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150 Jahre Oldenbourg -
Aus Tradition in die Zukunft

  • Reinhard Wittmann: Wissen für die Zukunft. 150 Jahre Oldenbourg Verlag. Mit einem Beitrag von Gisela Teistler. Unter Mitarbeit von Christoph Haas. München: Oldenbourg 2008. 384 S. Leinen. EUR (D) 64,80.
    ISBN: 978-3-486-58822-4.
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Rudolf Oldenbourg war bei der Gründung seines Verlages bereits 47 Jahre alt und ein Kenner des Buchmarktes. Als innovationsfreudiger Verleger war er zuvor als langjähriger Mitarbeiter und Geschäftführer der »Literarisch-artistischen Anstalt der J.G. Cotta’schen Buchhandlung« in München tätig und konnte so zahlreiche Erfahrungen für sein selbständiges Unternehmerleben sammeln. 1 Trotz vieler Höhen und Tiefen gehört Oldenbourg auch heute noch zu den wichtigsten deutschen Wissenschafts- und Schulbuchverlagen in Deutschland. Das 150-jährige Firmenjubiläum ist ein willkommener Anlass, auf einen beachtenswerten Entwicklungsweg zurückzuschauen.

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Bereits auf den ersten Blick sind an der hier behandelten Festschrift, verfasst vom renommierten Buchhandelshistoriker Reinhard Wittmann, mehrere Punkte hervorzuheben. Neben dem äußeren Erscheinungsbild – die traditionelle Farbe des Verlages (blau) dominiert – lädt der Titel des Buches zum Nachdenken ein und der eigentliche Inhalt wird auf ansprechende sowie neuartige Weise präsentiert.

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Inhalt

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Zwischen einem kurzen Vorwort (S. 8–11) und einem Verzeichnis der derzeitigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Verlages (S. 358–365) finden sich zwei große Themenkomplexe. Der erste befasst sich mit der Geschichte des Verlages (S. 12–159), der zweite greift exemplarisch drei Fallstudien zur Wirkungsgeschichte des Unternehmens heraus (S. 160–357). Ein Anhang mit Quellen- und Literaturnachweisen, Personen- und Firmenregister sowie einem Bildnachweis runden die Festschrift wissenschaftlich ab. Im Vorwort erfährt der Leser, dass vor allem angesichts des beschränkten Umfangs des Buches auf zahlreiche wichtige Unterlagen, die teilweise noch nicht erschlossen sind, sowie darüber hinaus auf viele Bilder verzichtet werden musste, da diese den Rahmen des Ganzen gesprengt hätten (vgl. S. 9).

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Die Quellenlage kann als ausreichend, jedoch nicht gerade als üppig bezeichnet werden. Ein großer Teil des ursprünglich vorhandenen Materials wurde bei Bombenangriffen auf den Verlag 1944/45 zerstört und ging unwiderruflich verloren. Restbestände des Verlagsarchivs sind als Depositum im Bayerischen Wirtschaftsarchiv München zugänglich und durch Findbücher erschlossen. Lediglich ein Konvolut konnte für den Band nicht mehr genutzt werden, da dieses erst nach Abschluss des Manuskripts aus dem Privatarchiv der Familie Oldenbourg in das Wirtschaftsarchiv überführt wurde.

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150 Jahre Oldenbourg im Zeitraffer

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Nahezu die Hälfte des Buches befasst sich mit der Verlagsgeschichte, welche wiederum in zwei Abschnitte eingeteilt wurde. Im Kapitel »Von der Gründung 1858 bis zur Zerstörung 1945« (S. 14–111) erlebt der Leser eine rasante Zeitreise durch die Verlagsgeschichte. Wie im Vorwort erläutert, werden einige Punkte nur kursorisch, andere wiederum detaillierter zur Sprache gebracht. Reinhard Wittmann vermittelt alles, was zum Verständnis der Verlegerfamilie, ihrer firmenpolitischen Handlungen und der systematischen Erweiterung des Verlagsprogramms notwendig ist. Private Ereignisse werden dabei ebenso eingestreut wie historische und kulturelle Hintergründe des jeweiligen Zeitabschnitts.

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Dem Autor gelingt es, eine Vielzahl an Unternehmungen, sei es im Zeitschriftensektor, im Belletristikbereich oder in der Schulbuchproduktion, zu präsentieren und dem Leser somit ein Stück Verlagsalltag sowie Kulturgeschichte näher zu bringen. Hilfreich dabei ist die Untergliederung des Kapitels in Teilabschnitte, die neben Übersichtlichkeit vor allem eine thematische Zuordnung erleichtern. Leider werden diese Zwischenüberschriften nicht im Inhaltsverzeichnis aufgeführt, was ein späteres Auffinden bestimmter Textstellen erschwert.

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Im Hinblick auf heutige Diskussionen über den Umgang mit der deutschen Geschichte 1933–1945 erscheint die Abhandlung zu Oldenbourg während der Zeit des Nationalsozialismus von allen Abschnitten am beachtenswertesten – zum einen, da Verlagsgeschichten, die sich mit dem Dritten Reich auseinandersetzen, bis jetzt noch recht rar sind und zum anderen, da bei Festschriften in der Regel kritisch zu hinterfragende Aspekte ausgeblendet werden. 2 Der Forschungsstand muss hier zwangsläufig unvollständig bleiben, da ein großer Teil der erkenntnisreichen Unterlagen kriegsbedingt zerstört wurde oder nicht mehr auffindbar ist. Wittmann ist zu Gute zu halten, dass er kritisch mit dem ihm vorliegenden Material umgeht. Die Absetzung Friedrich Oldenbourgs als Erster Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels durch die Nationalsozialisten wird dabei ebenso thematisiert wie die erschwerte Verlagsarbeit in Kriegszeiten und Probleme mit NS-Behörden.

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Das zweite große Kapitel der Verlagsgeschichte beschreibt die Momente »Von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart« (S. 112–159), wobei dieser Abschnitt weit kürzer und auch weniger detailliert als die vorangegangenen Ausführungen ausfällt. Dies trifft vor allem auf die anfänglichen Äußerungen über den Neubeginn nach 1945 sowie die späteren Erläuterungen zur gegenwärtigen Verlagssituation zu. Dazwischen werden ausführlich die einzelnen Programmsparten und Verlagsabteilungen vorgestellt – ein jeweiliger Aus- bzw. Einblick in die Zukunft einzelner Unternehmungen runden das Gesamtbild ab. Aspekte wie z.B. »Online-Publishing« (vgl. S. 139 f.) oder »Der aktuelle Schulbuchmarkt« (vgl. S. 155 f.) werden zur Sprache gebracht und bilden somit einen nahtlosen Übergang zur gegenwärtigen Verlagsarbeit.

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Alles in allem ermöglicht der Themenkomplex der Verlagsgeschichte eine gute Übersicht über das Traditionsunternehmen. An einigen Stellen werden Fragen offen gelassen, da aber das Werk in seiner Konzeption einen Anspruch auf Umfasstheit gar nicht stellen kann, fällt dies nicht negativ ins Gewicht. Sowohl Umsatzdaten als auch statistische Auswertungen bieten einen guten Einblick in den ökonomischen Bereich des Verlages, der allerdings gegenüber historischen und programmpolitischen Ausführungen vernachlässigt wird.

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Streifzüge durch die Verlagsbereiche

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An die Unternehmensgeschichte schließen sich drei Fallstudien zur Wirkungsgeschichte des Verlages an. Dabei wurde Wert darauf gelegt, dass alle drei Hauptzweige des Verlages vertreten sind. Neben dem Thema »Oldenbourg und die Raumfahrt« aus dem Technik-Bereich, wird in der Sparte Wissenschaft die »Corona und Historische Zeitschrift im Dritten Reich« vorgestellt sowie im Schulbuch-Sektor »Mein Buch – Oldenbourg-Fibeln im Wandel der Zeiten«. Während auf den ersten Blick alle drei Themen voneinander unabhängig gewählt erscheinen, erschließt sich deren Zusammenhang jedoch bei genauerem Hinsehen. Vor allem die Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus findet bei den Themen eine ausführliche Betrachtung.

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Diese neuartige Darstellungsweise anhand von Fallstudien birgt auf der einen Seite die Gefahr der Vernachlässigung wichtiger Aspekte aus anderen Unternehmensbereichen, ermöglicht andererseits aber das Vordringen in tiefere Verlagsstrukturen und einen intensiveren Einblick in spezielle Arbeits- und Vorgehensweisen. Die drei Analysen sollen den Lesern die »Vermittlerfunktion des Verlages und seine Rolle im technischen Fortschritt, bei der Bildung von Generationen und als Bewahrer geistiger Überlieferung auch in bedrängten Zeiten exemplarisch« aufzeigen (S. 10).

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Das Thema Raumfahrt bei Oldenbourg

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Allein vom Umfang betrachtet, steht die Technik-Fallstudie mit knapp 40 Seiten im Vergleich zu den anderen beiden etwas zurück. Der Oldenbourg Verlag war einer der ersten, der sich dem Thema Raumfahrt verpflichtete und mit dem Buch des Physikers Hermann Oberth »das Pionierwerk zur Weltraumfahrt« (S. 10) ablieferte. Diese Analyse schildert erstmals »die Umstände seiner Verbreitung und Durchsetzung« (S. 10) und wurde daher ausgewählt.

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Insbesondere zwei Personen stehen im Mittelpunkt der Studie: neben dem schon erwähnten Hermann Oberth ist dies der Schriftsteller Max Valier. Ersterer beschäftigte sich intensiv mit dem Thema Raumfahrt und Raketenbau, wobei seine Publikationen im Verlag anfangs wenig erfolgreich waren. Valier hingegen griff das Thema episch auf, verarbeitete es auf publikumswirksame Weise und hatte damit mehr Erfolg als der eigentliche »Erfinder«. Somit entstand eine Art Symbiose, die sich sowohl für den Verlag sehr ertragreich erwies als auch für beide Männer lukrativ war. Zahlreiche Missverständnisse und aufkommende Antipathie zwischen beiden mündeten schließlich in einem Zerwürfnis. Der Verlag selbst hielt sich jedoch aus allen Konflikten heraus und konnte somit beide Autoren weiterhin an sich binden. In wie fern dieses Verhalten repräsentativ für den gesamten Umgang mit Autoren bei Oldenbourg war, lässt sich aus den Ausführungen leider nicht erschließen. Neben der Autorenakquise und -betreuung sowie der Vorstellung technischer Verlagspublikationen erhält der Leser eine Vorstellung von der schwierigen Etablierung eines neues Fachgebietes.

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Die Analyse endet mit einem kurzen Abschnitt über »Weltraumschriften bei Oldenbourg vor und nach 1945« (S. 199 ff.), womit ein kurzes und bei weitem nicht vollständiges Bild dieses Faches vorliegt. Es bietet dennoch einen guten Einblick in die Anfänge der Raumfahrttechnik allgemein und speziell im Verlagswesen, welche anfangs keineswegs durchweg enthusiastisch und erfolgreich waren. An manchen Stellen hätte der Autor dem Leser durchaus mehr Wissen zur Verfügung stellen können, wodurch sich dem Unkundigen die Bedeutung dieses sich neu entwickelnden Technik-Bereichs besser erschließen würde. Die Studie bietet viele neue Einsichten in ein sonst wohl nur selten beachtetes Thema.

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Zwei Zeitschriften im Dritten Reich

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Der Bereich der Wissenschaft ist mit einer Fallstudie zu den beiden Fachzeitschriften Corona und Historische Zeitschrift in der Zeit des Nationalsozialismus vertreten. Die Corona-Studie soll zeigen, »wie eine Publikation höchsten Anspruchs unter dem steigenden Argwohn der NS-Instanzen bis in die Kriegsjahre überleben konnte« (S. 10).

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Der Hauptteil der Analyse beschäftigt sich mit der Verlagsübernahme der Corona, ihrem Gründer Martin Bodmer, Herstellungsschwierigkeiten, Finanzierungsfragen, inhaltlichen Schwerpunkten und notwendigerweise den Problemen mit dem NS-Regime (S. 202–259).

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Die Historische Zeitschrift wurde aufgrund ihrer hohen Bedeutung für die Geisteswissenschaften ausgewählt. In diesem Bereich blieben Konflikte mit den NS-Machthabern nicht aus, was aber leider nur auf wenigen Seiten dargelegt wird (S. 259–275). Durch die ungleiche Gewichtung beider Zeitschriften kommt der vergleichende Aspekt etwas zu kurz. Am Rande erfährt der Leser jedoch etwas zur Rolle der Zeitschrift im Nationalsozialismus.

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Wittmann veranschaulicht die Schwierigkeiten des Verlages bei der Produktion wissenschaftlicher Literatur, in diesem Fall Zeitschriften und hinterfragt kritisch den Umgang mit und den Einfluss von NS-Behörden. Als zweckmäßig erweisen sich die eingestreuten Abbildungen von Telegrammen und Briefen, die Einsicht in die Kommunikation mit Parteistellen, Verlagsmitarbeitern und Autoren gewähren.

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Fibeln im Verlagsprogramm

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»Mein Buch – Oldenbourg-Fibeln im Wandel der Zeiten« ist die umfangreichste der drei Analysen. Die geschichtsträchtige Schulbuchproduktion des Unternehmens könnte exemplarisch nicht besser dargestellt werden als mit Hilfe eines Streifzugs durch die Fibel-Landschaft des Verlages.

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Neben allgemeinen Auskünften zu schulischen Gegebenheiten speziell in Bayern im 19. Jahrhundert und den Anfängen der bekannten Lesebücher unterstreicht Reinhard Wittmann die Stellung dieses Verlagszweiges in mehrfacher Hinsicht. Einerseits werden ökonomische sowie kulturpolitische Voraussetzungen und Bedingungen für dessen Gedeihen vorgestellt, andererseits wird inhaltlich auf einzelne Fibeln, ihre Rolle im Verlag sowie ihren Erfolg beziehungsweise Misserfolg sehr genau eingegangen. Dies geschieht immer vor dem Hintergrund zeitgenössischer Diskussionen im Hinblick auf Schulpolitik, gesellschaftliche Umwälzungen und neueste pädagogische Erkenntnisse.

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Eingehender beschäftigt sich der Autor mit Hans Brückl und seiner Fibel »Mein Buch zum Anschauen Zeichnen Schreiben Lesen und Zählen. Nach neuen Grundsätzen an der Münchener Versuchs-Schule erarbeitet und im Gesamtunterrichte mehrjährig erprobt« (S. 284). Revolutionär war dieses Buch aufgrund einiger Neuerungen, wie z.B. der Verwendung der Antiqua, der teils sehr real wirkenden Bilder aus dem ländlichen und auch städtischen Kinderalltag sowie der über allem schwebende fröhliche, bunte, frische Charakter der Fibel (vgl. S. 284–286). Der Nationalsozialismus und sein Einfluss auf die Schulprogrammpolitik des Verlages sowie auf die Inhalte der Bücher spielt ebenfalls eine Rolle. Da aber der Schwerpunkt insgesamt auf einer Gesamtdarstellung der Geschichte der Fibeln im Verlauf der Jahrzehnte liegt, ist dieser Teil nicht zu dominant.

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Hervorzuheben ist der integrierte Aufsatz von Gisela Teistler (S. 315–357) »Lesen Lernen mit Oldenbourg-Fibeln: Das Angebot der letzten 40 Jahre«. Hier erfährt der Leser nicht nur interessante Einzelheiten über die Geschichte von Fibeln im Allgemeinen, sondern erhält zudem Einblicke in die Oldenbourg-Fibeln selbst. Gedichte und auch Textauszüge aus den Büchern finden neben ansehnlichen Abbildungen ihren Platz und ergänzen sich gleichwertig.

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Diese Fallstudie, zusammen mit Teistlers Aufsatz, bietet einen eindrucksvollen Überblick über die Fibel-Produktion bei Oldenbourg bis in die heutige Zeit. Von allen drei vorgestellten Analysen erscheint diese am gelungensten. Sie lässt keine Fragen offen und stellt einen guten Abschluss für die Festschrift dar.

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Fazit

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»Wissen für die Zukunft« – ein Titel, der sich dem Leser erst bei genauerem Hinsehen erschließt. Er birgt eine Doppeldeutigkeit, die sich zum einen in dem Wissen ausdrückt, welches sich Generationen von Lesern mit Hilfe der bei Oldenbourg publizierten Bücher erarbeiten konnten. Zum anderen verweist er auf die Geschichte des Verlages anhand derer Rückschlüsse für die Zukunft gezogen werden können.

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Die Geschichte des Unternehmens wird in dem Band präzise und ansprechend dokumentiert. Vor allem die drei Fallstudien bergen Potenzial, um sich noch eingehender mit ihnen zu beschäftigen. Die Hauptsparten des Unternehmens – Technik, Wissenschaft, Schulbuch – werden eingehend dargestellt und gestatten einen umfassenden Einblick in das Verlagsprogramm.

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Zahlreiche, zum größten Teil farbige und qualitativ hochwertige Abbildungen, illustrieren das Buch und integrieren sich gelungen in den Text. Neben Darstellungen von Personen und Gebäuden sowie zahlreichen Cover und Textseiten, finden sich viele Archivalien, wie beispielsweise Telegramme, Briefe und Urkunden. Die Bilder sind nicht ausschließlich schmückendes Beiwerk, sondern führen an vielen Stellen ergänzend auch darüber hinaus und ermöglichen eine andere Sichtweise auf den Verlag. Alles in allem handelt es sich um eine sehr lesenswerte Festschrift, die unser Wissen über die Geschichte des deutschen Wissenschafts- und Schulbuchverlags nachhaltig bereichert.

 
 

Anmerkungen

Bis Ende 2003 blieb das Unternehmen in Familienbesitz und wurde dann an die Verlagsgruppe Cornelsen verkauft.   zurück
Hervorzuheben sind hier beispielsweise: Saul Friedländer u.a.: Bertelsmann im Dritten Reich. München: Bertelsmann 2002; oder Siegfried Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt. Politisches Buchmarketing im »Dritten Reich«. Frankfurt/M.: Buchhandels-Vereinigung 1992.   zurück