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Literaturgeschichte entlang der Rechtsgeschichte?

Zur schwierigen Beziehung von Justiz und Kunst

  • Claude D. Conter (Hg.): Justitiabilität und Rechtmäßigkeit. Verrechtlichungsprozesse von Literatur und Film in der Moderne. (Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 73) Amsterdam / New York: Rodopi 2010. 286 S. Hardcover. EUR (D) 57,00.
    ISBN: 978-90-420-2837-1.
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Über das Verhältnis von Recht und Literatur ist viel geschrieben worden – doch wurde die theoretische Perspektive stets angemessen gewählt? Der von Claude D. Conter herausgegebene Band Justitiabilität und Rechtmäßigkeit 1 will die Betrachtung des teilweise angespannten Verhältnisses zwischen Jurisprudenz und Literaturwissenschaften zwar nicht um eine radikal neue Perspektive erweitern, ihr aber einen deutlichen Akzent zugunsten eines Verständnisses von Recht als einer für den Literatur- und Filmbetrieb hochgradig relevanten literatursoziologischen Kategorie verleihen. In Anlehnung an Luhmanns systemtheoretischen Ansatz propagiert der Herausgeber die Idee, die Geschichte der Literatur könne auch entlang eines Verrechtlichungsprozesses beschrieben werden, der parallel läuft zu dem anderen Prozess der literarischen Moderne – der Selbstimmunisierung von Literatur im Verhältnis zu anderen Systemen (S. 12).

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Dabei wird das äußerst ambivalente Verhältnis zwischen dem juridischen System und der Kunst nicht übersehen: Gesetze und Rechtsprechung sorgen einerseits für die Begrenzung künstlerischer Werke durch indirekte Zensur und Reglementierung, schützen andererseits aber auch die Freiheit ihrer Herstellung und Verbreitung. Conter hat sich zum Ziel gesetzt, die Wechselwirkungen zwischen Literatur und Film auf der einen, und dem Recht auf der anderen Seite in einem weiteren Rahmen zu beleuchten, als dies bislang überwiegend geschehen ist. Der einfache Grundgedanke dabei lautet, dass Recht stets – vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart – ein mindestens ebenso konstitutives Element für die Literatur war und ist wie etwa die Politik oder die Ökonomie des Marktes (S. 10f.).

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Literaturgeschichte als Rechtsgeschichte

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Nimmt man diesen Gedanken ernst, so können sich die Analysen nicht auf das beschränken, was bei der Thematisierung von Literatur und Recht immer noch im Mittelpunkt des Interesses steht: verbotene Bücher, angeklagte Literaten oder das Verbrechen als Gegenstand für die Literatur. Völlig zu Recht weist Conter darauf hin, dass auch die nicht mit dem Justizsystem in Konflikt geratene Literatur als »vom juridischen Referenzrahmen nachhaltig geprägt zu beschreiben ist« (S. 20). Insbesondere die Entwicklungen im Urheberrecht, das durch globale elektronische Mediennetze vor einer Reihe ungelöster Probleme steht, aber auch das Presserecht, das Strafrecht und die zivilrechtlichen Schutzinstrumente zugunsten des individuellen Persönlichkeitsrechts geben einen Rahmen vor, der auch für die große Mehrheit der nicht inkriminierten Literatur prägend sein dürfte. Diese konstruktivistische Vermutung ist plausibel, wenn auch mit empirischen Maßstäben schwer nachzuweisen.

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Dem weit verstandenen Gegenstandsbereich entsprechend enthält der Sammelband ein eigenes Kapitel über »Urheberrecht, Copyright, Kreativität – Literatur zwischen Gerechtigkeit und Rechtsverletzung« mit Beiträgen von Robert Gillett, Astrid Köhler und Stephan Packard. Literaturwissenschaftliche Grundlagen der Thematik werden in einem mit »Tabu, Poetizität, Reflektion – Literatur an den Grenzen ihrer Rechtmäßigkeit« überschriebenen Abschnitt thematisiert. Der Schwerpunkt der Beiträge befasst sich aber mit den Konstellationen, in denen Justiz und Literatur auf Konfrontationskurs gehen: die Fälle von Reglementierung und Zensur. Ein Kapitel beschäftigt sich explizit mit »Zensur, Politik, Ruhm – Literatur im Widerstreit und streitbare Literatur«. Doch auch in weiteren Abschnitten, die nachfolgend besprochen werden sollen, stehen die zensierenden Auswirkungen des Rechts auf den Kunstbetrieb im Vordergrund.

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Private als ›Zensoren‹

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Zu den praktisch bedeutsamsten Problemen auf dem Gebiet ›Recht und Kunst‹ zählt heute sicher das Spannungsfeld von Kunstfreiheit und den Persönlichkeitsrechten einzelner Personen, die sich in einer mehr oder minder verfremdeten Form in filmischen oder literarischen Werken wieder zu erkennen meinen – oder auch gezielt wieder erkannt werden sollen. Von daher überrascht es nicht, dass das Verhältnis zwischen den beiden in Deutschland grundrechtlich geschützten Positionen der Kunstfreiheit (Art. 5 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG das Eröffnungskapitel des Bandes abgibt.

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Das Problem ist in der Geschichte der Literatur keineswegs neu, gelangte aber in den vergangenen Jahrzehnten einerseits infolge der Expansion von Massenmedien, andererseits aufgrund einer in der Öffentlichkeit ebenso wie in der Rechtspraxis gestiegenen Sensibilität für den Schutz des Privaten immer mehr in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Die jüngste Kontroverse über Norbert Gstreins als Schlüsselroman über die Suhrkamp-Verlegerin identifiziertes Buch Die ganze Wahrheit (2010) legt darüber ebenso Zeugnis ab wie die Veröffentlichung von Martin Walsers Tod eines Kritikers (2002) oder die Debatten über die Verfilmung des Contergan-Skandals vor einigen Jahren.

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Zwischen Mephisto und Esra

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Der diesen Kontroversen zugrunde liegende Konflikt bewegt sich juristisch auf einer so fundamentalen Ebene, dass die Streitfragen häufig durch den gesamten Instanzenzug der Zivilgerichte und darüber hinaus bis zum Bundesverfassungsgericht ausgefochten wurden. »Mephisto« und »Esra« sind die Schlagworte, mit denen die von den Verfassungsrichtern aufgestellten Eckpfeiler im Konflikt zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsschutz heute benannt werden können. 36 Jahre liegen zwischen diesen beiden Entscheidungen. Für Anja Schiemann und Eva Inés Obergfell bildete dies den Anlass danach zu fragen, was sich in der Zwischenzeit in der höchstrichterlichen Bewertung dieses Interessenkonfliktes getan hat. Und die Ergebnisse der Autorinnen fallen in interessanter Weise unterschiedlich aus.

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Obergfell bewertet die jüngste der Entscheidungen, mit denen das Verfassungsgericht das Vertriebsverbot für Maxim Billers Roman Esra (2003) bestätigte, trotz dieses Ergebnisses als eine »erfreuliche Stärkung der Kunstfreiheit« (S. 77). Zu dieser Wertung gelangt sie aufgrund der Perspektive, die das Gericht in seinen Entscheidungsgründen eingenommen hat. Während 36 Jahre zuvor lediglich die von der Mehrheitsentscheidung abgewichenen Richter in ihren Sondervoten eine kunstspezifische Betrachtungsweise bei der Auflösung des Interessenkonfliktes propagierten, habe sich diese Perspektive in dem Urteil von 2007 durchgesetzt. Die nunmehr für die Bewertung von Literatur zugrunde gelegte Eigengesetzlichkeit der Kunst, und in der Folge auch die vom Gericht postulierte Vermutung zugunsten einer Fiktionalität von Romanen, kennzeichne einen elementaren und kunstfreundlichen Wandel im Vergleich zur früheren Verfassungsrechtsprechung. Auch sieht Obergfell aus möglicherweise drohenden Schmerzensgeldforderungen in Folge von Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht die nahe Gefahr einer um sich greifenden Selbstbeschränkung der Künstler schon in der Produktionsphase resultieren. Hier, so erinnert sie, müssten noch zusätzliche Voraussetzungen wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip vorliegen, die den Kunstschaffenden vor der Gefahr einer existenzbedrohenden Zivilklage bewahren können.

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Nicht ganz so euphorisch äußert sich hingegen Anja Schiemann über die jüngste Entscheidung. Zwar postuliert auch sie, die Waagschale im Abwägungsstreit zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht habe sich seit den 1970er Jahren immer mehr zugunsten der Kunstfreiheit gesenkt. Doch die Esra-Entscheidung basiere auf einer nur »halbherzigen« Vermutung zugunsten der Fiktionalität von Romanen (S. 43), was sich im konkreten Fall auch ausgewirkt habe. Denn schon im nächsten rechtsdogmatischen Schritt führten die Juristen ihren Erkennbarkeitsmaßstab ein, mit dem die Identifizierbarkeit einer Romanfigur mit seinem realen Vorbild festgestellt und somit danach gefragt wird, ob das Persönlichkeitsrechts eines Klägers betroffen ist. Von Fiktionalität bleibt dann oft wenig übrig. »Man muss sich entscheiden. Entweder hat man einen Roman vor sich oder einen Tatsachenbericht«, fordert Schiemann (S. 43). Nur wenn der Autor eines Werkes das primäre Vertrauen auf die Fiktionalität des Kunstwerks missbraucht, will die Autorin dem Persönlichkeitsrecht den Vorrang gegenüber der Kunstfreiheit einräumen. Ob dies der Fall sei, müsse anhand äußerer Merkmale im Kontext des Werkes festgestellt werden.

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Besser aufgegeben werden soll nach Schiemanns Einschätzung der Erkennbarkeitsmaßstab, den die Verfassungsrichter in Kontinuität zu »Mephisto« auch gegenwärtig aufrechterhalten. Denn dieses Kriterium sei nach wie vor untauglich, konsistente Kriterien für seine Feststellung würden fehlen. Für wegweisender noch als die mehrheitlich ergangene Esra-Entscheidung hält Schiemann die beiden abweichenden Sondervoten, deren Rechtsauffassung nicht zu einem Verbot des Biller-Romans geführt hätte.

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Trotz ihrer divergenten Bewertung der jüngsten Rechtssprechung sind sich Schiemann und Obergfell in einem Punkt einig: Den sachverständigen Literaturwissenschaftlern, so fordern beide Autorinnen, müsse bei künftigen – auch und gerade höchstrichterlichen – Entscheidungen mehr Gehör geschenkt werden. Für eben diese Zugrundelegung literaturwissenschaftlicher Gutachten bei der Bewertung des Romans hatten sich auch schon die in Esra unterlegenen Richter in ihren Sondervoten eingesetzt.

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Die Auswahl der beiden Texte zu der konkreten Rechtsentwicklung ist ausgesprochen gelungen. Die beiden Autorinnen zeichnen nicht nur sorgfältig die Rechtsprechung nach sondern verdeutlichen mit ihrem Kommentaren auch, wie sehr sich die Verrechtlichung der Literaturszene praktisch auswirkt, und wie wenig bis heute von der proklamierten Autonomie der Kunst übrig bleiben kann, sobald private Kläger das Verbot eines Werkes betreiben.

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Zwischen Kunst, Marketing und Recht

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Doch gerade diese private Initiative der Zensur muss nicht zwangsläufig auf Schlüsselromane folgen, durch die Persönlichkeitsrechte tangiert werden. Das illustrieren Nina Birkner und York-Gothart Mix in einem dritten Beitrag über das Spannungsfeld von Kunst und Persönlichkeitssphäre. Ihr Beitrag über zwei österreichische Werke, Thomas Bernhards Holzfällen (1984) und Walter Gronds Der Soldat und das Schöne (1998) stellt neben umfangreichen textanalytischen Passagen vor allem eine Aufarbeitung unterschiedlicher Konfliktlösungsmechanismen dar. Beide Werke sind voll von massiver Kritik an dem österreichischen Kultur- und Kunstbetrieb. Während Grond nach Auffassung der Autoren aber eine persönliche Abrechnung mit der Grazer Szene geschrieben hat, habe sich Bernhard gezielt und ganz in der Tradition des Schlüsselromans konkrete reale Personen vorgenommen, um sich selbst pointiert von diesen abzugrenzen. Dabei gelingt es Birkner und Mix, die Interdependenzen zwischen Marktökonomie, Marketinginteressen, Persönlichkeitsrechten und ihrer Durchsetzung im juridischen System anschaulich nachzuzeichnen.

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Der Staat als Zensor

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Zumeist weniger spektakulär als die aufgrund von Schmähungen betriebenen Zensuranstrengungen durch Private kommen die Reglementierungen daher, die einen unmittelbar staatlichen Ursprung haben. Dieser Problembereich steht im Mittelpunkt eines eigenen Kapitels über »Jugendschutz, Kontrolle und Kommerz«. Am Beispiel eines zu Beginn der 1990er Jahre beschlagnahmten Neo-Splatter-Films mit dem Gegenstand der Nekrophilie und der strafrechtlichen Verfolgung seines Regisseurs Buttgereit untersucht Jörg von Brincken das »brisante Verhältnis von Film – Kunst – Gesetz«. Erst zwei Jahre nach seiner Produktion sei das Werk auf der Grundlage eines filmwissenschaftlichen Gutachtens, das ihm den Kunstcharakter bescheinigte, schließlich unzensiert freigegeben worden.

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Von Brincken zeichnet mit seinem Beitrag die völlig unterschiedlichen Begrifflichkeiten und Funktionslogiken des juristischen und des kunstwissenschaftlichen Diskurses nach. Die Bilanz für die Autonomie der Kunst in der Praxis fällt eher ernüchternd aus:

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Um den Film vor dem Gesetz zu retten, musste er in der Tat verrechtlicht werden, das heißt, seine juristische Berechtigung musste nachgewiesen werden, indem die Gültigkeit des Rechtsdiskurses an seinen Strukturen veranschaulicht wurde. Der Film musste mit den Augen des Gesetzes gelesen werden [...]. (S. 236, Hervorhebung im Original)
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Kritisch setzt sich der Autor mit der juristischen Logik auseinander, die er als einen auf der neuzeitlichen Philosophie beruhenden, ab der Aufklärung forcierten Diskurs über die Grenzen des Ästhetischen analysiert.

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Leider ist die Darstellung des rechtlichen Rahmens in wissenschaftlich-handwerklicher Hinsicht nicht gelungen. So ist die begriffliche Vermengung von »zitierten Urteilen« und »Beschlagnahmebeschlüssen« (S. 232f.) für den Leser irritierend, die verwendeten Formulierungen von Gerichten werden nur unzureichend belegt und auch über den Ausgang des (von der Beschlagnahme des Filmes zu unterscheidenden) Strafverfahrens gegen den Regisseur berichtet von Brincken nicht. Gerade zur Stützung seiner Thesen wäre der Autor gut beraten gewesen, sich präziser auf die juristischen Hintergründe der Verfahren um den in Rede stehenden Film einzulassen.

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Zweifelhafter Jugendschutz

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Argumentativ klarer und materialreicher ist dagegen der Beitrag von Martin Rehfeld über »semantische Konsequenzen von Jugendschutzschnitten« in Antoine Fuquas King Arthur (2004) ausgefallen. Rehfeld vergleicht die durch die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) für ab 12jährige Zuschauer freigegebene Kinofassung des Films mit dem erst ab 16 Jahren freigegebenen ›Director’s Cut‹. Sein Ergebnis illustriert, wie mit der Zielbestimmung des Jugendschutzes legitimierte Einschnitte den Inhalt eines Werkes verändern können. Im konkreten Fall lässt es sogar Zweifel an der Sinnhaftigkeit praktizierter Jugendschutzkriterien aufkommen. Sorgfältig wird anhand von Filmszenen herausgearbeitet, dass die im Interesse einer umfangreicheren Freigabe durchgeführten Schnitte eine grundlegend andere Konnotierung von Gewalt zur Folge haben. In nahezu allen Kampfszenen verschiebe sich der Fokus vom Opfer auf die Täter. Die Folgen von Gewalt für die Opfer würden in der Kinofassung fehlen, ebenso auch die Grausamkeit der positiv besetzten Charaktere des Filmes.

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»So wird,« resümiert der Autor,

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aus einem Film, der auf Kämpfen und Töten ausgerichtete Gruppenstrukturen analysiert und dabei die strukturellen Gemeinsamkeiten der sich Bekämpfenden zeigt, ein Film, der die entsprechenden Verhaltensmuster [...] propagiert, sofern sie einer als gut postulierten Sache dienen – konkret der nationalen Selbstbehauptung. (S. 278)
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Kurzum: Eine ambivalente Darstellung von Gewalt einschließlich ihrer Folgen wird verwandelt in eine Darstellung von Gewalt, die gerechtfertigt werden kann.

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Mit einer schon als klassisch zu bezeichnenden Zensurgeschichte beschäftigt sich der Beitrag über Justin Jaeckins 1975 erschienene Verfilmung des 1954 publizierten Buches Die Geschichte der O. Um eine ungekürzte DVD-Fassung des Filmes frei vertreiben zu können, erstritt die Produktionsfirma 2007 vor dem Verwaltungsgericht Köln 2 eine Aufhebung der Indizierung des Films. Oliver Jahraus geht in seinem Beitrag der Frage nach, in welchem Ausmaß die Interpretation überhaupt juristisch relevante Aspekte eines Kunstwerkes herausarbeiten kann – insbesondere wenn der Jugendschutz tangiert ist. Erste Aufgabe der Justiz sei es dabei, den Umfang ihrer eigenen Zuständigkeit zu überprüfen. Denn die Kunstfreiheit des Grundgesetzes sei nichts anderes als eine Selbstbeschränkung juristischer Zuständigkeit.

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Wie sehr die Justiziabilität an ihre Grenzen gelangt, macht der besprochene Film besonders deutlich, da das Werk bereits in den Kultur- und Literaturwissenschaften mit extrem divergierenden Ergebnissen interpretiert worden ist. Wenn sich die Justiz überhaupt für eine Justiziabilität des Films – und gegen eine künstlerische Autonomie entscheidet – dann gelange in diesen Fällen »ein Interpretationskonflikt vor den Richterstuhl«, wie Jahraus herausarbeitet (S. 249). Als »äußerst bedenklich« (ebd.) stuft der Autor es ein, dass in der Rechtsprechung eine werkgerechte Interpretation in diesen Fällen von den Juristen selbst vorgenommen wird. Schließlich würden sich Richter in vielen anderen Bereichen ganz selbstverständlich der Expertise ausgewiesener Gutachter bei der Beantwortung von Deutungsfragen bedienen. Für Die Geschichte der O weist Jahraus unter Hinzuziehung der Medienwirkungsforschung überzeugend nach, dass weder das Jugendschutzinteresse noch die strafrechtliche Pönalisierung jugendgefährdender Pornographie einen Eingriff in die Kunstfreiheit rechtfertigen können.

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Fazit

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Insgesamt handelt es sich bei dem Band um eine sehr empfehlenswerte Zusammenstellung von Beiträgen, die in der Tat dem Anspruch gerecht werden, die Literaturgeschichte als eine – notwendig lückenhafte – Geschichte der Verrechtlichung zu skizzieren. Eine gelungene Abrundung hätte der Band allerdings erhalten können durch eine Einbeziehung der relevanten Probleme, die sich in Zeiten des Internets und der Globalisierung für das Verhältnis von Recht und Literatur stellen. So unterschiedlich die Beiträge in Conters Band hinsichtlich ihrer Thematik und Methode auch sind, so findet sich in fast allen ein Punkt wieder: Die Forderung der Literaturwissenschaftler an die praktizierenden Juristen nach mehr Gehör. Der Sammelband könnte ein Baustein auf dem Weg zu einem besseren interdisziplinären Verständnis sein.

 
 

Anmerkungen

Das Inhaltsverzeichnis des Bandes ist über den Datensatz der BSB München zugänglich. URL (Permalink): https://opacplus.bsb-muenchen.de/InfoGuideClient/singleHit.do?methodToCall=activateTab&tab=showWeblinksActive&weblinks_redirected=true#permalink (letzter Zugriff: 04.08.2010, JL).    zurück
VG Köln v. 16.11.2007 (Az. 27 K 3012/06).    zurück