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»wo bleibb da hummoooa«?

Eine Untersuchung zu den Wirkungsweisen des Komischen bei Ernst Jandl

  • Anne Uhrmacher: Spielarten des Komischen. Ernst Jandl und die Sprache. (Germanistische Linguistik 276) Tübingen: Max Niemeyer 2007. VII, 244 S. Kartoniert. EUR (D) 58,00.
    ISBN: 978-3-484-31276-0.
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Ernst Jandls Schaffenskosmos

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Mit Sicherheit ist Ernst Jandl kein literarischer Geheimtipp. Erstaunlich ist die Prominenz, die er als Vertreter experimenteller Lyrik erreicht hat, erstaunlich die Anzahl seiner in Anthologien aufgenommenen Gedichte. Umso bemerkenswerter ist es, wie wenige literaturwissenschaftliche Untersuchungen es zu seinem Werk gibt. Kaum eine Dissertation widmet sich ausschließlich seinem Werk. 1 Dabei eröffnet sich bei dem 1925 in Wien geborenen und 2000 dort verstorbenen Dichter ein kleiner Kontinent. Sein Werk ist so facettenreich, dass es sich in keine Schublade so recht einordnen lässt.

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Der konkreten Lyrik kann nur ein Teil seiner Texte zugeordnet werden. Dazu schreibt er selbst: »i love concrete / i love pottery / but i’m not / a concrete pot«. 2 Ein Dichter also (»po[e]t«), der sich nicht in einen Topf (»pot«) werfen und in Traditionsformen einbetonieren (»concrete«) lassen möchte. Auch die Wiener Gruppe ist ein geschlossener Kreis um Gerhard Rühm und H. C. Artmann, dem Jandl nur verwandt, nicht aber zugehörig ist. Sein Kommentar:

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der vater der wiener gruppe ist h. c. artmann
die mutter der wiener gruppe ist gerhard rühm
die kinder der wiener gruppe sind zahllos
ich bin der onkel. 3
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Auch wenn es sich hier nur um die Stilisierung eines auf Originalität gepolten Autors handelt, muss man in Herangehensweisen an sein Werk einer gewissen literaturgeschichtlichen Differenzierung gerecht werden.

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Ein Gemeinplatz ist derjenige, der Ernst Jandl zu einem Sprachkomiker reduziert, was die Autorin durch eine genaue Ausdifferenzierung vermeidet. In zahlreichen Buchbesprechungen wurden seine Komik und die humoristische Evokationskraft seiner Lyrik hervorgehoben. In literaturwissenschaftlichen Untersuchungen wird diese Seite selten beleuchtet, in jedem Fall niemals systematisch analysiert. Es scheint, als sei eine Betonung der komischen Seite Jandls im akademischen Diskurs gleichsam ein Eingeständnis von Trivialität, weshalb dieser Aspekt gerne ausgespart wird. Wer über die Gedichtsammlung übung mit buben (1973) hinaus Jandl gelesen hat, weiß, dass dieser sich auch durchaus ernsten Themen zugewandt hat und zahlreiche Texte schrieb, die sich nicht der Konkreten Lyrik zurechnen lassen. Wer sich mit Komik eingehender beschäftigt hat, weiß, wie subtil sie wirken kann.

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Das allgemeine Forschungsinteresse

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Seitens der Sprachwissenschaft gibt es ein ausgiebiges Interesse an Konkreter Lyrik und an Texten des österreichischen Autors. 4 Doch umfangreichere systematische Untersuchungen zur Sprache Ernst Jandls sind rar. Daher leuchtet der Desideratcharakter von Anne Uhrmachers an der Universität Trier eingereichtem Dissertationsprojekt unmittelbar ein.

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Neben der unkommentierten Bibliographie von Jörg Danger und Peter Gendolla aus dem Jahr 2000 gibt es keine aktuelle Darstellung zum Forschungsstand. Bei Uhrmacher wird er auf zwanzig Seiten ausgiebig erörtert, wobei sie maßgebende Aufsatzsammlungen berücksichtigt. Die erst 2008 erschienene, sehr empfehlenswerte Aufsatzsammlung von Michael Hammerschmid und Helmut Neundlinger zu Jandls ›heruntergekommener Sprache‹ 5 konnte dabei natürlich nicht berücksichtigt werden. Doch haben die beiden Autoren einige Aufsätze vorher vereinzelt publiziert, die von Uhrmacher gesichtet und aufgenommen wurden.

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Vorhaben des Buches

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Uhrmacher widmet sich den komischen und sarkastischen Gedichten, vor allem jenen des Jandlschen Frühwerkes. Sie analysiert folgende Gedichte: rilkes schuh, falamaleikum, die tassen, glückwunsch, fünfter sein, loch, ein gleiches und ÜBE!, wien : heldenplatz, hosi, schmerz durch reibung, calypso, erfolg beim dritten versuch, jupiter unbewohnt, sieben weltwunder und sommerlied. Fast alle davon stammen aus den 50er und 60er Jahren. Das kleine Textkorpus ist zur Verifizierung der Hauptthese, der Veranschaulichung der Spielarten des Komischen als »kraftvolles Instrument der Erkenntnis« (S. 203), völlig ausreichend, zumal auf relevante Parallelstellen im Jandlschen Werk stets kenntnisreich hingewiesen wird.

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Ziel der Arbeit ist es, die verschiedenartigen Potenziale und Spielarten des Komischen aufzuzeigen. Dazu werden vielfach die Publikumsreaktionen von aufgezeichneten Jandl-Lesungen und seine bemerkenswerten stimmlichen Realisationen der Gedichte berücksichtigt. So kann genau skizziert werden, wann die Leute – und sei es auch unberechtigterweise – sich amüsiert fühlen. Konsequent wird zwischen den Wirkungsweisen von »Satire, Ironie, Parodie, Scherz, Witz, Humor etc.« (S. 10) unterschieden. Auch andere Wirkungsweisen des Komischen wie Zynismus, Sarkasmus, schwarzer Humor und das Spiel durch Assoziationen kommen zur Geltung. Schnell stellt sich bei ihrer Darstellung des Forschungsstandes heraus, dass nicht allein literaturwissenschaftliche Systematik bei Jandl fehlt, sondern auch der Begriff des Komischen eine diffuse Beleuchtung erfahren hat. In dieser zweifachen Hinsicht füllt Uhrmachers Untersuchung eine Forschungslücke aus.

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Die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dem Komischen kann auf eine lange Tradition blicken. Weit zurück datierte Ansätze haben teilweise nach wie vor Gültigkeit. Schillernd sind die Zahl und die Namen der Denker, die sich einer Reflexion darüber angenommen haben: »Platon, Aristoteles, Hobbes, Herder, Jean Paul, Schiller, Schopenhauer, Kierkegaard, Freud, Bergson, Plessner« (S. 22).

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Die Autorin führt versiert in relevante Auseinandersetzungen mit dem Komischen ein, lässt Redundantes beiseite und gestaltet solchermaßen das zunächst undurchdringliche Dickicht überschaubar. Häufig nimmt sie in den jeweiligen Gedichtanalysen Bezug auf Bergsons Essay Das Lachen und Freuds Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. In der Darlegung des Forschungsstandes zum Komischen erklärt sie die Produktivität der Ansätze, die sich auch auf Jandl anwenden lassen, was in den Analysen wiederholt konkretisiert wird. Etwas fragwürdig indes erscheint die Begründung, warum nun gerade die englischen Studien zum Komischen produktiv sind: Weil Jandl englische Gedichte geschrieben habe. Konsequent weitergedacht müsste das heißen, dass sich Bergson weniger eignete, da Jandl keine französischen Gedichte geschrieben hat.

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Gelegentlich kommt es trotz linguistisch exakter Beschreibungskriterien zu recht intuitiven Einschätzungen. Man mag nur zögerlich zustimmen, ob nun in dem Gedicht die tassen das Wort »töppich« anstelle von »Teppich« »besonders entstellt gesprochen« (S. 59) wird oder ob »perdon« anstelle von »pardon« tatsächlich elaborierter klingt. Aber ansonsten ist es hinsichtlich der Interpretationen und der Lesbarkeit der Analysen förderlich, dass die Autorin über ein linguistisch geschultes Instrumentarium verfügt.

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Die eindeutige Stärke des Buches liegt in der hohen Qualität der Gedichtanalysen. Auch wenn teilweise ausgesprochen bekannte Gedichte Jandls herangezogen werden, führt Uhrmachers Analyse weit über bisher Gesagtes hinaus. Lediglich bei der sehr ausführlichen Interpretation einer Parodie auf Goethes Ein Gleiches, das Jandl in konsequenter Kleinschreibung als ein gleiches seiner eigenen Laut-Variation des Goethe-Textes mit dem Namen ÜBE! voranstellt, ließe sich der Erkenntnisgewinn pointierter formulieren. Hier wird zu detailliert in die Rezeptionsgeschichte des Goetheschen Ursprungsmaterials eingeführt, um den fraglos hohen literaturgeschichtlichen Wert des kanonisierten Textes zu belegen. Letztlich gelangt die Autorin zu der Aussage, dass Jandl bei seiner gekonnten Parodie durchaus Anzügliches im Sinn hatte (»›kau / meinen / (hhhhhhhhh) / auch…‹ […] ›vögel!‹ «). Vergleichbar formulierte es bereits der von Uhrmacher ebenso angeführte Arno Schmidt in einer einfachen Umstellung des Prätextes in Zettels Traum: »Die schweine Vögeln im Walde?!«

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Sicherlich ist das Verfahren mittels ausdifferenzierter Darlegung des parodistischen Potenzials im Umgang mit einem vielzitierten Text des literarischen Höhenkamms genauer zu beleuchten. Doch die Produktivität dieses Verfahrens ließe sich auch knapper formulieren, ohne die Geduld der Lesenden über das Maß zu strapazieren. So erscheint es, als ob jeder Gedankengang der Dissertationsschrift zu ausgiebig begründet dargelegt wird und für eine Publikation hätte überarbeitet werden müssen.

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Zur bestechenden Qualität der Analysen

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Einleuchtend dagegen sind die Erläuterungen zu den bei Jandl in der Tat so oft aufleuchtenden Anspielungen auf Obszönität, die Komik hervorrufen und sogar in der Paraphrase noch komisch wirken. Eines der bekanntesten Jandl-Gedichte, wien : heldenplatz, wird unter diesem Aspekt beleuchtet. Bekanntlich handelt es sich um eine Darstellung von Hitlers Rede auf dem Heldenplatz in Wien am 15. März 1938 anlässlich des so genannten »Anschlusses« Österreichs an das Deutsche Reich. Jandl hat dieses inszenierte Massen-Ereignis als Vierzehnjähriger miterlebt. 6 Zunächst ist es befremdlich, dass die Autorin die zahlreichen, häufig auf das Tierreich anspielenden Wortneuschöpfungen Jandls mit sexuellen Konnotationen füllt. Der Neologismus des Verbes »hirscheln« wird analog zu »vögeln« oder »rammeln« als »koitieren« aufgefasst. Wenn den Weibern »so pfingstig ums heil« 7 wird, ist das Wort »heil« als Synonym von »Vagina« aufzufassen. Überflüssig anzumerken, was man im Sinn haben sollte, wenn von des Redners »stimmstummel« gesprochen wird.

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Ob man dem Assoziationsreichtum der Autorin nun zustimmen mag oder nicht: In jedem Fall ist die Begründung dieser konnotierenden Lesart ob ihrer Zuträglichkeit und ihres Erkenntnisgewinns einleuchtend. Durch die Parallelstellung zur Obszönität wird der manipulative Impetus des orgiastischen Massen-Ereignisses entblößt. Die Anwendung der Degradationstheorie des Komischen führt zum Überlegenheitsgefühl seitens der Lesenden in der Konfrontation mit den Bloßgestellten: Hitler als der mit »stimmstummel« ausgestattete »Heldenplatzhirsch« 8 und die manipulierte Masse der Opfer. Durch die Technik der Degradation macht Jandl das Unbeschreibbare beschreibbar. Konsequent wurde von Historikern Jandls Gedicht wien : heldenplatz als die angemessenste Darstellung dieses unfassbaren Phänomens anerkannt. Nicht die Faszination, nicht das Erschreckende wird betont, sondern das kopulative Wechselspiel zwischen Agitator und Manipulierten, wobei die Frage unbeantwortet bleibt, ob Österreich tatsächlich als das erste Opfer des Nationalsozialismus zu bezeichnen wäre.

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Akribisch genau ist die Autorin auch in der Angabe der Entstehungsdaten von Jandls Gedichten. Bei fast allen Gedichten lässt sich dem Inhaltsverzeichnis der beiden zu Jandls Lebzeiten erschienenen Werkausgaben entnehmen, wann sie entstanden sind. Jandl legte auf die Relevanz der Datierung gesteigerten Wert. Zahlreiche seiner Gedichte haben sogar ein Datum zum Titel.

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Jandl begründete seine Abneigung gegen das Verfassen einer Autobiographie, die ihm der Verleger Klaus Siblewski nahelegen wollte, damit, dass er schließlich bereits seine Autobiographie geschrieben habe, indem er »schreibend« ist. 9 Der Jandlsche Kosmos lässt sich also durch genaues Lesen seiner Gedichte beschreiten. Sie sind quasi als Vademekum, als autobiographisches Vermächtnis zu lesen, das mit aller gebotenen Vorsicht gelegentlich die Gleichung »lyrisches Ich = Ernst Jandl« zulässt. Diese Gedichte dienen dem Autor als autobiographischer Ansatz: »Wovon also ließe sich berichten? Einzig doch von Gedichten.« 10 Diesem Umstand erhöhter Sensibilität trägt Uhrmacher Rechnung, indem sie in allen Textbelegen die Datierung hinzufügt. Ein interpretatorischer Mehrwert ergibt sich aus der Kenntnis der Entstehungszeit beispielsweise, wenn das Gedicht calypso analysiert wird. Denn dieses Gedicht ist in dem für Jandl ausgesprochen produktiven Jahr l957 entstanden. 11

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Der Vielfältigkeit der Jandlschen Perspektivwechsel und Jandls Bemühen, den Alltag als Grundlage lyrischer Produktion zu wählen, wird die Autorin gerecht, indem sie viele Wege beschreitet und – gelegentlich auch abwegig erscheinendes Randwissen – dokumentiert. Kenntnisse über Zwölftonmusik und Jandls Eingeständnis deren Innovationskraft, Kenntnisse über Calypso-Rhythmen und Pidgin-Sprachen eröffnen einen weiten Horizont der Lesarten. Und wenn in wien : heldenplatz, der Jägersprache entsprechend,
»ein knie-ender sie hirschelte« 12 , ist es bemerkenswert, inwiefern das Wissen über Rudelverhalten der Tiere aufschlussreich für dieses Gedicht sein kann.

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Die Mustergültigkeit der kontextsensitiven Analysen macht das Buch nicht nur für all jene, die sich für das Phänomen des Komischen interessieren, unentbehrlich. Auch für diejenigen, die sich generell mit Lyrikanalyse auseinandersetzen, ist es lehrreich. Für Jandl-Forschende ist es ein Muss.

 
 

Anmerkungen

Kristina Pfosers Überblicksdarstellung ist zwar gelungen, mit dem Publikationsdatum 1981 indes wohl kaum mehr aktuell zu nennen.   zurück
Ernst Jandl: Poetische Werke. Hg. von Klaus Siblewski. Bd. 4. München: Luchterhand 1997, S. 92.   zurück
Ernst Jandl (Anm. 2), Bd. 9, S. 8.   zurück
Stephan Stein etwa untersucht Textualität und Textkonstitutionsprinzipien an Gedicht-Beispielen der Konkreten Lyrik. Vgl. Stephan Stein: Textgliederung. Einheitenbildung im geschriebenen und gesprochenen Deutsch: Theorie und Empirie. Berlin, New York: de Gruyter 2003.   zurück
Michael Hammerschmid und Helmut Neundlinger: »von einen sprachen«. Poetologische Untersuchungen zum Werk Ernst Jandls. Innsbruck u.a.: Studienverlag 2009.   zurück
Ernst Jandl (Anm. 2), Bd. 11, S. 34.   zurück
Ebd., Bd. 2, S. 46.   zurück
So reformuliert es Kaiser, den die Autorin anerkennend zitiert: Gerhard Kaiser: Geschichte der deutschen Lyrik von Goethe bis zu Gegenwart. Ein Grundriß in Interpretationen. Bd. 2: Von Heine bis zur Gegenwart. Frankfurt/M.: Insel 1996, S. 501.   zurück
In dem Datumsgedicht am 28. Mai 1979, also einem Gedicht, das eine Datumsangabe zum Titel hat, schreibt Jandl: »das chaos und der dreck / sind seither in mir drin / ich stoße sie zurück / indem ich schreibend bin«. Das autobiographische Chaos und der Dreck werden offenbar zwar nicht direkt zutage gefördert, bilden aber den Schreibanlass und werden somit thematisiert. In: Ernst Jandl (Anm. 2), Bd. 8, S. 164.   zurück
10 
Ernst Jandl: Autobiographische Ansätze. In: Ders.: Gesammelte Werke in 3 Bänden. Hg. von Klaus Siblewski. Darmstadt, Neuwied 1985, Bd. 3, S. 651.   zurück
11 
Siblewski widmet sich in einem Aufsatz gänzlich der Relevanz dieses Jahres für Jandls Schaffen. Vgl. Klaus Siblewski: ›Am Anfang war das Wort…‹. Ernst Jandls 1957. In: Luigi Reitani (Hg.): Ernst Jandl. Proposte di Lettura. Udine 1997, S. 37–49.   zurück
12 
Ernst Jandl (Anm. 2), Bd. 2, S. 46.   zurück