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Böser Blick, Vampire, Mörderinnen

Weibliche Devianz am Übergang zur Moderne

  • Susanne Kord: Murderesses in German Writing, 1720-1860. Heroines of Horror. (Cambridge Studies in German) New York: Cambridge University Press 2009. ix, 276 S. 12 b/w Abb. Hardback. USD 90,00.
    ISBN: 9780521519779.
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Susanne Kords Studie widmet sich den Diskursen über Mörderinnen im deutschen Sprachraum von der Zeit der Aufklärung bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Diese »Heroinen des Horrors«, wie der Titel im Anschluss an den Neuen Pitaval von Willibald Alexis und Julius Eduard Hitzig etwas reißerisch verspricht, versucht sie in sechs Hauptkapiteln einzufangen: Kord widmet sich dem bösen Blick von Hexen, Vampiren, Gatten- und Kindsmörderinnen, dem vermeintlich weiblichen Delikt par excellence – dem Giftmord, um abschließend den Blick auf den Schlussakkord von Kriminalprozessen zu lenken, den Akt der Hinrichtung.

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Die essayistisch gehaltenen Kapitel stehen in losem Zusammenhang und bilden für Kord im Anschluss an Helmut Walser Smith eine »cameo history«. 1 Im Zentrum stehen prominente, nicht nur von den Zeitgenossen, sondern auch wissenschaftlich vielbesprochene Fälle – wie etwa die ›letzte‹ Hexe Anna Göldi, der ›weibliche Vampir‹ Elizabeth Báthory, die Gattenmörderinnen Katharina Wächtler und Christine Ruthardt, die Kindsmörderinnen Dorothea Altwein und Johanna Höhn, die Giftmischerinnen Margaretha Zwanziger und Gesche Gottfried, die eine nochmalige historische Untersuchung vor ihrem rechtlichen, literarischen, sozialen, politischen und psychologischen Kontext erfahren.

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Der gewählte Zeitausschnitt überzeugt nicht nur hinsichtlich der von Kord in das Zentrum ihrer Ausführungen gestellten Widersprüchlichkeit der Aufklärung, sondern auch weil in diesem Zeitraum zahlreiche Rechtsreformen durchgeführt werden, die den Schritt vom vormodernen zum modernen Strafrecht anzeigen. Während das Gericht als Ort der Wahrheit reformiert wird und damit auch die Auffassungen, wie Wahrheit festgestellt werden kann, erscheint es folgerichtig, an diesem, in vielfältige wissenschaftliche wie literarische Diskurse eingebundenen Ort nach Verschiebungen in den Vorstellungen über weibliche Kriminalität und damit über Geschlechterkonstruktionen im Allgemeinen zu suchen.

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Indem Susanne Kord sowohl literarische als auch Texte juristischer, medizinischer und anderer wissenschaftlicher Provenienz heranzieht, knüpft sie nicht nur an die Arbeiten von Foucault und Elias, sondern auch an die sozialgeschichtlich orientierte Literaturforschung an – etwa von Jörg Schönert und Joachim Linder, ebenso wie sie neuere historische Forschungen etwa von Richard Evans und Jürgen Martschukat einbezieht. Kord liest die unterschiedlichen Quellen vornehmlich als ›literarische Texte‹ bzw. im Anschluss an Victor Turner als »cultural performances«, um weniger nach politischen Technologien der Macht als nach kulturellen Kodierungen des Wissens über Frauen und Verbrechen zu fragen (vgl. S. 17).

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Vom ›bösen Blick‹ zum Vampir

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Kord beginnt ihr Buch mit einem Kapitel über das Motiv des ›bösen Blicks‹, mit dem sie auf das unterschwellige Fortleben des Hexenglaubens im aufgeklärten 18. Jahrhundert aufmerksam macht. Nicht nur in den Märchen der Romantik, sondern gerade in der aufkommenden Physiognomie schreiben sich Vorstellungen über die Hexe fort, wie Kord zunächst anhand der zeitgenössischen Ausführungen zum »Justizmord« (August Ludwig von Schlözer) an Anna Göldi zeigt, die in einem aufsehenerregenden Prozess letztlich nicht wegen Hexerei, sondern wegen Giftmischerei verurteilt wurde. Die Vorstellungen vom ›bösen‹ bzw. ›stierenden‹ und ›verzehrenden Blick‹ verfolgt Kord dann anhand von Beschreibungen und Abbildungen der Dichterin Anna Louisa Karsch (1722–1791), die deutlich vom Stereotyp der Hexe beeinflusst sind. Dabei zeigt Kord, wie gerade die physiognomischen Ausführungen Lavaters den ›natürlichen‹ dichterischen Genius der Dichterin im Anschluss an den Hexenstereotyp als Abweichung stigmatisieren.

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Mit den wissenschaftlichen und literarischen Auseinandersetzungen über Vampirismus, die seit den 1730er Jahren nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch aufgeklärte Theoretiker heimsuchen, öffnet Kord einen Diskurs, der in der deutschen Literatur im Vergleich zur englischen gothic novel zwar eine vergleichsweise bescheidene Ausprägung gefunden hat, aber trotzdem äußerst ergiebig ist. Interessanter als die Tatsache, dass im Zeitalter der Vernunft, in dem die Unsterblichkeit der Seele nicht mehr unhinterfragt bleibt und der physische Tod verstärkt medizinisch untersucht wird, die Untoten auf den Plan treten, ist sicherlich die von Kord gewählte Gender-Perspektive. Vampire haben gerade die feministische Forschung immer wieder angeregt, denn abseits der Vorstellung vom weiblichen Vampirismus sind Vampire, die allein den Mund als Reproduktionsorgane kennen, nicht nur »un-dead, they are also un-sexed« (S. 54). So zeigen die von Kord untersuchten Ausführungen zur bisweilen epidemisch erscheinenden Vampir-Plage einerseits eine Alternative zum Konstrukt der Zweigeschlechtlichkeit, andererseits kann an den Vampir-Diskursen beobachtet werden, wie über Geschlechterzuschreibungen Vorstellung vom natürlichen und sozialen Geschlecht fixiert werden: »›engendering‹ the female vampire means to bring her back under cultural control« (ebd.). Gerade die deutschsprachige Hochliteratur – etwa Goethes »Die Braut von Korinth« (1797) und E.T.A. Hoffmanns »Eine Vampirgeschichte« (1821) – versucht sich an der Zähmung weiblicher Vampire, indem sie sie in Topoi weiblicher Eitelkeit, Keuschheit und Tugendhaftigkeit einbindet. Und indem die Literaturgeschichtsschreibung das gefahrvoll (Über-)Natürliche transzendiert oder aber zum Geschmacklosen, Un-Ästhetischen und Un-Poetischen erklärt, werden zugleich die Vampire zu Un-Personen der deutschen Literatur (vgl. S. 80f.).

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Gatten- und Kindsmörderinnen

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Als Ausgangspunkt ihrer Reflexionen über den Gattenmord – wohl das einzige Verbrechensdelikt, bei dem es nicht nur aufgrund fehlender Scheidungsmöglichkeiten statistisch gesehen zu einer frühzeitigen ›Gleichberechtigung‹ kam – wählt Kord zeitgenössische Ausführungen zur Ehe, die eben nicht nur als glückseliger Bund, sondern als Unterjochung sowie als Schlachtfeld der Geschlechter begriffen wird. Die Heirat wird hier zu einem mörderischen Unterfangen, wenn der Geschlechtsverkehr – etwa von Immanuel Kant – als Kannibalismus begriffen wird, und zwar nicht nur vor dem Hintergrund der hohen Sterblichkeitsraten bei Geburten. Nun entledigen sich Frauen auch im 18. Jahrhundert ihrer Ehegatten nicht nur durch Gift, sondern bisweilen schon einmal mit dem Holzknüppel oder der Axt. Solch extreme weibliche Gewalt findet ihre Erklärung im Sadismus des »unedeln Weibes«, wie etwa Knigge festhält. Die weibliche Grausamkeit, so Kord, erscheint als »unavoidable blight on even the happiest marriage« (S. 86).

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Die Fälle von Katharina Wächtler aus dem Jahr 1786 und Christiane Ruthardt aus dem Jahr 1845, die Kord näher beleuchtet, führen die Autorin stärker als die anderen Themenfelder in den Bereich der Rechtsgeschichte. Beide führen in die Debatten um die Abschaffung der Folter und der damit zusammenhängenden Einführung des vollgültigen Indizienbeweises und der freien Beweiswürdigung vor Gericht, ebenso wie der Fall aus dem 19. Jahrhundert mit der Diskussion über die Abschaffung der Todesstrafe einhergeht: Während Wächtler trotz Folter nicht geständig ist und – der reinen Strafrechtstheorie widersprechend – dennoch hingerichtet wird, gewinnt der Fall Ruthardt Brisanz, weil die Angeklagte zwar geständig ist, aber andere Beweise für den Giftmord an ihrem Ehemann ausbleiben. Für die zeitgenössischen Strafrechtsdiskussionen ist dies ein durchaus gewichtiges Problem, denn mit der Einführung des vollgültigen Indizienbeweises und der freien Beweiswürdigung konnte das Geständnis nicht mehr – zumindest nach der juristischen Theorie – als die ›Königin der Beweise‹ angesehen werden (vgl. S. 105).

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Kord macht hier aber eine andere Beobachtung, die über die reine Rechtsproblematik hinausreicht: Während es im juristischen Diskurs und vor Gericht immer um ›Entweder-Oder‹-Entscheidungen geht, zeigt sie, dass im literarischen Diskurs über diese beiden Gattenmörderinnen andere Strategien und Mechanismen wirken: »It is, simply put, the capacity to think in terms of ›and-and‹ rather than ›either-or‹« (S. 104). Damit entzieht sich gerade der literarische Diskurs einer strengen Beurteilung von Ursache und Wirkung, von Allgemeinem und Besonderem, zwischen dem spezifischen Fall und seinen möglichen Konsequenzen; er verfährt nicht nach dem Prinzip in dubio pro reo, sondern nach dem Prinzip des in dubio pro dubio. In einer breiter angelegten Diskussion der Ethik und Ästhetik des Horrors, der in den von ihr in den Blick genommenen Schriften nicht nur durch Detailgenauigkeit glänzt, sondern bisweilen auch an der Schwelle zur Pornographie steht, meint Kord, jenen konzeptionell entscheidenden ästhetischen, dramatisierenden Punkt gefunden zu haben, mit dem die Autoren die breite Leserschaft nicht nur in die moralischen Verwicklungen einführen, sondern auch für die zeitgenössischen Debatten über die Abschaffung der Folter und der Todesstrafe sensibilisieren konnten (S. 120).

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Das Faszinosum der beiden von Kord ins Visier genommenen Gattenmörderinnen ist der in den Berichten inszenierte Stolz, mit dem sie nach ihren Verbrechen auf sich aufmerksam machten und der sich auch dadurch zeigte, dass sie sich auf dem Schafott weigerten, als reuige Sünderinnen aufzutreten. Im Gegensatz dazu arbeitet Kord anhand der ›verführten‹, im literarischen Diskurs immer kindlich stilisierten Kindsmörderinnen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts den Diskurs der schambesetzten Schande heraus. Bei den literarischen Darstellungen von Kindsmörderinnen handelt es sich um Männerfantasien im reinsten Sinn, denn nicht nur ist es ein männlich dominierter Diskurs, sondern auch – was die Differenz von sozialer Realität und literarischer Ausgestaltung betrifft – reine Erfindung, wie Kord anhand der zahlreichen sozialhistorischen und geschlechtergeschichtlichen Literatur zum Thema Kindsmord in wenigen Strichen nachzeichnet (S. 128f.). Während die Differenz zwischen sozialer Realität und literarischer Bearbeitung wiederholt konstatiert wurde, führt Kord aus, dass gerade die philosophischen und die rechtlichen Ausführungen innerhalb der Kindsmorddebatte mit literarischen Fiktionen wenn nicht kausal, so doch über gemeinsame, schon vorhandene Geschlechtervorstellungen (»common ancestor«, S. 133) verknüpft war, die parallele Argumentationsfiguren ausbilden konnten. Mit dem sozialen Konstrukt der ›Geschlechtsehre‹ seien die zentralen Bewertungsmaßstäbe (etwa die Dichotomie von weiblicher Tugend und weiblichem Laster, in den Motiven von Ehre, Scham und Schande) des Kindsmordes schon vorgegeben gewesen. Doch übersieht Kord hier vielleicht etwas die konstruktive, auch popularisierende Funktion der Geschlechterkonzeptionen durch die Beiträge zur Kindsmorddebatte. Kord hebt aber hier einen anderen wichtigen Punkt deutlich hervor, nämlich dass die philosophische Debatte ebenso wie die Kindsmordliteratur die Frage der Klassenspezifik dieses Verbrechens völlig ignoriert, und dass es in den Gerichtsfällen zu Interpretationskonflikten zwischen class und gender kam.

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Giftmord und das Konstrukt des weiblichen Selbst

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Für ihre Ausführungen über den Topos der Giftmörderinnen wählt Kord die Frage, wie hier das weibliche Selbst konstituiert wird. Neben dem Fall der Anna Margaretha Zwanziger, deren Taten von Anselm Feuerbach in Actenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen (1828/29) als Rebellion gegen die herrschende Sozialmoral vorgestellt wurden, wählt Kord als paradigmatischen Fall jenen von Gesche Gottfried, die zur Zeit ihrer Festnahme 1828 fünfzehn Personen vergiftet hatte, weitere fünfzehn Vergiftungsversuche unternommen hatte und 1831 hingerichtet wurde. Gottfried – so würde heute wohl der Boulevard sagen – war ein ›Todesengel‹, denn während sie ihre Familienmitglieder und andere ihr nahestehende Personen vergiftete, kümmerte sie sich rührend um ihre siechenden Patienten. Schon ihre Zeitgenossen rätselten über ihre Motive und ihr Verteidiger und Biograph Friedrich Leopold Voget attestierte Gesche Gottfried eine »todte Oede im Innern«, eine ungeheure moralische Leere, die sich insbesondere dadurch zeigte, dass sie sich jeglichen (Selbst-)Erklärungsversuchen verweigerte.

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Ohne Gottfrieds Taten erklären oder sie aber zu einer Feministin avant la lettre erheben zu wollen, meint Kord, dass Gottfried, indem sie alle ihre Familienmitglieder tötete, jene Familienbande und von der Gesellschaft zugeschriebenen Funktionen zerschlug, die ihr fesselnde, soziale Rollenbilder vorschrieben. So impliziert für Kord die im Fall der Gesche Gottfried geführte Diskussion über den freien Willen – die ihren Verteidiger dazu veranlasste, medizinische Gutachten einzuholen (was vom Gericht abgelehnt wurde) und auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren – allein die intellektuelle Fähigkeit eines persönlichen Beschlusses, gegen gesellschaftliche und sozialmoralische Regeln zu verstoßen. In der Diskussion des freien Willens war jedoch nie die Möglichkeit mitgedacht, »to create a life beyond what society offered to women in the early 1800s, a life beyond the roles of daughter, wife, mother and charitable widow« (S. 181f.). Dennoch wird für Kord in den Äußerungen Vogets deutlich, dass um 1800 das bislang Undenkbare denkbar wird – wenn auch mehr oder weniger versehentlich: dass Frauen buchstäblich über Leichen gehen können, um ihre vorgesehene gesellschaftliche Rolle zu überwinden und sich selbst zu entfalten. Eine Lesart, die dann auch von Adelbert von Chamisso in seinem Gedicht »Die Giftmischerin« (1828) indirekt bestätigt wird, dem der Fall Gesche Gottfrieds Pate gestanden hat. Denn indem Chamisso den Lesern die Gedankengänge der Giftmörderin auf dem Schafott aus deren Perspektive zugängig macht, verstärkt er nicht nur das Grauen über die Gefühlskälte, sondern er evoziert zudem eine sozialkritische Lesart, wenn er der Mörderin die Gedanken einschreibt, ihre Taten seien nur die letzte Konsequenz einer Gesellschaft, die in ihrem Profitstreben über die Leichen anderer gehe.

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Die Anstandsregeln der Hinrichtung

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Im letzten Kapitel diskutiert Kord das weit verbreitete, etwa von Richard van Dülmen oder aber Michel Foucault geschilderte Bild der Hinrichtung als vormodernes »Theater des Schreckens« oder als quasi-religiöses Ritual (Evans), und erweitert es nicht nur, indem sie die gerichtlichen Protokolle als literarische Aufführungsskripte liest, sondern auch dadurch, dass sie die damit zusammenhängende Frage nach der Zivilisierung des Strafens mit Geschlechtervorstellungen verknüpft. Abgesehen davon, dass Kapitalverbrechen von Männern und Frauen unterschiedliche Hinrichtungsarten zugedacht waren, erscheint die Szene der Hinrichtung merkwürdig geschlechterneutral, wie Kord ausführlich darlegt, und doch findet sie in den Beschreibungen der Hinrichtungsspektakel – freilich recht vereinzelte – Nachweise, dass sich die Zuschauer der Differenz zwischen der Hinrichtung männlicher und weiblicher Kapitalverbrecher durchaus bewusst waren. Kord weist darauf hin, dass die Geschlechterproblematik insbesondere bei der Beschreibung der Zuschauer auftauche, dort nämlich, wo insbesondere vom ›Mob‹ gesprochen werde, der für Kord im Anschluss an Gustav le Bons »Psychologie der Massen« – merkwürdig unkritisch – immer weiblich konnotiert sei. Gegen van Dülmen, Foucault, Evans und auch Martschukat betont Kord, dass von den Zuschauern äußerst selten gewalttätige Akte gegen die Repräsentanten der Macht zu befürchten waren, selbst dann, wenn das Ritual der Hinrichtung – Spektakel und pädagogische Abschreckung zugleich – aus dem einen oder anderen Grund scheitern sollte (also meist dann, wenn sich der Henker ungeschickt oder aber die Delinquentin sich uneinsichtig in ihre Schuld zeigte). Kord sieht also im Akt der Hinrichtung weniger das von Foucault im Anschluss an Bachtin betonte karnevaleske Treiben, in dem die Beziehungen zwischen Herrschenden und Beherrschten umgekehrt werden konnten, sondern eine Dimension, die auf »coercion and enforcement of behaviours« ausgerichtet war und die sie als »etiquette of execution« kennzeichnet:

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›Etiquette‹ indicates a code of civilised behaviour imposed from ›above‹ that everyone who wants to belong has to follow. And very nearly everyone wants to belong. Thus executions appeal to the most basic social instincts in humans. Executions, in other words, are hardly antithetical to the concept of ›civilisation‹; if anything, they indirectly define it. They do this in two ways: by expressing society’s code of acceptable behaviour through the punishment of those who have broken the code, and, more significantly, by mobilising the ›willing‹ collaboration of all involved in the execution – its perpetrators, victims and bystanders – as the price of their membership in civilised society. (S. 219, Hervorhebung im Original).
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Allein aus den Schriften der Machthaber spreche also die Furcht vor der (weiblichen) Masse, und diese Masse – so sieht es Kord recht pessimistisch – sei weniger revolutionär als kollaborativ eingestellt.

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Fazit

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Zusammenfassungen haben die etwas artifizielle Tendenz, ein Buch (und eine Kritik) abzurunden, wo doch Heterogenes geschildert werden musste und von Susanne Kord folgerichtig die Form des analytischen Essays gewählt wurde. Und doch bieten sie immer auch die Chanc e, wenigstens einige Hauptlinien zusammenzuführen, die in den zuvor gelesenen Seiten entworfen wurden. Kord verlässt sich darauf, dass mit dem letzten Akt der Rechtssprechung – der Hinrichtung – nicht nur eine Pitaval-Geschichte, sondern auch ein wissenschaftliches Buch enden darf. Die Konsequenz ist, dass man sich schließlich nicht so genau im Klaren darüber ist, wie etwa jene weiblichen Vampire, die als Untote weiter in den Köpfen der Zeitgenossen spuken, mit jenen Mörderinnen in Zusammenhang stehen, die auf dem Schafott nach tagelanger Indoktrination durch die Geistlichen die Gnade des milden Urteils betonen, bereuend die Schneide des Scharfrichters erwarten und damit vorbildhaft gesellschaftliche Anstandsregeln vorführen. Verallgemeinerungen und größere Linien scheuend, die »Nicht-Einheit der Geschichte« 2 praktizierend, gewährt Susanne Kord konzise, gedankenreiche und in der Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur äußerst souveräne und anregende Einblicke in die Vorstellungen über weibliche Devianz an der Schwelle zur Moderne. Ihr Buch regt zur weitergehenden Diskussion über die Frage an, inwieweit die modernen Strafregime als Äußerungen der Humanität oder doch – und hierhin streben selbstverständlich die Ausführungen Kords – als Internalisierung sozialmoralischer und geschlechterkonstituierender Codes zu begreifen sind, gegen die weiterhin Widerstand geboten erscheint.

 
 

Anmerkungen

Helmut Walser Smith: The Butcher’s Tale. Murder and Anti-Semitism in a German Town, New York: Norton 2002, S. 177. [Die Geschichte des Schlachters. Mord und Antisemitismus in einer deutschen Kleinstadt. Göttingen: Wallstein 2002.].   zurück
Vgl. Karin Hausen: Die Nicht-Einheit der Geschichte als historiographische Herausforderung. Zur historischen Relevanz und Anstößigkeit der Geschlechtergeschichte. In: Hans Medick/Anne-Charlotte Trepp (Hg.): Geschlechtergeschichte und Allgemeine Geschichte. Herausforderungen und Perspektiven. (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft, Bd. 5) Göttingen: Wallstein 1998, S. 15 – 55.   zurück