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Ein vernachlässigtes Kapitel
der Druckgeschichte:

Neues zum deutschsprachigen Inkunabeldruck in Basel

  • Romy Günthart: Deutschsprachige Literatur im frühen Basler Buchdruck (ca. 1470-1510). (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 11) Münster u.a.: Waxmann 2007. 404 S. Broschiert. EUR (D) 34,90.
    ISBN: 978-3-8309-1712-0.
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Ziel und Untersuchungsgegenstand

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Wenn von Basel als Druck- und Verlagsort des 15. und frühen 16. Jahrhunderts die Rede ist, wird man wohl in erster Linie an ambitionierte Bibelausgaben, anspruchsvolle juristische Drucke oder humanistische Werke, allen voran die des Erasmus, denken. Der Druck volkssprachiger Werke spielte dagegen in Basel – anders als in den anderen großen süddeutschen Druckzentren Straßburg, Nürnberg und Augsburg – nur eine untergeordnete Rolle. Es ist daher wenig verwunderlich, dass bislang noch keine Aufarbeitung der deutschsprachigen Druckproduktion Basels erfolgt ist. Diese Forschungslücke zu schließen, schickt sich vorliegende Arbeit an, die 2005/06 an der Universität Zürich als Habilitationsschrift angenommen wurde.

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In ihrer Einleitung (S. 1–8) umreißt Günthart zunächst die Fragestellungen ihrer Studie sowie das ausgewertete Untersuchungskorpus. Ihr Ziel ist es, »[…] anhand der frühen deutschsprachigen Druckproduktion der Stadt Basel exemplarisch den vielfältigen Gründen nachzuspüren, die zur Publikation eben dieser volksprachigen Texte führten« (S. 3). Wie in der druckgeschichtlichen Forschung üblich, beschränkt sie sich dabei nicht allein auf die »literarischen« Texte, die in der volkssprachlichen Überlieferung des 15./16. Jahrhunderts nur einen Bruchteil ausmachen. Stattdessen nimmt die Autorin den gesamten Bereich der Volkssprachlichkeit in den Blick, also auch religiöse Schriften oder Fach- und Gebrauchsschrifttum. In anderen Punkten wird das Untersuchungskorpus allerdings klar begrenzt: So werden vor allem Einblattdrucke aufgrund ihrer speziellen Produktions- und Rezeptionsbedingungen von der Untersuchung ausgenommen. Ausgeklammert werden auch die zweisprachigen, lateinisch-deutschen Drucke, da es sich bei Ihnen fast ausschließlich um Schultexte handelt, bei denen die deutsche Übersetzung lediglich dem besseren Textverständnis des Lateinischen dient. Schließlich wird der Untersuchungsgegenstand in zeitlicher Hinsicht dahingehend beschränkt, dass allein die Drucke jener Offizinen, die noch im 15. Jahrhundert ihren Betrieb in Basel aufnahmen, untersucht werden. Der Fokus der Arbeit liegt damit deutlich auf der Inkunabelzeit, während die umfangreiche deutschsprachige Verlagsproduktion des Pamphilus Gengenbach (ab 1513 tätig) ebenso ausgeklammert wird wie das reformatorische Schrifttum. Übrig bleibt ein relativ überschaubares Untersuchungscorpus von knapp 60 deutschsprachigen Titeln, die bis zwischen 1472/73 und ca. 1510 in Basel erschienen. Da nur wenige dieser Texte mehr als eine Auflage in Basel erlebten, bilden etwa 70 Drucke die Basis der Untersuchung.

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Drucker und Literaten in Basel

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Das zweite Kapitel (»Basel, die Drucker und ihre Werke«, S. 9–61) bietet einen allgemeinen Überblick zur Basler Druckgeschichte und eine Darstellung der deutschsprachigen Druckproduktion. Zunächst werden knapp die sozialgeschichtlichen, ökonomischen und intellektuellen Rahmenbedingungen, die Basel zu einem attraktiven Standort für die frühen Drucker machten, dargestellt. Neben den ökonomischen Voraussetzungen, wie der Anbindung an das europäische Handelsnetz und das Vorhandensein einer leistungsfähigen Papierindustrie, war es das intellektuelle Umfeld, von dem die Drucker profitieren konnten. Hier bildeten vor allem die Basler Klöster und Stifte und die 1460 gegründete Universität den institutionellen Rahmen, der im späten 15. Jahrhundert zahlreiche Intellektuelle hervorbrachte, die ihrerseits in engem Kontakt mit den Basler Druckern standen. Hingewiesen sei nur auf so bekannte Autoren und Herausgeber wie Sebastian Brant, Johann Geiler von Kaysersberg oder Johannes Heynlin vom Stein, die – zumindest zeitweise – in Basel ansässig waren und in unterschiedlicher Weise mit den Basler Offizinen zusammenarbeiteten.

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Die insgesamt sehr günstigen Standortfaktoren führten dazu, dass bis zur Wende zum 16. Jahrhundert etwa 20 Offizinen ihren Betrieb in der oberrheinischen Handelsmetropole aufnahmen. Dass nur in sechs bzw. sieben dieser Offizinen auch deutsche Texte erschienen, zeigt allerdings deutlich, dass die Volkssprache im Basler Druckwesen nur eine untergeordnete Rolle spielte. Lediglich Martin Flach, Bernhard Richel, Lienhard Ysenhut, Johann Amerbach, Jacob Wolff und Michael Furter druckten deutsche Texte. Hinzu kommt noch Johann Bergmann von Olpe, der vermutlich nicht selber druckte, sondern als Verleger andere Offizinen mit dem Druck beauftragte. Die Verfasserin stellt diese für ihre Untersuchung relevanten Druckerverleger kurz vor, indem sie die bekannten biographischen Daten referiert, das Druckprogramm charakterisiert und die in der jeweiligen Offizin erschienenen deutschen Drucke auflistet.

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Den Abschluss des Kapitels bildet eine kontrastive Darstellung des in Basel gedruckten deutschen Textkorpus mit der Produktion anderer süddeutscher Druckzentren, vor allem der für ihre volkssprachlichen Werke bekannten Druckorte Augsburg und Straßburg. Günthart konstatiert hier zwar zahlreiche Übereinstimmungen, aber auch einige Abweichungen. So wurden in Basel beispielsweise einige »Bestseller« der Inkunabelzeit wie das »Plenarium«, der »Belial« oder der »Lucidarius« nicht gedruckt. Ob es sich hierbei tatsächlich um »bemerkenswerte Fehlstellen« (S. 64) handelt, oder ob die Texte gerade wegen ihrer zahlreichen Auflagen in Augsburg und Straßburg für die Basler Drucker unter ökonomischen Gesichtspunkten eher uninteressant waren, muss aufgrund der spärlichen Quellenlage dahingestellt bleiben.

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Überlieferungsgeschichtliche Detailstudien

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Im Anschluss an diese einführende Darstellung geht Günthart im dritten Kapitel (»Vorlagen«, S. 69–117) einer der wesentlichen Voraussetzungen für den Druck deutschsprachiger Texte nach, der Erreichbarkeit entsprechender Vorlagen für die Drucker. Allerdings kann es der Verfasserin aus methodischen Gründen hier kaum um die konkreten Druckvorlagen, also jene Manuskripte oder Exemplare einer Druckausgabe, nach denen in der Offizin der Text tatsächlich gesetzt wurde, gehen. Diese sind – nicht nur in Basel, sondern in der Inkunabelzeit generell – nur in Ausnahmefällen erhalten. 1 So kann auch Günthart nur eine einzige Handschrift nachweisen, die durch Bearbeitungsspuren sicher als Druckvorlage eines Basler Drucks zu identifizieren ist (S. 101–102).

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Als Konsequenz aus dieser Quellenlage bleibt nur der methodische Rückzug auf die Überlieferungsgeschichte der Texte, die Günthart nach vier möglichen Überlieferungsszenarien (Drucke nach handschriftlicher Vorlage, Nachdrucke, Übersetzungen bisher noch nicht auf deutsch erschienener Texte und Erstausgaben »neuer«, für den Druck konzipierter, Texte) klassifiziert.

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Die daran anschließenden überlieferungsgeschichtlichen Detailuntersuchungen zu den einzelnen Texten sind zum Teil überaus aufschlussreich, obwohl – bzw. gerade weil – sie in vielen Punkten die in der buchgeschichtlichen Forschung verbreiteten Lehrmeinungen bestätigen. So kann Günthart beispielsweise im Falle der nach handschriftlichen Vorlagen entstandenen Drucke, die etwa ein Drittel der volkssprachlichen Produktion Basels ausmachen, nachweisen, dass es sich fast ausschließlich um Texte handelt, schon vor dem Buchdruck im Südwesten Deutschlands verbreitet waren. Dieser Befund ist an sich wenig überraschend, ebenso wie die Tatsache, dass es sich hier überwiegend um Druckwerke aus der Zeit vor 1485 handelt. Die These, dass der Buchdruck in der Frühzeit an die (noch stark lokal und regional geprägte) Handschriftentradition anknüpfte und zunächst die bereits handschriftlich verbreiteten Texte im neuen Medium umsetzte, ist ein Allgemeinplatz buchhistorischer Einführungswerke. Dennoch hat auch die erneute Verifizierung derartiger Thesen ihren methodischen Wert, insbesondere, wenn sie auf einer breiten Basis erfolgt.

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Einflussnahme vs. Auftragsarbeit

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Das vierte Kapitel setzt sich mit den »Selektionsprozessen« (S. 121–182) im frühen volkssprachlichen Buchdruck auseinander und dringt damit zu der in der Einleitung skizzierten Kernfrage nach den Bedingungen volkssprachiger Drucke in der frühen Neuzeit vor. Die Verfasserin stellt hier zunächst die in Basel möglichen »Zugänge« (S. 124) zu den Druckvorlagen dar, beispielsweise die Kooperation der Druckereien mit Klosterbibliotheken, aus denen Manuskripte für die Drucklegung entliehen wurden, oder den Erwerb gedruckter Vorlagen über das in der Inkunabelzeit bereits gut entwickelte Buchhandelsnetz. Die Ausführungen müssen hier notwendigerweise auf einem recht allgemeinen Niveau bleiben, da sich die meisten relevanten Zeugnisse auf lateinische Drucke beziehen. Ob die Beschaffung volkssprachiger Druckvorlagen im Einzelfall ebenso wie bei lateinischen Drucken organisiert wurde, kann bei der dürftigen Quellenlage allenfalls vermutet, nicht aber nachgewiesen werden. Etwas konkreter werden die daran anschließenden Ausführungen zu den »Anlässen« (S. 128) einzelner Drucke. Hier versammelt Günthart Hinweise, wie die Publikation bestimmter Texte durch aktuelle Ereignisse oder lokale Gegebenheiten motiviert sein konnten. So wurde der Druck des »Ackermanns aus Böhmen« offenbar durch die um 1474 in Basel grassierende Pestwelle motiviert, andere Drucke nehmen Bezug auf lokal verehrte Heilige (St. Meinrad, St. Fridolin) oder auf aktuelle historische Gegebenheiten (z.B. die »Geschichte der Juden von Sternberg«, die über eine angebliche Hostienschändung berichtet).

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Der Hauptteil des Kapitels widmet sich der »Einflussnahme« (Kap. 4.2) der Autoren, Herausgeber und Druckerverleger auf die Auswahl der in Basel gedruckten Werke. Günthart zeigt hier zunächst die in vielen Fällen nachweisbaren oder zumindest zu vermutenden Kontakte zeitgenössischer Autoren, Übersetzer und Herausgeber zu den Basler Druckern auf. Diese nahmen – so die zentrale These des gesamten Kapitels – maßgeblichen Einfluss auf Auswahl der in Basel gedruckten deutschsprachigen Texte. Der im Anschluss daran untersuchte Anteil der Drucker an der Textauswahl wird daher konsequenterweise eher gering einschätzt.

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Durch die quellennahe Arbeit gelingt es der Verfasserin, die »literarische Szene« in Basel und ihr Beziehungsgeflecht sehr detailreich darzustellen und dabei die engen Verbindungen zu den Basler Offizinen, in denen ihre Texte gedruckt wurden, aufzuzeigen. Der Verfasserin ist hier sicherlich zuzustimmen, dass die zeitgenössischen Autoren, Herausgeber, Übersetzer und andere literarisch tätige Personen in vielfältiger Weise die Textauswahl der Basler Offizinen beeinflussten. Kritisch zu bewerten ist allerdings der daraus gezogene Schluss, zeitgenössische Werke seien in Basel »nicht verlegt, sondern lediglich gedruckt worden« und die »Auswahl der Texte und die Finanzierung der ihrer Drucklegung« habe »in aller Regel nicht bei den lokalen Drucker-Verlegern, sondern bei auswärtigen Auftraggebern« (S. 138) gelegen.

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Um nur ein Beispiel anzuführen: Als Beleg für eine Auftragssituation zitiert Günthart einen Briefwechsel zwischen dem Luzerner Gerichtsschreiber Petermann Etterlin und dem Basler Juristen Rudolf Huseneck, der zu Beginn der von Etterlin verfassten und 1507 bei Michael Furter erschienenen »Eidgenössischen Chronik« abgedruckt ist. Tatsächlich erwähnt Etterlin hier, er habe Furter das Manuskript »zedrucken zu(o) geschickt«, doch muss diese Formulierung nicht notwendigerweise auf eine Auftragssituation hindeuten. Ebenso gut ist es möglich, dass der Autor Furter das Manuskript mit der Bitte es zu drucken (bzw. zu verlegen) zuschickte. Dafür spricht beispielsweise, dass Etterlin den Adressaten Huseneck bittet, das Werk gemeinsam mit Furter nach Gutdünken zu korrigieren, zu vermehren oder zu kürzen. Hätte es sich hier, wie von Günthart vermutet, um einen Auftragsdruck auf Kosten des Autors oder des Luzerner Rates (der die Publikation anregte) gehandelt, würden Huseneck und Furter wohl kaum so große Freiheiten bei der Drucklegung eingeräumt.

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Gegen eine Auftragssituation spricht des Weiteren ein zeitgenössischer Kaufvermerk in einem Exemplar der Etterlin-Chronik. Dieser belegt, dass der Druck in Nördlingen verkauft wurde, vermutlich auf der Nördlinger Messe, die im 15. und frühen 16. Jahrhundert ein zentraler Umschlagplatz für Verleger und Buchhändler war. Offensichtlich wurde die Etterlin-Chronik über die üblichen buchhändlerischen Kanäle vertrieben. Wäre Furter lediglich Lohndrucker gewesen, wäre der Vertrieb in die Zuständigkeit der Auftraggeber (Etterlin oder der Luzerner Rat) gefallen, doch darf bezweifelt werden, dass diese den überregionalen Buchhandel auf der Nördlinger Messe bedient hätten. Ein Kapitel später interpretiert die Verfasserin den Kaufvermerk ebenfalls in dieser Richtung: »Ein Provenienzvermerk in einem Exemplar der Etterlin-Chronik belegt, dass Furters Bücher – von ihm selbst oder einem Buchführer – in der wichtigen Messestadt Nördlingen vertrieben wurden« (S. 190). Offenbar wird der Druck hier nun doch als Verlagswerk Furters angesehen, der sich als Verleger auch um den Vertrieb seiner Waren (zumindest auf der ersten Handelsstufe) kümmern musste. Dass darin ein Widerspruch zu der im vorangegangenen Kapitel aufgestellten »Auftrags-These« besteht, wird leider nicht thematisiert.

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Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch, dass Annahmen, die zunächst noch hypothetisch formuliert werden, im Laufe der Untersuchung ohne weitere Begründung in Tatsachen verwandelt werden: So vermutet Günthart im Zusammenhang mit der deutschen »Musica« Sebastian Virdungs, die nach Ausweis des mit abgedruckten Widmungsbriefs auf Drängen des Straßburger Bischofs entstanden ist, zunächst noch vorsichtig: »Möglich, dass der Straßburger Bischof auch an der Drucklegung beteiligt war.« (S. 135). Doch schon wenige Seiten später wird aus der Vermutung Gewissheit: »[…] Sebastian Virdung bzw. der Bischof von Straßburg ließen in Basel drucken« (S. 138) bzw. »Zu den Auftragsdrucken Furters gehörte […] wahrscheinlich auch Virdungs ›Musica‹« (S. 157).

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Der Topos, ein Autor habe sein Werk eigentlich aus Zweifel an seinem Wert nicht veröffentlichen wollen und würde es nur auf Drängen des Widmungsempfängers publizieren, gehört zum Standardrepertoire frühneuzeitlicher Widmungsvorreden. Daraus zu schließen, der Widmungsempfänger oder der Autor hätten die Drucklegung in Auftrag gegeben (und finanziert) ist somit eine sehr starke Interpretation. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass Furter in auf irgendeine Weise an das Manuskript der »Musica« gelangte (persönliche Kontakte, Vermittlung Dritter o.Ä.), in dem Text ein kommerzielles Potential sah, und die Drucklegung als Verleger finanzierte. Der Widmungsbrief an einen hochgestellten kirchlichen Würdenträger wäre damit eher als Einleitung und verkaufsfördernde »Reklame« zu interpretieren, nicht aber als Zeugnis einer Auftragssituation.

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Alles in allem hätte man sich von der Autorin hier eine klarere Differenzierung zwischen verschiedenen Formen der »Einflussnahme« und einer regelrechten (und durch die Quellen belegten) Auftragssituation, die eine Finanzierung der Drucklegung einschließen würde, gewünscht. Formulierungen wie »der Autor X ließ sein Werk beim Drucker Y erscheinen« implizieren eine – in den meisten Fällen weder belegte noch wahrscheinliche – Auftragssituation. Nach heutigem Forschungsstand waren die Drucker des 15. und frühen 16. Jahrhunderts in aller Regel auch Verleger, d.h. sie waren nicht allein für die Produktion, sondern auch für die Finanzierung der Drucklegung und den Vertrieb ihrer Waren im Großhandel zuständig. Mithin waren sie auch für die Auswahl der bei ihnen gedruckten Texte verantwortlich, da im Falle einer Fehlentscheidung das finanzielle Risiko bei ihnen lag. Dass die Druckerverleger der frühen Neuzeit hierbei häufig qualifizierten Rat bei zeitgenössischen Autoren oder Herausgebern einholten (und diese zum Teil sogar in ihrer Offizin beschäftigten) ist unbestritten. Dass die Autoren aber selbst als Auftraggeber der Offizinen fungierten und ihre Werke dort gewissermaßen im Eigenverlag erschienen ließen, scheint jedoch die Ausnahme gewesen zu sein. Druckaufträge wurden üblicherweise durch weltliche oder kirchliche Institutionen vergeben, nicht aber von Privatpersonen. 2

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Rezeption

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Das fünfte Kapitel (S. 187–254) arbeitet die Rezeption der deutschsprachigen Basler Drucke auf. Nach einigen allgemeinen Ausführungen zum Buchhandel der frühen Neuzeit, der gewissermaßen den infrastrukturellen Rahmen der Buchrezeption im 15. und 16. Jahrhundert darstellte, arbeitet Günthart die für ihren Untersuchungsbereich vorhandenen Zeugnisse zum Handel mit den deutschsprachigen Basler Drucken sowie zu Buchbesitz und Lektüreinteressen auf. Als Quellen werden hier beispielsweise Kaufvermerke, Benutzerspuren und Provenienzhinweise in den erhaltenen Exemplaren selbst, aber auch Bücherlisten, wie z.B. institutionelle Bibliothekskataloge oder Nachlassverzeichnisse Basler Bürger, sowie weitere archivalische Zeugnisse herangezogen.

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Das methodische Grundproblem der historischen Leseforschung, dass es durch die hochgradig zufällige Überlieferungslage keinesfalls möglich ist, das Thema Buchbesitz in allen Facetten darzustellen, ist Günthart dabei durchaus bewusst. Durch ihre quellennahe Arbeit gelingt es dennoch, interessante Einblicke zu einem auch von buchwissenschaftlicher Seite häufig noch stiefmütterlich behandelten Thema zu liefern.

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Ein weiteres Teilkapitel widmet sich schließlich der aktiven Rezeption der deutschsprachigen Basler Drucke durch Nachdrucke, Abschriften und Übersetzungen. Die Verfasserin stellt hier zunächst summarisch die an die Basler Drucke anschließende Überlieferungsgeschichte(n) dar. Im Anschluss daran zeichnet sie in »Mikrostudien« zu Sebastian Brants »Narrenschiffs«, der »Melusine« des Thüring von Ringoltingen und Jean de Mandevilles »Reise in das Heilige Land« detailliert die Überlieferung der vermutlich bekanntesten volkssprachlichen Werke, deren Erstdrucke in Basel erschienen, nach.

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Dokumentation

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Das abschließende sechste Kapitel (»Fazit«, S. 255–260), in dem die wichtigsten Ergebnisse noch einmal knapp zusammengefasst werden, und ein umfangreiches Literaturverzeichnis (S. 261–297) schließen den Untersuchungsteil der Arbeit ab. Es folgen zwei Anhänge, die gut ein Viertel der gesamten Arbeit einnehmen: Eine tabellarische Kurzübersicht der in Basel bis 1510 erschienenen deutschsprachigen Werke (S. 299–303) listet die Drucke in chronologischer Reihenfolge auf und gibt zudem kurze Informationen zu den vermuteten Vorlagen sowie Nachdrucken, Abschriften u.Ä. Der zweite Anhang (S. 305–390) bietet eine ausführliche, alphabetisch geordnete Bibliographie der etwa 70 zur Auswertung herangezogenen Drucke. Neben Autor, Titel und Impressum werden Angaben zu Format, Umfang, Lagenstruktur und Ausstattung gemacht sowie Verweise auf die wichtigsten bibliographischen Standardwerke gegeben. Besonderen Wert hat die Verfasserin hier auf den Nachweis der erhaltenen Exemplare und die exemplarspezifische Beschreibung (Provenienzen, Rubrizierung, historische Einbände) gelegt. Wie bei jeder Bibliographie ist hier mit kleineren Ergänzungen zu rechnen. Diese scheinen allerdings im Wesentlichen der schlechten bibliographischen Situation für Drucke des 16. Jahrhunderts geschuldet zu sein. 3

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Fazit

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Trotz kleinerer Kritikpunkte muss anerkannt werden, dass der Autorin eine überaus detailreiche Studie zu einem von literarhistorischer und druckgeschichtlicher Seite bisher stark vernachlässigtem Thema gelungen ist. Mit der Aufarbeitung der frühen volkssprachlichen Drucküberlieferung Basels gelingt es der Günthart, unser Bild der Inkunabelzeit um eine weitere interessante Facette zu bereichern. Vor allem durch die in der Druckbibliographie minutiös dokumentierten Hinweise auf die Provenienzgeschichte einzelner Bände und sonstige Exemplarspezifika empfiehlt sich die Arbeit für die Zukunft als wichtiges Nachschlagewerk zum Buchdruck der oberrheinischen Druckermetropole.

 
 

Anmerkungen

Zur Frage nach den Druckvorlagen immer noch grundlegend: Wytze Hellinga: Copy and Print in the Netherlands. Amsterdam: Federatie der Werkgeversorganisatiën in het Boekdrukkersbedrijf 1962. Für eine (in einigen Punkten zu ergänzende) Übersicht der bekannten Druckvorlagen für Inkunabeln vgl. Margaret L. Ford: Primary materials relating to copy and print in English books. In: Martin Davies (Hg.): Incunabula. Studies in fifteenth-century printed books presented to Lotte Hellinga. London: British Library 1999, S. 109–125 (hier besonders S. 119–125). Für die Situation in Deutschland vgl. Janota, Johannes: Von der Handschrift zum Druck. In: Helmut Gier / Johannes Janota (Hg.): Augsburger Buchdruck und Verlagswesen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wiesbaden: Harrassowitz 1997, S. 125–139. Eine sehr detaillierte Untersuchung der Druckvorlage für einen deutschen Druck, Hans Tuchers »Reise ins Gelobte Land«, bietet Herz, Randall: Die »Reise ins Gelobte Land« Hans Tuchers des Älteren (1479–1480). Untersuchungen zur Überlieferung und kritische Edition eines spätmittelalterlichen Reiseberichts. Wiesbaden: Reichert 2002, S. 210–227, 238–241.   zurück
Typische Auftragsdrucke sind beispielsweise offizielle Drucksachen wie Mandate, Privilegien oder Ablässe, bei denen die Auftraggeber ein Interesse schneller Verbreitung hatten, oder auch Liturgica, bei denen höchste Texttreue garantiert werden musste, und deren Drucklegung daher von den Auftraggebern kontrolliert wurde.   zurück
So ist der Verfasserin beispielsweise ein um 1503 bei Michael Furter gedruckter Wunderzeichenbericht entgangen, vermutlich, weil der Druck im VD16 zunächst nach Straßburg lokalisiert wurde (vgl. VD16 L1572; URL: http://nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:bvb:12-bsb00004145-8). Die Flugschrift berichtet vom Erscheinen blutiger Zeichen, die als Kreuze und Marterwerkzeuge Christi gedeutet wurden, auf dem Schleier einer in der Nähe von Maastricht lebenden Jungfrau. In Hans-Joachim Köhlers »Bibliographie der Flugschriften des 16. Jahrhunderts« (Tübingen: Bibliotheca-Academica-Verlag 1991 ff.) wurde der Druck bereits in den 90er Jahren der Furterschen Offizin zugeschrieben (vgl. Köhler, Nr. 2182). Im Anschluss an Köhler wurde die Angabe zum Druckort inzwischen auch im Register und der online-Ausgabe des VD16 korrigiert.   zurück