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Der Autor, das Ich, das Bild

Ursula Peters untersucht die Autorbilder volkssprachiger Bilderhandschriften des späteren Mittelalters

  • Ursula Peters: Das Ich im Bild. Die Figur des Autors in volkssprachigen Bilderhandschriften des 13. bis 16. Jahrhunderts. (Pictura et Poesis 22) Köln, Weimar: Böhlau 2008. X, 298 S. 199 s/w, 113 farb. Abb. Gebunden. EUR (D) 59,90.
    ISBN: 978-3-412-18806-1.
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Seit spätestens den 1980er Jahren wissen wir es doch: der Autor ist tot. Sollte man meinen. Über seine Auferstehung wird derzeit – nicht nur, aber auch und vehement – in der Mediävistik diskutiert. 1 Und dazu will auch diese Studie der Kölner Germanistin Ursula Peters beitragen, die mutig den mittlerweile so häufig eingeforderten, aber doch nicht immer trittfesten Schritt über die Disziplinengrenzen gewagt hat und sich in ihren Analysen zwischen Kunstgeschichte, Handschriftenkunde und Altgermanistik bewegt. Entstanden ist das Buch im Rahmen des Kölner Sonderforschungsbereichs 477 »Medien und kulturelle Kommunikation«.

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Die Ausgangsbeobachtung

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Am Anfang steht die Beobachtung, viele Autorbilder mittelalterlicher Handschriften seien mehr als eine bloße Signatur, eine einfache Zuschreibung eines Textes zu einem Verfasser. Vielmehr sei diese häufig geübte Illustrationspraxis »auch an einem den Einzelfall mittelalterlicher Literaturpraxis übergreifenden ›Projekt‹ beteiligt, [nämlich] dem einer zunehmenden Legitimierung und Autorisierung mittelalterlicher Texte über die Kategorie persönlich-biographischer Autorschaft.« (S. 19) Diese Einsicht ist nicht gänzlich neu – gerade in jüngerer Zeit haben etwa Christel Meier 2 oder Sylvia Huot 3 in ähnliche Richtungen gedacht. Die Implikationen dieser Beobachtungen und die Breite ihrer phänomenologischen Veräußerung aber scheinen noch lange nicht gänzlich erfasst; davon zeugt auch die Akzentuierung, die Peters hier vornimmt.

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Eine systematische Geschichte der Autorbilder in volkssprachigen Handschriften will auch Peters nicht schreiben – dafür ist das Material gerade im romanischen Sprachraum zu umfassend und sind die Vorarbeiten noch zu gering. Was sie sich aber vornimmt, ist eine Bestandsaufnahme der »intrikate[n] Relation von Ich-Rede und Autorschaftskonstruktion« (S. 10) in volkssprachigen Bilderhandschriften. Sie unterscheidet dabei drei Typen dieser Relation, nämlich einfachsten Falls (1.) Illustrationen zu mehr oder weniger »explizite[n] textliche[n] Autormarkierungen der Erzählerrede«, ferner (2.) »Verfasserschaftssignaturen der Ich-Aussage« und (3.) »bildliche Umsetzungen von Ich-Reden des Textprotagonisten« (S. 12). Alle drei Typen treten kaum in Reinform, häufig sogar in Überblendungen voneinander auf, produzieren aber, so argumentiert Peters überzeugend, jeweils charakteristisch unterscheidbare Evidenzen der Autor-Ich-Rede-Relation.

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Die große Fülle: das Material und
ein Florilegium an Befunden

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Nicht aber diese Typologie strukturiert die Untersuchung. Peters wählt vielmehr vier groß angelegte case studies, um sich dem Phänomen zu nähern: eine Gruppe romanischer und deutscher Liederhandschriften (S. 20–54), ein Blick in die epische Literatur mit besonders eingehender Diskussion einer Pariser Roman-Handschrift (S. 55–96), ein kurzer, aber dafür umso materialreicherer Parforce-Ritt durch ganz unterschiedliche Bilderzyklen, in denen Autorschaft verhandelt wird (S. 97–117), und schließlich eine ausführliche Behandlung der deutschen und französischen Rededichtung (S. 118–240). Alle vier Großkapitel sind unterschiedlich lang und von unterschiedlichem Anspruch, versammeln je unterschiedliche Genres und mediale Verbreitungsformen. Explizit ausblicksartig wendet sich Peters schließlich noch den Trachtenbüchern des Matthäus und Veit Konrad Schwarz und damit dem 16. Jahrhundert zu (S. 241–249). Das Panorama ist also ein ausgesprochen breites.

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Die zu Anfang in den Blick genommenen romanischen und deutschen Liederhandschriften verknüpfen in der Regel Ich-Rede und Autorgestus vergleichsweise eng miteinander. Dieses Material bildet zugleich die wohl dichteste Überlieferung von Autorbildern in der volkssprachigen Überlieferung des späteren Mittelalters. Besonders reich ist hier der Befund in der Romania, während die einzige Autorsammlung von Liedœuvres mit einer Autordarstellung im deutschen Bereich die beiden Sammlungen mit Liedern Oswalds von Wolkenstein (Wien, ÖBN, Cod. 2777 und Innsbruck, UB, o.Sig.) sind. Dominant bei allen betrachteten Handschriften findet sich die Betonung der verantwortlichen Urheberschaft, die durch Autorbild ebenso wie Autornamen und andere Signaturen deutlich hervortritt. Nur ganz vereinzelt tritt die illustrierende oder kommentierende Funktion in den Vordergrund.

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Ganz anders ist das in der Überlieferung erzählender Texte, die im zweiten Großkapitel betrachtet wird. Hier ist es vor allem das tendenziell problematische Verhältnis zwischen Verfasser, Text und Erzähler, das die Diskussion der Illustrationen bestimmt. Zunächst nimmt Peters gängige Ikonographien der Autorschaftsinszenierung in den Blick, also etwa die Unterrichtungsszene, göttliche Inspiration, der Gelehrte am Schreibpult etc. Dieses Unterkapitel arbeitet eher summarisch und stellt eine große Fülle von Handschriften und Texten zusammen, ohne aber einzelne Detailanalysen vorzunehmen. Das wird eingelöst durch drei anschließende Unterkapitel. Zunächst wird anhand einer Pariser Sammelhandschrift (Paris, Bibliothèque de l’Arsenal, Ms. 3142) das Spannungsverhältnis von schriftlicher Autorschaft und mündlichem Vortrag thematisiert – das eine nicht ganz neue Idee, 4 die hier aber eingehend und stimmig für die Gesamtargumentation neu diskutiert wird. Daran schließen sich Untersuchungen zu Vortragsszenen in Handschriften der Chanson de geste und den Erzählerbildern so unterschiedlicher Texte wie des Wälschen Gasts, Wolframs Willehalm und des Rosenromans an.

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Nachdem in den ersten beiden Großkapiteln vor allem Eingangs- und Titelbilder die Analyse bestimmten, wendet sich Peters im dritten nun zyklisch angelegten Bildprogrammen. Das umfasst so unterschiedliche Texte wie die provenzalische Enzyklopädie Breviari d’amor des Matfre Ermengaud, die Coutumes des Philippe de Beaumanoir oder die Miracles de Nostre Dame des Gautier de Coinci. Peters kann hier sehr feinfühlig aufzeigen, wie vielschichtig die Möglichkeiten solcher Programme seien, die Autorrede bildlich zu konkretisieren. Hier deutet sich besonders drohend die ernüchternde Einsicht an: nicht die eine große Synthese wird man für das Problem »Autorschaftspräsentation« finden, sondern sich mit einem ziemlich bunten Florilegium zufrieden geben müssen.

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Das weitaus umfangreichste ist das vierte Kapitel, das sich Texten der französischen und deutschen Rededichtung, vor allem dem Roman de la Rose und Christine de Pizan, zuwendet. Die deutsche Dichtung, hier vertreten durch eine Reihe von Minnereden (in Handschrift und Frühdruck!), gerät in diesem Kapitel vergleichsweise kurz. Besonders aufschlussreich ist dieses Kapitel mit Blick auf die weit gefächerte Überlieferung von Autordarstellungen Christines de Pizan, die in ganz unterschiedlichen Szenen und ganz unterschiedlichen Positionen innerhalb der Textillustration auftaucht. Diese Beobachtung wird zusätzlich dadurch prekär, dass unter den rund 200 während des 15. und frühen 16. Jahrhunderts in Frankreich, Flandern und Brabant entstandenen Handschriften ihrer Werke immerhin gut 40 als so genannte »presentation copies« oder »autograph manuscripts« eine unmittelbare Nähe zu Christine selbst aufweisen – ja es ist sogar von einer Art »author’s scriptorium« gesprochen worden. 5 Die Vielfalt der Christine-Ikonographie und der Funktion dieser Bilder in der Konkretisierung der Autorschaft, die Peters aufzeigen kann, scheint absolut einzigartig.

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Als wäre nicht der Vielfalt schon genug, setzt Peters an das Ende noch einen Ausblick in das 16. Jahrhundert und auf zwei Werke, die bereits großes Interesse der Forschung auf sich gezogen haben: die Trachtenbücher des Matthäus und Veit Konrad Schwarz. Hier geht es also ganz explizit um das »Ich im Bild«, zeigen sie doch – ziemlich einzigartig – einen fortlaufenden selbstbiographischen Ich-Kommentar in Text und Bild. Auch hier wieder: die große Vielfalt. Und damit hat dieser Ausblick in gewisser Weise doch noch eine zumindest angedeutete Abschlussfunktion: »Damit zeigt sich auch am Ende unseres Durchgangs durch die verschiedenen Möglichkeiten der Autorrepräsentation des Ich im Bild noch einmal jene Vielgestaltigkeit und Offenheit der Konstellation, die uns von Anfang an bei allen Text-Bild-Konfigurationen der Ich-Rede im Sinne einer intermedialen Profilierung von Autorschaft begegnet ist.« (S. 250)

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Der Gesamteindruck

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Peters neigt ein wenig zu langen und verschachtelten Sätzen, was gerade in der Einleitung, die sich durch einen Dschungel hochkomplexer, moderner Theorie- und Thesenbildungen und ausufernder Literatur aus ganz unterschiedlichen Disziplinen kämpft, dem Leser oft einiges abverlangt. Die im Grunde lobenswerte Vorsicht, mit der sie ihre Hypothesenbildung betreibt, tut dazu noch ein Übriges. Dass dabei das Leserbedürfnis nach Synthese enttäuscht wird, muss allerdings in Kauf genommen werden. Nirgends präsentiert Peters ihre Ergebnisse in mundgerechter Zusammenfassung; dafür häufen sich die Querverweise.

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Was als große Synthese hängen bleibt, ist vor allem die Dekonstruktion eines alten, aber andererseits auch nicht mehr dominant behaupteten master narratives: der Entwicklung nämlich von den typisierenden »auctoritas«-Präsentationen des Hoch- und frühen Spätmittelalters zu den individuellen Autorenportraits des 15. und 16. Jahrhunderts. Dieses Bild kann das Buch nachhaltig zerstören. Und nun steht man vor den Scherben.

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Es bleibt ein Buch, das viele kluge Beobachtungen und Fragen aufstellt. Sie sind aber verstreut und oft an unerwarteten Stellen zu finden – etwa die Beobachtungen zur weitgehenden Abwesenheit des Autors in den Illustrationen des Höfischen Romans (S. 20 f.). In summa: dieses Buch will noch gelesen, nicht bloß »zur Kenntnis genommen« werden.

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Der Band wird beschlossen von einem unpaginierten Bildteil, der insgesamt 312 Abbildungen, ungefähr ein Drittel davon in Farbe, die allermeisten in absolut überzeugender Qualität, umfasst. Das ist gerade angesichts des moderaten Preises dieses Buches nicht selbstverständlich, trägt aber natürlich ganz maßgeblich zur Nachvollziehbarkeit der Untersuchung bei. Die knappen Register beschränken sich – hier allerdings sehr sachgemäß – auf Autoren, Werke und Handschriften.

 
 

Anmerkungen

Vgl. nur jüngst noch Ralf Grüttemeier: Die Autorintention im Mittelalter. In: Cord Meyer (Hg.): Vorschen, denken, wizzen. Vom Wert des Genauen in den »ungenauen Wissenschaften«. Festschrift für Uwe Meves. Stuttgart 2009, S. 15–30 oder die bündelnde Einführung von Erich Kleinschmidt: Autor und Autorschaft im Diskurs. In: Thomas Bein u.a. (Hg.): Autor – Autorisation – Authentizität. Tübingen 2004 (= Beihefte zur Editio, Bd. 21), S. 5–16.   zurück
Christel Meier: Das Autorbild als Kommunikationsmittel zwischen Text und Leser. In: Comunicare e significare nell’alto medioevo. Spoleto 2005, S. 499–534; C.M.: Ecce auctor. Beiträge zur Ikonographie literarischer Urheberschaft im Mittelalter. In: Frühmittelalterliche Studien 34 (2000), S. 338–392.   zurück
Sylvia Huot: From Song to Book. The Poetics of Writing in Old French Lyric and Lyrical Narrative Poetry. London u.a. 1987; S.H.: »Ci parle l’aucteur«. The Rubrication of Voice and Authorship in »Roman de la Rose« Manuscripts. In: SubStance 17, 2 (1988), S. 42–48.   zurück
Vgl. Sylvia Huot: From Song to Book (Anm. 3), S. 39–45 und Wagih Azzam / Oliver Collet: Le manuscrit 3142 de la Biblothèque de l’Arsenal. Mise en recueil et conscience littéraire au XIIIe siècle. In: Cahiers de civilisations médiévale 44 (2001), S. 207–245.   zurück
James C. Laidlaw: Christine and the Manuscript Tradition. In: Barbara K. Altmann / Deborah L. McGrady (Hg.): Christine de Pizan. A Casebook. London u.a. 2003, S. 231.   zurück