ist man jedoch sehr schnell wieder bei der platonischen Medientheorie zwischen »Sein« und »Schein«, die Agamben selbst gelegentlich entfaltet. Schneiders Versuch, die Kategorien Agambens auf aktuelle weltpolitische Konstellationen jenseits von Guantanamo zu applizieren, erscheint spannend gerade in dem Moment, wo er zugleich die Grenzen der politischen Philosophie Agambens erahnen lässt.

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Zusammenfassend

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Der Sammelband liefert insgesamt eine vielschichtige Darstellung sowohl der Kritik Arendts und Agambens an den klassischen Modellen der Begründung des Politischen, ebenso wie der von ihnen diskutierten Ideen zu einer neuen Bestimmung des Politischen. Die Begrenzung auf die Texte Arendts und Agambens ist dabei eine klare Stärke des Bandes, vor allem, weil es gelingt, die Philosophie Agambens, die in den deutschen Geisteswissenschaften derzeit en vogue ist, in Relation zum Œuvre Arendts zu setzen, das noch immer unterschätzt wird. Eine Ausweitung des Blickwinkels auf weitere Autoren und Probleme wäre sicherlich wünschenswert gewesen – eine ausführlichere Thematisierung der politischen Philosophie Kants, Hegels, Foucaults, ein Vergleich etwa mit Jacques Derridas oder René Girards Theorien, eine Thematisierung der Globalisierung aus der Perspektive Arendts und Agambens oder eine konsequentere Fokussierung auf das Feld der politischen Theologie. Allerdings erwächst daraus kein Argument gegen die Konzeption des Bandes.

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Zur auch fortan immer wieder neu beginnenden Erforschung von Entwürfen des Politischen leistet der vorgelegte Band einen wertvollen Beitrag.

 
 

Anmerkungen

Hannah Arendt: Vita Activa oder Vom tätigen Leben [1958]. München, Zürich: Piper 2002, S. 69 sowie S. 411.   zurück
Giorgio Agamben: Noten zur Politik [1992]. In: ders.: Mittel ohne Zweck. Noten zur Politik. Übers. von Sabine Schulz. Zürich, Berlin: Diaphanes 2001, S. 95–102, hier S. 95.   zurück
Vgl. etwa Bettine Menke: Die Zonen der Ausnahme. Giorgio Agambens Umschrift ›Politischer Theologie‹. In: Politische Theologie. Formen und Funktionen im 20. Jahrhundert. Hrsg. von Jürgen Brokoff und Jürgen Fohrmann. Paderborn u.a.: Schöningh 2003, S. 131–152; Andrew Norris: Die exemplarische Ausnahme: Philosophische und politische Entscheidungen in Giorgio Agambens Homo sacer. In: Urteilen/Entscheiden. Hrsg. von Cornelia Vismann und Thomas Weitin. München: Fink 2006, S. 254–268; Philipp Sarasin: Agamben – oder doch Foucault? In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 51 (2003), S. 348–353.   zurück
Vgl. etwa Maximilian Bergengruen und Roland Borgards: Bann der Gewalt. Theorie und Lektüre (Foucault, Agamben, Derrida / Kleists Erdbeben in Chili). In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 81 (2007), S. 228–256.   zurück
Vgl. Giorgio Agamben: Das unheilige Leben. Ein Gespräch mit dem italienischen Philosophen Giorgio Agamben. In: Literaturen 01/2001, S. 17–22, hier: S. 18; vgl. Hannah Arendt: Macht und Gewalt. Übers. von Gisela Uellenberg. München, Zürich: Piper 1970, S. 35.   zurück
Vgl. Giorgio Agamben: Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. Übers. von Hubert Thüring. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2002, S. 14.   zurück