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Verleger im Dienst der Propaganda

  • Judith Claudia Joos: Trustees for the Public? Britische Buchverlage zwischen intellektueller Selbstständigkeit, wirtschaftlichem Interesse und patriotischer Verpflichtung zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. (Mainzer Studien zur Buchwissenschaft 18) Wiesbaden: Harrassowitz 2008. 524 S. 17 s/w 5 farb Abb. Gebunden. EUR (D) 88,00.
    ISBN: 978-3-447-05744-8.
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Die im Druck erschienene Dissertation der Mainzer Buchwissenschaftlerin Judith Claudia Joos stellt nicht nur in Bezug auf den Umfang eine gewichtige wissenschaftliche Arbeit dar. Auf der Grundlage einer gründlichen Archiv- und Quellenrecherche in deutschen, britischen und US-amerikanischen Archiven entstand ein umfangreiches Werk zur britischen Verlegerbiografie und Verlagswirtschaft der 1930er und 1940er Jahre. Diese Thematik wird punktuell in einen internationalen und deutschen Kontext eingestellt.

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Was ist das Besondere dieser Untersuchung? Die deutsche und die britische Verlagsgeschichtsschreibung sind »glänzend« voneinander isoliert. Es findet weder ein Ideenaustausch statt, noch werden die Werke des jeweils anderen Landes in größerer Weise konsultiert. Das ist unbefriedigend, zumal man über den vergleichenden und länderübergreifenden Ansatz viel voneinander lernen könnte. Noch viel seltener sind historische Arbeiten über das verlegerische Verhalten des jeweils anderen Landes. Also: die deutsche Sicht auf die englische Verlegertypologie und umgekehrt. In dieser Forschungslücke gelingt es Joos, ihre Arbeit zu platzieren.

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Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die Fragen, wie die britischen Verleger in einer Periode verstärkter internationaler Spannungen und kriegerischer Auseinandersetzungen ihre Verantwortung nutzten, um über die Gestaltung von Verlagsprogrammen gesellschaftliche Werte und Einstellungen zu verändern. Dominierten bei ihren Überlegungen politische, intellektuelle oder ökonomische Interessen? Wie konnten sie dabei ihre eigene gesellschaftliche Anerkennung steigern? Inwiefern prägten sie während des Zweiten Weltkrieges mit ihrer Arbeit die Wahrnehmung der britischen Gesellschaft vom eigenen Land und die britische Wahrnehmung anderer Länder, vor allem Deutschlands?

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Anlage und Gliederung der Arbeit

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Die Arbeit ist in sechs thematische Kapitel gegliedert. Nach einer Einführung in das Thema, die auch eine diskussionswürdige Tabelle zur Methodik des Verlegers als Kulturunternehmer und Buchunternehmer enthält (S. 12), werden in Kapitel 2 wichtige Repräsentanten, das heißt Verlagshäuser des britischen Buchhandels, vorgestellt. Bezeichnenderweise stammen sie allesamt aus London: George Allen & Unwin, A. & C. Black, Chatto & Windus sowie George Routledge & Sons. Sodann wird das internationale Agieren britischer Buchverlage zwischen 1933 und 1939 im Kapitel 3 vor dem Hintergrund der Internationalen Verlegerkongresse thematisiert. In diesen Abschnitt fallen auch deutsch-englische Buchhandelsbeziehungen, die unter der Rubrik »Geschäftsbeziehungen auf dem Prüfstand« unter anderem am Beispiel von Felix Meiner (im gleichnamigen Leipziger Verlag), Gustav Kilpper (Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart), Hans Baedeker (Karl Baedeker Verlag, Leipzig) oder anhand der Zusammenarbeit von Allen & Unwin mit dem Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachfolger GmbH in München untersucht werden. Die Analyse des britischen Buchhandels wird dann in Kapitel 4 für die Kriegsjahre fortgesetzt, wobei nun die wirtschaftlichen Eingriffe stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Das Kapitel 5 »Strategien und Maßnahmen der britischen Regierung für Propaganda und Zensur im Zweiten Weltkrieg« ist mit ca. 200 Seiten das umfangreichste des Bandes. Hier wird unter anderem die Zusammenarbeit britischer Verleger und der Publishers‘ Association mit britischen Zensur- und Propagandastellen vorgestellt und die Buchzensur und Buchpropaganda während des Krieges umfassend analysiert. Ein letzter Abschnitt nimmt die Veränderungen des Buchmarktes ins Visier, sprich: die Anpassungen britischer Buchverleger an die offizielle Politik und öffentliche Meinung. Wie die Anlage und Gliederung der Arbeit vermuten lässt, lebt sie von zahlreichen Erwähnungen von Institutionen, Verlagen, Verleger- und Buchhändlerpersönlichkeiten. Es ist daher nicht verständlich, warum auf ein umfassendes Personen- und Firmenregister verzichtet wurde. Dieses hätte den Zugang deutlich erleichtert und auch Querverbindungen einzelner Abschnitte aufzeigen können.

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Befunde und Fazit

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Judith Claudia Joos kommt zur Erkenntnis, dass die Verleger aufgrund ihrer quasi öffentlichen beziehungsweise öffentlichkeitswirksamen Tätigkeit aktiv in das gesellschaftliche Geschehen eingreifen konnten und dies auch taten. Der Krieg als Bedrohung motivierte diese Unternehmergruppe, ihre Entscheidungsfindung, die ursprünglich individueller und vor allem ökonomischer motiviert war, nun stärker den gesamtgesellschaftlichen Interessen unterzuordnen. Viele Verleger übernahmen Mitverantwortung und beteiligten sich aktiv an der Kriegspropaganda. Der Grad der Anpassung war freilich unterschiedlich. So agierten die Unternehmer und Manager bei A. & C. Black oder Allen & Unwin »patriotischer« und waren auch der Propaganda stärker zugeneigt als etwa Hogarth Press oder Chatto & Windus. Formelle Zensur war in der Atmosphäre einer Bedrohung durch die Deutschen kaum nötig. Schließlich spielte die Tätigkeit der britischen Verleger eine signifikante Rolle für die Art und Weise, wie die kollektive Identität der britischen Gesellschaft während des Zweiten Weltkrieges formuliert und repräsentiert wurde. Es kam so zu einer »Evozierung britischer Tugenden und Eigenschaften (›Britishness‹), zu Nationalstolz und Gemeinschaftsgefühl in zwar unterschiedlicher, insgesamt aber beträchtlicher Ausprägung und Intensität« (S. 504). Soweit einige Befunde aus der Schlussbetrachtung.

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Es gibt kaum Anlass, in die grundlegend positive Einschätzung dieser monumentalen Arbeit Kritik einzustreuen. Einen Vorzug der Untersuchung kann man jedoch auch negativ auslegen: Bei der umfassenden, detailgetreuen Darstellung hat man mitunter das Gefühl, ein, zwei Schritte zu dicht am Quellenmaterial zu stehen. Es werden viele Details vorgestellt, umfangreiche Zitate in Text und Fußnoten bringen O-Töne hinein, so dass der Leser an einigen Stellen sich eine straffere und analytisch bereits stärker zusammengefasste Version gewünscht hätte. Andererseits ist die bereits erwähnte Quellenarbeit gründlich und kann hinsichtlich des großen Forschungsinteresses gegenüber den besprochenen Verlagshäusern nicht umfangreich genug sein. Insgesamt ist diese Arbeit zum englischen Verlegertum in einer Krisenphase des 20. Jahrhunderts sehr zu empfehlen. Vor allem ist das Vorhaben gut umgesetzt worden, eine Art Gruppenbiografie zu erstellen, die singuläres Verlegerverhalten in ein größeres Ganzes einzustellen vermag.