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Der graue Sack Kriminalroman

Trends statt Genres

  • Vera Nünning (Hg.): Der amerikanische und britische Kriminalroman. Genres - Entwicklungen - Modellinterpretationen. (WVT-Handbuch zum literaturwissenschaftlichen Studium 11) Trier: WVT Wissenschaftlicher Verlag Trier 2008. 260 S. Kartoniert. EUR (D) 24,50.
    ISBN: 978-3-86821-071-2.
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Noch ein Buch über Krimis

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Nach einer langen Flaute erscheint endlich ein neuer deutscher Sammelband zum Krimigenre, der sich zum Ziel setzt, »einen Überblick insbesondere über die neueren Ausgestaltungen des britischen und amerikanischen Kriminalromans zu geben« (S. vi), und unter anderem Beiträge von solchen in der deutschen Krimiforschung bekannten Autoren wie Ulrich Suerbaum und Jochen Vogt enthält. 1 Vera Nünning kündigt in ihrem Einleitungskapitel »einen Überblick über die unterschiedlichen Tendenzen« an, »der sich nicht auf die knappe Erwähnung von vielen Romanen beschränkt, sondern der die Besonderheiten von Subgenres anhand der vertieften Auseinandersetzungen mit einem repräsentativen Werk herausarbeitet [...]« (S. 23).

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»Aber warum noch ein Buch über Krimis?« (S. 22) Diese Frage der Herausgeberin ist tatsächlich berechtigt, wenn man sie auf die angloamerikanische Genreforschung, aber nicht auf die deutsche bezieht. Die neueste allgemeine deutschsprachige Untersuchung zum Detektivgenre, die in die Bibliographie Eingang gefunden hat, ist Peter Nussers Der Kriminalroman (1980) in der Ausgabe von 2003 (jetzt 4. Auflage 2009). Weiterhin maßgebend für alle Beiträge in diesem Band ist Ulrich Suerbaums Krimi. Eine Analyse der Gattung von 1984. Im Gegensatz dazu musste für die englischsprachige Forschung eine strenge Auswahl getroffen werden. Nünning diagnostiziert einen generellen Mangel an Fachliteratur zur Ausdifferenzierung von Subgenres der Detektivliteratur, die zwar vielerorts genannt, aber im Hinblick auf ihre Eigenschaften und Eigentümlichkeiten selten analysiert werden. Doch auch dieser Einwand gilt vorwiegend für die deutsche und nicht so sehr für die englischsprachige Forschungslandschaft.

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Idealtypen

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Der Band ist nach der allgemeinen, kulturwissenschaftlich gehaltenen Einleitung der Herausgeberin in zwei ungleich große Teile gegliedert: Auf drei kurze Kapitel zum Golden Age, zur Hard-Boiled-Schule und zum Thriller als den Hauptsträngen der Genregeschichte folgt der umfangreichere Hauptteil unter dem Titel »Zeitgenössische Ausprägungen des Kriminalromans: Diversifizierung und Hybridisierung«.

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Der kürzere Hauptteil über die ›klassischen Ausprägungen‹ des Genres in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird von Eveline Keitel eröffnet, die sich der Blüte des Detektivgenres im Golden Age der zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zuwendet. Keitel macht zwar das Prototypische der ›Goldenen Epoche‹ deutlich, doch ihr Beitrag wirkt gleichzeitig entwurzelt. Einige einleitende Sätze über die Krimiproduktion der Zeit bis 1920 sowie zu den genretheoretischen Reflexionen zahlreicher Autoren des Genres 2 hätten dazu beitragen können, auch die spätere Krimiproduktion (und die weiteren Beiträge des Bandes) zu verorten und deren Strategien zu plausibilisieren. Aus diesen Zusammenhängen erwähnt die Verfasserin lediglich Ronald A. Knox und S. S. Van Dine, ohne aber die krimibezogenen Diskussionen der 1920er Jahre insgesamt zu rekonstruieren.

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Keitel folgt der Beobachtung Suerbaums, wonach die Leiche »Anlaß und ideelle Mitte der makabren Idylle« ist und die auf »Rationalität, gesundem Menschenverstand und Intuition« gegründete Mordaufklärung »keiner weiteren Gewaltanwendung« mehr bedarf (S. 37). Im Kontrast zwischen der artifiziellen, ja klinischen Szenerie, die durch die Leiche ›verseucht‹ wird, und der sich pervertiert entfaltenden Natur des Menschen liegt eine der Besonderheiten des Golden Age. Leider kommt dieses Argument in dem Kapitel zu kurz, ebenso wie eine Erklärung der Bezeichnung des Golden Age fehlt. Die Verfasserin lässt auch die speziellen Eigenschaften außer Acht, mit denen Christie und die anderen Autoren des Golden Age ihre Ermittlerfiguren ausstatten. Miss Marple ist beispielsweise durch ihre unermessliche Menschenkenntnis charakterisiert, mit der sie erst unschlagbar wird.

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In dieser Hinsicht ist Wolfgang G. Müllers Einführung zu den amerikanischen Prototypen des Tough-Krimis der Hard-Boiled-Schule von Dashiell Hammett und Raymond Chandler gelungener. Die biographischen Fakten über Hammett und Chandler verleihen deren Ermittlerfiguren und ihren Umwelten höhere Plausibilität, und zwar weniger im Hinblick auf die Authentizität, als vielmehr wegen der diskursiven Verortung der Entstehungsumstände der Tough-Guy-Schule und der Atmosphäre der Romane: »[J]e korrupter die Gesellschaft, umso integerer der Detektiv« (S. 45). Im Rahmen der Analyse des Romans Farewell, My Lovely (1940) von Raymond Chandler werden kurz die Handlung und die Hauptfigur Philip Marlowe so skizziert, dass auch die paradigmatischen Züge der Hard-Boiled-Literatur sichtbar werden. Die Unterkapitel sind sinnvoll verschiedenen Elementen wie dem Protagonisten und der antagonistischen Femme Fatale, dem Raum, dem Stil und den Dialogen gewidmet, also den Bausteinen des Hard-Boiled-Krimis, durch die er als Formula-Genre charakterisiert wird. 3

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Bernd Hirsch beginnt seinen Überblick zum Thriller mit einem gewinnbringenden Exkurs zur Frage nach der Herkunft der Bezeichnung ›Thriller‹. 4 Hirsch zeichnet den weiten Weg nach, der vom Gangsterroman (zum Beispiel Edgar Wallace’ The Four Just Men, 1905) zum Psychothriller am Anfang der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts zurückgelegt wurde.

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Das Kernstück der Analyse bildet der Roman The Talented Mr Ripley (1955) von Patricia Highsmith. Der Verfasser schreibt, dass der Roman gegen die bis dahin geltenden Genrekonventionen des Thrillers verstößt, etwa gegen das Prinzip ›der poetischen Gerechtigkeit‹: Der Protagonist und mehrfache Mörder Tom Ripley kommt unbestraft davon und ist trotzdem Sympathieträger. Der Roman erzählt von Tom Ripley, dessen Morde weder bewertet noch moralisiert werden und nur hässlich sind. Insofern stellt dieser Roman keinen Prototypen dar. Die Analyse konzentriert sich auf die Negierung der herkömmlichen und etablierten Elemente des Thrillers, hauptsächlich aber darauf, wie die Figur des Mörders im Erzählen aufgebaut wird. Der Verfasser zeigt besonders überzeugend, dass die Figur Ripley ohne die Kenntnis des Dandy- und Gentlemankults nicht angemessen gewürdigt werden kann. Doch da, wie Hirsch im Fazit schreibt, die Ripley-Romane »ein weitgehend singuläres Phänomen geblieben« sind (S. 69), stellt sich die Frage, wie sie eine ganze Epoche der Geschichte des Krimigenres repräsentieren sollen und in die paradigmatische Reihe eingegliedert werden können. Es fehlt zum Beispiel eine ausführlichere Anbindung an Margaret Millar, die eine der Vorreiterinnen des Psychothrillers war, sowie eine Anknüpfung an andere Repräsentanten des Subgenres. An dieser Stelle kündigen sich bereits die ersten Ungereimtheiten der Struktur des Bandes an, auf die noch später hingewiesen werden wird. Zunächst soll jedoch in thematischer Bündelung auf weitere Beiträge des Bandes eingegangen werden.

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Diffuser Thriller

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Neben Bernd Hirsch fokussieren auch Thomas Michael Stein und Peter Hühn Ausschnitte der Thrillergeschichte.

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Stein betrachtet das Werk von Thomas Harris und setzt (nach dem vorausgehenden Versuch Hirschs) erneut mit einer definitorischen Erläuterung an, die allerdings etwas irritierend wirkt, wenn der Verfasser im selben Absatz behauptet: »Der Thriller ist als klassifikatorischer Terminus mithin dermaßen diffus, dass er für das Verständnis von Thomas Harris’ Werk wenig hilfreich ist« (S. 121). Nach einer Zusammenfassung der Merkmale des Subgenres der Serial-Killer-Novel analysiert Stein die Hannibal-Lecter-Romane. Er untersucht zunächst (recht knapp) die Struktur, dann die einzelnen Merkmale, die das Subgenre konstituieren. Eines davon ist das Element des Neo-Gotischen, das in sämtlichen neueren Genreausprägungen eine eminente Rolle spielt und in diesem Band sonst kaum berücksichtigt wird. Die Analyse des Einflusses des Police Procedural auf Harris’ The Silence of the Lambs (1989) gerät etwas zu kursorisch (vgl. dazu aber den Beitrag von Sascha Feuchert zu Ian Rankin). Stärker zu betonen wären auch die Profiling-Darstellungen, denn Thomas Harris’ Werk ist eines der herausragenden Beispiele für die Spiegelung dieser polizeilichen Praxis im Krimigenre seit den 1990er Jahren.

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Peter Hühn führt in seinem Kapitel über Ruth Rendell die Unterscheidung zwischen dem Verbrechens- und Detektivroman ein. Im Gegensatz zum (klassischen) Detektivroman, in dem die Ermittlung im Mittelpunkt der Darstellung steht, »richtet sich die Perspektive des Verbrechensromans auf die andere Seite des Normen verletzenden Verhaltens, die Genese und Verübung eines Verbrechens«. Diese zwei Typen seien »somit konträr organisiert« (S. 197). Ruth Rendell ist in beiden Subgenres tätig und neben P. D. James und Elizabeth George eine der erfolgreichsten Autorinnen in Großbritannien. Die Innovation der Romane Rendells sieht Hühn in ihren psychologischen Verbrechensdeutungen, für die er allerdings auch Patricia Highsmith und Michael Dibdin anführt. Die Verbindung der konträren Fokussierungen ist für den Thriller konstitutiv, deshalb ist zu bedauern, dass Hühns Beitrag keine Bezüge zur Geschichte dieses Subgenres und zu den beiden vorausgehenden Beiträgen sucht.

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Schwarze, Frauen
und schwarze Frauen

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Antje Dallmann diskutiert mit Walter Mosley und Rudolfo Anaya Autoren des ›ethnischen‹ Subgenres. Die Eigenschaften dieser ›Randgruppe‹ werden sehr deutlich herausgearbeitet. Die Romanreihe Anayas mit dem Privatermittler Sonny Baca, einem ›Chicano‹, spiegelt die Suche einer kulturellen Minorität nach dem Einklang mit der umgebenden westlichen Kultur, der eigenen Kultur sowie der Natur, in der die eigene Kultur verwurzelt ist. Insofern muss dieses Subgenre in einem weiteren kulturellen Kontext verstanden werden, und der Verfasserin gelingt es, dieses Verständnis herzustellen. Angelehnt an die Traditionen sowohl der Hard-Boiled-Texte sowie der ›postkolonialen‹ Literatur, behandeln diese Romane ein gewaltsames Aufeinandertreffen von Kulturen und sind »als subversiver Ausdruck einer Gegenkultur« anzusehen, die »Diversität und Hybridität der traditionellen Vorstellung von Homogenität der westlichen Kultur entgegensetzt« (S. 92). Zu Recht weist Dallmann darauf hin, dass mehrere Romane dieser Untergattung auch als historische Detektivromane gelesen werden können, da sie beispielsweise die Rassendiskriminierungsfragen der Vergangenheit aus der gegenwärtigen Perspektive aufarbeiten (S. 94). Dallmann sieht sowohl die Romane Mosleys als auch Anayas in einem Gesamtkontext, in dem jeweils verschiedene Dimensionen betont werden. Dadurch gewinnt der Leser eine vollständigere Sicht auf die Figuren und die besondere Machart der Romane des ethnischen Subgenres.

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Auch Dorothea Fischer-Hornung behandelt die ethnische Thematik, doch mit dem zusätzlichen Aspekt der Genderproblematik. Die Autorin Barbara Neeley ist schwarz und weiblich – also »[d]oppelt marginalisiert«. Die drei Dimensionen, die in den Romanen Neeleys (und ihrer Kollegin Charlotte Carter) zusammentreffen sind Gender, Klassengesellschaft und Selbsteinschätzung (der schwarzen Frauen). 5 Innerhalb dieses Rahmens bewegen sich die recht klassisch angelegten Ermittlerfiguren.

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Wiederholt zeigt sich ein struktureller Mangel des Bandes: Dieser thematische Aspekt hätte ebenso gut seinen Platz in den vorausgehenden Kapiteln als Spezialtyp des ethnischen Krimis finden können. Denn auch hier werden Fragen der Kulturkonflikte behandelt (schwarz – weiß; arm – reich; gebildet – ungebildet etc.), Fragen der Rassensegregation und des nach wie vor vorhandenen Sklaventums. Dafür spricht auch die bemerkenswerte anschließende Bibliographie, in der nicht nur feministische Autorinnen verschiedener Ethnien vorgestellt, sondern auch Autorinnen und Autoren genannt werden, die Fragen sexueller Minderheiten aufgreifen.

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Forensik

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Das Kapitel über den forensischen Kriminalroman, der vielerorts entweder unbeachtet bleibt oder im besten Fall marginal angesprochen wird, obwohl die ersten Beispiele dieses Subgenres bereits in den 1990er Jahren publiziert wurden, ist eines der wenigen, das ein aktuelles Subgenre vorstellt und auf seine mediale Verankerung eingeht. Es stellt die derzeit neben Patricia Cornwell bekannteste Autorin Kathy Reichs vor, die diesen Typus weitgehend geprägt hat und Einfluss durch die in dem Kapitel genannte TV-Serie Bones (Fox, 2005 ff.), deren Mitproduzentin sie ist, auch auf andere Medien ausübt. Als zwei neue Tendenzen werden hier die Frau als Protagonistin sowie die Bedeutung von Wissenschaftlichkeit genannt, weshalb die Verfasserinnen (Dorothee Birke, Stella Butter, Marion Gymnich) diese neue Tendenz »scientific turn« (S. 136) nennen und Verbindungen zu den klassischen Detektivfiguren des 19. Jahrhunderts herstellen. Neben Reichs, Simon Beckett und Karin Slaughter, die als paradigmatisch für das Subgenre genannt werden, wäre als ebenso interessanter Autor noch Jefferson Bass zu erwähnen.

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Hybrid – Hybrider – am Hybridesten

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Raimund Bogmeier leitet den zweiten Teil des Bandes ein, der den »Zeitgenössische[n] Ausprägungen des Kriminalromans« gewidmet ist. Die Überschrift des Kapitels bereitet die ersten Irritationen: »Historische Kriminalromane aus der Sicht der Gegenwart: Josephine Tey«.

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Borgmeier führt zunächst zwei aktuelle Beispiele des historischen Kriminalromans an, Jed Rubenfelds The Interpretation of Murder (2006) und Mark Mills’ The Savage Garden (2007), die zwei Zugangsweisen des historischen Detektivromans vertreten. Im ersten Fall handelt es sich um eine Begebenheit in der Vergangenheit (New York, 1909), im zweiten um einen vergangenen Vorfall, der Auswirkungen bis in die Gegenwart hat (16. Jahrhundert und 1958). Die zwei Spielarten, so nennt sie Borgmeier, ergeben sich zwanglos aus der Erweiterung der Zeitkonvention des Detektivgenres, den zwei gegenläufigen Dimensionen der Vergangenheit und der Gegenwart.

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Zentral für Borgmeier ist jedoch Josephine Tey, die seit ihrem Roman The Daughter of Time (1951) als die paradigmatische Verfasserin einer dritten Art, nämlich der »transhistorischen« 6 Detektivromane gilt. Die Autorin Josephine Tey lebte von 1896 bis 1952 und schrieb ihre Werke von 1927 bis zu ihrem Tod. Insofern repräsentiert sie noch das Golden Age, obwohl sie erst nach dem Zweiten Weltkrieg populär wurde. Daher ist die Wahl der Autorin als der exemplarischen und gegenwärtigen Vertreterin dieser Strömung etwas out of date. An der Stelle von Tey hätten Autoren wie Philipp Kerr, Ariana Franklin, Anne Perry, Julian Symons, Max Allan Collins und viele andere berücksichtigt werden können.

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Krimi oder nicht?

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Abschließend bietet der Band zwei Retrospektiven über das Detektivgenre.

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Ulrich Suerbaum stellt den »gehobenen Kriminalroman« vor, wie er von P. D. James vertreten wird. Dieses Kapitel hätte seinen Platz am den Anfang des Bandes finden können, denn es fasst in essayistischer Weise knapp die Hauptmerkmale des Genres in einer definitionsartigen Aussage zusammen: »Der Krimi ist ein geschlossenes System; man kann die Begrenzungen, die ihn konstituieren, nicht einfach rückgängig machen« (S. 182). Den »gehobenen« Kriminalroman kennzeichnet Suerbaum durch »eine komplexere Charakterisierung und eine differenziertere Innensicht der Figuren, die deren Persönlichkeit, Verhalten und Beziehungen offen legt und einsichtig macht« (S. 183 f.).

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Suerbaum untersucht mit A Taste for Death (1986) und The Lighthouse (2005) zwei Romane der Autorin und macht die Kontinuität der Merkmale im Werk von P. D. James deutlich. Suerbaum spricht nicht von einem Subgenre. Vielmehr geht es ihm um die Bandbreite des spielerischen und nicht-spielerischen Umgangs mit Genrekonventionen im Werk der Autorin. Die Unterscheidung von »serious novel« und »detective novel«, deren Zusammenkommen P. D. James zu vertreten beansprucht, scheint dem Verfasser selbst uneindeutig zu sein (S. 185). Er wählt deshalb die Bezeichnungen »der gehobene Kriminalroman« oder »Krimi Plus«, der in den Genregrenzen seinen, wenn auch umstrittenen Platz findet.

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Jochen Vogts Beitrag handelt über »[e]rweiterte Erzählformen« und lässt das Genre abschließend noch einmal Revue passieren: »Der Kriminalroman bezieht sich auf die reale (oder sagen wir besser: auf eine als real existierend vorgestellte) Welt und die Handlungen ihrer Menschen: Er ist Mimesis von Praxis« (S. 225). Es ist ein schönes Schlusskapitel, das einzelne Stationen der Genregeschichte erhellt. In seiner Dichte sticht es allerdings aus der Struktur des Bandes ein wenig heraus und bewegt dazu, zur anschließend genannten weiterführenden Forschungsliteratur zu greifen, was sicher ebenfalls ein von der Herausgeberin gewünschtes Ergebnis ist.

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Fazit

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Für Leser, die nur oberflächlich mit dem Genre und seiner Geschichte vertraut sind, wäre der Zugang erleichtert worden, wenn Themenüberschneidungen vermieden worden wären. Exemplarisch betrifft das den Thriller, ein sehr einflussreiches und äußerst hybrides Subgenre, der in den Kapiteln vier, acht und dreizehn behandelt wird. Auch wenn der Ansatz der ›Modellinterpretationen‹ sehr hilfreich ist, ist die Anlage des Bandes zwar breit, wirkt aber doch zersplittert, so dass er an Einheitlichkeit und Übersichtlichkeit einbüßt.

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Es konnte nicht darum gehen, den »amerikanischen und britischen Kriminalroman« im Allgemeinen zu erfassen. Wie schon bei Suerbaum zitiert, ist der Krimi ein System von Werken, die das Genre konstituieren »und sich Gattungsregeln und -konventionen unterwerfen« 7 oder sie dekonstruieren. Es geht also um »Entwicklungen«, »Modellinterpretationen«, »neuere[ ] Ausgestaltungen« (S. vii) der »Variationsgattung« 8 Krimi im Speziellen. Dabei bleiben leider zum Beispiel zwei der neuesten und blühendsten Entwicklungen unberücksichtigt, nämlich der Öko-Krimi (ecological / eco crime fiction 9 ), der in Deutschland beispielsweise durch Frank Schätzing vertreten wird, und die Trash-Sparte der Cozy- oder Chick-Detective-Fiction. 10

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Insgesamt sind die kommentierten Teilbibliographien sehr hilfreich, beschränken sich jedoch oft auf die eine Autorin oder den einen Autor, der beziehungsweise die im Kapitel schon eingehend diskutiert wird. Leider gibt es weder einen Register noch eine Gesamtbibliographie, sondern eine gesonderte kommentierte Selektion allgemeiner Einführungen. In dieser Reihe wären auch die folgenden aktuellen Untersuchungen zusätzlich zu empfehlen (um nur einige zu nennen):

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Johannes Willem Bertens / Theo D‘haen: Contemporary American Crime Fiction (2001), Susan Rowland: From Agatha Christie to Ruth Rendell (2001), Lawrence Frank: Victorian Detective Fiction and the Nature of Evidence (2003), Richard J. Bleiler: Reference and Research Guide to Mystery and Detective Fiction (2004), Charles J. Rzepka: Detective Fiction (2005), Heather Worthington: The Rise of the Detective in Early Nineteenth-Century Popular Fiction (2005), LeRoy Lad Panek: The Origins of the American Detective Story (2006), Robert Rushing: Resisting Arrest (2007).

 
 

Anmerkungen

Vgl. Howard Haycraft (Hg.): The Art of the Mystery Story: A Collection of Critical Essays. New York: Caroll & Graf 1974 [1946]. Teilweise übersetzt in Jochen Vogt (Hg.): Der Kriminalroman. Zur Theorie und Geschichte einer Gattung. 2 Bde. (UTB 81, 82) München: Fink 1971.   zurück
Vgl. John G. Cawelti: Adventure, Mystery, and Romance. Formula Stories as Art and Popular Culture. Chicago, London: The University of Chicago Press 1976.   zurück
Vermisst werden wenigstens Hinweise darauf, dass der (deutsche) ›Sensationsroman‹ nicht eine Unterart des Detektivgenres ist, sondern eine viel längere Tradition hat.   zurück
Lee Horsley: Twentieth-Century Crime Fiction. Oxford, New York: Oxford University Press 2005, S. 235.   zurück
John Scaggs: Crime Fiction. London, New York: Routledge 2005, S. 129.   zurück
Ulrich Suerbaum: Warum Macbeth kein Krimi ist. Gattungsregeln und gattungsspezifische Leseweise. In: Poetica 14 (1982), S. 113– 133.   zurück
Ulrich Suerbaum: Der gefesselte Detektivroman. Ein gattungstheoretischer Versuch. [1967] In: Jochen Vogt (Hg.): Der Kriminalroman (Anm. 2), Bd. II, S. 437–456, hier S. 442.   zurück
Vgl. z.B. Ann Cleeves, James W. Hall, Carl Hiaasen, Carolyn Keene, James A. Moore, Jeremy Robinson, Dana Stabenow.   zurück
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Vgl. z.B. Rhys Bowen, Carola Dunn, Ann Granger, C. S. Harris, Deanna Raybourne, Victoria Thompson.   zurück