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Geschlecht in Arbeit:

Prekäre Subjekte und ihre aufwändige Produktion

  • Renate Lorenz: Aufwändige Durchquerungen. Subjektivität als sexuelle Arbeit. (Studien zur Visuellen Kultur) Bielefeld: transcript 2009. 236 S. zahlreiche Abb. Kartoniert. EUR (D) 27,80.
    ISBN: 978-3-8376-1196-0.
  • Renate Lorenz / Brigitta Kuster (Hg.): Sexuell Arbeiten. Eine queere Perspektive auf Arbeit und prekäres Leben. Berlin: b_books 2007. 334 S. Broschiert. EUR (D) 18,00.
    ISBN: 978-3933557658.
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Geschlechterdifferenz und Arbeit

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In den letzten Jahren ist in den Gender und Queer Studies ein steigendes Interesse am Thema Arbeit zu beobachten. Untersucht werden Zusammenhänge zwischen Geschlechterdifferenz und Arbeitsteilung, Geschlechterkonstruktionen und Ökonomie, historischen Liebes-, Arbeits- und Geschlechtersemantiken sowie Heteronormativität, Queer Politics und Neoliberalismus. 1 Auch jenseits der Gender Studies zeigt sich ein neues Interesse am Thema Arbeit, das nicht mehr primär aus einer marxistischen Gesellschaftstheorie gespeist wird, sondern an die durch Michel Foucault und Niklas Luhmann geprägte Frage nach der Genese und Formation des modernen Subjekts beziehungsweise Individuums anschließt. 2 Arbeit gerät zunehmend als eine Technik in den Blick, die auch die Produktion von Subjektivität und Individualität betrifft. Offensichtlich reagiert dieses neue theoretische Interesse auf eine aktuelle Situation, in der Arbeit selbst, ihre historische Semantik, ihre Felder und Verfahrensweisen, einem Strukturwandel unterliegen.

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Die aktuelle Frage nach dem Zusammenhang von Geschlecht, Sexualität und Arbeit ergibt sich als Folge einer radikalen Destabilisierung von Geschlechtlichkeit in den Konzepten des Doing Gender sowie der Performativität des Geschlechts einerseits und einer Modifikation von tradierten Arbeitsformen und -semantiken andererseits. Was sich auch in biopolitischen Maßnahmen wie dem neuen Elterngeld unter dem Slogan der ›Vereinbarkeit von Familie und Beruf‹ zeigt, ist der zunehmende politische Wille zu einer Verabschiedung einer geschlechtlich segregierten Welt von Arbeit und Familie, beziehungsweise Öffentlichkeit und Privatheit. In dem Maße, in dem die bürgerliche Familie aufgefordert wird, ihre klassische Arbeitsteilung zu verändern, veruneindeutigen sich die Grenzen von Arbeit und Freizeit, Arbeit und Leben. Die darin den Geschlechtern zugewiesenen Positionen verschieben sich.

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In den beiden besprochenen Bänden nutzen Renate Lorenz und Brigitta Kuster diese Situation sowohl um in einem historischen Rückblick auf das 19. Jahrhundert als auch in einer Analyse gegenwärtiger Arbeitsfelder den Zusammenhang von Geschlecht, Arbeit und Sexualität herauszustellen. Sie fassen diesen Konnex in der Formel »sexuell arbeiten«. Gegen die aktuelle These einer zu beobachtenden Auflösung von geschlechtlich codierten Arbeitswelten zeigen beide Bände, dass sowohl historisch als auch gegenwärtig von einer komplexeren, modifizierten Verknüpfung von öffentlicher Arbeitswelt, privatem Haushalt, Geschlecht und Sexualität ausgegangen werden muss.

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Sexuell arbeiten

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Sexuelle Arbeit und sexuell arbeiten werden von Lorenz und Kuster als ein strategisches Konzept eingeführt, um einerseits den unauflösbaren Zusammenhang von Sexualität, Geschlecht und Arbeit zu markieren und andererseits Arbeit da sichtbar zu machen, wo sie traditionell unsichtbar geblieben ist. Der Arbeitsbegriff wird weit ausgedehnt, er umfasst Praxen, die üblicherweise als Gegenüber der Arbeit konzipiert werden, wie etwa Sexualität und Liebe.

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Diese Ausweitung findet ihren Grund in der konstitutiven Funktion, die Arbeit für die Subjektformation hat: »Sexuelle Arbeit ist doppelt produktiv: sie produziert Produkte / Dienstleistungen und sie produziert ein vergeschlechtlichtes, verkörpertes, begehrendes Subjekt.« heißt es im Manifest der Arbeit des Sexuellen und des Sexuellen der Arbeit. 3 Der Chiasmus des Titels zeigt die wechselseitige Bezogenheit von Arbeit und Sexualität an: wer arbeitet, so die These, arbeitet auch an seinem Geschlecht, an seiner Sexualität. Wer als Geschlecht in Erscheinung tritt, arbeitet. In Anlehnung an Michel Foucaults Überlegungen zur Produktivität von Machtverhältnissen sowie an Judith Butlers Theorie des Geschlechts wird sexuelle Arbeit zugleich als »etwas ›Selbstfabriziertes‹« und als autorlose Produktion gedacht: 4 Es gibt kein Geschlecht hinter der Arbeit, Geschlechtlichkeit formiert sich in der Arbeit als Arbeit an sich selbst.

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Arbeit wird der Prozess der Subjektformation dadurch, so Lorenz und Kuster, dass er mit Aufwand verbunden ist. Mit der Kategorie des Aufwandes beziehen sich Lorenz und Kuster auf eine Dimension der Arbeit zurück, die lange Zeit dominant war, nämlich die Dimension von Last und Mühe. Die Größe des zu leistenden Aufwandes ist abhängig davon, wie sich das Subjekt innerhalb einer heteronormativen Ordnung der Geschlechter bewegt. Die »›Arbeit an der Identität‹« ist daher in verstärktem Maße von denen zu leisten, die mit der »Annahme, Abweisung oder Umarbeitung gewalttätiger oder verletzender Anrufungen« belastet sind. 5 Lorenz und Kuster rekurrieren auf Louis Althussers Konzept der Anrufung des Subjekts, das sie als Arbeitsverhältnis reformulieren.

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Sexuelle Arbeit wird aufwändiger, je prekärer das Subjekt ist, das sich in ihr produziert. Als ›prekär‹ gilt eine Identitätslosigkeit, die aus widersprüchlichen Anrufungen resultiert und die nicht im Rahmen sexueller Arbeit stillzustellen ist, sondern – positiv formuliert – immer für »eine neue Konstitution offen« bleibt. Diese Offenheit, die prinzipiell als ein Moment des Durchquerens, des ›queering‹ heteronormativer Ordnungsmuster gedacht wird, kann für das Individuum jedoch durchaus erschütternde Konsequenzen haben.

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Zum Aufbau der Texte

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Lorenz und Kuster erläutern und entwickeln die hier vorgestellten theoretischen Überlegungen in der Diskussion konkreter Fälle. Renate Lorenz’ Dissertation »Aufwändige Durchquerungen« arbeitet mit Photographien und Tagebüchern von Hannah Cullwick, einer Hausangestellten des späten 19. Jahrhunderts sowie den Tagebüchern von deren Mann und Arbeitgeber Arthur Munby.

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Die Textsammlung »Sexuell Arbeiten« entspricht vom Format her nicht den üblichen Anordnungen von Readern sondern versammelt längere Einzelstudien, das bereits zitierte Manifest und Interviews. Die Herausgeberinnen sowie einige der Interviewpartnerinnen sind sowohl als Wissenschaftlerinnen, als auch als politische Aktivistinnen und Künstlerinnen tätig.

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Als Einzelstudien sind Lorenz’ zwei Kapitel zu Cullwick und Munby zu nennen, die in wesentlichen Zügen ihrer Dissertation entsprechen, Kusters dichte Beschreibung sexueller Arbeit im Hotel und Lorenz’ Recherche zum Zusammenhang von Sexualität, Migration und Informationstechnologie. Interviewpartnerinnen sind die Gender- und Queer-Forscherin Jane Ward aus Kalifornien, das feministische Polit-Projekt Precarias a la Deriva aus Madrid, die Queer-Theoretikerin Antke Engel vom »Institut für Queer Theory« Berlin und die Gender-Dozentin und Aktivistin Katerina Nédbalková aus Brno, Tschechien. Alle werden zu ihren eigenen Arbeitsfeldern befragt und in eine Diskussion der Formel »sexuell Arbeiten« einbezogen.

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Insgesamt entsteht der Eindruck eines heterogenen Feldes, das sich in der Beobachtung und Beschreibung von »Femme-Arbeit« (Ward), von politischer Wissensproduktion (Precarias), von Queerness als Leitbild des Neoliberalismus (Engel) und von Sexualität im Frauengefängnis (Nédbalková) vor allem hinsichtlich der theoretischen Prämissen verbindet. Bei allen Differenzen ist den Gesprächspartnerinnen gemeinsam, dass sie in der Beschreibung von Sexualität und Geschlecht auf die Diskussionen der Gender und Queer Studies der letzten 20 Jahre rekurrieren, dabei aber immer deren Situierung in einer kapitalistischen Gesellschaft in den Blick nehmen, sie also an ökonomische Verhältnisse rückbinden.

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In der Konfrontation der Interviewten mit der Formel ›sexuell arbeiten‹ zeigt sich zugleich der weitreichende Anspruch der beiden Herausgeberinnen, mit dieser Formel ein Beschreibungsmodul zu profilieren, das historisch und sozial differierende Kontexte zu analysieren erlaubt. Im Folgenden soll dieses Unternehmen an zwei Texten ausführlicher vorgestellt und diskutiert werden: an Lorenz Dissertation »Aufwändige Durchquerungen« und Kusters Studie »büro suite hotel«.

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Hausarbeit, Schmutz, Sex

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Hannah Cullwick (1833–1909) gehörte zu der Gruppe von Arbeiterinnen, deren Tätigkeit die bürgerliche Arbeits- und Geschlechterteilung zugleich ermöglichte und unterlief. Als Hausangestellte arbeitete sie in dem Bereich, der als Gegenüber der männlichen Erwerbsarbeit galt. Im Unterschied zu vielen anderen Hausangestellten sind von Hannah Cullwick Tagebücher überliefert, in denen sie ihr Leben als Abfolge von Arbeitsszenen schildert.

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Sie schrieb die Tagebücher aufgefordert durch Arthur J. Munby (1828–1910), dessen Forschungen über den Alltag, die Lebensweise und Arbeitsbereiche von Hausangestellten, Fabrik- und Minenarbeiterinnen in Form von Interviews, beschreibenden Skizzen und Fotografien überliefert sind. Auf diese Weise ist sowohl eine sozialhistorische Quellensammlung zur weiblichen Erwerbsarbeit im 19. Jahrhundert als auch eine Dokumentation der erotischen Obsession eines bürgerlichen Mannes mit der muskulösen, ›schmutzigen‹ Arbeiterin entstanden. Munby und Cullwick bildeten ein Paar, dessen sadomasochistische Praktiken ihre Bilder- und Szenenrepertoires aus Cullwicks Arbeitsalltag übernahmen.

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Lorenz wertet die, in den Cultural Studies bereits einige Prominenz genießenden, Texte und Fotografien Cullwicks und Munbys als exemplarischen Fall einer Überlagerung von Arbeits- und sexuellen Verhältnissen. Sie erläutert an dessen Besonderheit eine allgemein geltende Verstrickung von ›Allianz- und Sexualitätsdispositiv‹ (Michel Foucault). Gegenüber Foucaults These einer Ablösung eines vertraglich regulierten ehelichen und familiären Allianzsystems durch ein auf die Wahrheit des Individuums zielendes Sexualitätsdispositiv betont Lorenz deren intrikate Verbindung. Ziel der Studie sei es, »die Macht sexueller Diskurse und Praxen auch im Feld der (Lohn-)Arbeit« zu demonstrieren 6 .

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Lorenz zeigt uns die Arbeitssituation der weiblichen Hausangestellten nicht als totale, disziplinäre Institution, sondern als eine Szene der Anrufung im Sinne Louis Althussers. Betont wird so ein Moment der Freiwilligkeit der Unterwerfung der Individuen, das sich als Wissen um bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten (»savoir-faire«) in konkreten Praxen verkörpert. Jenseits ihrer eigentlichen Arbeiten weiß die gute Hausangestellte etwa, dass sie bescheiden wirken muss, dass sie ihre Zimmer nicht luxuriös schmücken darf oder dass sie in ihrer Freizeit nicht zu lange das Haus verlassen kann, ohne ihren guten Ruf zu riskieren. Diese und ähnliche »Fähigkeiten / Fertigkeiten« versteht Lorenz als sexuelle Arbeit, als Elemente eines Prozesses, in dem sich Arbeit, Sexualität und Geschlechtlichkeit wechselseitig konstituieren.

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Geben Cullwicks und Munbys Texte und Bilder einerseits Einblick in die Alltäglichkeit des häuslichen Lebens und seine regulativen Normen, so artikuliert sich in ihnen auch eine »Disidentifikation« 7 mit der Szene der Anrufung, die in Cullwick und Munby »identities-in-difference« 8 produziere. Cullwick, so Lorenz, verweigere sich etwa der Anrufung als schwache und sexuell gefährdete Frau, die laut Ansicht ihrer Arbeitgeberin nicht abends auf der Straße flanieren soll.

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Zudem stelle das Tagebuch einen Versuch Cullwicks dar, aus der Szene der Anrufung selbst auszusteigen und sich »hinter den Kulissen« 9 einen Beobachterstandpunkt zu verschaffen. Die Beschreibung im Tagebuch gilt Lorenz daher als »ein Agieren, ein Herstellen der Szene, ein Prozess, in dem die Phantasie eine produktive Rolle übernimmt« 10 .

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Das Tagebuch ist für Lorenz nicht als literarische Form, als historisches Dokument oder Praxis des Schreibens interessant. Reflexionen zur Frage von Fakt und Fiktion, zur Tagebuchform oder -praxis sind kaum zu finden. Das Tagebuch kommt nicht als eine Technologie des Selbst in den Blick, wie die häufige Bezugnahme auf Foucault hätte vermuten lassen können, sondern als ein Aufzeichnungsmedium von Szenen des Alltags. Sie gelten als Anrufungsszenen, in denen das ›Ich‹ des Tagebuchs als Normalität inszenierende und durchbrechende Person an sich selbst arbeitet, indem es die Szenen der Anrufung mimetisch durchquert. In der Nachahmung naturalisierter Posen und Positionen von Weiblichkeit wird nicht nur deren Produziertheit ausgestellt. Die Tatsache, dass ein solches queering möglich geworden ist, verdanke sich der historisch zu beobachtenden Mobilisierung der Geschlechterordnung, an der es zugleich arbeitet.

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Interessant wird Cullwicks Tagebuch für Lorenz als Schauplatz sexueller Arbeit, an dem andere Schauplätze entworfen werden können. Ohne dass Cullwick also die Normalität ihrer Arbeitswelt ändern kann, gelingt ihr in der textuellen (und auch in der detailliert analysierten photographischen) »Repräsentation« eine Durchquerung dieser (Hetero-)Normativität.

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Das Tagebuch ähnelt darin der Re-Inszenierung der Arbeitsszenen des Alltags im sexuellen Verhältnis Cullwicks mit Munby. Nachdem sie heimlich geheiratet hatten, arbeitete Cullwick als Hausangestellte Munbys, so dass Arbeitgeber, Sexualpartner und Ehemann zusammenfielen. Die Unterscheidung von Sexualität und Arbeit wurde nahezu unmöglich. Dennoch, so argumentiert Lorenz, eröffnen die sexuellen Szenen eine neue Außenperspektive, die sich in fetischisierenden Photographien von Hannah Cullwick in gender, class und ethnicdrag verdichten. Beide, sexuelle Mimikry (Bhabha) und photographischer Fetisch, stellen sexuelle Arbeit und ihre Funktionsweise aus, lassen den produktiven Charakter der Normalität sichtbar werden: »Die Photographien sind als Repräsentationen zugleich Produkt und Prozess, sie sind ein Effekt der dominanten Macht- und Herrschaftsverhältnisse und stellen – zur gleichen Zeit – die Bedeutungszuweisung in ihrem Konstruktionsprozess zur Schau« 11 .

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Hotelarbeit, Sauberkeit, Kommunikation

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Brigitta Kusters Beschreibung sexueller Arbeit »büro suite hotel« konzentriert sich auf eine spezifische Hotelform, die sich selbst als »Zuhause auf Zeit« versteht und als eine Verbindung von Hotel und möbliertem Apartment gelten kann – eine neue Unterkunftsform für mobilisierte Arbeitswelten. Kusters Beobachtungen resultieren aus Pressemappen und anderen Selbstdarstellungsmedien des Hotels sowie aus Gesprächen mit Angestellten und Geschäftsleitung und Beobachtungen im Feld.

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Ihr Augenmerk liegt einerseits auf der Herstellung des ›Zuhauses‹, das in auffälliger Weise nicht mehr als arbeitsferner Privatraum, sondern als eine Zone des Übergangs zwischen Arbeiten, Wohnen, Wellness und Fitness gefasst wird.

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Der Grad der Privatheit dieses temporären Zuhauses, so Kuster, ist dabei einerseits vom Gast selbst abhängig: er kann Dienstleistungen in Anspruch nehmen oder nicht. Andererseits ist er vorgegeben durch ein nicht immer einsehbares Raster von Vorschriften und ungeschriebenen Vorstellungen seitens der Hotelleitung, das vor allem dann in Erscheinung tritt, wenn gegen es verstoßen wird.

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Die Verhältnisse zwischen Gästen, Angestellten und Hotelleitung bilden den zweiten Schwerpunkt der Analyse. Arbeit, so Kuster, liegt nicht nur auf der Seite der Dienstleister, die ihrer Erwerbsarbeit nachgehen, sondern auch bei den Gästen: »Beide arbeiten […] an der Produktion des Zuhauses und verhandeln dabei ihre sozialen Plätze in diesem Hotel, das sie als differenzierte verkörperte / vergeschlechtlichte Subjekte unterwirft und gegen einander anordnet.« 12 Kuster nutzt einen Terminus, den Mary Louise Pratt im Kontext der Postcolonial Studies geprägt hat, um dieses Feld von Produktionen und Übergängen zu benennen: contact zone. 13

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In der Zirkulation sexueller Arbeit werden die Gäste »als ein Subjekt angerufen, das Wünsche produziert und Begehren artikuliert« 14 – etwa, um ein Beispiel zu nennen, nach Socken vom KadeWe. Die Unsichtbarkeit der Regeln ermöglicht und erfordert zugleich, dass sie ihren Platz im sozialen Universum des Hotels selbst erarbeiten, das heißt mit Aufwand produzieren.

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Zumindest potentiell erlaubt das Hotel eine Selbstversorgung wie Zuhause – kochen, waschen, bügeln, Fahrrad reparieren – während es manche dieser Tätigkeiten zugleich als Dienstleistungen anbietet. Die sexuelle Arbeit der Gäste ist Teil einer »Regierung« (Foucault) des Hauses, das jedoch zugleich eine hierarchisch streng geordnete Abstufung von Arbeitsfeldern kennt, die klassischen Dienstleistungen des Hotels analog sind. Uniformen ermöglichen die Unterscheidung von »housekeeping« (das heißt Putzfrauen) und Empfang, sowie von Gruppierungen wie Zimmermädchen, Hausdame, Hausmann, die schon namentlich geschlechtlich eindeutig situiert sind.

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Demgegenüber betont Kuster die auf die Darstellung von Professionalität zielende Neutralität von Kleidung, Habitus und Benennung der ›Mitarbeiter am Empfang‹: »als würden sich Manager um Manager kümmern« 15 . Sowohl in der Besetzung dieser Stellen mit Frauen, als auch in deren Rede über den Gast zeige sich jedoch eine dominant heterosexuelle Phantasie, die eine paradoxe Anforderung »zwischen dem geschlechtlich konnotierten Arbeitsplatzsetting (professionell-männlich und kollegial) und dem geforderten Verhältnis zu den Gästen (persönlich-weiblich, fürsorglich)« 16 produziere.

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Geprägt durch Erfahrungen, Umgangsformen und Selbstdarstellung durch die Hotelleitung bildet die Gruppe der Angestellten von sich selbst ein patriarchalisches Familienbild aus. Der Unternehmer wird als guter Patriarch wahrgenommen und das Hotel als »betriebskörper familie« 17 , wie eine Zwischenüberschrift des Artikels lautet. Auf diese Weise wird eine Einheit evoziert, »die im Stande wäre, soziale Verwerfungen und hierarchische Arbeitsteilung ausser Kraft zu setzen« 18 .

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Tatsächlich ergeben sich überraschende Parallelen zwischen der Hotellebenswelt der Gegenwart und dem viktorianischen Haushalt vor allem hinsichtlich der Unsichtbarkeit der körperlichen Arbeit und des Schmutzes: die Dienstkleidung des housekeeping muss stets sauber sein.

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Die eigentliche körperliche Reinigungsarbeit, so lässt sich sagen, wird durch eine zusätzliche zweite Arbeit ergänzt, die daraus besteht, die erste Arbeit unsichtbar zu machen. […] Der Schmutz, der bei der Arbeit, Schmutz zu entfernen, entsteht […], muss nicht nur entfernt werden; es soll sogar so aussehen, als würde solcher Arbeits-Schmutz gar nicht erst auftreten. 19
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Die Gäste hingegen nutzen die Aufforderung zur Beseitigung des Schmutzes auch als Arbeit an der Repräsentation sozialer Differenz, etwa wenn sie den schwarzen Hausmann inmitten des im kolonialen Stil eingerichteten Hotels als Schuhputzer adressieren, obwohl der Hinweis auf die hauseigene Schuhputzmaschine ein anderes gewünschtes Verhalten der Gäste deutlich erkennbar werden lässt.

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Insgesamt zeigt sich das von Kuster untersuchte Hotel als ein Feld, in dem eine am viktorianischen Haushaltsmodell orientierte Betriebshierarchie auf betont lässige Umgangsformen trifft, die einer »Pragmatik der fluid-flexiblen Handhabung von Arbeit und Leben« 20 entsprechen. Sexuelle Arbeit erscheint in diesem Feld in drei Gestalten: als Technik der Selbstführung aller Beteiligten, als Produktionstechnik, die auf andere einwirkt und als Zirkulation von Normalität, die immer wieder neu hergestellt werden muss.

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Sexuelle Arbeit durcharbeiten

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Sowohl Kusters als auch Lorenz’ Beschreibungen und Analysen bestechen durch ihre theoretisch avancierten Zugangsweisen und einen dadurch geschulten Blick für das sprechende Detail und die markante Nuance, an der die Komplexität der Verschränkung von Arbeits- und Geschlechterverhältnissen aufscheinen. Deutlich wird, dass das politische Versprechen einer auf Chancengleichheit und Antidiskriminierung gerichteten Gleichstellungspolitik hinter dieser Komplexität zurückbleibt.

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Zu fragen ist jedoch, welche Kosten mit der Ausweitung des Arbeitsbegriffs, mit seiner Totalisierung verbunden sind. Wir alle arbeiten permanent an der Produktion unseres Geschlechts – ja. Wenn aber alles Arbeit ist, wird das analytische Potential der Beschreibung einer Praxis als Arbeit insofern gering, als sie nicht mehr von anderen Praxen unterschieden werden kann. Ist jede mit Aufwand verbundene Praxis »Arbeit«? Was genau bedeutet »Aufwand«? Ist Kalorien verbrennen schon Aufwand? Ist Leben Arbeit? Inwieweit verlängert man mit der Kategorie »sexuell arbeiten« die bestehende Tendenz, alle Tätigkeiten als Arbeit und alle Verhältnisse als Arbeitsverhältnisse zu denken, die sich in Begriffen wie work out, Beziehungsarbeit et cetera artikuliert? Lorenz und Kuster provozieren diese Fragen, indem sie »probehalber«, wie es in der Einleitung zu »Sexuell arbeiten« heißt, auch die produktiven Praxen als Arbeit beschreiben, die nicht entlohnt werden. Die Probe hat sich gelohnt.

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Die Arbeit hört niemals auf – das ist der Eindruck, der nach der Lektüre beider Bände bleibt. Durcharbeiten lässt sie sich nicht. Wenn jede Tätigkeit / Arbeit als subjektformierende gedacht wird, sind alle Analysen auf eine Identität ausgerichtet, die an die Formierung von Individuum und Subjekt in dem Maße gebunden bleibt, als sie ihr zu entrinnen versucht. Auffällig ist der Widerspruch zwischen einer Tendenz zur Auflösung von Identität als vorgängiger Größe durch die Beschreibung der zu leistenden sexuellen Arbeit bei einer gleichzeitig beibehaltenen Konzentration auf Arbeit als identitätsbildenden Prozess. Gibt es ein anderes Selbstverhältnis jenseits der Arbeit? Oder anders gefragt: Lässt sich ein Selbstverhältnis denken, das nicht als Arbeitsverhältnis beschrieben werden kann?

 
 

Anmerkungen

Angelika Wetterer: Arbeitsteilung und Geschlechterkonstruktion. Konstanz: Univ.-Verl. Konstanz 2002; Waltraud Ernst (Hg.): Leben und Wirtschaften. Geschlechterkonstruktionen durch Arbeit. Münster: Lit 2005; vgl. dazu die Rezension von Karsten Uhl: Geschlecht, Arbeit und die Auswirkungen des globalen Kapitalismus (Rezension über: Waltraud Ernst [Hg.]: Leben und Wirtschaften. Geschlechterkonstruktionen durch Arbeit. Münster: Lit 2005.), in: IASLonline [12.08.2008], URL: http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=1915 (Stand 08.03.2011); Sabine Biebl / Verena Mund / Heide Volkening: Working Girls. Zur Ökonomie von Liebe und Arbeit. Berlin: kadmos 2007; Antke Engel: Bilder von Sexualität und Ökonomie. Queere kulturelle Politiken im Neoliberalismus. Bielefeld: transcript 2009 und Brigitte Aulenbacher / Angelika Wetterer: Arbeit: Perspektiven und Diagnosen der Geschlechterforschung. Münster: Westfälisches Dampfboot 2009.   zurück
Dirk Baecker (Hg.): Archäologie der Arbeit. Berlin: kadmos 2002; Ulrich Bröckling / Eva Horn (Hg.): Anthropologie der Arbeit. Tübingen: Gunter Narr 2002.   zurück
Renate Lorenz / Brigitta Kuster (Hg.): Sexuell arbeiten. Eine queere Perspektive auf Arbeit und prekäres Leben. Berlin: b_books 2007, S. 154.   zurück
Ebd., S. 155.   zurück
Renate Lorenz: Aufwändige Durchquerungen. Subjektivität als sexuelle Arbeit. (Studien zur Visuellen Kultur) Bielefeld: transcript 2009, S. 23.   zurück
Ebd. S. 46.   zurück
Ebd. S.55.   zurück
10 
11 
Ebd. S. 177.   zurück
12 
Lorenz / Kuster (Anmerkung 3) S. 159.   zurück
13 
Mary Louise Pratt: Imperial Eyes: Studies in Travel Writing and Transculturation. London und New York: Routledge 1992.   zurück
14 
Lorenz / Kuster (Anmerkung 3) S. 160.   zurück
15 
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16 
17 
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18 
19 
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20 
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