IASLonline

Spurensuche

Zur literarischen Rezeption von Mozarts
Leben und Werk

  • Lucjan Puchalski (Hg.): Mozarts literarische Spuren: Werk und Leben des Komponisten im literarischen Diskurs vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Ergebnisse des Symposiums in Wroclaw / Breslau, 20. - 23. November 2006. Wien: Praesens 2008. 384 S. Kartoniert. EUR (D) 27,20.
    ISBN: 978-3-7069-0454-4.
[1] 

Mozart ist derjenige Komponist, von dessen Leben und Werk die Schriftsteller in einem einzigartigen Ausmaß inspiriert worden sind und immer noch werden. Der literarischen Rezeption, die von einem Einzelnen kaum zu überblicken ist 1 , gehen die meisten Autorinnen und Autoren des von Lucjan Puchalski herausgegebenen Bandes nach. In ihm werden 24 Beiträge eines vom Germanistischen Institut der Universität Wrocław veranstalteten wissenschaftlichen Symposiums präsentiert, an dem Musik- und Literaturwissenschaftler aus Frankreich, Österreich und Polen teilgenommen haben. Der Herausgeber hat die Beiträge nicht nach bestimmten Themenbereichen strukturiert. Ich nehme eine grobe Strukturierung vor, wobei ich mich nicht an der Reihenfolge orientiere, in der die Aufsätze gedruckt sind. Zunächst folgen Bemerkungen zu den Studien, die nichts oder nur wenig mit Mozarts literarischer Rezeption zu tun haben. Der nächste Abschnitt gilt den »literarischen Spuren«; hierbei differenziere ich zwischen den Beiträgen, die sich mit der literarischen Rezeption von Mozarts Leben und Werk beschäftigen, und solchen, in denen Mozart eine indirekte Rolle spielt und andere Personen – Lorenzo Da Ponte und die Familie Weber – in den Vordergrund treten. Es ist im Rahmen dieser Rezension nicht möglich, alle Beiträge vorzustellen. Ich beschränke mich auf eine Auswahl – allerdings eine solche, die für den Sammelband charakteristisch ist.

[2] 

Erwähnungen Mozarts in Musikzeitschriften
des 18. und 19. Jahrhunderts, musikalische und literarische Rezeption in Polen, Puschkins Einakter Mozart und Salieri

[3] 

Rainer J. Schwob geht in seinem Beitrag »Mozart und andere Komponisten in frühen Musikzeitschriften« (S. 31–49) anhand einiger im 18. und 19. Jahrhundert wichtiger Zeitschriften – vor allem der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung und des Journal des Luxus und der Moden – Äußerungen nach, in denen Mozart mit musikalischen und Geistesgrößen verglichen wurde – in erster Linie mit Shakespeare. Zwar gibt Schwob auch sehr kritische Stimmen damaliger Musikrezensenten über Mozarts Kompositionen wieder, aber deutlich wird, dass die meisten musikalisch Versierten – anders als das breitere Publikum – Mozarts exzeptionellen Rang sehr früh erkannten und er bereits 1813 zusammen mit Haydn und Beethoven zur »klassische[n] Trias« (S. 48) gehörte.

[4] 

Bedenkt man die Präsenz Mozarts im musikalischen Leben Warschaus seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, wie sie Lech Kolago in seiner Kompilation »Zur Tradition der Aufführungen von Bühnenwerken Wolfgang Amadeus Mozarts auf Opernbühnen in Warschau« (S. 131–150) sehr ausführlich darstellt, dann überrascht der Aufsatz von Marta Kopij »Mozart und die polnische Literatur der Moderne« (S. 151–158). Bereits auf der ersten Seite ihres Beitrages liest man die »Schlussbemerkung« (S. 151): Mozart sei in der polnischen Literatur der Moderne, worunter die Autorin die Literatur nach 1900 versteht, lediglich als Komponist bekannt, von »künstlerischen Inspirationen zumindest im literarischen Umfeld« (ebd.) könne keine Rede sein. Die Mozart-Monographie Zdzisław Jachimeckis aus dem Jahr 1906 sei die »einzige deutlich sichtbare Spur der Mozart-Rezeption in der polnischen Moderne, schreibt sich aber nicht in die literarische Wirkungsgeschichte ein« (S. 152 f.). Zur Erklärung verweist Kopij überzeugend auf die für die damaligen polnischen Schriftsteller maßgebenden Musiker und Philosophen – auf Wagner, Schopenhauer, Bergson, Dostojewskij und vor allem Nietzsche. Wie Nietzsche hätten die polnischen Autoren Mozart als apollinischen, ganz dem achtzehnten Jahrhundert angehörenden, also überlebten Künstler rezipiert, der, anders als Wagner, »kaum Möglichkeiten für eine dionysisch-rauschhafte Identifikation und für Erlebnisse von tragischer Schwere« (S. 155) geboten habe.

[5] 

Die meisten Beiträge befassen sich mit deutschsprachigen Rezeptionszeugnissen. Ausnahmen bilden nur das soeben skizzierte Referat von Marta Kopij und Agnieszka Kodzis-Sofińskas Erörterung »Wolfgang Amadé Mozart als Sinnbild eines gottbegnadeten Künstlers. Alexander Sergejewitsch Puschkins Einakter Mozart und Salieri« (S. 63–76). Puschkins Einakter, in dem das Gerücht von der Vergiftung Mozarts folgenreich literarisiert wurde – man denke an Peter Shaffers Theaterstück Amadeus und dem hierauf basierenden gleichnamigen Miloš Forman-Film –, interpretiert die Autorin plausibel: Der russische Dichter charakterisiere zwei unterschiedliche Künstlertypen – auf der einen Seite Salieri als talentierten Musiker, der mit Zähigkeit und Fleiß Karriere gemacht habe; auf der anderen Seite Mozart, »das gottbegnadete, aber unbesonnene Genie« (S. 75). Zudem weist sie auf die Möglichkeit hin, das Theaterstück autobiographisch zu lesen. Puschkin habe »sich mit der Figur des genialen Komponisten besonders verbunden fühlen« (S. 74) können.

[6] 

Metamorphosen des Don Juan-Mythos bei Peter Handke

[7] 

»Wer ich bin, du wirst es nicht erfahren« – dieses Zitat aus Da Pontes Libretto zum Don Giovanni stellt Peter Handke seiner Prosaarbeit Don Juan (erzählt von ihm selbst) voran. Das Zitat signalisiert dem Leser nicht, dass jetzt eine literarische Metamorphose des Don Giovanni folgen wird, wie ihn Mozart und Da Ponte präsentieren, sondern es ist wortwörtlich zu nehmen. Man erfährt aus Handkes Text tatsächlich nicht, wer Don Juan ist, sondern nur, wer oder was er nicht ist, nämlich »kein Verführer« (S. 270). Dies ist der Kern des Beitrages von Małgorzata Grabowska »Zum Don Juan-Motiv in Don Juan (erzählt von ihm selbst) von Peter Handke« (S. 267–278). Handkes Don Juan gehört zu jenen Werken, die eine Umdeutung der mythischen Figur vornehmen. Grabowska vermittelt den Eindruck, dass seit Tirso de Molinas Urfassung Don Juan in der europäischen Literatur kaum anders denn als notorischer »Frauenbenutzer« (S. 267) rezipiert worden sei. Jedoch ist Handke nicht der erste Autor, der eine »Demontage-Dekonstruktion-Umdeutung« (ebd.) vornimmt. Das taten vor ihm außer Horváth (Don Juan kommt aus dem Krieg – hier ist auf den Beitrag von Janusz Golec hinzuweisen: »›Ein Don Juan unserer Zeit‹«; S. 159–170) auch andere Autoren wie, um nur diese zu nennen, George Bernard Shaw (Mensch und Übermensch) und Max Frisch (Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie). Der durchaus anregende Beitrag Grabowskas hat eine eklatante Schwäche: Seine sprachlich-stilistische Gestaltung überschreitet die Grenze des Zumutbaren. Grabowska formuliert ihre Intention so: »Don Juan ist ein mobiler, intellektueller, fluktuierender, dichterisch-künstlerischer ›Transitbereich‹ –›Grenzbereich‹, eine kongeniale Synthese der folgenden nonverbalen Transformationen: Intellekt-Poesie, Wahrheit-Utopie, Illusion-Hoffnung, Verstummen-Sprache« (S. 268). So schreibt man nicht.

[8] 

Mozart bei Goethe, Hermann Hesse, Thomas Bernhard und Ernst Jünger

[9] 

Eröffnet wird der Sammelband (nach dem Vorwort des Herausgebers) mit einem Beitrag, der zur eigentlichen literarischen Mozart-Rezeption gehört, mit Werner Michlers Referat »Die Zauberflöte und das Problem der literarischen Gattungen. Zu Mozart und Goethe« (S. 11–29). Michler ist sehr wohl bewusst, dass zu Goethes Fortsetzung Der Zauberflöte Zweyter Theil sowie zur Bedeutung der Zauberflöte in Goethes Werk insgesamt beeindruckende Forschungsbeiträge vorliegen. 2 Angesichts der Forschungsliteratur, die es kaum ermöglicht, noch Neues zu sagen, will sich Michler bescheiden. Nach einleitenden Bemerkungen zu Mozarts und Schikaneders Zauberflöte »soll im Folgenden bescheiden gefragt werden, welche gattungshistorische Konstellation hinter Goethes Interesse an der Zauberflöte steht« (S. 11). Der hohe verbale Aufwand, den Michler betreibt, lässt sich auf einen einfachen Sachverhalt reduzieren, der mit einem Goethe-Zitat, das bei Michler nicht vorkommt, erhellt werden kann. In den Tag- und Jahresheften1789 heißt es: »Diese reine Opernform, welche vielleicht die günstigste aller dramatischen bleibt, war mir so eigen und geläufig geworden, daß ich manchen Gegenstand darin behandelte.« 3 Die Auffassung von der Gattung Oper als der dramatischen Form schlechthin und Goethes bekannte Verehrung Mozarts sind hinreichend, Goethes Interesse an einer Fortsetzung der Zauberflöte zu belegen.

[10] 

Zwei Beiträge gelten der Mozart-Rezeption Hermann Hesses. Helga Abret hat sich in ihrer Abhandlung »Das ›tiefe Rätsel dieses rätselhaftesten Genies [...]‹. Hermann Hesse über Mozart in Rezensionen und Briefen« (S. 171–193) »die weniger dankbare Aufgabe gestellt, in nichtfiktionalen Texten, in Buchbesprechungen und Briefen, nach Spuren von Hesses lebenslanger Beschäftigung mit Mozart und dessen Musik zu suchen« (S. 172). Hierzu hat sie die Schriften zur Musik, die immense Anzahl von Rezensionen und das gewaltige Briefcorpus Hesses gesichtet. In einem berühmt gewordenen Tagebuchblatt aus dem Tagebuch 1920/21 hat Hesse die Quintessenz seiner stets erneuten Beschäftigung mit Mozart festgehalten: »Da fällt mir ein Wort ein, das magische Wort für diesen Tag: MOZART. Das bedeutet, die Welt hat einen Sinn, und er ist uns erspürbar im Gleichnis der Musik« (S. 182). Man greift nicht zu hoch, wenn man feststellt, dass Hesse, der während des Ersten Weltkrieges und danach eine »existenzielle Krise« (S. 182) durchlebte, in Mozart seine Rettung fand. Ob diese Rettung auch Harry Haller, dem Alter ego des Romans Steppenwolf, gelingen wird, bleibt offen, wie Maria Kłańska in ihrem Beitrag »›Einmal würde ich das Lachen lernen.‹ Zum Mozartmotiv in Hermann Hesses Steppenwolf« (S. 195) zu Recht feststellt. Kłańska geht es nicht um eine Gesamtinterpretation des evident autobiographischen Romans, sondern um Hesses Mozart-Bild. Hesse verkläre den lachenden Mozart des »Magischen Theaters« nicht und platziere ihn nicht auf den Sockel eines unerreichbaren Denkmals. Allerdings mache er ihn auch nicht zu einem gewöhnlichen Menschen mit einem außergewöhnlichen Talent. Für Hesse bleibe Mozart das »rätselhafteste Genie« (S. 174). Man könne, so argumentiert Kłańska am Schluss ihres Beitrages mit Bezug auf einen Aufsatz Dirk Niefangers 4 , Hesses Roman auch als Versuch lesen, im Rahmen eines Kunstwerks »auf die Biographienmode in der Literatur der Weimarer Republik« (S. 209) mit einer Art »Alternativbiographie« (ebd.) zu reagieren.

[11] 

In Wolfgang Hildesheimers Mozart-Buch, das von Irena Światłowska vorgestellt wird (»Das ›Vierte Buch‹ über Mozart von Wolfgang Hildesheimer«, S. 241–250), macht sich auch ein anti-österreichischer Affekt bemerkbar: Hildesheimer wendet sich gegen manche österreichische Mozart-Biographen, denen er eine »doppelte Idolatrie (Mozart+Österreich)« 5 vorwirft. Hierin berühren sich Hildesheimer und Thomas Bernhard, wenngleich Bernhards Invektiven gegen die Republik Österreich weit über Hildesheimers Kritik hinausgehen. Mozart allerdings gehörte für Bernhard zu den großen Meistern, wie Maciej Łyk in seinem Beitrag »›Einen Mozart bitte.‹ Zu Thomas Bernhards Erfahrung mit dem großen Komponisten« (S. 291–302) in erster Linie anhand der Biographie Bernhards darlegt. In dem Theaterstück Der Ignorant und der Wahnsinnige erfährt die literarische Rezeption Mozarts durch Thomas Bernhard ihre deutlichste Ausprägung. Łyk erwähnt noch weitere Werke Bernhards, in denen Mozart von literarischen Figuren kritisch bewertet wird. So z.B. im Roman Alte Meister, in dem der Protagonist, der Musikschriftsteller Reger, behauptet, dass auch Mozart »dem Kitsch nicht entkommen« (S. 299) sei. Anstatt nun aber der Frage nachzugehen, inwieweit die Figurenperspektive auch die des Autors Bernhard ist, begnügt sich Łyk mit Fragen: »War Bernhard von Mozart wirklich fasziniert? Hat er dem großen Komponisten nicht etwa die ihm gebührende Ehre und Anerkennung geraubt? Oder hat er ihn bloß nachahmen wollen?« (S. 302) Fragen, die ohne Antwort bleiben. Es sei denn, man hält Folgendes für eine solche: »Viele Fragen – viele Antworten. Eins steht fest: Wenn die Werke von Mozart oder Bernhard gespielt werden, klingen sie immer nach Mozart oder nach Bernhard. Einen Bernhard bitte!« (ebd.)

[12] 

Es sei schwierig, so heißt es in Wojciech Kunickis informativem Beitrag »Mozarts Bilder bei Ernst Jünger« (S. 211–219), »über Mozart bei einem Autor zu schreiben, der im Gegensatz zu seinem Bruder, Friedrich Georg Jünger, unmelodisch [recte: unmusikalisch] war« (S. 211). Dieser Schwierigkeit begegnet Kunicki, indem er die Präsenz Mozarts im Werk Ernst Jüngers auf vier Ebenen analysiert – auf der autobiographischen, der »ästhetischen Gestaltung des Wirklichen, insbesondere mit Bezug auf die Bühnenmetaphorik« (ebd.), der »weltanschaulichen Auseinandersetzung mit der Moderne, insbesondere mit ihren Zäsuren« (ebd.), und »auf der Ebene einer Projektion des Künftigen in unsere Zeit, als Umkehrung der Revolutionsdialektik« (ebd.). Der größte Teil des Beitrages von Kunicki bezieht sich auf den zweiten Aspekt, auf die Bühnenmetaphorik. Die Mehrzahl der Passagen, in denen Mozart von Jünger erwähnt wird, betreffen Bühnenwerke, vor allem die großen Opern – in erster Linie die Zauberflöte, Don Giovanni und Le nozze di Figaro. Das ist bei einem unmusikalischen Autor verständlich, kann er sich doch an Literatur, an die Libretti, halten. Kunicki hebt vor allem die Bedeutung der Bühnenmetaphorik im Werk Ernst Jüngers hervor:

[13] 
Die Metaphorik der Bühne, des Spektakels und insbesondere der Oper durchzieht das ganze Werk Jüngers, insbesondere in den 30er und 40er Jahren. [...] Diese ästhetische Opernbühne ist gleichzeitig die große Bühne des Geschichtlichen, auf der sich die Wandlungen der Herrschaftsformen abspielen (S. 214).
[14] 

Mit anderen Worten: Den Opern – und hier speziell denen Mozarts – kommt kein ästhetischer Eigenwert zu, sondern sie fungieren als Argumentationshilfen für Jüngers Auffassung vom »Opernhafte[n] und Bühnenartige[n] der modernen Systeme« (S. 215).

[15] 

Der Mozart-Film Die letzte Liebe

[16] 

Neues bietet der Beitrag von Cornelia Szabó-Knotik »Mozarts letzte Liebe – Egon v. Komorzynskis Dilemma von Biographie versus Belletristik« (S. 221–240). Der Musikwissenschaftler Egon von Komorzynski (1878–1963) hat nicht nur zahlreiche Arbeiten über Mozart und vor allem Schikaneder verfasst, sondern 1941 auch einen Roman mit dem Titel Pamina. Mozarts letzte Liebe veröffentlicht. In ihm geht es um Anna Gottlieb (1774–1856), die bei der Uraufführung der Zauberflöte am 30.09.1791 die Rolle der Pamina gesungen hatte. Komorzynski nahm für sich in Anspruch, als Erster das innige Verhältnis Mozarts zu Anna Gottlieb eruiert und wissenschaftlich erhärtet zu haben. Diese Liebe gehört, darüber besteht in der Forschung Einigkeit, ins Reich der Legende. Der Roman hatte Folgen. In dem für Österreich denkwürdigen Jahr 1955 – Abschluss des Staatsvertrages und Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper – begannen die Dreharbeiten zu dem Mozart-Film Die letzte Liebe, der »geradezu [einen] offiziösen Anspruch [...] als Kunstwerk und Gedächtnisort des (einer wesentlichen Legende dieser Zeit zufolge) ›aus der Asche des III. Reiches wiedererstandenen‹ Musiklandes« (S. 223) Österreich erhielt. Drehbuchautor und Regisseur griffen für ihr Skript auf den Roman und wissenschaftliche Veröffentlichungen Komorzynskis zurück. In einer gerichtlichen Auseinandersetzung verlangte Komorzynski materielle Entgeltung als Autor des dem Drehbuch auch zugrunde liegenden Romans, wobei er allerdings darauf beharrte, dass seine epische Darstellung wissenschaftlich fundiert sei. Komorzynskis Klage wurde abgewiesen; das Gericht entschied, dass der »Stoff als abgeltungsfreie wissenschaftliche Erkenntnis« (S. 237) angesehen werden müsse. Szabó-Knotik nimmt einen minuziösen Vergleich zwischen dem Film und dem Roman sowie anderen Veröffentlichungen Komorzynskis vor und kommt zu dem Ergebnis, dass Film und Roman »indirekt verwandt« (S. 231) seien, und sie problematisiert »das im Grunde fließende Verhältnis von historischen Fakten und Fiktionen in biographischen Beschreibungen« (S. 222). Die Skizzierung des zeitgeschichtlichen Hintergrundes, die Bemerkungen zur gerichtlichen Auseinandersetzung, der sorgfältige Vergleich und die abschließenden Reflexionen zum Verhältnis von Fakten und Fiktionen machen diesen Aufsatz zu einem sehr lesenswerten Beitrag.

[17] 

Lorenzo Da Ponte und die Familie Weber

[18] 

Den drei Libretti, die Lorenzo Da Ponte für Mozart geschrieben hat, verdankt er seinen Ruhm. So ist es nicht verwunderlich, dass auch er die literarische Phantasie anregte – zumal sein Leben Abenteuerliches genug bietet. Man könne über Mozart schreiben, ohne Lorenzo Da Ponte zu erwähnen, ein Text über Da Ponte unter Auslassung Mozarts sei nicht denkbar, schreibt Wynfried Kriegleder in seinem instruktiven Beitrag »Lorenzo Da Ponte und sein Nachleben in der Literatur« (S. 77–100). Insofern gehören literarische Werke über Da Ponte zu »Mozarts literarischen Spuren.« Nach einer knappen biographischen Skizze und der Analyse einer 1791 in Wien unter dem Titel Anti-da Ponte erschienenen Polemik stellt Kriegleder zunächst drei Prosawerke vor: Julius Grosses dreibändigen Roman Daponte und Mozart (1874), Marianne Westerlinds Roman Unsterblicher Mozart (1938) und Günter Andrees’ Buch Mozart und Da Ponte oder Die Geburt der Romantik (1936). In Grosses Roman steht der konstruierte Konflikt zwischen der deutschen Musik und der die damalige Wiener Musikszene beherrschenden, negativ charakterisierten italienischen Musik im Zentrum. Ganz ähnlich macht Marianne Westerlind Mozart »zum deutschen Genius« (S. 87) und gibt am Ende ihres Romans der Vergiftungslegende folgende Variante: »›Ist Mozart vergiftet worden – seiner allzu deutschen Seele halber?‹ « (ebd.). Die Deutschtümelei kann, bedenkt man das Erscheinungsjahr 1938, nicht überraschen, wohl aber die Tatsache, dass Da Ponte eine insgesamt positive Figur ist: Er erkennt Mozarts Genialität und setzt sich für den Komponisten bei Joseph II. ein. Erstaunlich ist, dass Da Pontes jüdische Herkunft unerwähnt bleibt. In Günter Andrees’ Roman ist das anders. Hier erfahren der Leser und die Leserin, um wen es sich handelt – um den »ehemaligen ›Ghettoknaben Emanuele Conegliano‹« (S. 89). Obwohl Andrees ständig mit antisemitischen Stereotypen arbeitet, steht für ihn außer Frage, dass Da Ponte, obwohl ein moralisch zweifelhafter Charakter, als Librettist Unübertreffliches geleistet hat. Da Pontes Übersiedlung in die USA ist nicht mehr Thema von Andrees’ Roman. Wohl aber kommt er in Ferdinand Kürnbergers Roman Der Amerikamüde (1855) »in einer unbedeutenden Episode« (S. 91) vor. Sie zeigt den ehemals berühmten Librettisten als verkannten, heruntergekommenen alten Mann, der im angeblich völlig kulturlosen Amerika keine Chance gehabt habe. Kürnbergers antiamerikanischer Roman mit seiner These, »dass in den USA jegliche Kunst angesichts der schnöden Prosa der Verhältnisse zum Scheitern verdammt sei« (S. 95), erfährt in Herbert Rosendorfers Libretto Mozart in New York (1991) eine differenziertere Sicht. Dem Satz des Kapitalisten Anderson »Mozart is money« (ebd.) entspricht das ignorante Bekenntnis des Grafen Wolkenstein, eines Vertreters der alten Welt: »Ich mach’ mir nichts aus Opern« (ebd.). Offensichtlich ist »das kulturelle Erbe auch in der alten Welt nicht gerade gut aufgehoben« (S. 95 f.). Dies kennzeichnet auch Peter Turrinis Auftragsarbeit für die Salzburger Festspiele 2002 Da Ponte in Santa Fe. In seinem turbulenten Drama attackiert Turrini »den zeitgenössischen Kunstbetrieb« (S. 96); »[s]owohl Rosendorfer als auch Turrini erzielen durch das amerikanische Setting einen Verfremdungseffekt, der eine satirische Dekouvrierung [sic] des aktuellen Kulturbetriebs erlaubt« (S. 97). Abschließend befasst sich Kriegleder mit einem Abschnitt aus Gert Jonkes Band Strandkonzert mit Brandung – dem Teil Seltsame Sache. Melodram für Lorenzo Da Ponte. Es ist der Monolog des alten Da Ponte, der sich an seine Wiener Zeit, auch an Mozart erinnert (ohne dass dessen Name genannt wird), und raum- und zeitüberwindend »die Entwicklung der Musik bis ins 20. Jahrhundert [kritisch und witzig kommentiert]« (S. 99) –»a portrait of the artist as an old man« (S. 100).

[19] 

Personen aus dem Leben Mozarts haben, wie gezeigt, die Phantasie immer wieder beflügelt – u.a. Lorenzo Da Ponte, Anna Gottlieb, Emanuel Schikaneder, Karl Ludwig Giesecke und die Familie Weber. Der Familie Weber – und damit auch der Ehefrau Constanze – gilt Lucjan Puchalskis Beitrag »Die abwesende Präsenz. Zur Mozart-Stereotypik in Felix Mitterers Stück Die Weberischen« (S. 371–384). Mitterers Stück Die Weberischen. Ein Bänkelgesang aus dem Hause Schikaneder, ein Auftragswerk für das Mozart-Jahr 2006, gibt Einblicke in wichtige Stationen im Leben Mozarts, ohne dass der Komponist, der in einem Nebenzimmer komponiert, ins Geschehen eingreift. Die Gespräche der Familienmitglieder beziehen sich alle auf den Abwesenden, Gespräche, die deutlich machen, dass die Familie Weber in Mozart lediglich ein Mittel zur Erfüllung materieller und erotischer Wünsche sieht. Man könne, so Puchalski überzeugend, die Familie Weber »als eine Metapher für die heute stattfindende rücksichtslose Vermarktung seiner [scil. Mozarts] Musik und seiner Person [auffassen]« (S. 381).

[20] 

Hanns-Josef Ortheils Mozart-Rezeption

[21] 

Katarzyna Grzywkas Aufsatz »›Vor der Schrift ist die Sprache, vor der Sprache das Sprechen, vor dem Sprechen aber die Musik.‹ Hanns-Josef Ortheil über Mozart und seine Kunst« (S. 315–338) stellt Ortheils Essaybände Mozart im Innern seiner Sprachen und Mozarts Bäsle-Briefe sowie Ortheils Tagebuchtext Das Glück der Musik. Vom Vergnügen, Mozart zu hören vor. Die Autorin geht auch auf den Roman Die Nacht des Don Juan ein, in dem Ortheil von der Uraufführung des Don Giovanni 1787 in Prag opulent erzählt. Ihrem Vorhaben gemäß befasst sich Grzywka nicht mit dem »Wechselspiel zwischen dem Fiktiven und dem historisch Verbürgten« (S. 326), sondern konzentriert sich auf das von Ortheil »skizzierte literarische Porträt« (ebd.) Mozarts. Ortheil charakterisiere Mozart auf dreierlei Weise (wobei sich manche Übereinstimmungen mit den Auffassungen Hesse und Hildesheimers ergeben) – als einen Menschen, der sich »nach Alleinsein, Stille, Anonymität« (S. 327) sehne, als »Spaßmacher« (ebd.) und als Komponisten, dessen Elemente »[d]as Momentane, das Spontane, das Impulsive, das Unruhige, das Bewegliche« (S. 329) seien.

[22] 

Während Grzywka dem von Ortheil romanhaft entworfenen Porträt Mozarts nachgeht, befasst sich Joanna Jabłkowska mit der Frage, ob Die Nacht des Don Juan als postmoderner Roman anzusehen sei (»Mozart, postmodern? Zu Hanns-Josef Ortheils Roman Die Nacht des Don Juan«, S. 339–354). Nach einer ausführlichen Analyse und Interpretation, in denen die Autorin auch auf das Verhältnis von Fakten und Fiktion eingeht, gelangt sie zu dem einleuchtenden Fazit, dass der Roman die wichtigsten Kriterien aufweise, die Ortheil selbst als entscheidend für Postmodernität angesehen habe:

[23] 
die Lebenskünstler-Hauptfigur, die sich nicht eindeutig festlegen lässt, das Prinzip des Spiels mit dem Leser, der in der Konstruktion des Spiels den Plan des Textes erraten soll, die Wiederaufnahme von bekannten, oft populären Stoffen [...], schließlich das Prinzip des Alles-ist-schon-gewesen sowie der Gender-Diskurs [...]. Am wichtigsten ist allerdings in Ortheils Trilogie [die Autorin verweist noch auf Ortheils Romane Faustinas Küsse und Im Licht der Lagune] das Prinzip der Intermedialität: die Internalisierung [gemeint ist wohl: Integrierung] der Autobiographie, der Malkunst, der Musik und des Theaters in die Romangattung (S. 354).
[24] 

Fazit

[25] 

Der Sammelband enthält neben Beiträgen, die mit dem Titel »Mozarts literarische Spuren« nichts tun zu haben, neben allzu Bekanntem und Oberflächlichem auch eine Anzahl lesenswerter Studien, die Neues und Instruktives bieten. Im Klappentext ist die Rede von einem »komparatistische[n] Ansatz« – aber viel Komparatistisches weist der Band nicht auf. Die meisten Beiträge befassen sich mit der deutschsprachigen literarischen Rezeption. Bedauerlich ist auch, dass der Band weder an seinem Ende noch am Ende der einzelnen Beiträge bibliographische Angaben hat. So muss sich man sich für ein weitergehendes Interesse die entsprechenden Angaben aus den Anmerkungen zusammensuchen.

[26] 

Inakzeptabel sind die vielen, die Lektüre störenden Fehler. Sie müssen wohl den Autorinnen und Autoren zur Last gelegt werden. Anders wäre es, wenn es sich um übersetzte Beiträge handeln sollte. Dann müsste gefragt werden, ob die Autorinnen und Autoren Gelegenheit hatten, die Beiträge gegenzulesen. Allerdings findet sich in dem gesamten Band kein Hinweis auf eventuelle Übersetzungen. Wie auch immer: Zahlreiche Schreibfehler 6 , falscher Wortgebrauch 7 , grammatische Unzulänglichkeiten 8 , stilistisch Fragwürdiges 9 , sachlich Falsches 10 und anderes mehr 11 machen die Lektüre zu einer ärgerlichen Angelegenheit. Kurz: So hätte der Sammelband nicht in die Leserwelt entlassen werden dürfen.

 
 

Anmerkungen

Grundlegend sind die Bibliographien, die Erdmann Werner Böhme vorgelegt hat: Mozart in der schönen Literatur. In: Bericht über die musikwissenschaftliche Tagung der Internationalen Stiftung Mozarteum in Salzburg 1931. Leipzig 1932, S. 179–297, und ders.: Mozart in der schönen Literatur. 2. Teil: Ergänzungen und Fortsetzung. In: Mozart-Jahrbuch 1959, S. 165–187. Speziell zur Zauberflöte vgl. Günter Meinhold: Zauberflöte und Zauberflöten-Rezeption. Studien zu Emanuel Schikanders Libretto Die Zauberflöte und seiner literarischen Rezeption. Frankfurt/M. 2001 (= Hamburger Beiträge zur Germanistik. Band 34).   zurück
Vgl. hierzu Dieter Borchmeyer: Goethe, Mozart und die Zauberflöte. In: Ders.: Mozart oder Die Entdeckung der Liebe. Frankfurt/M., Leipzig 2005, S. 251–279. Im Anmerkungsteil (S. 369–375) finden sich alle wichtigen Forschungsbeiträge. Ich möchte besonders auf den älteren, immer noch maßgeblichen Aufsatz Hans-Albrecht Kochs hinweisen: Goethes Fortsetzung der Schikanederschen Zauberflöte. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1969, S. 121–163.   zurück
Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Hg. v. Ernst Beutler. Band XI. Zürich 1950, S. 623. Den Hinweis auf diese Stelle verdanke ich Borchmeyers Aufsatz (Anmerkung 4).   zurück
Dirk Niefanger: Harry Haller und die großen Männer. Hermann Hesses »Steppenwolf« im Kontext der Biografien-Mode. In: Hermann Hesse 1877–1962–2002. Hg. v. Cornelia Blasberg. Tübingen 2003, S. 87–102.   zurück
Wolfgang Hildesheimer: Mozart. Mit einem Bildteil. Frankfurt/M. 2005 (= it 3126), S. 14, Anmerkung 3.   zurück
Darunter auch sinnentstellende. Z. B. ist die Rede von einem »Lebenslehrlauf« (S. 161) – gemeint ist selbstverständlich Lebensleerlauf. Bei der Endredaktion (sofern sie denn überhaupt vorgenommen wurde) hätte auch der »Gantleman« (S. 347) auffallen müssen.   zurück
Der Komtur wird zum »Kommandanten« (S. 203) gemacht.    zurück
»1787 erschien Don Giovanni in Prag zum ersten Mal auf die Bühne [...]«(S. 103); »Lorenzo Da Ponte wurde [...] in eine jüdische Familie geboren« (S. 77).    zurück
»Frauen als Transitbezirke für Don Juan oder dieser Don Juan als ein höchst mobiles Transit-Phänomen oder beides: ein Komplex von migrierenden Geistern, Phänomenen, Menschen aus Fleisch und Blut, die schon längst aus der Gegenwart, mal in die Vergangenheit, mal die Zukunft herausgefallen sind?« (S. 274) Abgesehen von dem kaum noch zu ermittelnden Sinn: Wie fällt man in die Vergangenheit und in die Zukunft heraus? Nicht viel besser auch das Folgende: »Bormann lehnt seine Aussage auf die Einleitung« (S. 250, Anmerkung 46).   zurück
10 
»La finte semplice« (S. 141) muss »La finta semplice« heißen, falsch auch »La nozze di Figaro« (S. 148). Don Giovannis sog. Champagnerarie beginnt nicht mit »fin ch’al d’al vino« (S. 113), sondern »Fin ch’han dal vino«. Joseph Haydn lebte nicht von 1764 bis 1809 (S. 56).    zurück
11 
Der Autor des Beitrages über Ernst Jünger will die Präsenz Mozarts in Jüngers Werk »auf drei Ebenen« (S. 211) betrachten; es sind dann aber vier.   zurück