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Von Recht und Literatur

Zur 'Law and Literature'-Bewegung in den USA

  • Birgit M. Lachenmaier: Die Law as Literature-Bewegung. Entstehung, Entwicklung und Nutzen. (Schriften zur Rechtswissenschaft 98) Berlin: WVB Wissenschaftlicher Verlag Berlin 2008. 267 S. Paperback. EUR (D) 34,80.
    ISBN: 978-3-86573-382-5.
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Zur Formation der Bewegung
›Law and Literature‹

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Recht und Literatur sind die zwei Disziplinen, die laut Jacob Grimm aus einem Bette auferstanden sind. Birgit Maria Lachenmaier stellt in ihrer Dissertation mit dem Titel »Die Law as Literature-Bewegung. Entstehung, Entwicklung und Nutzen« heraus, wie Recht und Literatur im Teilbereich ›Law as Literature‹ in der ›Law and Literature‹-Bewegung produktiv aufeinander bezogen werden können. Es ist viel versprechend, dass Lachenmaier die sich derzeit historisierende ›Law as Literature‹-Bewegung aus der Perspektive einer Juristin untersucht. Zu dieser heterogenen Bewegung, über die hauptsächlich englischsprachige Aufsätze und Monographien informieren, fehlte bislang eine umfassende inhaltliche Aufbereitung aus der deutschen Perspektive. Die Erwartung bei der Lektüre war insbesondere, Aufschluss über Übertragbarkeit und Nutzen hinsichtlich des entstehenden Forschungsfeldes von ›Recht und Literatur‹ zu erhalten. Zuspitzen ließe sich diese Zuversicht durch die Frage: Was leistet die amerikanische ›Law as Literature‹- oder umfassender die ›Law and Literature‹-Bewegung für Juristen und Literaturwissenschaftler in Deutschland?

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Die in den USA in den 1980er Jahren entstandene und den Law Schools zugeordnete Bewegung des ›Law and Literature‹ forderte, Kurse über dieses Themenfeld in die Lehrpläne von Jurastudenten zu integrieren. Bald kam es jedoch zu einer Spaltung, in deren Folge sich ›Law and Literature‹ in die beiden Strömungen ›Law as Literature‹ und ›Law in Literature‹ aufteilte. Es herrschte Uneinigkeit, ob im Mittelpunkt die Literatur oder das Recht stehe. Je nachdem, ob man das Verhältnis von Recht und Literatur eher vom rechtlichen oder literarischen Standpunkt aus betrachtet, konnte man sich entweder der ›Law as Literature‹- oder der ›Law in Literature‹-Richtung anschließen. Im Bereich ›Law in Literature‹ werden die Darstellungen von Recht und Justiz in literarischen Texten untersucht. Die Vertreter von ›Law as Literature‹ machen dagegen die Literaturtheorie für Juristen fruchtbar. Man merkt, dass es um ein Spiel mit Konjunktionen geht, wenn das and der Bewegung die vereinigenden Merkmale von Recht und Literatur unterstreicht. Lachenmaier macht deutlich, dass der ›Law and Literature‹-Bewegung ein innerer Konsens schon hinsichtlich der Grundvoraussetzungen fehlt, sie verfügt weder über gemeinsame Methoden noch über gemeinsame Erkenntnisinteressen.

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Das erste Kapitel der Arbeit beginnt mit einer Einführung in ›Law and Literature‹. Darauf lässt sie eine knappe Darstellung der traditionsreichen Verknüpfung zwischen beiden Disziplinen in Deutschland folgen, und zwar mit Rückgriff auf das Feld ›Recht und Literatur‹, die ›Dichterjuristen‹ sowie die bekannten Namen wie Johann Gottfried Herder, Jacob Grimm, Josef Kohler und Hans Fehr, um dann in einem rasanten Schwung die neuen Impulse aus den USA aufzunehmen.

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Law in Literature

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Das zweite Kapitel widmet sich der Darstellung der beiden verschiedenen Richtungen der ›Law and Literature‹-Bewegung. Für die Anhänger von ›Law in Literature‹ dient die Literatur als »moral uplift« für Juristen. Sie wird als »Lehr- und Übungsmaterial in der juristischen Ausbildung« unter einem »humanistisch-erzieherischen Aspekt« (S. 30) eingestuft, mit dessen Hilfe die Ausbildung der Juristen verbessert werden soll. Es geht um die Förderung von Empathie sowie die Hoffnung, dass die Analyse des Rechts in der Literatur zu einer »moralischen Verbesserung der Juristen« (ebd.) führt. Die Literatur wird in den Händen von Juristen wird zu einem Werkzeug, mit dem gerechtere Urteile erzieht werden sollen.

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Law as Literature

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Der Bereich ›Law as Literature‹ versteht und untersucht das Recht als eine Form von Literatur, weshalb Lachenmaier diesen Zweig als innovativer und interessanter ansieht. Der Literaturtheorie kommt eine gewichtige Bedeutung zu, da »ihre Methoden auf juristische Texte angewendet werden« (S. 34). »Die Primärliteratur dient allenfalls noch als Beispiel oder Bezugspunkt« (S. 34): diese Konsequenz wird kommentarlos und ohne kritische Bezugnahme übernommen. Aus dem and als vermittelnder Konjunktion zwischen Recht und Literatur wird ausschließlich der Text »als Referenzpunkt jeglicher Tätigkeit ausgewiesen und als verbindende Gemeinsamkeit dargestellt« (ebd.). Die Rechtswissenschaft hat mit der Literaturwissenschaft demnach gemein, dass es sich jeweils um Textwissenschaften handelt.

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Abgrenzungen

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Ein wichtiger Ansatzpunkt für die Arbeit sind die unterschiedlichen Definitionen von Recht und Literatur. ›Law as Literature‹ bestimmt das Recht aus der Perspektive der Literatur und untersucht rechtliche Texte wie Gesetze, Satzungen oder Urteile auf poetische Strukturen hin. Die Produktion eines Rechtstextes wird als literarische Aktivität verstanden. ›Law in Literature‹ analysiert hingegen die Repräsentationen des Rechts in der Literatur. Es wird versucht zu klären, ob ›Recht‹ für das Gesetz steht oder für die Institution, für die Disziplin, die Wissenschaft oder einfach für alles, was nicht Literatur ist. Umgekehrt wird gefragt, ob unter ›Literatur‹ Dichtung und / oder ein bestimmter Kanon der ›schönen Literatur‹ zu verstehen ist oder all dasjenige, was nicht Recht ist.

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Die beiden Richtungen der ›Law and Literature‹-Bewegung unterscheiden sich durch ihre Zugangsweisen, so dass von einem einem humanistischen (›Law in Literature‹) und von einem hermeneutischen Zweig (›Law as Literature‹) gesprochen werden kann. Der humanistische Zweig unterstreicht die Moral- und Wertebildung, die durch die Analyse des Rechts in der Literatur zu einer ganzheitlich-humanistischen Juristenausbildung führen soll. Dagegen beschäftigt sich der hermeneutische Zweig mit der Textauslegung und nimmt »die Literaturtheorie zum Vorbild für Auseinandersetzungen mit juristischen Texten« (S. 46).

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Lachenmaier bezweifelt, dass das Lesen von Literatur die ethische Einstellung von Juristen verbessern oder zu gerechteren Urteilen beitragen kann. Sie erteilt der ›Law in Literature‹-Richtung darin eine Absage, dass Empathie durch Literatur gefördert werden könnte. Für eine Juristin ist es nahe liegend, dass vornehmlich der Blickwinkel des hermeneutischen Zweiges von Interesse ist. Dieser hat keine ethischen oder moralischen Ambitionen, sondern wendet vielmehr die literaturtheoretischen Methoden auf Rechtstexte und juristische Sachverhalte an und versteht die Rechtswissenschaft als eine Textwissenschaft. Es stellt sich die Frage, weshalb die eine Richtung der Bewegung gegen die andere ausgespielt wird. Könnte der humanistische Zweig für die Rechtswissenschaft nicht auch insofern interessant sein, als in der Literatur grundsätzliche Aussagen über das Recht zu finden sind oder die Ursprünge des Rechts in einer Weise thematisiert werden, die einer Auseinandersetzung wert sind?

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Bevor sich Lachenmaier im dritten Kapitel der Analyse der ›Law as Literature‹
-Richtung widmet, untersucht sie die historischen Ursprünge der Verknüpfung von Recht und Literatur in der ›Law and Literature‹-Bewegung. Diese liegen in einer Abkehr vom Rechtspositivismus sowie in der Frage, ob das Recht eine Wissenschaft oder eine Kunst sei. Außerdem war ›Law and Literature‹ eine Antwort auf die von Richard A. Posner 1 begründete ›Law and Economics‹-
Bewegung, die keine humanistische Annäherung an das Recht verfolgte, sondern das Recht im Sinne von Profitabilität und einer ökonomischen Maximierungstheorie bewertete.

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Die ›Law as Literature‹-Bewegung
und ihre Ansätze

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Entscheidend an der Analyse der ›Law as Literature‹-Bewegung von Lachenmaier ist die Erkenntnis, dass die Autorität des Rechts als sprachlicher beziehungsweise rhetorischer Effekt durch Überzeugungsarbeit zu begreifen ist. Das Recht aus dieser Perspektive wird als »das Ergebnis einer Konstruktion oder Kommunikation, als eine mögliche Geschichte unter vielen angesehen« (S. 65, Hervorhebung im Original). Die Literaturtheorie fungiert dabei als eine »Hilfswissenschaft«, was zu problematisieren wäre, um die Struktur des Rechts zu erläutern.

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Die geistigen Väter der ›Law and Literature‹-Bewegung sind John Henry Wigmore, 2 der eine verpflichtende Leseliste für Juristen veröffentlichte, und Benjamin Cardozo, 3 der erstmalig ein methodisches Vorgehen für die Analyse von Recht und Literatur in seinem Aufsatz vorschlug. Die Bewegung konnte sich allerdings erst nach Veröffentlichung des 1973 erschienenen Werkes The Legal Imagination von James Boyd White 4 etablieren. Darin hob White den Zusammenhang zwischen Produktion und Rezeption von literarischen und juristischen Texten hervor. Er arbeitete die Rolle des Rechts exemplarisch in einzelnen Werken heraus, um die These vom Recht als einem durch Sprache geprägten Phänomen zu erhärten. Aus diesem Standardwerk konnten drei der vier Hauptteile der ›Law as Literature‹-Bewegung entwickelt werden: Interpretation, Narrativität und Rhetorik, die um das Element der Dekonstruktion erweitert wurden.

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Textinterpretation

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Die Interpretation ist das Herzstück der Bewegung, denn sie steht »für Prozess und das Resultat einer Auslegung« sowie »ein methodisch reflektiertes Vorgehen der ›Sinnauslegung‹ eines schriftlich fixierten Textes« (S. 79). Interessant ist, dass die Juristen parallel zu den Literaturwissenschaftlern zu Kommentatoren von Texten werden und dass Normen sowie andere Rechtsquellen durch ihre Texteigenschaft inhaltlich bestimmt werden. Die ›Law as Literature‹- Bewegung erscheint vor dem Hintergrund der Textinterpretation als eine »Form der Sprachtheorie des Rechts« (S. 104). Lachenmaier stellt richtig fest, dass »jede juristische Methodenlehre auch eine Art der Sprachtheorie« (S. 104) ist. Die juristische Interpretationslehre erfolgt dann in drei Schritten durch die Konzentration auf den Autor, die Zentrierung auf den Text sowie die Berücksichtigung der Rolle des Lesers.

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Narration – Narrative Jurisprudenz

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In Anlehnung an die Beschäftigung mit James Boyd Whites Thesen zu ›Law as Literature‹ entsteht ein eigener Diskurs über die Narrativität des Rechts, der sich als eine »linguistische Untersuchung der anwaltlichen Geschichten« (S. 146) oder eine »Analyse der Professionalisierung des Geschichtenerzählens« im Recht versteht. Narrative Strukturen kommen demzufolge nicht nur in literarischen Texten vor, sondern in fast jeder alltäglichen Kommunikationsform. Wenn man den rechtlichen Text durch Narration geprägt ansieht, bestehen zwei verschiedene Vorgehensweisen: Entweder werden die im Recht bestehenden Erzählungen durch die Anwendung der Erzähltheorie analysiert oder es werden Erzählungen in das Recht einbezogen. Entscheidend ist die Erkenntnis der narrativen Struktur des Rechts durch die Perspektive von ›Law as Literature‹, denn es geht im Recht immer um die Konkurrenz von verschiedenen Geschichten (S. 160). So lassen sich die verschiedenen Vorträge von Kläger und Beklagtem als konkurrierende Erzählungen verstehen. Aber auch Zeugenaussagen, Verhörprotokolle und andere schriftliche Rechtstexte können als Erzählungen verstanden werden, die in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. Selbst der juristische Sachverhalt ist laut Lachenmaier eine Erzählung, der wiederum »eine Erzählung in [der] Alltagssprache voran[geht]« (S. 160), welche in juristische Fachsprache umgewandelt wurde. Und narrative Texte sind im Recht und in der Rechtsausbildung allgegenwärtig. Das Recht erscheint in der Form einer alternativen Erzählweise, wenn eine Geschichte unter mehreren möglich ist. ›Law as Narrative‹ greift dabei den suggerierten Objektivitätsanspruch des Rechts an und löst die Abstraktheit des Rechts auf, wodurch eine Pluralität an Erzählungen zustande kommt.

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Dekonstruktion

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Dekonstruktion stellt im Rahmen von ›Law as Literature‹ eine Interpretationsstrategie dar, die sich auf das Recht anwenden lässt, denn sie beinhaltet die Grundhaltungen des Missverstehens, kritischen Fragens und auflösenden Zweifelns als Ausgangspunkt für den Umgang mit Texten. Auf diese Weise kann die Instrumentalisierung des Rechts, die Vermittlung von Macht durch Gesetze aufgedeckt, auf Ungerechtigkeiten im Recht hingewiesen und die Vieldeutigkeit, Ambivalenz und Unbestimmtheit von Texten unterstrichen werden. Die sprachliche Verfasstheit des Rechts lässt sich so feststellen, und es entsteht ein ›Sprachgespür‹ für die Wandelbarkeit des Interpretationskontextes. Die Dekonstruktion fungiert dabei als ein rhetorisches Instrument, das die Kontextabhängigkeit juristischer Entscheidungen vorführt und den Wahrheitsanspruch rechtlicher Entscheidungen destruiert.

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Rhetorik

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Lachenmaier stellt heraus, dass die Rhetorik gegenüber den anderen Untersuchungsfeldern wie Interpretation, Narrativität und Dekonstruktion eine verbindende Funktion in der ›Law and Literature‹-Bewegung übernehmen könnte. Die Rhetorik ist eine Universallehre, deren »Kunst des Überredens und Überzeugens« im Recht eingeübt wird. Das Recht wird damit zu einer Form oder Kunst der Rhetorik. Die Betrachtung des Rechts als rhetorischem Prozess soll zu einer »reicheren und genaueren Lehre und Praxis des Rechts« (S. 207) führen. Die Rechtswissenschaft ließe sich als eine argumentative Textwissenschaft verstehen, die sich immer der Rhetorik bedient. Wenn man Rhetorik als Stillehre versteht, könnte sich die Rechtswissenschaft auf ihre eigenen Wurzeln besinnen, denn in der Antike galt die juristische Rhetorik als Beispiel der gesamten Beredsamkeit. In der modernen Rhetoriklehre gilt diese als eine »umfassende Kommunikations- und Diskurswissenschaft« (S. 215). Dies passt zu der Interpretation der Rechtswissenschaft, die Rechtsfindung als einen Kommunikationsprozess beschreibt und die Rhetorik als eine Disziplin begreift, mit der die Strukturen der verwendeten Argumente untersucht werden.

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Nutzen und Übertragbarkeit der
›Law as Literature‹-Bewegung

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Lachenmaier hat keine formellen Einwände gegen eine Übertragung der Inhalte und Ziele der Bewegung auf den deutschsprachigen Raum, obwohl sich das amerikanische Rechtssystem durch das Case-Law-Verfahren von dem europäischen stark unterscheidet. Sie macht das Argument stark, dass sich »Civil Law« und »Common Law« einander annähern und die Rechtstexte wie Gesetz und Urteil denselben Interpretationsmechanismen unterliegen, so dass die Auslegung verglichen werden kann. Jedoch sprechen materielle Zweifel gegen eine uneingeschränkte Rezeption der Bewegung, namentlich die Heterogenität der Bewegung und der fehlende programmatische Hintergrund. Dessen ungeachtet hebt Lachenmaier positiv hervor, dass durch die Beschäftigung mit ›Law and Literature‹ eine »Sensibilisierung für die Semantik und die Rhetorik des Rechts« (S. 231) erreicht wird. Die literarischen Techniken der Interpretation, Narrativität, Dekonstruktion und Rhetorik stellen eine neue Rechtsanwendungsmethode dar, indem sie ein sprachliches Bewusstsein ermöglichen. Lachenmaier geht am Schluss auf die »Impulse für eine neue, motivierende rechtstheoretische Debatte« (S. 232) ein. Leider kommt die entscheidende Frage nach dem Nutzen und der Übertragbarkeit der ›Law as Literature‹-Bewegung auf Deutschland zu kurz. Für ihre Beantwortung kann Lachenmaier nur zwei Seiten erübrigen. Während in der deutschen Forschungslandschaft das Themenfeld ›Recht und Literatur‹ Juristen und Literaturwissenschaftler gleichermaßen anspricht, bleibt für die Problematisierung von Anschlussmöglichkeiten auch im Hinblick auf die derzeitige ›Law and Culture‹-Diskussion nicht genug Raum.

 
 

Anmerkungen

Richard A. Posner: The Economics of Justice. Cambridge/MA, London: Harvard University Press 1981.   zurück
John Henry Wigmore: A List of One Hundred Legal Novels. In: The Brief 2 (Januar 1900), S. 124–127.   zurück
Benjamin N. Cardozo: Law and Literature. In: Yale Law Review 14 (1925), S. 699–715.   zurück
James Boyd White: The Legal Imagination. Studies in the Nature of Legal Thought and Expression. Abridged Edition. Chicago: The University of Chicago Press 1973, 1985.   zurück