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Kein Burckhardt für Alle

  • Kurt Meyer: Jacob Burckhardt. Ein Portrait. München: Wilhelm Fink 2009. 286 S. 56 Abb. Hardcover. EUR (D) 24,90.
    ISBN: 978-3-7705-4796-8.
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Schreiben über Burckhardt

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Leben und Werk des Kunsthistorikers und Geschichtswissenschaftlers Jacob Burckhardt (1818–1897) sind heute außerordentlich gut erforscht. Neben dem Bergmassiv von Werner Kaegis 1982 beendigter siebenbändiger Biographie 1 über das alles andere als ereignisreiche Leben des Basler Denkers informiert neuerdings vor allem Lionel Gossmans kulturhistorisch reiche Studie Basel in der Zeit Jacob Burckhardts (dt. Fassung von 2005) 2 am Besten. Auch die kunsthistorisch orientierte Burckhardt-Forschung erhielt vor einigen Jahren ein neues Standardwerk mit Christine Taubers Cicerone-Buch aus dem Jahr 2000, 3 von den zahlreichen, oft hochkarätig besetzten Einzelveröffentlichungen wie den Beiträgen zu Jacob Burckhardt im Schwabe-Verlag, 4 der auch die Briefe und die Kritische Gesamtausgabe bringt, ganz abgesehen.

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Nur eins fehlt noch: Ein populär geschriebenes, schmales, leicht fassliches, die thematische und denkerische Vielfalt Burckhardts bündelndes ›Büchlein‹, ein schnell aber gründlich informierendes Standardwerk für die Westentasche und das bürgerliche Wohnzimmer. Das wäre ein Projekt ganz im Geiste Burckhardts, der bekanntlich nicht für die Fachgenossenschaft schrieb – oder vielmehr: sprach –, sondern für die gebildeten und interessierten Laien, die Bildungsbürger, die ihm denn auch als dem einzigen Historiker des 19. Jahrhunderts bis heute treu geblieben sind und für den durchaus überraschend soliden Verkauf seines Œuvres sorgen.

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Kurt Meyer und der Fink-Verlag hatten wohl genau diese erfolgversprechende Publikationslücke im Auge, als sie Jacob Burckhardt. Ein Portrait veröffentlichten. Der Autor stellt sich mit diesem Buch bewusst gegen die Publikationen der Fachgenossenschaft wie auch gegen Kaegis Biographie und verwirft diese, weil er – und mit ihm sicher auch andere – sie als unzeitgemäß und in ihrer Detailüberfülle ermüdend empfindet. So platziert er sich ex negativo in der zur Popularität tauglichen Porträt-Tradition, die keinerlei wissenschaftlichen Neu- oder Mehrwert anzubieten braucht. Doch gerade hier kommt alles auf Einsicht, Verdichtung, System, Reflexion und pointierenden Stil an. Um es gleich vorweg zu sagen: Das Projekt, einen Burckhardt für die Liebhaber, für das große Publikum, für Alle zu schreiben, ist gescheitert. Und um auch dies vorauszuschicken: Diese Besprechung von Jacob Burckhardt. Ein Portrait leitet ihren Bewertungsmaßstab nicht aus selbstgesetzten oder zunftmäßigen Ansprüchen ab, sondern misst das Werk einzig an den von Kurt Meyer selbst erhobenen Ansprüchen.

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Einleitendes

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Meyers Burckhardt-Porträt krankt zunächst an der konfusen Struktur des Buches. So folgt auf die biographisch konzipierte »erste Lebenshälfte« eine Darstellung der »klassischen«, weil zu Lebzeiten publizierten Werke Constantin, Cicerone und Cultur der Renaissance, gefolgt von der »zweiten Lebenshälfte«, die Meyer bis zu Burckhardts Tod ansetzt. Das gewaltige »Werk aus dem Nachlass« ist Thema des fünften Kapitels. In ihm werden jedoch auch Lebenszeugnisse wie die »Briefe« ausgewertet oder ein Bericht über die zwei bisher erschienenen Gesamtausgaben des Autors geliefert. Das sechste Kapitel gilt der Rezeptionsgeschichte in der Form von zwei bedeutenden Werken über Burckhardt (denen von Karl Löwith und Werner Kaegi) und die abschließenden »Letzten Blicke« versuchen noch einmal eine Zusammenfassung seines Denkens aus intellektueller wie ethischer Perspektive zu leisten. Ein knapper Literaturteil rundet die Veröffentlichung ab.

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Auf nur 263 großzügig gedruckten Textseiten (die zahlreichen Abbildungen sind hier schon eingerechnet) wird in den sieben Hauptkapiteln mit Dutzenden von meist ein- bis zweiseitigen Unterkapiteln die thematische Mannigfaltigkeit eines ganzen Forscherlebens verhandelt, wobei jedoch beständig zwischen Leben und Werk hin- und hergewechselt und zudem zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem nicht überzeugend unterschieden wird. Wozu braucht der Leser in der ganz unsystematisch vor sich hin plaudernden Einleitung ein Kapitel über »Burckhardt und Japan« (S. 19 f.)?

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Diese Uneindeutigkeit in der Struktur wäre bei punktuell großem Erkenntnisgewinn allerdings zu verschmerzen, doch Meyer schreibt gar nicht über Burckhardt, sondern er schreibt ihn nur ab. Das Portrait ist voller Zitate, was an sich lobenswert lebens- wie werknah wäre, würde der Autor diese Zitate auch erklären, kommentieren und Zusammenhänge herstellen. Doch Meyer geht über Burckhardts Lebenszeugnisse und seine Werke gar nicht hinaus und das ist auch für die explizit fachfremd aufgefasste, bloß-darstellende Gattung ›Porträt‹ schlicht zu wenig, denn dann kann man auch gleich den Meister selber lesen, auch wenn dies natürlich mit einem umfangreicheren Aufwand verbunden wäre.

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Burckhardts Werk

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Meyer hat kaum einen eigenen Gedanken über seinen Gegenstand, was sich in der Darstellung der Werke Burckhardts besonders auffällig zeigt. Er referiert in meist viel zu knappen Einzelkapiteln das gegebene Material zwar oberflächlich-solide, aber fast kritiklos. So erhält man von ihm die Nacherzählung von Werken aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf dem Stand ihrer Zeit. Burckhardts Denken z.B. war – wie das beinahe jedes Historikers und Kunsthistorikers im 19. Jahrhundert, vielleicht mit Ausnahme Philipp Otto Runges – zyklisch bestimmt. Die Kunstgeschichte dieses Jahrhunderts dachte in Renaissancen, in Ablösungen und Wiederaufnahmen früherer Prinzipien und operierte also mit wertungsimmanenten Kategorien wie Aufstieg, Blüte und Verfall. Da muss auch ein populär schreibender Autor mehr über Bedeutung und Leistung dieses Modells, aber auch über die heutigen Betrachtungsmethoden anbieten als nur halbseitige Vergleiche mit der neueren Forschung, z.B. im Fall des Constantin mit den Forschungsarbeiten von Peter Brown 5 und Manfred Fuhrmann 6 (S. 53).

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Aber selbst in der Kritik geht Meyer nicht über seinen Autor hinaus. Wo vermerkt er z.B. das Fehlen der Philosophie der Renaissance in Burckhardts Cultur der Renaissance? Nirgends, denn Burckhardt hat die Philosophie ja auch nicht vermisst, sondern nur auf seine projektierte Kunst der Renaissance verwiesen. Ernst Cassirers bedeutendes Buch Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance von 1927, das sich explizit als Supplement zu Burckhardts Cultur versteht, wird gar nicht erwähnt. Es findet überhaupt kaum eine Überprüfung der vorgeführten Thesen statt. Nicht einmal die auffälligsten Merkwürdigkeiten werden benannt, wie z.B. Burckhardts berühmte These in der Cultur der Renaissance, der moderne Mensch definiere sich über die gegenüber dem Gemeinwesen des mittelalterlichen Menschen errungene Subjektivität, während doch Burckhardts eigene Umwelt ihm zu seinem Leidwesen gerade die von ihm so verachtete Vermassung des Menschen als Moderne vorlebte und er seinen kauzig-egoistischen, sprich: subjektiven Basler Kleinstkosmos für unzeitgemäß ausgab.

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Dieser Mangel ginge im Fall einer fachfernen Publikation möglicherweise noch an, doch es gibt auch keine Diskussion um Burckhardts Methode, die doch irgendetwas mit dem heutigen Interesse am Autor zu tun haben muss. So fehlt ein Hinweis auf Burckhardts bilderlastig-poetische Sprache, die ihn in den Augen einiger Fachgelehrter schon früh gründlich diskreditierte, die aber fruchtbar vor allem auf Künstler wirkte und es dem heutigen Leser erlaubt, fachwissenschaftliche Einzelerkenntnisse als Einsichten über das Weltganze und die Historie im Allgemeinen zu rezipieren. Wenn Meyer eingangs fragt, warum sogar noch das 21. Jahrhundert Interesse an diesem Denker hat, dann wäre doch wohl hier anzusetzen.

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Leider versäumt es Meyer auch komplett, eine Einbindung des Burckhardtschen Œuvres in dessen Zeit und ihre Geschehnisse anzubieten. Das Portrait gibt keine historische Einordnung Burckhardts als Denker außer einigen reichlich leichtfertig fallen gelassenen Namen von Lehrern. Den Menschen in seinem Zeitlauf zu verstehen, wird nicht einmal näherungsweise versucht, ganz zu schweigen davon, wie Burckhardts Denken maßgeblich von Ranke, Kugler und Schopenhauer beeinflusst wurde. Es wird auch kein Vergleich zu zeitgenössischen Kollegen und Konkurrenten gezogen. Was haben eigentlich, darf und muss man Meyer auch nach der Lektüre des Buches fragen, die stets in der Anonymität der ›Anderen‹ gemeinschaftlich abgewerteten Historiker und Kunsthistoriker jener Zeit gedacht und geschrieben?

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Diese Frage ist nicht nur aus dem Anspruch wissenschaftlicher Genauigkeit berechtigt, da Burckhardt selbst sich beharrlich gegen Zeittendenzen gewehrt und selbst inszeniert hat – nur welche waren das? Auf Seite 113 lesen wir ein Zitat, in dem Burckhardt vom »jetzigen Ausmalen von Dichter- und Künstlerleben« als Problem spricht. Herman Grimm und Carl Justi, die beiden bedeutenden und so ungleichen Biographienschreiber wären hier zu erwähnen gewesen. Aber warum sieht Burckhardt in der Biographie überhaupt ein Problem? Weil sie das Werk im Personenkult entweder überblendet oder – schlimmer noch – weil sie das Werk instrumentalisiert, so z.B. bei Herman Grimms »hagiographischen Künstlerviten« 7 zugunsten einer zukunftsorientierten völkischen Vitalität, die durch das Kunstwerk bloß vermittelt oder bestenfalls ausgelöst wird. Burckhardt entwickelte aber im Anschluss an Rumohr und Kugler eine personenunabhängige Kunstgeschichte, die später in Heinrich Wölfflins »Kunstgeschichte ohne Namen« mündete, auch dies eine hier nicht dargestellte Tradition.

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Überhaupt liefert das Buch kaum etwas zur gleichermaßen wirkungsmächtigen wie vertrackten Rezeptionsgeschichte Burckhardts, so z.B. während des dekadenznahen Renaissancismus der Jahrhundertwende, in dem Nietzsche und Burckhardt als kultisch verehrte Fürsprecher der Grausamkeit galten. Die fragwürdigen Auslegungen Burckhardts als Laudator der Tyrannen und ihrer Ruchlosigkeit werden von Meyer überraschend sogar eher bestätigt (S. 153 ff.), was seiner reflexionslosen, analysefremden Lektüre geschuldet ist.

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Dass sich Meyer nicht auf einen beobachtend-reflektierenden, sondern auf einen bloß naiv-nachvollziehenden Standpunkt stellt, wird übrigens gleich eingangs deutlich, wenn er von einem anti-rational aufzufassenden Burckhardt schreibt und dies merkwürdigerweise für den Grund unseres heutigen Interesses an ihm ausmacht (S. 21). Es trifft zu, dass der Basler das unmöglich aufzulösende letzte Geheimnis (der Macht, des Genies, der
Kunst, …) als weltdiktierende Kraft akzeptierte, aber er selbst ist doch ein Aufklärer und »Anschauer«, der sich dem bloß statuierten Geheimnis gerade nicht mystifizierend hingab, sondern es aufzeigen wollte und damit wissenschaftlich operierte. Insgesamt isoliert Meyer das Werk seines Autors zeitlich wie inhaltlich, sehr zu dessen Schaden.

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Burckhardts Leben

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Auch der auf deutlich weniger Seiten skizzierte ›Mensch‹ Jacob Burckhardt tritt nicht vor das geistige Auge des Lesers. Diese, zugegeben immens schwierige Aufgabe lässt sich noch weniger als die Rekonstruktion des Werks allein durch hintereinander montierte Briefzitate und das Aufrufen von pseudo-psychologischen Allgemeinplätzen wie: »Eine ganz einheitliche Persönlichkeit ist Burckhardt gar nicht gewesen. Seine Grösse [sic!] liegt in seinen Polaritäten, seinen Spannungen« leisten (S. 108). Selbst wenn man dieser Plattitüde zustimmen würde, bliebe hier die Frage: Welche »Spannungen« denn, wenn der Autor selbst die frühfertige und sich nicht mehr wandelnde Persönlichkeit seines Gegenstands postuliert (S. 245)? Und wieso machen diese »Spannungen« die Größe aus?

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Meyer zitiert zwar fleißig Burckhardts eigene Äußerungen, seltener auch dessen Freunde und Zeitzeugen, aber er gibt fast keine Erklärungen über die wenigen großen und erklärungsbedürftigen Umbrüche in Burckhardts alles in allem todlangweiligen Leben: seine Abwendung vom Christentum, sein Entschluss gegen die Theologie und für die Geschichtswissenschaft, sein Rückzug in die Privatheit und die Gelehrtenexistenz, seine Neigung zur Antike und zur Klassizität gegen die Romantik des Maikäferbundes, später dann wieder die Neigung zum Barock. Selbst wenn dies in Meyers Sinn ›Spannungen‹ wären, so werden sie nicht einmal im Ansatz erläutert. In wenigen Sätzen handelt der Autor die bedeutendsten Entscheidungen und Wendungen in Burckhardts Leben ab, doch stets mit dessen eigenen Worten. Damit leistet er methodisch kurioserweise genau das, was Burckhardt einst als den »Tatsachenschutt« der Geschichtswissenschaft (Brief an Bernhard Kugler, 1870), also die bloße Auflistung der Quellen ohne eigene, bündelnde, höhere Idee abqualifizierte.

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Meyer ist Burckhardt insgesamt viel zu nah, vor allem auch emotional. Seine erklärt subjektive Perspektive ist für die Gattung ›Porträt‹ zwar akzeptabel, allerdings verschleiert sie bei Meyer den Bewertungs- und mit diesem auch den Darstellungsmaßstab. Der Basler wird nicht wertfrei porträtiert, sondern emphatisch vorgeführt, um nicht zu sagen heroisiert.

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Nur durch diese Distanzlosigkeit ist auch die »schockierende« Wirkung des rassistischen Eurozentrismus’ Burckhardts auf Meyer (S. 241 f.) zu verstehen, den wir doch spätestens seit dem – bezeichnenderweise nicht in die Literaturliste aufgenommenen – Burckhardt-Essay von Aram Mattioli über die Grenzen der Humanität (2001) 8 kennen. Aber statt sachliche Erklärungen für diesen Aspekt von Burckhardts Persönlichkeit anzubieten, gibt es Meyers privates schauderndes Staunen und sein sich abwendendes Es-gut-sein-Lassen.

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Das lässt sich vor allem an der Darstellung von Burckhardts Antisemitismus zeigen (S. 172 ff.). Die Ratlosigkeit Meyers gegenüber dieser grob-rassistischen Seite Burckhardts ist überwältigend. Es fällt ihm nichts Besseres als entschuldigendes Konstatieren mit dem Verweis auf die allgemeinen Tendenzen der Zeit ein, um dann noch vollends über das Ziel hinaus zu schießen, indem er ohne Not die hier gar nicht zur Debatte stehende Verantwortlichkeit Burckhardts für das Dritte Reich bestreitet! Die wichtigste Frage: Verändert sich unsere Wahrnehmung des Denkers Burckhardt und seines Werks durch das Wissen um diesen Teil seiner ›Menschlichkeit‹? stellt er gar nicht. Das heikle Thema wird kurz zur Sprache gebracht und damit scheinbar dem Anspruch auf ganzheitliche Redlichkeit in der Darstellung Genüge getan. In Wahrheit bleibt das Bild des Kulturheros durch diesen Aspekt aber ganz unbefleckt, wie eine merkwürdig-unheimliche Seite des Meisters, die man irgendwie achselzuckend zur Kenntnis nimmt – wer will, kann auch mal schockiert schlucken.

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Dass Meyer überhaupt kein Interesse an der natürlich besonders prekären Bedeutung der antisemitischen Tendenz Burckhardts hat, beweist einige Seiten später das Kapitel über Karl Löwith (vgl. S. 215 ff.). Obwohl der exilierte Jude Löwith in seinem optimistischen Werk Jacob Burckhardt. Der Mensch inmitten der Geschichte (1936) ausgerechnet Burckhardt zu seinem Gewährsmann für den Humanismus eines ›guten Deutschtums‹ macht, bespricht Meyer dieses Werk mitsamt seinem, wie wir heute wissen, fehlinterpretierten ›Helden‹ völlig außerhalb des antisemitischen Deutungshorizonts. Löwiths humanistische Thesen können doch mit diesem Wissen überhaupt nicht mehr aufrecht erhalten werden – und das muss Meyer, wenn er den Antisemitismus Burckhardts ernst nimmt, thematisieren. Wenn Meyer Kaegi sicher auch mit einigem Recht vorwirft, »verklärend« zu schreiben (S. 227 f.), dann darf man in seinem eigenen Fall von Unsachlichkeit und Betriebsblindheit gegenüber seinem Gegenstand sprechen. Denn wenn ein Autor so viele Fakten auf den Tisch legt, die er dann selber zugunsten eines heiligenmäßigen Gesamtbildes missachtet, dann ist sein Buch kein Porträt, sondern eine Laudatio.

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Überhaupt versteigt sich Meyers Ton so manches Mal zum peinlichen Kitsch: »In Burckhardts umfangreichen Briefbänden fehlen die Liebesbriefe. Hat sein Herz wirklich nie höher geschlagen?« (S. 33) So ergibt sich insgesamt ein ›Porträt‹, das eigentlich die Zumutung eines Wunschbilds seines stets anerkennend raunenden Autors ist. Nur so lassen sich schließlich auch Meyers haltlos-willkürliche Spekulationen erklären, wie sich Burckhardt wohl gegenüber späteren Tendenzen, Meinungen oder Kunstwerken geäußert hätte. Damit überschreitet der Autor die gleichermaßen sachlich-biographische wie auch die geschmäcklerische Grundregel des Schreibens über Andere und landet beim (schlechten) Feuilleton.

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Fazit

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Der sonst so solide Fink-Verlag hat sich mit dieser Veröffentlichung keinen Gefallen getan. Kurt Meyer bietet gegenüber dem Werk Burckhardts keinerlei Mehrwert an und bleibt in allen Belangen zu weit sowohl hinter dem Niveau seines Gegenstands wie auch dem seiner ›Konkurrenten‹ zurück. Sein Portrait ist nicht populär, sondern simpel und seine nur referierende Darstellung ist in ihrer Heroisierung auch für jeden Fachfremden zu wenig ergiebig und informativ. Zudem ist das Buch flüchtig lektoriert und überdeutlich auf die Schließung der Gewinn versprechenden Marktlücke im Burckhardt-Sektor hin konzipiert. Jacob Burckhardt. Ein Portrait ist die vertane Chance, den Basler als Autor und Persönlichkeit einem breiten Publikum leicht zugänglich zu machen. Dies schmerzt umso mehr, wenn man an die vielen guten, oben bereits erwähnten Bücher z.B. von Gossman oder Tauber denkt. An sie soll sich auch der interessierte Laie halten, die vermeintliche »Mühe« lohnt sich – oder er liest einfach Burckhardt selbst.

 
 

Anmerkungen

Vgl. Werner Kaegi: Jacob Burckhardt. Eine Biographie. 7 Bände. Basel u.a.: Schwabe Lionel 1947–82.   zurück
Vgl. Lionel Gossman: Basel in der Zeit Jacob Burckhardts. Eine Stadt und vier unzeitgemäße Denker. Basel: Schwabe 2005.   zurück
Vgl. Christine Tauber: Jacob Burckhardts ›Cicerone‹. Eine Aufgabe zum Genießen. Tübingen: Niemeyer 2000.   zurück
Vgl. Beiträge zu Jacob Burckhardt. (Derzeit) 7 Bände. Basel: Schwabe 1994 ff.   zurück
Vgl. Peter Brown: The World Of Late Antiquity: From Marcus Aurelius to Muhammad. Thames & Hudson Ltd. 1989 (Paperback-Ausgabe).   zurück
Vgl. Manfred Fuhrmann: Rom in der Spätantike. Porträt einer Epoche. München u.a.: Artemis & Winkler 1994.   zurück
Peter Philipp Riedl: Epochenbilder – Künstlertypologien. Beiträge zu Traditionsentwürfen in Literatur und Wissenschaft 1860 bis 1930. Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann 2005, S. 624.   zurück
Vgl. Aram Mattioli: Jakob Burckhardt und die Grenzen der Humanität. Wien, Linz: Bibliothek der Provinz 2001.   zurück