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Die andere Hyäne

Krise und Widerstand komischer Schreibweisen
im 20. Jahrhundert

  • Anne D. Peiter: Komik und Gewalt. Zur literarischen Verarbeitung der beiden Weltkriege und der Shoah. (Literatur, Kultur, Geschlecht 45) Köln u.a.: Böhlau 2007. 456 S. 11 s/w Abb. Kartoniert. EUR (D) 59,90.
    ISBN: 9783412242060.
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Das sichtbare Dritte in dieser Studie über Komik und Gewalt ist die Kritik und damit der Versuch, in das labile erste Verhältnis eine identifizierende Größe einzubringen, die es erlaubt, komische Gewaltdarstellung und gewalttätige Komik auseinander zu halten. Dass jene Unterscheidung zu den von Peiter untersuchten historischen Zeiten fraglich wird, hat auch einen systematischen Grund, der in den Überlegungen der Arbeit unausgeführt bleibt: Aus der Theoriegeschichte geht hervor, dass der Anschluss bestimmter komischer Formen an eine allgemeine Funktion des Komischen in beide Richtungen schwer fällt. Nicht zuletzt deshalb ist die Identität der Komik immer schon durch jede Art von kontextueller Varianz gefährdet. Tatsächlich müssen in diesem Fall geschichtlich konkrete Faktoren hinzutreten, damit das Belachbare in das Gegenteil seiner zuerst von Aristoteles behaupteten Harmlosigkeit umschlagen kann. Beschrieben wird eine Krise der komischen Mittel angesichts ihrer Nähe zu sprachlichen bzw. inszenatorischen Gewaltstrategien, die mit den Weltkriegen und dem Nationalsozialismus zu politischem Einsatz und kultureller Wirkung kommen. Durch ihre eigene Unterscheidungsarbeit an literarischen Texten von Karl Kraus, Elias Canetti und Veza Canetti-Calderon gelingt es Peiter, diese Situation einerseits als bedrohlichen Einschnitt, genauso aber als Stärkung und Weiterentwicklung der kritischen Fähigkeiten von Komik greifbar zu machen.

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Kritischer Dialog

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Die Untersuchung selbst ist als kritisches Gespräch angelegt, durch die Montage von Texten und Kontexten hofft die Verfasserin, »meine eigenen Thesen stets von Neuem zu widerlegen und so die Widersprüchlichkeit und Komplexität des Verhältnisses von Komik und Gewalt zu beleuchten« (S. 12). Methodisch unbedenklich lässt sie z.B. Walter Benjamin, Elias Canetti und Soma Morgenstern ihre abweichenden Einschätzungen über die Gewaltsamkeit der Kraus’schen Satire vortragen und somit die objektgemäße Ambivalenz herstellen (Kapitel 4). Eigenständiger geraten die Ansichten, wenn ein anachronistischer Quellenbezug gestiftet wird (Kapitel 3): Kierkegaards »Phänomenologie« des sozial emanzipatorischen Gelächters am Beispiel des Königstädter Theaters dient als Folie für die Umwertung des karnevalesken Lachens bei der Machtübernahme in der Krolloper, einer Funktionalisierung für die Zwecke der NSDAP-Diktatur. Dass Canettis Theorie der Masse als zusätzliches Beschreibungsinstrument gebraucht wird, ist plausibel. Hauptsächlich soll dennoch in der Evidenz vergleichender Lektüre die historische Differenz hervortreten. Es werden hingegen keine strukturellen Dispositionen festgestellt, die den Schluss begründen könnten, »dass Lachen und Gewalt leicht ineinander überzugehen vermögen« (S. 95) und genau auf dieses Phänomen zielt ja das gesamte Vorhaben. In ihrem historischen Interesse, dem grundsätzlich hermeneutischen Vorgehen weist die Arbeit durchgängig ein theoretisches Argumentationsdefizit auf.

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Die Analyse von Kraus’ »Weltkriegstragödie« (S. 23) Die letzten Tage der Menschheit nach den Strukturmerkmalen des Karnevals (Kapitel 2) macht kaum einen Unterschied zwischen Goethes Römischem Karneval und Bachtins Schriften. Letzterer wird ausschließlich historisch-typologisch und nicht in seiner für die Forschung relevanten kulturtheoretischen Auslegung rezipiert. Folgt man in der Beurteilung Peiters eigener Methodik, so hätte man erwarten dürfen, dass sie die Historizität von Bachtins »Karnevalsutopie« (S. 23), deren Entstehung im Kontext politischer Gewalt und Repression behandelt oder erwähnt. Dessen ungeachtet überzeugt die Lesart der Letzten Tage als pervertierter, tragischer Karneval. Ohne die Verdikte der Zeitgenossen – Canettis Wort vom Kannibalismus, S. Morgensterns Vorwurf des Antisemitismus – zu verschweigen (Kapitel 4), wird Karl Kraus als Vertreter einer »gewaltkritisch[en], obwohl nicht gewaltfrei[en]« (S. 65) Satire rehabilitiert – ausführlich anhand der Dritten Walpurgisnacht (Kapitel 5). Peiter folgt den Details der Sprachkritik, demnach ist die Kraus’sche Schreibweise der im Vergleich herangezogenen Lingua Tertii Imperii Klemperers ebenbürtig.

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Bei der Aufwertung des literarischen Werks von Veza Calderon-Canetti (Kapitel 6) gerät durch die Gender-Perspektive das Thema »Komik und Gewalt« eine Weile aus dem Blick, bevor sich Peiter dem Roman Die Gelbe Straße und der Erzählung Geduld bringt Rosen zuwendet. Die daran aufgezeigte komisch-distanzierende Darstellung behinderter und kranker Figuren wird als Ausdruck eines kritischen Bewusstseins gelesen, in dem »Calderon-Canetti die sprachliche Vorbereitung des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms und zugleich seine ideologische Verknüpfung mit Antifeminismus und ›Rassenhygiene‹ erkannt hat« (S. 267).

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Komische Angriffslust

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Der große Block zu Canettis Roman Die Blendung (Kapitel 7) und Masse und Macht (Kapitel 8) verdeutlicht sowohl die – nicht immer entfalteten – Zugriffsmöglichkeiten der Studie als auch gewisse Schwächen gegenüber dem Gegenstand. Unter der Überschrift »Zur Psychologie des Essens« findet Peiter in Masse und Macht Canettis kulturtheoretische Erklärung des Lachens (vgl. S 273): Das Zähnezeigen beim Gelächter sei zivilisationsgeschichtlich die »Freude an einer Beute oder Speise, die einem als sicher erscheint« 1 . Lachen als Austauschgebärde der einverleibenden Aggression bietet nun die starke These zum Zusammenhang von Komik und Gewalt, die der Untersuchung sonst fehlt. Damit ist nicht gesagt, dass man in Canettis kulturanthropologischer Konjektur eine für alle Fälle ausreichende Fundierung besitzt, doch setzt diese immerhin grundlegend an. Peiter nimmt jene Faszination wahr und überführt sie in eine Interpretation der Blendung. Darin zeigt sich, wie viel Unterscheidungsvermögen es bedarf, um eine »kritische Funktion der die Gewalt grundierenden Komik« (S. 287) erkennbar zu machen, was hier nur bis zu einem gewissen Grade funktioniert. Die Zweischneidigkeit der grotesken Stereotypen nach dem Vorbild von Antiintellektualismus, Antisemitismus, Klerikofaschismus und Misogynie lässt sich durch den Verweis auf textuelle Übersteigerung oder die Absicht des Autors nicht restlos entschärfen, doch vielleicht ist gerade dieses tendenzielle Scheitern der Rezeption im Sinne der thematischen Verbindung.

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Einen originellen Vorschlag, wie man Masse und Macht zu lesen habe, unterbreitet schließlich das achte Kapitel: Canetti subvertiert den wissenschaftlichen Duktus durch eklektische Quellenmontage sowie eine ironische Zitierpraxis, was u.a. am Massensymbol des »marschierenden Waldes« vorgeführt wird (vgl. S 349 ff.). Die Aufdeckung des Rückgriffs auf die Methode bzw. das Monster Karl Kraus stellt die letzte beschreibende und bewertende Leistung der Untersuchung dar, eher eine steigernde Wiederholung der Problematik als einen konzeptionellen Schluss. Der Epilog betrachtet das Foto eines durch Bomben schwer verletzten irakischen Jungen, das Gesicht zum Lächeln verzogen, in einem Kontext von Bildern und Berichterstattung, der trotz des Mitleids komische und damit auch verharmlosende Effekte erzeugt – eine forcierte Aktualisierung als letzte Übung der Kritik.

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Fazit

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Das Thema »Komik und Gewalt« ist wissenschaftlich noch wenig erforscht, aufgrund der theoretisch tradierten Ambivalenz des Komischen und der Präsenz belachbarer oder ironischer Gewaltdarstellung in der Populärkultur steht es aber schon seit Längerem auf dem Plan. Bisher kann man nur Vermutungen darüber anstellen, was den Konnex zwingend macht: Ist es der Kontrast, dass Gewalt alle Verstehens- und Handlungsmöglichkeiten in schärfster Weise restringiert, während komische Kommunikation die Wege, gerade zwischen einem gewaltsamen und einem komischen Verständnis, offen hält? Bewegen sich beide dabei auf dem schmalen Grad von Körperlichkeit und Zeichenprozess? 2 Solche abstrakten Fragen stellt Anne D. Peiter prinzipiell nicht; sie versteht Komik stattdessen als (Gewalt-)Kritik mit anderen Mitteln, die darauf bedacht sein muss, die seit dem Ersten Weltkrieg zunehmend prekäre Differenz zur Gewaltsamkeit aufrecht zu erhalten. Indem z.T. entlegene Texte und Meinungen miteinander konfrontiert werden, erhellen sich die Gefahren des Übergangs ebenso wie die Chancen der Abgrenzung. Peiter hat auf den historischen Pfaden einer mitunter kühnen Hermeneutik Neuland betreten, umso mehr bleibt es der Kulturtheorie überlassen, weiter darüber nachzudenken, was Gewalt und Komik trennt, was sie im Grunde zusammenhält.

 
 

Anmerkungen

Elias Canetti: Masse und Macht. Frankfurt/M.: Fischer 2001, S. 262.   zurück
Zur Emergenz der Komik zwischen (körperlichem) Überschuss und Mitteilung vgl. Uwe Wirth: Vorbemerkungen zu einer performativen Theorie des Komischen. In: Dieter Mersch (Hg.): Performativität und Praxis. München 2003, S.153–174.    zurück