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„hübsch gemolt“ - gut beschrieben

Eine spätmittelalterliche Historienbibel präsentiert sich der Öffentlichkeit

  • Lieselotte E. Saurma-Jeltsch: Pietät und Prestige im Spätmittelalter. Die Bilder in der Historienbibel der Solothurner Familie vom Staal. (Veröffentlichungen der Zentralbibliothek Solothurn 30) Basel: Schwabe & Co. 2008. 431 S. 111 Abb. Gebunden. EUR (D) 61,50.
    ISBN: 978-3-7965-2415-8.
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»vil hübscher bücher, geistlich oder weltlich, hübsch gemolt« – so beschreibt eine Notiz in einer heute Berliner Handschrift des Flore und Blanscheflur die Erzeugnisse der Hagenauer Lauber-Werkstatt. 1 Mit dem vorliegenden Band wird eine deutschsprachige Historienbibel dieser Werkstatt aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zugänglich gemacht, die heute in der Solothurner Zentralbibliothek unter der Signatur S II 43 verwahrt wird. Für die Herausgabe und Untersuchung der Handschrift hat die Direktion ›wissenschaftliche Bestände und Sammlungen‹ der Solothurner Zentralbibliothek die Heidelberger Kunsthistorikerin Lieselotte Saurma-Jeltsch gewinnen können. Die Verfasserin, eine durch eine ganze Reihe von Arbeiten ausgewiesene Expertin für die Handschriften der Lauber-Werkstatt, 2 hatte bereits vor einigen Jahren auf die lohnenswerte Aufgabe hingewiesen, mehr als nur die wenigen bislang bekannten Abbildungen zugänglich zu machen. 3 Dank einer Vielzahl öffentlicher und privater Spender liegt diese Untersuchung nun im Druck vor.

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Die Handschrift

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Historienbibeln des 15. Jahrhunderts gibt es nicht wenige im deutschen Sprachraum. Nicht alle sind illustriert – eine absolute Seltenheit ist aber auch das nicht. Die Heidelberger Universitätsbibliothek beispielsweise hat unlängst noch mit dem Cod. pal. germ. 60, 4 die Staats- und Landesbibliothek Dresden mit dem – teilweise ebenfalls Lauber’schen – Mscr. Dresd. A. 50 5 jeweils spannende Vertreter dieser Tradition kostenfrei im Internet zugänglich gemacht. Was macht diese Handschrift also so besonders?

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Sofort ins Auge fallen dürfte jedem Betrachter, der das Original vor Augen hätte, dessen Überformat: rund 38 cm hoch und 26 breit sind die meisten der 450 Blätter, die diese Papierhandschrift umfasst. Das allein ist ungewöhnlich und erforderte ungewöhnliche Verarbeitung. In der Tat liegt hier keine Zusammenbindung mehrerer Lagen von Papierbögen vor, wie das als Regelfall bekannt ist, sondern es wurden im Gegenteil die angekauften Papierstrazzen noch ausgefaltet, um sie als großes Einzelblatt verwenden zu können. Auf den Reproduktionen kann man das sehr schön durch den deutlich erkennbaren Mittelfalz nachvollziehen. Das ist, wie Saurma-Jeltsch schon in ihren früheren Arbeiten hat aufzeigen können, eine ganz charakteristische Technik für die Arbeitsweise der früheren Lauber-Werkstatt. Hier allerdings haben wir es mit einem Codex aus deren späterer Wirkungszeit zu tun, was die Sache ungewöhnlicher macht. So oder so: schon der hohe Papieraufwand machte eine solche Handschrift zu einem teuren Unterfangen.

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Dieser besondere Anspruch zeigt sich auch in der Ausführung des Werks. Die klare Ausführung der Schrift ist durchgängig von einer Hand vorgenommen worden; wohl demselben Schreiber, der auch zwei andere bekannte Historienbibeln kopierte. 6 Entsprechend werden auch beide von der Verfasserin immer wieder zu Vergleichszwecken herangezogen. Zwei in separater Werkstatt entstandene Prachtinitialen – auch dies ein »Alleinstellungsmerkmal«, weil selten in den Lauber’schen Handschriften – und insgesamt 71 großformatige Illustrationen begleiten den Text der Handschrift, die jeweils zwischen etwa zwei Dritteln und drei Vierteln einer Seite einnehmen. Kräftiges Grün und Rot dominieren, daneben kommen auch Gelb und Blau zum Einsatz.

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Die Handschrift stammt aus dem Besitz der Solothurner Familie vom Staal. Der Auftraggeber ist nicht eindeutig zu identifizieren, wohl aber einzugrenzen. Im Besitzervermerk nennt sich Hans Jakob vom Staal: »Dis buoch ist min Hanns Jacobs vom Stall, Johannsen zum Stall Stattschriberß Sun zuo Solothurn«, heißt es auf dem Vorsatzblatt. Darunter sehen wir das Familienwappen, die Greifenklaue, das den vom Staal 1487 von Kaiser Maximilian per Wappenbrief verliehen wurde. Vieles spricht aber dafür, dass nicht der Sohn, sondern der Vater, hoch angesehener und offenbar auch vermögender Ratsschreiber mit einem ausgedehnten diplomatischen Itinerar, Auftraggeber der Handschrift gewesen ist. Das alles führt Saurma-Jeltsch mit überzeugenden Argumenten aus der Familiengeschichte und wiederholten Bezügen zum Illustrationsprogramm der Handschrift vor Augen.

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Die Reproduktion

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Zur Herausgabe der Handschrift ist der Weg eines umfänglich kommentierten Tafelwerks, kein Vollfaksimile, gewählt worden. Das hat für den Textforscher natürlich beklagenswerte Konsequenzen – etwa, wenn das von Saurma-Jeltsch zu Recht als besonders interessant betonte Register (S. 18–20) nur durch zwei reproduzierte Blätter exemplarisch vorgestellt wird. Das Bildprogramm allerdings ist vollständig wiedergegeben und umso eingehender kommentiert worden. Alle Reproduktionen werden ganzseitig und in Farbe gegeben, während das umfangreiche Vergleichsmaterial leider nicht farbig, aber durchweg in ebenso hoher Qualität reproduziert worden ist.

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Bei der Textpräsentation ist eine klare Entscheidung zugunsten erleichterten Zugangs getroffen worden: So wird den hilfreichen Nacherzählungen der biblischen Geschichten, die die Besprechung der Illustrationen begleiten, durchweg die Einheitsübersetzung zugrunde gelegt und nur hier und da einmal auf die Fassung der Vulgata verwiesen. Das kommt natürlich einer breiteren Leserschaft deutlich zugute, wird aber der eine oder andere Spezialist, der mit anderen Interessen an den Band herantritt, als methodisch fragwürdig bekritteln. Gleiches gilt für die durchweg normalisierten, sparsamen Zitate aus dem Text, die nicht nur sämtliche Kürzungen und Ligaturen auflösen, sondern auch u / v-Vertauschungen ihrem Lautwert angleichen und auf die Wiedergabe diakritischer Zeichen vollständig verzichten. Dass hier eine editorisch nun einmal zu treffende Entscheidung zugunsten eines breiteren Publikums gefallen ist, scheint aber doch gerade angesichts der starken Einbindung einer offenbar interessierten Öffentlichkeit in die Finanzierung des Projekts opportun.

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Die Untersuchung

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Im Mittelpunkt stehen entsprechend weniger kodikologische oder textgeschichtliche Untersuchungen – beides freilich wird gewissenhaft in der Einleitung abgearbeitet –, sondern die Illustrationen, die Saurma-Jeltsch aus langjährig erworbener Expertise heraus dem anonymen Maler B der Lauber’schen Werkstatt zuordnen kann. Auch er zeichnet noch für eine weitere Historienbibel verantwortlich, die jedenfalls bis vor kurzem – und wie es den glücklichen Anschein hat, nun vielleicht doch: noch immer – in Köln verwahrt wurde beziehungsweise wird. 7 Mit viel Feingefühl weist sie auf seine charakteristischen ikonographischen Routinen hin, dechiffriert Anspielungen und bringt zahlreiche Querverweise bei. Besonders spannend dürften hier die oft versteckten Hinweise auf ein zeitgenössisch vergleichsweise neues Medium, den Kupferstich sein, die Maler B mit viel Raffinesse in seine Arbeiten einfließen lässt – etwa, wenn er bei der Illustration zur Marien-Vision des Kaisers Augustus weitgehend einen bekannten Kupferstich des Meisters E.S. zitiert (S. 315 mit Abb. 94) 8 anstatt sich an der gängigen Ausführung anderer Historienbibeln zu orientieren. Fraglich muss bleiben, ob man hinter dieser Entscheidung den Künstler oder den Auftraggeber sehen möchte.

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Neben diesen Vergleichen besteht eine große Stärke dieser Ausgabe in der eingehenden ikonographischen Kommentierung sowohl in sachkultureller als auch symbolischer Hinsicht: Kleidung, Rüstungen, Gebäude, aber eben auch Gesten und Handlungen – das alles wird kundig und detailliert erläutert.

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Dass im Übrigen die Illustrationen im Gliederungssystem der Handschrift mitgedacht wurden, deutet ein Vermerk im Kapitelverzeichnis zur Nuwen Ee an (fol. 308va: »Hie hebet sich an des buoches Cappittel und saget von dem leben unser lieben frouwen und irs lieben kindes und ist die nuwe Ee mit den figuren gemolet«) und kann Saurma-Jeltsch auch im Rahmen ihrer Studien immer wieder bekräftigen.

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Fazit

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Insgesamt ist das ein sehr lehrreiches und spannendes Buch, das sachkundig und jargonfrei in die Bild- und Vorstellungswelten eines gebildeten Stadtbürgers des ausgehenden Mittelalters einführt und damit sein Publikum, eine interessierte Öffentlichkeit, genauso erreichen dürfte wie die engere Fachwelt der Kunstgeschichte, denen reiches Material aus einer wichtigen Werkstatttradition zugänglich gemacht worden ist. Auch die verlegerische Ausführung des gewichtigen, großformatigen Bandes verdient in diesem Zusammenhang angesichts sauberer Bindung, klarem Satz und – das natürlich am wichtigsten: – Handschriftenreproduktionen in bestechender Qualität ein Lob.

 
 

Anmerkungen

Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 18, fol. 2v. Vgl. dazu die kontrovers aufgenommene Arbeit von Christoph Fasbender: »húbsch gemolt« – schlecht geschrieben. Kleine Apologie der Lauber-Handschriften. In: ZfdA 131 (2002), S. 66–78, an dessen Titel ich mich erlaubt habe anzuschließen. Zu seinen Arbeiten stellt sich Saurma-Jeltsch im hier vorliegenden Band sehr kritisch (S. 385, Anm. 14).   zurück
Neben zahlreichen kleineren Arbeiten vgl. nur ihre Berliner Habilitationsschrift: Spätformen mittelalterlicher Buchherstellung. Bilderhandschriften aus der Werkstatt Diebold Laubers in Hagenau, 2 Bde. Wiesbaden: Reichert Verlag 2001 – dort wird auch die Solothurner Historienbibel bereits diskutiert.   zurück
Lieselotte E. Saurma-Jeltsch: »Mit den figuren gemolet«. Die Funktion der Illustrationen in der Solothurner Historienbibel – Ein Desiderat der Forschung. In: Jahrbuch für Solothurnische Geschichte 79 (2006), S. 121–136.   zurück
http://diglit.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg60. Diese Handschrift wird im Übrigen offenbar, obschon räumlich und zeitlich nah, nicht verglichen und taucht auch nicht im Register (S. 417–420) auf.   zurück
http://digital.slub-dresden.de/sammlungen/titeldaten/278759602. Diese Handschrift wird an verschiedenen Stellen von Saurma-Jeltsch zum Vergleich herangezogen.   zurück
Hamburg, Cod. 7 in scrin.; Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek, Cod. Guelf. I.15 Aug. 2o (Saurma-Jeltsch, Buchherstellung, wie Anm. 2, Katalog-Nrn. 27 und 80).   zurück
Köln, Historisches Archiv der Stadt, W 250.   zurück
Berlin, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 725–1.   zurück