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Trotz guter Quellenarbeit noch viele Fragen offen

  • Thomas Garke-Rothbart: »...für unseren Betrieb lebensnotwendig...«. Georg von Holtzbrinck als Verlagsunternehmer im Dritten Reich. Mit einer Einführung von Siegfried Lokatis. (Archiv für Geschichte des Buchwesens 7) München: K. G. Saur 2008. 248 S. Gebunden. EUR (D) 69,95.
    ISBN: 978-3-598-24906-8.
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Die historische Aufarbeitung der Vorgeschichte wichtiger Akteure der bundesdeutschen Medienökonomie verzeichnet in letzter Zeit eine gewisse Konjunktur. Teilweise getrieben von der öffentlichen Aufmerksamkeit für das Verhalten von Unternehmen und Unternehmern im Dritten Reich, teilweise motiviert (und finanziert) von den betroffenen Firmen selbst und schließlich getragen von der Initiative und der Ausdauer der Forschenden, sind in den letzten Jahren einige Studien entstanden, die den Blick auf das verlegerische Denken und Handeln unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Diktatur geschärft haben. In diese Reihe fügt sich nun die Arbeit von Thomas Garke-Rothbart über »Georg von Holtzbrinck als Verlagsunternehmer im Dritten Reich« – so der Untertitel – mit dem Anspruch, die Vorgeschichte eines der wesentlichen und einflussreichsten Verlegerpersönlichkeiten der Bundesrepublik aufzuarbeiten. Laut der Einleitung von Siegfried Lokatis konnte Garke-Rothbart bei der Erstellung der Studie wohl auf finanzielle Unterstützung und Dokumente der Familie Holtzbrinck bauen, ohne dass bei seiner Darstellung Einfluss genommen worden sei.

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Zum Aufbau der Arbeit

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Garke-Rothart hat den Text weitgehend chronologisch gegliedert; die Kapitel folgen den wesentlichen Stationen in der Biographie Georg von Holtzbrincks während des Untersuchungszeitraums. An einigen Stellen sind exkursartige systematische Kapitel eingestreut, die unter anderem das Verhältnis von Holtzbrincks zur NSDAP zu klären versuchen oder einzelne Betätigungsfelder des Jungunternehmers eingehender beleuchten. Nach der etwa 190 Seiten füllenden Darstellung folgt noch ein umfangreicher Anhang von weiteren 60 Seiten, der unter anderem Verlagsbibliographien der Holtzbrinck’schen Unternehmen bietet sowie auszugsweise Briefe und Berichte aus den Quellenrecherchen Garke-Rotharts dokumentiert.

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Beginn einer Bilderbuchkarriere

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Die verlegerische Karriere Georg von Holtzbrinck begann 1930 als »studentische Nebenbeschäftigung«. Der junge Jurastudent aus verarmtem Adel suchte und fand gemeinsam mit seinem Kommilitonen Wilhelm Schlösser im Direkt-Zeitschriftenvertrieb die Möglichkeit, das Studium zu finanzieren. Der schnelle Aufstieg der beiden in der Hierarchie des »Drückergeschäfts« und die baldige Gründung einer eigenen Vertriebsfirma belegen ihre Begabung für diese spezielle Ökonomie. Sukzessive bauten Holtzbrinck und Schlösser ihre unternehmerische Tätigkeit weiter aus; sie erweiterten ihre Vertriebsgebiete, übernahmen neue Zeitschriften und Publikationen (unter anderem der »Deutschen Arbeitsfront«), kauften weitere Unternehmen und begannen dabei auch selbst verlegerisch tätig zu werden. Hilfreich hierbei waren für sie Mitgliedschaften in Gliederungen der Partei sowie Vertraute und Verwandte in hohen Funktionen von Partei und Staat. Mit Kriegsbeginn setzten sie in ihren verlegerischen Aktivitäten auf die sich abzeichnende Konjunktur und stiegen in das lukrative Geschäft mit Feldpostausgaben für die Unterhaltung der Frontsoldaten ein. Dies sicherte ihnen nicht nur schöne Gewinne und die Versorgung mit dem wichtigen Rohstoff Papier, sondern bewahrte einen Teil ihrer somit »kriegswichtig« gewordene Unternehmung in der zweiten Kriegshälfte vor der Schließung. Der einzige Beleg für eine Nachkriegsplanung stellt ein Briefzitat Georg von Holtzbrinck dar, in dem er einen Verwandten in einer hohen Funktion des NS-Regimes einerseits und einen Onkel in Amerika andererseits als jeweilige Versicherung für jeden erdenklichen Ausgang des Krieges bezeichnete. Mit den ersten Schritten zum Neuaufbau der Unternehmen nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes endet die Darstellung Garke-Rothbarts.

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Umfassende Quellenarbeiten
des Autors im In- und Ausland

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Bei der Erstellung der Studie hatte der Autor mit stark lückenhaften Quellenmaterial zu kämpfen, welches er durch breit angelegte Archivrecherchen, die ihn bis nach Washington D.C. und Moskau führten, mühevoll zusammengesucht hat. Diese wohl fast zehn Jahre dauernde Leistung ist uneingeschränkt zu würdigen. Dies nicht nur wegen der Ausdauer und Beharrlichkeit des auf sich allein gestellten Forschers, sondern insbesondere auch deswegen, weil Garke-Rothbart dabei augenscheinlich aufschlussreiche Dokumente freigelegt hat und zugänglich machen konnte.

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Mängel im Aufbau der Studie

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Während die geleistete Quellenarbeit vorbildlich ist, gibt es hinsichtlich des Aufbaus und der Anlage der Studie offensichtliche Mängel. Zunächst gibt Garke-Rothbart dem Leser keine Fragestellung für die Lektüre an die Hand. Während der Untertitel deutlich auf einen biographischen Ansatz hindeutet, schließt der Autor einen solchen einleitend ausdrücklich aus, um dann aber in Einzelkapiteln die Person Georg von Holtzbrincks zu thematisieren (vgl. die Kapitel »Familiäre Wurzeln«, »Jugend im Krieg«, »An der Universität – Beziehungen zum NS-Studentenbund«, »Fragen zum Parteieintritt«) und im Schlusswort eine Bewertung zu dessen unternehmerischen Denken und Handeln vorzunehmen. Hierbei kommt er zu dem in der Forschung inzwischen mehrfach konstatierten Ergebnis, dass (Medien-)Unternehmer im Dritten Reich die sich ihnen bietenden Chancen ergriffen und dabei gute Geschäfte tätigten, ohne selbst gezwungenermaßen überzeugte Parteigänger und ideologische Gesinnungsgenossen der Nationalsozialisten gewesen sein zu müssen.

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Zudem fällt auf, dass Garke-Rothbart außer kurzen Erwähnungen in seiner Einleitung zu neueren Monographien zur Historie von Verlagen in den 1930er Jahren den inzwischen ansehnlichen Forschungsstand zu (Medien-)Unternehmen und dem Verhalten von Unternehmern im Dritten Reich in seiner Darstellung kaum einwebt. Hierdurch schwebt die Arbeit weitgehend im luftleeren Raum, ohne dass die Ergebnisse vom Autor in den aktuellen Forschungsstand eingeordnet werden.

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Dieser Mangel ist auch darauf zurückzuführen, dass der Autor augenscheinlich statt zu systematisieren und zu destillieren »einfach an den Quellen entlang« geschrieben hat. Diese Wahrnehmung verfestigt sich durch die teilweise sehr langen Quellenzitate sowie die vielen und teilweise weit ausholenden Einschübe zur Historie einzelner Periodika und Unternehmen. Auch finden sich eingehendere biographische Darstellungen einzelner, bekannter Autoren – während wichtige Akteure aus dem direkten Umfeld der Holtzbrinck’schen Aktivitäten nur holzschnittartig beleuchtet werden (so zum Beispiel Georg von Holtzbrincks Ehefrau Addy oder der Geschäftsführer des von ihm übernommenen Verlags Deutsche Volksbücher, Carl M. Ludwig) oder sang- und klanglos aus der Darstellung verschwinden (wie sein Kommilitone und langjähriger Geschäftspartner Wilhelm Schlösser).

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Zudem hätte eine klarere Struktur der Arbeit gut getan. Der gewählte Aufbau Garke-Rothbarts, der jeder größeren Unternehmung von Holtzbrincks ein eigenes Kapitel widmet, zwingt ihn und mit ihm seine Leser zu Vor- und Rücksprüngen und lässt kein konturiertes Bild von der Gesamtkonstruktion und -konstitution seiner geschäftlichen Tätigkeit zu bestimmten Zeitpunkten entstehen. So fehlt auch eine (tabellarische) Gesamtschau der verfügbaren unternehmerischen Kennzahlen, die dem Leser einen solchen Überblick vermitteln hätte können.

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Ungeklärte und
weiterführende Fragen

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Der Rezensent sieht am Ende der Lektüre eine Reihe von offenen Fragen, die eine klar strukturierte Arbeit hätte beantworten können, welche zwar über den vom Autor implizit gewählten biographischen Ansatz hinausweisen, aber dadurch den derzeitigen Forschungsstand zur Buch- und Verlagsgeschichte während des Dritten Reiches bereichert hätten. So bemerkt Garke-Rothbart gelegentlich in seiner Studie, dass die nur schwer zu kontrollierende Arbeit der reisenden Zeitschriftenwerber den Überwachungsinstanzen des NS-Regimes tendenziell ein Dorn im Auge war. Da zum Reisebuchhandel bisher keine weiteren Studien vorliegen, wäre eine vertiefende Beschäftigung mit sich hieraus ergebenden Konflikten – so es sie denn gab – durchaus von Interesse gewesen. Ferner stellt Garke-Rothbart die (durchaus überlegenswerte) Behauptung in den Raum, dass die von den Holtzbrinck’schen Unternehmen vertriebenen »Buchzeitschriften« wegen des stetigen Drucks neue Mitglieder zu werben, einen »Gradmesser für den vorherrschenden Geschmack einer breiten Leserschaft« geben könnten. Da zum tatsächlichen Leseverhalten im Dritten Reich bislang nur wenig bekannt ist, hätten die Ergebnisse einer hierauf aufbauenden Analyse wesentlich Neues beitragen können.

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Das letzte Wort zur Frühgeschichte des Medienunternehmers Georg von Holtzbrinck ist die vorliegende Studie somit keineswegs. Es bleibt zu hoffen, dass die von Garke-Rothbart erschlossenen Dokumente aus der Familienüberlieferung der Öffentlichkeit zugänglich bleiben und somit die Möglichkeit zu weiterer intensiver Forschung geben.