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Architektur systemtheoretisch beobachtet = Architektur der Gesellschaft?

  • Michael Dürfeld: Das Ornamentale und die architektonische Form. Systemtheoretische Irritationen. Bielefeld: transcript 2008. 160 S. Kartoniert. EUR (D) 19,80.
    ISBN: 978-3-89942-898-8.
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Trotz eines stark vorbelasteten Verhältnisses von Architektur und Systemtheorie wagt Michael Dürfeld mit seiner Arbeit über Das Ornamentale und die architektonische Form nichts Geringeres als den Versuch, Ornamentalität mithilfe Niklas Luhmanns als grundlegendes künstlerisches Prinzip der Formengenerierung zu interpretieren und das Ornamentale infolgedessen als die spezifisch künstlerische Qualität des architektonischen Entwurfprozesses zu identifizieren (vgl. S. 15).

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Ornament und Entwurf

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Ausgangspunkt seiner Arbeit bildet das in der architekturtheoretischen Forschung bislang noch nicht hinreichend gelöste Problem der Ornamentinterpretation. Wenngleich das Ornament im Architekturdiskurs nicht mehr allein als Schmuck oder Verzierung verhandelt wird, sondern bereits in Verbindung zu spezifischen Entwurfsstrategien gesehen wird, mangelt es dennoch an einem grundlegenden Ornamentbegriff, unter welchem sich die vielfältigen aktuellen Phänomene des Ornamentalen subsumieren lassen. Dürfeld geht deshalb davon aus, dass das Gemeinsame dieser Phänomene von grundsätzlicherer Art sein muss und erst in der Verbindung von Ornament und Entwurf zu finden ist (vgl. S. 15).

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Vom Ornament zum Ornamentalen

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Entgegen den minimalistischen, kritisch-performativen und metaphorischen Auffassungen des Ornaments architekturtheoretischer Forschungen richtet Dürfeld den Blick nunmehr auf einen prozessorientierten Ornamentbegriff und »sucht nach einer architekturtheoretischen Reformulierung des Ornamentalen«. 1 Dabei macht er von einer Theorie Gebrauch, welche dem Prozesscharakter des Ornamentalen gerecht werden soll: Die Systemtheorie Niklas Luhmanns. In Die Kunst der Gesellschaft definiert Luhmann das Ornament als Grundform des Entwickelns von Formen aus Formen. 2

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Mit dieser prozessorientierten Definition verschiebt Luhmann den Fokus vom Ornament als einer Gestaltform zum Ornamentalen als einer Prozessform: Das Ornamentale wird zum grundlegenden künstlerischen Formengenerierungsprinzip. 3

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Diese Verschiebung setzt jedoch voraus, dass Form in der spezifisch differenztheoretischen Lesart Luhmanns, nämlich als Produktion einer Unterscheidung, verstanden wird (vgl. S. 113). Form meint also immer die Form einer Unterscheidung. 4 Nur so lässt sich der Ornament-Begriff als ein »generische[r] Begriff« (S. 113) begreifen, der als basale Operation der Unterscheidung Formen aus Formen zu generieren vermag.

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Architektur – systemtheoretisch beobachtet

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Zweifellos ist Dürfeld darin Recht zu geben, dass er mit seinem Ansatz eine für die Architekturtheorie neue Perspektive auf das Ornamentale als das genuin Künstlerische der architektonischen Form eröffnet. 5 Inwiefern dieser dann den Weg in eine formentheoretische Architekturwissenschaft findet, wird der architekturtheoretische Diskurs zeigen. Dürfelds Auseinandersetzung mit einem der zentralen Begriffe der Architekturtheorie ist somit in erster Linie an Vertreter von Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaft adressiert.

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Mit der Wahl seines Beobachtungsinstrumentariums richtet er sich jedoch zugleich an die systemtheoretische Soziologie. Für diese ist allerdings weniger die formentheoretische Untersuchung als vielmehr die systemtheoretische Beobachtung der Architektur von Interesse und hinsichtlich ihres Potentials für Untersuchungen zu einer »Architektur der Gesellschaft« zu befragen (vgl. S. 23). Mit der Frage nach einem »Sozialsystem Architektur« (S. 30), wie sie in diesem Zusammenhang zwangsläufig gestellt werden muss, gerät Dürfeld aber schon bald in die Bedrängnis eines mäandernden Forschungsfeldes, welchem er nicht selten eine Antwort schuldig bleiben muss. 6

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Dürfeld wählt deshalb den Weg über die Anwendung, die »[…] sich v.a. auf die im Luhmannschen Ornamentbegriff steckenden formentheoretischen Überlegungen konzentriert […]«, gibt dabei aber zu bedenken, dass ein solcher Anwendungsversuch immer auch »den Gesamtrahmen der systemtheoretischen Gesellschaftskonzeption« zu beachten habe (S. 31). Wenn Dürfeld also von einer systemtheoretischen Beobachtung der Architektur spricht, so meint er vielmehr den »Versuch, das Irritationspotential des im Luhmannschen Ornamentbegriff eingeschlossenen erkenntnistheoretischen Paradigmenwechsels in der Architekturtheorie freizusetzen.« (S. 32) Dies sucht er über die Thematisierung grundlegender Interferenzbereiche von Architekturtheorie und Systemtheorie zu bewerkstelligen und will am Ende seiner Studie gar eine ornamentale Architektonik in der Luhmannschen Systemtheorie entdecken.

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Fazit

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Nun liegt es nahe, einen derart heterogenen Begriff wie das Ornament mithilfe einer Theorie reformulieren zu wollen, die diesen selbst bereits für sich formuliert. Gegen eine solche Vorgehensweise ist zunächst einmal grundsätzlich nichts einzuwenden. Doch empfiehlt es sich, diese Theorie nicht nur zur Anwendung zu bringen, sondern ebenso kritisch zu hinterfragen. Und in diesem Fall wäre schwerlich auszublenden gewesen, dass die Systemtheorie Niklas Luhmanns in ihrer differenzlogischen Konzeption nicht ganz frei von Inkonsistenzen ist. Und so wird die Frage nach der Differenz im Wesentlichen von einer Paradoxie bestimmt, die die Systemtheorie zu entfalten in der Lage ist, nicht aber zu lösen vermag. Macht man sich die Konsequenzen dessen bewusst, so würde dies bedeuten, dass auch der Ornamentbegriff in seiner Reformulierung bei Dürfeld bereits paradoxal angelegt ist. Indem Dürfeld die formtheoretischen Überlegungen Luhmanns kurzschlüssig zur Begründungsebene für den architektonischen Entwurfsprozess erklärt – dem hier eigentlich intendierten Applikationsbereich –, provoziert er damit sehr schnell Zweifel an der Tauglichkeit jener Begründungsebene. Tatsächlich wird im Verlauf seiner Überlegungen mehr und mehr ersichtlich, wie das Formkonzept Luhmanns die eigenen paradoxalen Momente an die ausgewählten architekturtheoretischen Themenkomplexe weitergibt. Unter Umständen können solche Momente konstitutiv und produktiv sein, doch nur dann, wenn sie auf theoretischer Ebene mitreflektiert und in ihrer spezifisch generativen Funktion erläutert werden.

 
 

Anmerkungen

Michael Dürfeld: Das Ornamentale und die architektonische Form. Systemtheoretische Irritationen. Abstract. URL: http://www.duerfeld.de/das_ornamentale_abstract.pdf (Stand: 08/2008)   zurück
Vgl. Niklas Luhmann: Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1995, S. 193.   zurück
Dürfeld, Abstract (wie Anm. 1).   zurück
Für die Form der Unterscheidung gilt grundsätzlich, dass sie für jede Unterscheidung, die getroffen wird, dieselbe ist, d.h. sie ist für jede Unterscheidung identisch. Die Form gibt an, wie unterschieden wird und ist damit universell. Sie ist immer Zwei-Seiten-Form.   zurück
Vgl. das Verlagsinterview unter der URL http://www.transcript-verlag.de/ts898/ts898l.php? (Stand: 09/2008)   zurück
In diesem Fall überlässt der Architekturtheoretiker nur zu gern das Feld der Architektursoziologie (vgl. S. 30), die sonst allgemein eher als Beeinflussung von Außen wahrgenommen und deshalb abgelehnt wurde. So auch Dürfeld, der hier auf die fundierten Ausführungen in Dirk Baeckers Aufsatz »Die Dekonstruktion der Schachtel – Innen und Außen in der Architektur« verweist. Dürfeld zufolge zeigt Baecker Ansatzpunkte auf, wie sich die Architektur als ein eigenständiges Funktionssystem der Gesellschaft beobachten ließe. Vgl. Dirk Baecker: Die Dekonstruktion der Schachtel – Innen und Außen in der Architektur. In: Niklas Luhmann / Frederick Bunsen / Dirk Baecker: Unbeobachtbare Welt. Über Kunst und Architektur. Bielefeld: Haux 1990, S. 67–104.   zurück