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Fotografie und Erinnerung oder Fotografie vs. Erinnerung?
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Es ist noch nicht lange her, da hat die Leipziger Privatdozentin Silke Horstkotte vom Unbehagen der hiesigen Germanistik berichtet, sich systematisch mit der Gegenwartsliteratur, konsequent verstanden als Nachwendeliteratur, zu beschäftigen.
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Auch habe man hierzulande, ganz im Gegenteil zur britischen Germanistik, die sehr stark von den cultural studies geprägt ist, immer noch Probleme mit einer kulturwissenschaftlichen Erweiterung der Literaturwissenschaft – obwohl es an Einführungsliteratur hierzu nicht mehr mangelt.
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Mit ihrer nun vorgelegten Studie zum Verhältnis von Fotografie und Gedächtnis in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur nimmt sich die Autorin selbst der von ihr konstatierten Forschungsdesiderate an und liefert einen weiteren erhellenden Beitrag zu den Erkenntnismöglichkeiten einer interdisziplinär ausgerichteten Literaturwissenschaft.
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Der Zusammenhang von Fotografien und Erinnerung ist so vielfältig wie komplex. Fotos dienen als materiale Memorialobjekte oder Anlässe für erinnerndes Erzählen. Sie können Vergangenheitsversionen sowohl festschreiben als auch widerlegen. Ihnen haftet beim Bezeugen von Geschichte(n) noch immer der Ruf von Evidenz an, auch wenn nicht erst seit den digitalen Manipulationsmöglichkeiten Zweifel an ihrer Objektivität bestehen. Fotografien sind also auf vielfältige Weise in die Produktion, Konservierung und Weitergabe von Erinnerungen eingebunden und spielen dementsprechend auch in der vergangenheitsfixierten deutschsprachigen Gegenwartsliteratur eine gewichtige Rolle. Hier erfährt seit einigen Jahren eine Textgattung Hochkonjunktur, die Horstkotte als ›metahistorische Gedächtnisliteratur‹ bezeichnet: »literarische Prosatexte, die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und Holocaust und deren Weitergabe im Rahmen eines kommunikativen Gedächtnisses ästhetisch inszenieren, reflektieren und problematisieren« (S.13).
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Es ist Ziel ihrer Studie, den speziellen Funktionen nachzugehen, die Fotografien innerhalb dieser Texte für die Repräsentation und Problematisierung von Gedächtnisprozessen übernehmen.
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Auf dem Gebiet der Gedächtnisforschung besteht derzeit eigentlich kein Mangel, denn sowohl in der deutschsprachigen Literatur, als auch in Literatur- und Kulturwissenschaft erfreut sich das Thema der Erinnerung enormer Beliebtheit.
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Umso größer aber ist das Verdienst von Horstkotte, in ein Feld, das wegen seiner interdisziplinären Anschlussfähigkeit an Übersichtlichkeit verloren hat, wieder mehr Klarheit und Präzision zu bringen.
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In ihrer prägnanten Einführung (S. 9–41) reagiert sie auf das Problem der Unübersichtlichkeit in der Erinnerungsforschung mit rigoroser Selektion und der Problematisierung zentraler Konzepte. Ihre gedächtnistheoretischen Grundlagen bilden die breit rezipierten Arbeiten von Jan und Aleida Assmann zum kulturellen und von Harald Welzer zum sozialen Gedächtnis. Da aber mit keinem dieser Konzepte zu erfassen ist, was die Erinnerung der Nachgeborenen bestimmt, wenn die Kette der Erinnerungsweitergabe durchbrochen ist, führt Horstkotte zusätzlich das in Deutschland noch immer wenig beachtete postmemory-Konzept von Marianne Hirsch ein (vgl. S. 26). Dieses sekundäre Gedächtnis, von Hirsch ursprünglich im Hinblick auf die Kinder von Holocaust-Überlebenden entwickelt, vereint zugleich Wissen und Nicht-Wissen der Nachgeborenen und füllt deren Lücken durch Imagination und Projektion.
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Eine solche kreative Erinnerungsarbeit benötigt für die narrative Überbrückung von Gedächtnislücken Anhaltspunkte, welche sie in medialen Repräsentationen der Vergangenheit, speziell in Familienfotografien findet.
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Angesichts der Redundanz zahlreicher Texte zur Erinnerungsforschung ist Horstkottes Beschränkung auf ein nötiges Minimum an gedächtnistheoretischer Unterfütterung ein begrüßenswerter, weil prägnanter Ansatz. Statt einer weiteren ausführlichen Wiedergabe verschiedener Gedächtnisdiskurse widmet sie sich lieber einem ungleich spannenderem Thema: der Ethik der Erinnerung. Unter Bezug auf die psychoanalytisch aufgeladene Holocaustforschung und den Zeugenbegriff von Agamben stellt sie das Problem eines verantwortungsvollen Umgangs mit fremden Erinnerungen in das Zentrum ihrer Untersuchung. Zwischen einer distanzlosen Vereinnahmung des Anderen oder seiner völligen Ablehnung liegt für sie der Mittelweg einer ›heteropathischen Identifikation‹. Diese »respektiert die Differenz des Anderen, ohne sie zu verwerfen, und ermöglicht somit eine Subjektivität, die sich in ethisch verantwortlicher Weise dem Anderen anzunähern vermag, ohne dessen Position zu usurpieren« (S. 30). Hierbei geht es ihr aber keineswegs um eine problematische moralische Bewertung der untersuchten Autoren, denn sie definiert den Begriff der ›Ethik der Erinnerung‹ allein über das binnenliterarische Verhältnis der Erzähler zu ihrem Material, das von einer Vergangenheit Zeugnis ablegt, die nicht die ihre ist.
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Alle von Horstkotte untersuchten Texte spielen mit der Ambivalenz der Fotografie zwischen Authentizität und Konstruktion. Sie nehmen die Erwartung der Leser an die indexikalische Funktion der Fotografien auf und unterlaufen sie im Zusammenspiel von Text und Bild. Zentral für die Studie ist deswegen der Begriff der Intermedialität, den Horstkotte überraschend weit fasst (vgl. S. 34 ff.). Für sie fallen darunter sowohl Texte, die Fotografien als Teil eines bimedialen Gesamtwerkes integrieren, als auch solche, in denen die Fotografien nur als Plot-Elemente verbal beschrieben, ansonsten dem Leser aber vorenthalten werden. Intermedialität ist für sie zu allererst ein performativer Akt mit einem aktiven Leser, der die Bedeutung eines Bildes erst während der Rezeption generiert. Fotografien dienen laut Horstkotte nicht primär als materielle Gedächtnisträger, sondern vor allem als Quelle mentaler Nachbilder – und dafür spielt es keine Rolle, ob sie tatsächlich vorliegen oder aber nur beschrieben werden.
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Dokumentarische Fotos in fiktionalen Texten: die komplexen Arrangements von W.G. Sebald
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Auch wenn sich alle Textanalysen auf einem beneidenswert hohen Niveau bewegen, verdienen vor allem die Kapitel eine besondere Beachtung, die sich mit W.G. Sebald beschäftigen – einem der Forschungsschwerpunkte der Autorin. Gleich im ersten Kapitel widmet sie sich seinen Die Ringe des Saturn und zeigt, wie allein die spezifische Form der Einbettung von Fotografien in den Text ihre Funktion als zuverlässiges Gedächtnismedium hinterfragen kann. Sebalds Foto-Text-Arrangements behandeln stets die Grenze von Fiktion und Dokumentation und verbinden Elemente des Autobiographischen mit Erfundenem. Horstkotte kann nachweisen, wie er dabei die Fotografien nutzt, um dem Leser selbst die Deutungshoheit über seine Texte zu gewähren. Sie erkennt in den Bildern vor allem eine »Störung im Lesefluß« (S. 52), welche die Aufmerksamkeit des Lesers auf die konkrete Textbeschaffenheit und dessen Struktur lenkt. Da die Fotos dabei häufig nicht zeigen, was der Erzähler berichtet, muss der Leser selbst entscheiden, ob er sich eher auf den Text oder das Bild verlassen möchte. Sebalds Arrangement legt keinerlei Präferenz nahe.
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Mit der Einsicht, dass Fotos ohne textuelle Rahmung grundsätzlich deutungsoffen sind und verschiedene Nachbilder produzieren können, betont Sebald laut Horstkotte die imaginative und konstruktive Rolle des Gedächtnisses der Nachgeborenen. Diese sind auf Imagination und Konstruktion angewiesen, um aus den medialen Zeugnissen der Vergangenheit eine schlüssige Erzählung zu produzieren. Völlig frei aber sind weder sie noch Sebalds Leser, denn sowohl die Gegenwart als auch seine Texte tragen Spuren der Vergangenheit in sich, die den Aneignungsprozess lenken. Horstkotte zeigt kenntnisreich, auf welches komplexe intertextuelle Geflecht aus Literatur, Philosophie und Kunst Sebald mit seinen Foto-Text-Arrangements Bezug nimmt und entlarvt somit ein Vexierspiel, dessen Ziel darin besteht, »die Gesamtheit des im Speichergedächtnis archivierten kulturellen Wissens für das aktive Funktionsgedächtnis wieder verfügbar zu machen.« (S. 60)
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Diesem komplexen System der Zitate geht Horstkotte in ihrem zweiten Kapitel anhand der Ausgewanderten noch genauer nach. Sebald betreibt dort ein exzessives Spiel der Verweisketten zwischen eigenen und fremden Texten und enthüllt damit seine mit dem Gestus des Authentischen daherkommenden Erzählungen als künstlich und fiktional. Indem er vorhandenes Bildmaterial de- und rekontextualisiert, überlagern sich in seinen Erzählungen alter und neuer Kontext der Bilder, so dass Horstkotte das Sebald’sche Foto-Zitat als Diskurs über Diskurse –»als erneute Repräsentation einer Repräsentation von Welt innerhalb eines neuen kommunikativen Rahmens« (S. 80) definiert. In diesen medienübergreifenden Interdiskursen erkennt sie aber nicht nur das Strukturprinzip der Ausgewanderten, sondern auch einen Grundsatz von Sebalds Poetik: Indem er dokumentarisches Bildmaterial in seine Texte integriert, spielt er mit dem Referenzversprechen der Fotografie und fordert den Leser indirekt zu einer kritischen Haltung gegenüber allen durch scheinbar authentische Medien erhobenen Ansprüchen der Dokumentation und des Beweises auf. Der Deutungsoffenheit seiner Texte entspricht dabei die Deutungsoffenheit einer Vergangenheit, von deren Existenz nur noch Bilder zeugen.
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Das Postgedächtnis und der ›familiale‹ Blick
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Geht es bei Sebald generell um die subjektive Aneignung der Vergangenheit durch die Nachgeborenen, widmet sich Horstkotte auch einigen Büchern, die speziell die innerfamiliäre Dynamik von Gedächtnistransfers thematisieren. Da auch innerhalb von Familien Erinnerungen nicht unbedingt im direkten Gespräch weitergegeben werden, sondern speziell intergenerationelle Lücken oft nur mit Hilfe von Gedächtnismedien wie Fotografien überbrückt werden können, kann die Autorin hier das analytische Potenzial des postmemory-Konzeptes voll ausschöpfen. Dieses erklärt nämlich nicht nur die kreative Überbrückung solcher Gedächtnislücken, sondern betont im Anschluss an Lacans Psychoanalyse auch die Rolle der Blickwechsel innerhalb der Familie für die Konstituierung des Subjektes – und umfasst damit auch das Betrachten von Familienfotos.
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Anhand von Am Beispiel meines Bruders von Uwe Timm und Unscharfe Bilder von Ulla Hahn kann Horstkotte einen entscheidenden Unterschied im Umgang mit Familienfotos zeigen. Timm versucht, sich seinem im Kriege verstorbenen Bruders über dessen Briefe und Fotos anzunähern, wobei er sich seiner Position des um Wissen und Erfahrung reicheren Betrachters stets bewusst ist. Er kann sich somit bezüglich des Verhaltens seines Bruders Zweifel und Distanz bewahren, die sich von dem festgelegten heroischen Gedächtnisnarrativ seiner Eltern stark unterscheiden. Horstkotte führt hierbei treffend die von Mieke Bal erarbeitete Unterscheidung von glance und gaze an. Während Timms Umgang mit Fotos von einen kritisch-distanzierten gaze geprägt ist, lässt sich Ulla Hahns weibliche Zentralfigur zu einem naiv-identifikatorischen glance hinreißen. Ihr Zugang zu den Fotografien der Wehrmachtsausstellung, die vermutlich ihren Vater bei Exekutionen im Osten zeigen, ist emotional, irrational und vermischt eigenes, nachträglich erworbenes Wissen mit den auf den Bildern tatsächlich zu sehenden Ereignissen.
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Über die Probleme ethisch korrekten Erinnerns
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Schließlich dringt Horstkotte noch tief in die moralische Dimension der Erinnerungsdebatte ein. Sie untersucht anhand zweier Texte von Monika Maron und Sebald den aus ethischer Sicht problematischen Umgang mit fremden Erinnerungen und fremder Vergangenheit – ein Problem, das besonders im Zusammenhang mit der Debatte um Wilkomirskis gefälschte Kindheitserinnerungen bereits vor einigen Jahren große Aufmerksamkeit erfahren hat.
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Hierfür muss Horstkotte das postmemory-Konzept von Hirsch entscheidend erweitern, denn dieses hat die Schwäche, nur für den innerfamiliären, also eigenen Erinnerungstransfer entwickelt worden zu sein. Wie aber kann man auch den Fall einer verantwortungsvollen Aneignung und Weitergabe von fremder Erinnerung in den Blick bekommen, gerade wenn es wie in den untersuchten Texten um das prekäre Verhältnis von Opfer- und Tätergedächtnis geht? Hier kommt das bereits angesprochene Konzept der ›heteropathischen Identifikation‹ zur Geltung, welches der unvermeidlichen Vermischung von Fremdem und Eigenem in Gedächtnisnarrativen kritisch Rechnung trägt.
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In Pawels Briefe von Monika Maron zeugen nur noch ein paar Bilder und Briefe von den jüdischen Großeltern der Erzählerin, da diese selbst über keine lebendige und ihre Mutter über keine zuverlässige Erinnerung an sie verfügen. Auch ein intensives Studium dieser wenigen Fotografien kann keinen unmittelbaren Zugang zu Pawels und Josefas Leben eröffnen, da sie immer nur im Sinne Barthes’ deren Tod und Abwesenheit bezeugen, nicht aber die Distanz von Gegenwart und Vergangenheit zu überbrücken helfen. Eine identitätsstiftende Familiengeschichte im Sinne der postmemory kann nicht zustande kommen, weil die Fotos der Rahmung des lebendigen Gespräches bedürfen, welches die Mutter nicht leisten kann.
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Ungleich komplizierter liegt der Fall bei Sebalds Ausgewanderten, anhand derer Horstkotte verdeutlicht, wie ein und dieselbe Person zwischen einer unzuverlässigen Vereinnahmung einer fremden Opferidentität und einer Distanz wahrenden Anerkennung des Anderen schwanken kann: Zwischen dem Erzähler und dem Foto seines Bekannten Max Aurach eröffnet sich für Horstkotte ein Blickwechsel, der auf ihrer Vertrautheit beruht, den Betrachter gleichzeitig zum Betrachteten macht und den Anderen in seiner ganzen Individualität wahrnimmt. Wenn der Erzähler aber ein Bild mit unbekannten KZ-Häftlingen betrachtet, fehlt diese Vertrautheit und somit jede Grundlage, die sein melancholisches Eingedenken rechtfertigen könnte. Indem die Identität der Häftlinge und der Kontext des Fotos für ihn irrelevant sind, stereotypisiert er die Opfer in ihrer Rolle und gibt der Erinnerung eher sakrale denn reflektierte Züge. Leider muss die Autorin an dieser Stelle die Antwort auf die spannende Frage, ob eine empathische Bildlektüre immer auf Einbildung beruht und somit zu fragwürdigen Gedächtnisformationen führen muss, schuldig bleiben.
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Auschwitz und das fortgeführte Bilderverbot in der Literatur
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In ihrem abschließenden Kapitel geht Horstkotte der Frage nach, wie in der Gegenwartsliteratur über das Zusammenspiel von Fotografie und Text eine angemessene Darstellung von Auschwitz angestrebt wird. Hierfür untersucht sie Sebalds Austerlitz und Ein unsichtbares Land von Stephan Wackwitz. Auschwitz stellt in beiden Romanen eine Art paradoxes, weil leeres Zentrum dar, da die Recherchen beider Erzähler um diesen Ort kreisen, sie aber niemals dorthin führen. Dem angesichts des Holocaust häufig geforderten Wahrhaftigkeitsgebot der Darstellung begegnen sie mit einem reflexartigen Zurückweichen und Vermeiden. Das Grauen von Auschwitz ist für beide in realistischen Dimensionen nicht vor- oder darstellbar und wird deshalb mithilfe von Geisterfotografien und Spukgeschichten in die Sphäre des Übernatürlichen verwiesen.
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Im Falle von Austerlitz kann Horstkotte zahlreiche Anlehnungen Sebalds an die Geschichtsphilosophie Walter Benjamins nachweisen. Fotos dienen hier wie dort einer Vergegenwärtigung der Vergangenheit, welche den unabänderlichen Lauf der Geschichte anzuhalten vermag und somit die Möglichkeit einer messianischen Rettung der Opfer erlaubt. Indem sie ihm »die Imagination eines Momentes unmittelbar vor der Vernichtung« (S. 268) ermöglichen, verheißen die Bilder für die Figur Austerlitz eine Wiederkehr der Toten.
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Diese Möglichkeit verweigert Stephan Wackwitz in seinem an Freud gemahnenden Familienroman. Er enthält dem Leser die entscheidenden Fotografien aus der Kamera seines Vaters vor – und damit einen direkten Bezug auf das Dritte Reich und seine Opfer. Die Schrecken der Vergangenheit sind bei ihm lediglich im Unheimlichen von Geisterfotografien und Schauergeschichten greifbar.
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Fazit
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Dank ihrer sprachlichen Präzision und klaren Gedankenführung hat Horstkotte eine so lesenswerte wie lehrreiche Arbeit vorgelegt, die beachtenswerte Resultate für die medientheoretische und gedächtnispragmatische Forschung liefert. Ihr erweiterter Intermedialitätsbegriff, der sich der bisherigen simplifizierenden Unterscheidung in bebilderte und bildlose Texte verweigert, hilft dabei, die zahlreichen Zwischenformen von Foto-Text-Kombinationen präzise zu beschreiben. Insbesondere am Beispiel von W.G. Sebald kann sie überzeugend vorführen, wie alleine die Art der Einbettung in fiktionale Texte Fotografien jeglicher Evidenz beraubt. In der Form des interdiskursiven Zitierens, das keinen Ursprung und somit keine Unterscheidung von Original und Kopie mehr kennt, sieht Horstkotte zu Recht ein Sinnbild für die Erinnerungsarbeit der Nachgeborenen, für die eine rein medial vermittelte Vergangenheit kein monolithisches Faktum, sondern vielmehr eine komplexe Aufgabe der (Re-)Konstruktion von Vielstimmigkeit bedeutet. Und mit der Einführung der ethischen Dimension des Bilderbetrachtens und bildlichen Erinnerns liefert sie so vielfältige Anknüpfungspunkte, dass man dem Buch nur eine breite Rezeption in der literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung wünschen kann.
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