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Weltenwahns Umnachten

  • Sandra Franz: Die Religion des Grals. Entwürfe arteigener Religiosität im Spektrum von völkischer Bewegung, Lebensreform, Okkultismus, Neuheidentum und Jugendbewegung (1871 - 1945). (Edition Archiv der Deutschen Jugendbewegung 14) Schwalbach/Ts.: Wochenschau-Verlag 2009. 605 S. Paperback. EUR (D) 58,00.
    ISBN: 978-3-89974-510-8.
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Entrissene Reinheit 1

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Richard Wagner veröffentlichte das Textbuch zu seinem letzten Bühnenwerk Parsifal im Jahr 1877 als »Dichtung«. Er hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinen einzigen Takt komponiert. Bis zum Abschluss der Partitur und der Uraufführung in Bayreuth vergingen noch fünf Jahre. Die Rezeption war gleich im ersten Jahr ungeheuer. Für manchen »Wagnerianer« stellt das als »Bühnenweihfestspiel« charakterisierte Werk immer noch das Heiligste schlechthin dar, auch wenn auf der aktuellen Bühne konsequent versucht wird, jeden Hauch von Heiligkeit zu dekonstruieren und mit bisweilen penetranter Aufdringlichkeit unter Missachtung von musikalischem Timbre, Text und Regieanweisungen den Zuschauer daran zu hindern, so etwas wie erhabene Schauer zu entwickeln.

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Die Forschung zum Parsifal ist demgegenüber eher ambivalent. Es ist zunächst zwischen anglophonen und deutschen Ansätzen zu unterscheiden. Erstere widmen sich entweder der musikalischen Textur oder der im Werk ausgeprägten Sexualphobie 2 ; deutschsprachige Publikationen rekurrieren immer wieder auf die Frage, inwieweit das »Bühnenweihfestspiel« von 1877–1882 und sein 1883 verstorbener Urheber für den Holocaust verantwortlich zu machen sind.

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Sachlicher Gegenstand dieser sehr deutschen Debatte ist der Zusammenhang zwischen Wagners späten weltanschaulichen Essays (wie dem nach 1880 entstandenen zu Religion und Kunst) und seinen vorher entstandenen Bühnenstücken. Vermutet wird eine antisemitische, jedoch »mythisch-verschlüsselte Vernichtungsbotschaft der Musik-Dramen« 3 Wagners, deren Zielsetzung geradewegs der Holocaust gewesen sein soll. Diese Botschaft kann, so insbesondere Hartmut Zelinsky 4 , von Wagners gut belegten Ausfällen gegen das Judentum und gegen Verteidiger des Judentums, auf sein Bühnenwerk und vor allem auf den Parsifal projiziert werden. Seit Robert Gutman 1968 in seiner Wagner-Biographie das »Bühnenweihfestspiel« als arisches Blut-Mysterium, ja als »Bibel des Nationalsozialismus« hat ausmachen wollen 5 , reißt die Kette der Angriffe nicht ab 6 . Wagners theoretisches Schrifttum und intime Äußerungen, die seine Frau Cosima (1837–1930) in ihren Tagebüchern 7 überliefert, sollen unzweifelhaft belegen, dass auch der fromm und pazifistisch daherkommende Parsifal ein geheimer Aufruf zur Massenvernichtung sei 8

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Solchen schweren Vorwürfen gegenüber stehen Versuche, das »Bühnenweihfestspiel« als ein zeitloses und – je nach Gusto buddhistisch, psychoanalytisch oder doch eher christlich inspiriertes 9 Welttheater höchsten Niveaus zu begreifen, das von seinem Schöpfer aus ideologischen Niederungen herausgehalten wurde. Parsifal wurde sogar als selbstkritischer Aufruf zur Integration des Judentums gedeutet 10 .

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Die Lage kann nicht anders als verfahren bezeichnet werden. Die Studie von Franz bietet demgegenüber einen höchst bedeutsamen neuen 11 Forschungsansatz, indem sie das Werk nicht über einen hypothetischen Autorenwillen, sondern über seine Rezeption definiert und sich damit nicht von Bewunderung oder überkompensatorischer Verdammung des »Meisters« abhängig macht. Damit kann deutlich werden, wie der Weg von Wagners eher vagem mythischem Konstrukt in völkische und rassistische Ideologismen verlief. So konnte ein Baustein zu der »medienhistorisch unterfütterten Rezeptionsgeschichte« entstehen, die Thomas Gräfe in einer Rezension angemahnt hat 12 .

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»Wer sandte dich dieses Weges? – Das weiß ich nicht.«

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Die ersten 69 Seiten widmet Franz der Vorgeschichte des »Bühnenweihfestspiels«, wobei sie den Gral als »Mythos« versteht. Bei der Definition dieses seit Ausrufung der Postmoderne arg strapazierten Begriffs beruft sie sich auf Aleida und Jan Assmann 13 . Damit folgt sie der Linie, die Joseph Görres mit der Lohengrin-Ausgabe von 1813 14 begründete, indem er den Gral als »Mythos« und nicht etwa als literarische Fiktion 15 ableitete. Darum wird von Franz auch »der historische Hintergrund« erforscht, dem der Grals-»Mythos« als Deutungsinstrument entstiegen sein könnte, also das Britannien der »dark ages« (S. 44–49). Das führt aber ins geistesgeschichtliche Nirwana. Der Unterschied zwischen »Mythos« und »Fiktion« ist m.E. gerade beim Gral von entscheidender Bedeutung. Eine »Religion des Grals« mit ihren teilweise geradezu menschenverachtenden Exzessen, wie Franz sie umfassend beschreibt, konnte nur darum postuliert werden, weil man mit und seit Görres den Ursprung des Grals aus einem numinosen und überindividuellen Urwissen postulierte, während bei einer Deutung als literarische Fiktion stets der nicht-normative Charakter des Gebildes bewusst geblieben wäre. Auch die quasi-religiöse Verehrung von Wagners letzter Oper (die der Wagnerianer darum auch niemals als »Oper« bezeichnen würde) ist entlarvt, wenn man ihre Entstehung aus der Lektüre konkreter und bibliographisch fassbarer mediävistischer Werke des 19. Jahrhunderts belegt.

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Franz gibt einen Überblick über die mittelalterlichen Gralsromane, der sich im Wesentlichen aus der mediävistischen Standardliteratur speist und für die spätere Untersuchung keinen Nutzen bringt (S. 50–64). Auch die vor-wagner’sche neuzeitliche Gralsrezeption wird schulbuchartig vorgetragen. Man vermisst einen Hinweis auf die Bedeutung des »Heinrich von Ofterdingen« von Novalis für die Konzeption des Künstlers als Heilssucher und Heilsbringer. Den Graltraktat von Görres nennt Franz nur beiläufig und anscheinend ohne eigene Textkenntnis (S. 69). In ihm fand Wagner aber nicht bloß die Gralserzählung des Schwanenritters, sondern mehr noch die gotisch-arabisch-indische (d.h. in Görres’ eigenen Worten: »arische«) Mischwelt seines letzten Bühnenwerkes vorgeprägt.

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Erst mit der Betrachtung des Wagner’schen Bühnenstücks erreicht die Darstellung Eigenständigkeit. Die Ambivalenz und Undeutlichkeit der Aussage im »Bühnenweihfestspiel« wird überzeugend herausgearbeitet, ohne Wagners ideologische Verirrungen zu leugnen oder auch nur zu verharmlosen. Das ist gegenüber der beschriebenen ideologisierten Frontstellung in der Forschung ein großer Gewinn. Die typologischen Parallelen zum Neuen Testament werden herausgestellt (S. 76f.) und die Schlussformel »Erlösung dem Erlöser« ausdrücklich gnostisch verstanden (S. 78f.), wobei es sich um eine Erlösung vom Gottvatertum handeln soll (der mit Titurel gleichgesetzt wird: eine Deutung der Taube, die auf Parsifal herabschwebt fehlt jedoch, außerdem sollte Titurel nach der erst 1882 gestrichenen Regieanweisung von 1877 sich am Ende wieder aus dem Sarg erheben). Kundry – in der S. 86–88 angegriffenen Deutung Zelinskys die personifizierte Synagoge – wird als Exempel der buddhistischen Wiedergeburt und damit als Verbindungselement zu Schopenhauers Weltverneinung verstanden. Die weitere Deutung dieser komplexen Figur verliert sich in ziellosen altgermanistischen und völkerkundlichen Assoziationen. Eine direktes »völkisches – also nationalistisches, antisemitisches oder rassistisches – Gedankengut«, gar ein »arisches Weihespiel« kann Franz nicht ausmachen (S. 87). Sie ordnet Wagner vielmehr »als Vertreter eines zwischen ästhetisch und nationalreligiös schwankenden Fundamentalismus« ein (S. 87f.). Das weitere Schicksal seines letzten Werkes sei nicht von ihm, sondern vom so genannten »Bayreuther Kreis« bestimmt worden.

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Die Blumen des Bösen

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An dieser Stelle muss aus systematischen Gründen auf jene mächtigen Rezeptionswege verwiesen werden, die Franz – angesichts der Breite der Wirkung aus nahe liegenden Gründen – nicht behandelt. Es sind dies neben katholischen und jüdischen Schriften vor allem Rezipienten in Frankreich, England und den USA. So sind etwa Baudelaires Fleures du mal eine Replik auf die Klingsor hörigen Blumenmädchen. Aber vor allem jenseits des Atlantik, wo die von Wagner verfügte Aufführungsbeschränkung zugunsten Bayreuths wirkungslos war, hatte Parsifal eine enorme Wirkungsbreite; 1909 wurde die Inszenierung der New York Metropolitan Opera sogar in einen Stummfilm der Edison Company umgesetzt. Eine Wanderbühne führte das Stück in zahlreichen amerikanischen Städten auf. Über all das erfährt man bei Franz nichts; es ist aber die Basis für die eingangs umschriebene eigenständige anglophone Parsifal-Rezeption der Gegenwart. Deutschnationale oder rassistische Äußerungen oder gar Exzesse sind in diesem Kontext nicht entstanden.

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In Europa kannte man vor 1914 nur Klavierauszüge, einzelne Konzertstücke (insbesondere das Vorspiel) und die Bayreuther Aufführungen. Dort herrschte ein anderer Geist, auch wenn bei der Uraufführung und noch einige Jahre danach mit Hermann Levi ein jüdischer Dirigent die Musiker anleitete. Franz führt mit erfreulicher Gründlichkeit in jenen Kreis ein, den die verwitwete Cosima zur Unterstützung ihrer – von Wagner keineswegs autorisierten – Leitung der Festspiele nach 1883 um sich scharte. Da ist zunächst der noch von Wagner nach Bayreuth geholte Hans von Wolzogen (1848–1938), im Hause Wahnfried auch als »Apostel Johannes« bezeichnet, der nach Franz Parsifal als deutschen »Glaubenshelden« betrachtete (S. 97–110), gefolgt von dem Göttinger Bibliothekar Karl Ludwig Schemann (1852–1938), den Cosima als Übersetzer der Rassenschriften des Grafen Gobineau 16 gewonnen hatte, und der 1928 die »nationalsozialistische Gesellschaft für deutsche Kultur« gründete. Ebenfalls direkt ins Dritte Reich führten die kulturhistorischen Schriften um einen arischen Christus von Houston Steward Chamberlain (1855–1927), der 1908 Wagners Tochter Eva heiratete, aber vor allem seit 1885 mit Cosima in engstem Gedankenaustausch stand. Dennoch kann Franz keine Stelle nachweisen, in der der Rassenideologe Chamberlain den Parsifal »mit völkischen Ideen in Verbindung« bringt – nicht einmal mit der Vision eines »arischen Christus«, die das Alte Testament als Quelle des Neuen Bundes leugnet (S. 122–127). Andere, allerdings weniger bedeutende, Mitglieder des Bayreuther Kreises sind offenbar weiter gegangen (S. 131–163).

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Diese Analyse macht deutlich, was man auch aus der Theatergeschichte weiß: das Haus Wahnfried und die von ihm betriebenen Festspiele haben sich früh und vorbehaltlos der nationalsozialistischen »Bewegung« und ihrem Führer zugewandt. Weitere Propagandisten dieser Entwicklung waren der Indologe Leopold von Schröder (1851–1920) 17 und die Germanisten Arthur Seidl (1863–1928) und – von Franz übergangen – Wolfgang Golther (1863–1945). 18

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Zusammenfassend sieht Franz das Bemühen »angesichts der religiösen Sinnsuche« Wagners »Kunst als Wegweiser zu einer neuen Religiosität zu empfehlen. Damit einher ging eine massive Kritik an der Moderne und ihren Erscheinungen vom Pressewesen bis hin zur ›modernen‹ Bildung sowie ihren Übeln, die sich in Bayreuth geradezu in dem Schlagwort des ›Materialismus‹ zu manifestieren schienen; insbesondere den Naturwissenschaften warf man einen erschütternden Effekt auf die Religion vor. (…) Doch trotz aller Kritik fühlte man sich noch immer auf dem Boden der evangelischen Kirche stehend; neopaganen Tendenzen erteilte man – von gewissen Ausnahmen abgesehen – eine Absage.« (S. 160).

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»Der Irrnis und der Leiden Pfade kam ich«

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Hier wechselt Franz ohne Kommentar die Perspektive. Sie wendet sich nunmehr ausschließlich der erzählenden Literatur, insbesondere den Romanen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zu. Es ist die Rede von den »Sucherromanen« (S. 164–239), die einen spezielle Aspekt innerhalb des breiten völkischen Romanschaffens ausdeuten. Die Gattungsspezifika werden ausführlich erörtert (S. 164–170), literaturgeschichtliche Vorbilder – unter denen auch der klassische Bildungsroman zu nennen wäre – werden aber nicht aufgezeigt. Es werden vier Romane exemplarisch analysiert, von denen ich hier immer die Erstausgabe nenne, auch wenn Franz in der Regel nach einer späteren Ausgabe zitiert:

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• Hermann Popert: Helmut Harringa. Eine Geschichte aus unserer Zeit. Dresden 1910 (S. 170–183).

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• Hermann Burte: Wiltfeber der ewige Deutsche. Die Geschichte eines Heimatsuchers. Leipzig 1912 (S. 183–214).

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• E.G. Kolbenheyer: Monsalvasch. Ein Roman für Individualisten. München 1911 (S. 198–214).

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• Friedrich Lienhard: Der Spielmann. Roman aus der Gegenwart. Stuttgart 1913 (S. 214–236).

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Die Romane sollen »in einem weiteren Kontext aus Ausdruck einer religiösen Sinnsuche gesehen werden« (S. 237). Kolbenheyer und Lienhard bemühen direkte Bezüge zum Gral suchenden Parsifal, während sich Popert und Burte mehr mit dem Motiv des Suchenden selbst beschäftigen. Keiner der Autoren kann als »nationalsozialistisch« betrachtet werden; Burte und Kolbenheyer wurden jedoch in der NS-Zeit weiter empfohlen (S. 239), während Lienhard nach 1935 nicht mehr aufgelegt wurde (S. 235). Allen Romanen gemein sind »typisch völkisch-synkretistische Religionsentwürfe, bestehend aus germanisierend-neopaganen, gnostischen und christlichen, bei Lienhard zudem noch esoterischen Bestandteilen.« (S. 238).

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Zwei ausgedehnte Kapitel beschäftigen sich nun mit dem theoretischen Schrifttum der Kaiserzeit (S. 240–410), soweit es Gralsmotive aufgriff und propagierte. Bei der Fülle der Namen und Gruppierungen, der Vereine und »Bünde« ist es hier nicht mehr möglich, den Analysen der Autorin im Detail zu folgen. Hervorzuheben ist die Auseinandersetzung mit Rudolf Steiner und den Anthroposophen (S. 277–307), aus deren Feder bis heute ein umfangreiches Gralschrifttum quillt.

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Das zuvor Gesagte gilt ebenso für die Darstellung zur Weimarer Republik (S. 411–432). Den ungeheuren Wert des Buches finden wir ja eben in dieser Detailfreude, die den Urwald völkischen Schriftgutes durchdringbar macht und uns für die teils krausen, teils kruden Bemühungen um eine konstruierte neue, deutsche oder germanische Religion einen Leitfaden an die Hand gibt. Man sieht aber auch überdeutlich, dass Richard Wagner zwar als Galionsfigur weiter geführt und zitiert wird, jedoch in den faktischen Umsetzungen keine Rolle mehr spielt (S. 344–387). Es gibt sogar bereits Stimmen, die – wie später auch Joseph Goebbels 19 – das Werk eher als Produkt der Dekadenz ansehen (S. 386f).

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In der Weimarer Republik hebt Franz besonders die aus der »Wandervogelbewegung« hervorgegangene neuromantisch inspirierte »Jugendbewegung« hervor (S. 445–481, zur Bewegung selbst einführend S. 445–448). Von ihrem »Chefideologen« Martin Voelkel heißt es: »Als Ideengeber dieses eigentlich keineswegs per se völkisch eingestellten Kreises beeinflusste er ein von Wagners ›Parsifal‹ inspiriertes ›Weihespiel‹, in dem der Gral als sakrales, aber nichtkirchliches Symbol in einem tristen und an Mythen, Kulten und Ritualen armen Alltag selber sinnstiftend wurde.« (S. 480f.)

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Leider zieht Franz im Kapitel über die Weimarer Republik keine Parallele zu Oswald Spenglers Begriff des »Faustischen«, der den Aspekt des Suchens zum zentralen Wesensmerkmal der abendländischen Kultur erheben wollte – übrigens ohne dabei allzu sehr auf die Gralssymbolik einzugehen.

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Zu eng gefasst wird das Abschlusskapitel über »die Grals- und Parzivalrezeption in der NS-Zeit« (S. 483–549). Es ist eigentlich ein längerer Aufsatz über Otto Rahn und seine beiden Bücher »Kreuzzug gegen den Gral« (betreffend die Albingenserkriege) und das unter SS-Einfluss entstandene »Luzifers Hofgesind«, das Franz mit Recht als »nationalsozialistischen Religionsentwurf« deutet. Die Vorbemerkung über »Hitler und der Gralsmythos« (S. 485–492) sowie eine Untersuchung über Himmlers Pläne über ein spirituelles Zentrum der SS auf der niedersächsischen Wewelsburg (S. 538–549) können eine gründliche zukünftige Untersuchung nicht ersetzen, in der auch deutlicher werden müsste, was es mit den Versuchen von Goebbels auf sich hatte, den Parsifal auch in Bayreuth nicht mehr zur Aufführung zu bringen. Von Franz kann man, nach diesem umfassenden Durchbruch durch das völkische Schrifttum vor Hitler, all das nicht mehr erwarten. Zu den unangenehmen Lücken gehört aber, dass nach der Schilderung des Bayreuther Kreises die Akademiker aus dem Gesichtsfeld geraten. Neben dem bereits genannten Wolfgang Golther wäre hier Bodo Mergell zu nennen, der nach 1945 eine machtvolle – aber keineswegs vorbildlose – Gralsmystik verfolgte; ferner Reinhold Freiherr von Lichtenberg und Ludwig Müller von Hausen, die sich massiv für das Bayreuther Aufführungsmonopol einsetzten. Nur ist es ein Leichtes, noch weiteres Material heranzuschaffen. Was man am allermeisten vermisst, ist ein Namensregister. Wie man bei der Fülle von Personen, der ungeheuren Spannweite in Zeit und persönlichen Netzwerken sich noch im dem mächtigen Buch zurechtfinden soll, bleibt das Geheimnis der Autorin.

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Trotzdem ist es ein Buch, das jeder gelesen haben sollte, der – gleich in welche Richtung – sich über Inhalte und Ziele des Wagnerschen Werkes äußern möchte.

 
 

Anmerkungen

Die Überschriften sind mehr oder minder wörtliche Zitate aus Wagners Parsifal.   zurück
Im Jahr 1920 prägte James Huneker das Wort »parsiphallic«, vgl. die Neuedition James Huneker: Painted Veils. Whitefish: MT 2007, S. 282. – Die Sexualproblematik analysieren kritisch: Anthony Winterbourne: A Pagan Spoiled. Sex and Character in Wagner’s Parsifal. Madison: Teaneck 2003; James M. McGlathery: Erotic Love in Chrétien’s Perceval, Wolfram’s Parzival, and Wagner’s Parsifal. In: A Companion to Wagner’s Parsifal, ed. by William Kinderman and Katherine R. Syer (Studies in German literature, linguistics and culture), Rochester, NY: Camden House 2005, S. 55–80.   zurück
Hartmut Zelinsky: Verfall, Vernichtung, Weltentrückung. Richard Wagners antisemitische Werk-Idee als Kunstreligion und Zivilisationskritik und ihre Verbreitung bis 1933. In: Richard Wagner im Dritten Reich. Hg. v. Saul Friedländer und Jörn Rüsen. München: Beck 2000. (Beck´sche Reihe 1356) S. 309-341, hier S. 319-330f.   zurück
Hartmut Zelinsky: Verfall, Vernichtung, Weltentrückung (wie Anm. 2); ders.: Richard Wagners »Kunstwerk der Zukunft« und seine Idee der Vernichtung. In: Joachim H. Knoll und Julius H. Schoeps (Hg.): Von kommenden Zeiten. Geschichtsprophetien im 19. und 20. Jahrhundert. (Studien zur Geistesgeschichte 4). Stuttgart, Bonn: Burg 1984, S. 85-106.    zurück
Robert Gutman: Richard Wagner. The man, his mind, and his music. New York 1968, deutsch: Richard Wagner. Der Mensch, sein Werk, seine Zeit (Heyne-Biographien 3). München: Piper 1970, S. 474–478, der Begriff »Bibel des Nationalsozialismus« ebd. S. 482.   zurück
Attila Csampai und Dietmar Holland (Hg.): Parsifal. Texte, Materialien, Kommentare (rororo 7809), Reinbek 1984, S. 214–269, geben die Diskussion der frühen 80er Jahre des 20. Jahrhunderts in (z.T. gekürzten) Originaldokumenten wieder. Zuletzt Micha Brumlik: Erlösung von der Erlösung. Richard Wagners Christologie. In: Wagnerspektrum 5 (2009); Heft 2 Bayreuther Theologie, S. 81-104, insbesondere S. 102f.    zurück
Cosima Wagner: Die Tagebücher. Ediert und kommentiert von Martin Gregor Dellin und Dietrich Mack, 2 Bände. München: Piper 1976–1977. Es handelt sich um Bemerkungen, die nicht nur nach und durch Auschwitz unerträglich wurden, sondern es schon lange vorher waren und auch für einen »heftigen Scherz« nicht taugen: »Dann erzählt er von einer neulichen Aufführung des ›Nathan‹, wo bei der Stelle, Christus war auch ein Jude, ein Israelit im Parterre bravo gerufen habe. (…) Er sagt im heftigen Scherz, es sollten alle Juden in einer Aufführung des ›Nathan‹ verbrennen.« (Cosima-Tagebücher 2, S. 852 zum 18.12.1881).   zurück
Zusammenfassend: Saul Friedländer: Hitler und Wagner. In: Richard Wagner im Dritten Reich (wie Anm. 2), S. 165–178, zum Parsifal S. 171–173.   zurück
Einen Abgleich versuchen Kurt Hübner und Dieter Borchmeyer: Parsifal – christlich oder buddhistisch? In: Wagnerspectrum 4 (2008), Heft 1 Der Gral, S. 209–222.   zurück
10 
Udo Bermbach: Das ästhetische Motiv in Wagners Antisemitismus. Das Judentum in der Musik im Kontext der ›Zürcher Kunstschriften‹. In: Richard Wagner und die Juden. Stuttgart: Metzler 2000, S. 55–78; Wolf Daniel Hartwich: Jüdische Theosophie in Richard Wagners Parsifal. Vom christlichen Antisemitismus zur ästhetischen Kabbala, ebd. S. 103–122. Einen frühen Vorläufer finden solche Versuche bei Arthur Prüfer: Das Werk von Bayreuth. Vollständig umgearbeitete und stark vermehrte Aufl. der Vorträge über die Bühnenfestspiele in Bayreuth. Leipzig: C.F.W. Siegel 1909, S. 227f.   zurück
11 
Sie führt eine vereinzelt dastehende Studie fort: Jost Hermand: Gralsmotive um die Jahrhundertwende, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 36 (1962), S. 521–543.   zurück
12 
Thomas Gräfe: Richard Wagner und die völkische Bewegung. Die Bayreuther Blätter 1878 – 1938, 13.3.2010 [Rezension zu: Anette Hein: Es ist viel Hitler in Wagner. Rassismus und antisemitische Deutschtumsideologie in den Bayreuther Blättern (1878– 1938), Tübingen: Niemeyer 1996.] URL: http://befreiungskriege-deutsches-kaiserreich.suite101.de/article.cfm/richard-wagner-und-die-voelkische-bewegung.   zurück
13 
Aleida und Jan Assmann: Mythos. In: Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe, Bd. 4. Stuttgart, Berlin, Köln: Kohlhammer 1998, S. 181.    zurück
14 
Joseph Görres: Über den Dichtungskreis des Heiligen Grales, in: Lohengrin, ein altteutsches Gedicht. Nach der Abschrift des Vaticanischen Manuscriptes von Ferdinand Gloeckl. Heidelberg 1813, S. I-CVI.   zurück
15 
So geht für die Frühzeit der Gralsdichtung – dem Untertitel zum Trotz – auch Volker Mertens: Der Gral. Mythos und Literatur. Stuttgart: Reclam 2003 vor.    zurück
16 
Arthur de Gobineau: Versuch über die Ungleichheit der Menschenracen. Stuttgart: Frommann 1900. – Da die Gobineau-Lektüre die Komposition des Parsifal begleitete, sah sich Robert Gutman legitimiert, dem Bühnenweihfestspiel eine rassistische Bedeutungsebene zu unterstellen (Gutman, Richard Wagner [wie Anm. 4] S. 469–478). Dem ist heftig widersprochen worden, insbesondere von Martin Gregor-Dellin (Richard Wagner. Sein Leben – Sein Werk – Sein Jahrhundert. München: Piper 1980, S. 769), der u.a. darauf verweist, dass der Text des Parsifal zum Zeitpunkt der Entdeckung von Gobineaus Werk fertig war und nicht verändert wurde; das Treffen Wagners mit Gobineau im Mai 1881 führte sogar zu Streitereien über den von Wagner postulierten Primat des Christentums vor dem »Racengedanken« Gobineaus.   zurück
17 
Franz, Religion des Grals S. 148–154. – Vgl.: Leopold von Schröder: Die Vollendung des arischen Mysteriums in Bayreuth. München: Lehmann 1911.   zurück
18 
1933 beteiligte er sich zusammen mit dem Hamburger Maler und Zeichner Werner Knoth (1895–1981) an einer 74-seitigen Broschüre: Bayreuth im Dritten Reich. Ein Buch des Dankes und der Erinnerung. Hamburg: Alster 1933 mit dem Beitrag »Bayreuth im neuen Deutschland« (S. 7–12). Golther trägt darin die Anliegen der Festspielleitung an »das neue Reich« heran und vermeidet unmittelbare rassistische Äußerungen.   zurück
19 
Brigitte Hamann: Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth. München: Piper 2002, S. 440–442.   zurück