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Grenzen einer Grenzziehung

  • Isabel Karremann: Männlichkeit und Körper. Inszenierungen eines geschlechtsspezifischen Unbehagens im englischen Roman des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Königstein/Taunus: Ulrike Helmer 2008. 352 S. EUR (D) 32,00.
    ISBN: 978-3-89741-257-6.
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Isabel Karremanns Studie stellt sich einer disproportionalen theoretischen Fokussierung auf den ›weiblichen Objektkörper‹ entgegen und rückt stattdessen die diskursive Verhandlung des Männerkörpers in das Zentrum einer beeindruckenden soziokulturellen und literaturwissenschaftlichen Analyse. In einer überzeugenden Skizzierung des Untersuchungsvorhabens wird zunächst dargelegt, warum die gewählte Herangehensweise einen längst benötigten methodologischen Perspektivenwechsel mit sich bringt. Dieser wird in den einleitenden Bemerkungen insbesondere deshalb als unabkömmlich postuliert als sich Männlichkeit historisch genau dadurch zum normativen Ideal erheben konnte, indem der Frau, dem Kind und dem Tier eine prekäre Körperlichkeit zugewiesen wurde. Diese Festschreibungsversuche sind demnach als Momente der Abgrenzung und Sicherung eines patriarchalen Subjektstatus zu verstehen, welcher von einer bedürftigen und verletzlichen Physis befreit scheint. Mit Hilfe einer aufschlussreichen Gegenüberstellung von theoretischen und fiktionalen Texten in den jeweiligen, chronologisch angeordneten Kapiteln werden von Karremann daher zunächst prägnante kulturelle, historische und genre-spezifische »Männlichkeitsphantasien« den Untersuchungen der englischen Romane des 18. und frühen 19. Jahrhunderts vorangestellt. Auf diese Weise beleuchtet die Autorin das Wechselspiel zwischen zeitgenössisch-theoretischen gender-Konzeptionen und ihrer künstlerischen Inszenierung.

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Die Textauswahl begründet Karremann damit, dass die herangezogenen Erzählungen exemplarischen Charakter besitzen und somit aufschlussreiche Rückschlüsse auf literatur- und kulturhistorische Bedingungen und Strukturierungen der gender-Debatte zulassen Zudem machen die Romane die Fragilität und Subversionsanfälligkeit einer geschlechtsspezifischen Grenzziehung sichtbar, die sich hinter einem durchgängig erscheinenden Habitus männlich- normativer Selbstversicherung verbergen. Dabei rückt der Männerkörper als zentrales Irritationsmoment in den Vordergrund der Verhandlung. Obwohl die jeweiligen Textanalysen diese Prämisse der Studie überzeugend einlösen und veranschaulichen, lässt sich die Begründung der Auswahl durchaus in Frage stellen. Gerade Karremanns weitgehende Aussparung des man of feelings, »jener Figur im Zentrum des Empfindsamkeitskultes« (S. 51) im 18. Jahrhundert, erscheint nicht plausibel in ihrer Eindeutigkeit, welche Karremann mit Verweis auf Aileen Douglas unterstreicht:

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In empfindsamen Texten fungiert der Körper immer weniger als eine gesellschaftliche wie textuelle Störquelle und immer mehr als der Fokus einer kohärenten, gesellschaftlich konstruierten Narration (Douglas 1995, 18). 1 Sie sind daher einer ›offiziellen‹ Körpergeschichte zuzurechnen. (S.  52)
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Es ist die wiederkehrende Behauptung einer kategorialen und repräsentativen Bestimmbarkeit von Text-Performanzen beziehungsweise -inszenierungen, die nicht mit der ansonsten poststrukturalistisch verfassten Blickrichtung zu korrespondieren scheint und gelegentlich die ansonsten glänzende Wirkungs- und Überzeugungskraft der Studie mindert. So gibt diese Ein- und Abgrenzung der Studie zwar einen definierten Untersuchungsrahmen, doch würde ein Foucault’sches Diskursverständnis den Lektüren einen noch größeren Erkenntnisgewinn ermöglichen.

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Es ist beeindruckend, wie viele theoretische Quellen Karremanns Studie in ihre Diskussion der Romane einbezieht und welche Textfülle den Hintergrund für ihre Erörterungen von Männlichkeitsinszenierungen bildet. In diesem umfassenden kulturhistorischen und -theoretischen Panorama werden Daniel Defoes A Journal of the Plague Year, Jonathan Swifts dressing room- Gedichte und Gulliver’s Travels, John Clelands Memoirs of a Woman in Pleasure, Tobias Smolletts The Expedition of Humphry Clinker, M. G. Lewis’ The Monk, Charles Maturins Melmoth the Wanderer sowie Mary Shelleys The Last Man evaluierbar. Allen Kapiteln, das heißt in diesem Fall auch allen Romanen, werden unterschiedliche Inszenierungsmodi des geschlechtlichen Unbehagens zugewiesen, die als korrespondierende Reaktionen auf die sich wandelnden Diskurse zur Geschlechts-, gender- und Sexualitätsdichotomie präsentiert werden. Vor dem Hintergrund puritanisch-bürgerlicher sowie Augusteischer Konzeptionen von Männlichkeit, Vorstellungen von feminisierter, empfindsamer und romantischer Männlichkeit verhandelt die Untersuchung ein breites Textspektrum und zeigt das kulturhistorische Spannungsfeld, in welchem sich die Erzählungen situieren und differenzieren lassen.

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Wie bereits angedeutet ist es allerdings auch diese leserInnenfreundliche, klare Einordnung, Grenzziehung und Bestimmung der Kapitel und Konzepte innerhalb der Studie, welche zuweilen einen fragwürdigen Eindruck vermittelt. Dadurch werden gelegentlich nämlich genau die kategorialen Unterschiede hervorgehoben und bestätigt, welche ansonsten als dekonstruierbar und ambivalent evoziert werden. Obwohl die Autorin ihre Analyse weitgehend in einem poststrukturalistischen Textverständnis verortet sieht, in welchem seine Performanz und nicht seine imaginierte Essenz oder Wahrhaftigkeit zugrunde gelegt werden muss, ist die Konsequenz einer solchen Herangehensweise in der Erörterung nicht durchgängig erkennbar. »[M]it dem Männerkörper bricht auch der Textkörper auf« (S.33) postuliert Karremann an einer Stelle ihrer Einleitung und doch beharrt sie auf einer grundlegenden Unterscheidung zwischen theoretischen und fiktionalen Zeitdokumenten, die diesem Postulat des Aufbrechens widerspricht. Denn wie ihre Analysen zeigen, muss jeder Text, jeder Diskurs, in seiner performativen Disposition an dem Versuch scheitern, den (Männer)Körper determinieren, kategorisieren und kontrollieren zu wollen. In der kategorialen Unterscheidung dieser Studie bleibt jedoch der Schein einer wissensorientiert- sachlichen und damit impliziert gültigeren textlichen Annäherung an den menschlich geschlechtlichen Körper gewahrt.

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Bilden und Abbilden

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Wenngleich Karremann die Studie in einem dekonstruktivistisch geprägten theoretischen Milieu situiert, erläutert sie gleich zu Beginn, warum sie zumindest auf diese text-kategoriale Differenz bestehen möchte:

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Aus der konstruktivistischen Sicht kulturwissenschaftlicher und diskursanalytischer Untersuchungen, die an die Erkenntnisse Butlers anschließen, werden in der Regel die Unterschiede zwischen den Textsorten mit dem Argument eingeebnet, dass jede Thematisierung des Körpers – egal ob in einer medizinischen Studie, einer philosophischen Abhandlung oder einem literarischen Text – eine zitathafte Aktualisierung und Materialisierung der historisch veränderbaren kulturellen Matrix darstellt. Tatsächlich macht es aber einen zweifachen Unterschied, ob der Körper in einem nicht-literarischen oder einem literarischen Text thematisiert wird. Eine medizinisch-anatomische Abhandlung etwa wird den menschlichen Körper in seinen Einzelteilen und deren Funktionen als vermessbares, kategorisierbares und eindeutig lesbares Objekt des Wissens hervorbringen und zwar in einer Sprache, die sich als transparentes Medium versteht. Ein literarischer Text hingegen hat zumeist ein anderes Erkenntnisinteresse und auch andere Darstellungsmöglichkeiten, wenn es um die Auslotung subjektiver Erfahrungen von Körperlichkeit geht. Zudem reflektieren literarische Texte in sehr viel bewussterer Weise auf die Möglichkeit des Mediums Sprache […]. Zur Verdeutlichung dieses Unterschieds und der besonderen Darstellungsmöglichkeiten literarischer Texte spreche ich nicht (wie Butler) von Konstrukten, sondern von Inszenierungen. (S. 26–27)
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Die Begründung für die klare Trennung zwischen einer Inszenierung des Körpers in einem literarischen Werk und einem Körper als Objekt im Wissensdiskurs ist aus dekonstruktivistischer Sicht zweifach hinterfragbar. Zum einen werden hier allen Texten auf der AutorInnenebene eindeutig ablesbare Intentionen und Handlungsspielräume unterstellt. Zum anderen wird ihr Bedeutungs- und Wirkungspotential auf der Rezeptionsebene ebenso als klar determinier- und attribuierbar unterstellt. Die Unterscheidung zwischen einem fiktionalen und einem wissenschaftlichen Diskurs suggeriert hier eine traditionelle Oppositionierung, die den »transparenten« (S.26) Wissenschaftsduktus gegen die künstlerische Freiheit stellt, und dabei außer Acht lässt, dass jede Textperformanz einen Körper bildet und nicht abbildet. Karremanns Insistenz auf die Unterscheidung literarischer und nicht-literarischer Texte ist umso erstaunlicher, als ihre Studie genau dadurch an Eindrücklichkeit und Wirkungskraft gewinnt, dass sie zeigt, wie die angeführten, so genannten ›theoretischen‹ Schriften, gerade nicht als transparent und nur einem Wissensdiskurs verpflichtet zu lesen sind, sondern wie sie den Körper als komplexes Inszenierungsmoment patriarchaler Selbstvergewisserung zu nutzen suchen. Dies wird von Karremann selbst am Beispiel des Philosophen und Kunstkritikers Anthony Ashley Cooper, 3rd Earl of Shaftesbury, verdeutlicht:

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Shaftesbury benennt selbst, wovon es sich abzugrenzen gilt, um Mann und Mensch zu sein: von den Seinsbereichen des Kindlichen, des Weiblichen, des Tierisch-Brutalen. Das sichere Wissen weicht jedoch sogleich einem unbehaglichen Verdacht, dass es sich hier nicht um unveränderbar wesenhafte, sondern um sprachlich verfasste Unterschiede, um bloße Worte handeln könnte. Die scheinbar stabilen Positionen von Selbst und Anderem werden auf beunruhigende Weise zu relativen Beziehungen, die ontologische Gewissheit zu einem verzweifelten Wunsch nach größtmöglicher, aber schwer zu fixierender Distanz […]. Es ist bezeichnend – und nicht von geringer Ironie – dass dies wiederum durch einen sprachlich-textuellen Akt, durch Worte geschieht. (S.112)
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Anhand solcher Beobachtungen, welche die diskursive Verhandlung dichotomer Geschlechts-/Körpervorstellungen als performative Akte ausweisen, die einer patriarchal-heteronormativen Matrix zuarbeiten, wird die analytische Schärfe der Studie immer wieder deutlich. Ihre Unterteilung in eine offiziell- theoretische sowie eine subversiv-literarische Geschichte bleibt jedoch gerade dadurch fragwürdig. Auch wenn die ausgewählten Romanbeispiele in der Tat die Momente der körperlichen Verunsicherung ausspielen, welche in den philosophischen Schriften lediglich angedeutet und rhetorisch deutlicher wieder zurückgewiesen beziehungsweise ausgeschlossen werden sollen, ist dies nicht unbedingt als eine Evidenz für die Notwendigkeit und Richtigkeit dieser Unterscheidung zu werten, welche Karremann im Nachwort allerdings noch einmal bekräftigt:

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Die vorliegende Studie hat versucht, anhand von Romanen aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert eine doppelte Geschichte des Verhältnisses von Männlichkeit und Körper zu rekonstruieren: die ›offizielle‹ erzählt von maskulinistischen Phantasien der immer größeren Perfektibilität und Beherrschbarkeit des Körpers; die ›inoffizielle‹ von den psychischen Ängsten und gesellschaftlichen Verwerfungen, die jene vermeintliche Erfolgsgeschichte begleiten und sie mit einem intensiven kulturellen Unbehagen überschatten. (S. 335)
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Die Diskussion der Romane legt überzeugend nahe, dass dort der männliche Körper in einer fundamentaleren und personalisierten Weise als bedroht und bedrohlich inszeniert wird. Es ist jedoch auch nicht zu übersehen, wie die ›offiziellen‹ maskulinistischen Phantasien ebenfalls durch »psychische Ängste« und der Furcht vor »gesellschaftlicher Verwerfung« (ebd.) eines Ideals induziert scheinen. Demnach stellen sie ebenfalls eine diskursive Reaktion auf den in seiner Triebhaftigkeit und Verletzlichkeit immer bedrohten und auch bedrohlichen Männerkörper dar. Insofern lässt sich die Frage aufwerfen, inwiefern die in der Studie unterstellten Textgrenzen bezüglich Gattungen und Intentionen nicht eine noch weiter reichende Revision einer immer wieder performativ erzeugten Geschlechtsdichotomie verhindern.

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Der phallogozentrische Mann ohne Unterleib

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Karremanns Studie macht deutlich wie schwierig es ist, dekonstruktivistische Lesarten zu präsentieren, ohne selbst in den gelegentlichen Verdacht zu geraten, essentielle Positionierungen und Determinierungen vorzunehmen. Wenn beispielsweise in der Diskussion von Gulliver’s Travels vor dem Hintergrund augusteischer Männlichkeit das »Ideal männlicher Heldenhaftigkeit und moralischer wie körperlicher Stärke« erwähnt wird beziehungsweise »seine niederen Triebe« (S.104) angeführt werden, oder wenn »Gullivers Selbst-Inszenierung einer phallisch-heroischen Männlichkeit umschlägt« in »seine obsessiven Bemühungen, sich kategorisch von einer weiblich assoziierten, hemmungslosen Körperlichkeit abzugrenzen und sich selbst als tugendhaft und diszipliniert« (S.100–1) auszuweisen, ist es schwierig nicht zu fragen, wie denn genau diese paradox anmutenden Vorstellungen von männlicher Körperlichkeit überhaupt funktionieren sollen. Was bedeuten Begrifflichkeiten wie ›phallisch-heroische Selbstinszenierung‹ und ›körperliche Stärke‹ und worin besteht die Abgrenzung von »hemmungsloser« (ebd.) Körperlichkeit durch Tugendhaftigkeit und wie können diese maskulinistischen Ideale überhaupt nebeneinander bestehen. Die Studie zeigt zwar immer wieder das inhärente Spannungsfeld und eben auch die Fragilität solcher Grenzziehungen, doch erscheinen manche Konzepte auch vorschnell als allgemeinverständlich akzeptiert.

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An einer weiteren Stelle, nämlich in der Analyse von Clelands Memoirs of a Woman in Pleasure wird diese Problematik ebenfalls deutlich. Obwohl darauf hingewiesen wird, wie die Vorstellung einer Zweigeschlechtlichkeit mit einer ebenso binären Vorstellung von sexuellem Begehren historisch erst zu beginnen scheint, werden genau diese Kategorien als klar unterscheidbar postuliert. Die wiederkehrende Rückbindung geschlechtlich und sexuell identifizierter Lektüre-Positionierungen in eine dichotome Ordnung ist umso erstaunlicher als Karremann mit Verweis auf Thomas Laqueur und Michel Foucault deutlich macht, dass diese binäre Konzeption von geschlechtlicher und sexueller Identität eine relativ moderne und zu hinterfragende Vorstellungsweise menschlicher Verfasstheit ist. Während ihre Roman-lektüren also genau identitätsverunsichernde Momente in den Fokus der Diskussion rücken und die performative Brüchigkeit und Ambivalenz der Geschlechts- und Sexualitätsdichotomie aufzeigt, wird in den Anmerkungen teilweise ein bestimmtes und bestimmbares Rezeptionsverhalten unterstellt und mitreflektiert, zum Beispiel für »den heterosexuellen männlichen Leser« (S.188). Dies erscheint zum einen widersprüchlich, weil die zeitgenössische LeserInnenschaft des Romans ja gerade (noch) nicht in dieser als Opposition verstandenen Konzeption von Sex(ualität) verhaftet war, und sodomitische Handlungen demnach sicher auch anders beurteilte. Zum anderen entspricht diese Kategorisierung auch nicht dem der Studie zugrunde liegenden und auch weitgehend eingelösten Anspruch auf die Infragestellung einer selbst-evidenten Dichotomie des Begehrens.

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Der männliche Körper als Diskursobjekt:
Vom Üblichen abrückend ins ›rechte‹ Bild gerückt

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Trotz der hier aufgeworfenen methodologischen Fragen entwickelt Männlichkeit und Körper eine immense Überzeugungskraft und stellt einen wichtigen und begrüßenswerten Beitrag zur gender-Debatte dar. Karremann besticht durch ein profundes Diskurswissen, was den Diskussionen der jeweiligen Texte eine besondere Weit- und Umsicht zukommen lässt. Ebenso zu begrüßen ist die originelle Blickrichtung der durchweg überzeugenden Analysen, die sich gegen einen weitaus besser etablierten Diskurs zur weiblichen Körperlichkeit wendet, beziehungsweise diesen Diskurs um eine notwendige Perspektive erweitert. Sind es bislang vor allem Studien aus den Bereichen der gay- und queer studies, mit denen sich dieses Buch solidarisch erklärt, welche auch den Männerkörper in das Zentrum des analytischen Blicks rücken, bereichert Männlichkeit und Körper den Blickwinkel, in dem es eine heteronormative Geschlechts- und Begehrensopposition in Heranziehung von unterstellt »hetero-sexueller« Literatur weiter unterminiert.

 
 

Anmerkungen

Karremann bezieht sich auf Aileen Douglas: Uneasy Sensations. Smollett and the Body. Chicago: University of Chicago Press 1995.   zurück