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Grenzbegehung

Über den Versuch einer Abgrenzung von
Recht und Literatur

  • Thomas Weitin: Recht und Literatur. (Literaturwissenschaft. Theorie und Beispiele 10) Münster: Buchverlag Aschendorff 2010. 168 S. Kartoniert. EUR (D) 19,80.
    ISBN: 978-3-402-14305-6.
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Assoziationsketten

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Der unprätentiöse Titel des jüngst von Thomas Weitin in der Reihe »Literaturwissenschaft Theorie und Beispiele« vorgelegten Bandes weckt mit der schlichten Gegenüberstellung von ›Recht‹ und ›Literatur‹ sowie dem verbindenden ›und‹ eine ganze Reihe von Assoziationen zum Verhältnis beider Felder zueinander. So mag der Leserin oder dem Leser – einerseits – Recht als Gegenstand von Literatur, insbesondere in Form der Thematisierung von Gerechtigkeitsfragen, aber auch als Darstellung der konfliktbeladenen Beziehung des Individuums zum Recht, in den Sinn kommen wie auch – andererseits – der Gerichtsprozess gleichsam als ›Dramatisierung‹ des Rechts erscheinen. Hinzu kommt der umgekehrte Fall der Literatur als Gegenstand des Rechts, nämlich dann, wenn mittels literarischer Texte in Rechte Dritter eingegriffen wird und diese verletzt werden. Die Diskussion darüber, ob und wieweit dies überhaupt möglich ist (eine Verletzung in der Realität des Rechts mit Mitteln der Fiktion in der Literatur), entbrannte angesichts der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Verbreitungsverbot des Romans Esra von Maxim Biller besonders heftig.

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Alle diese Assoziationen will Weitin leiten. Und er will darüber hinausgehen. Nach der Zielrichtung des Autors ist es Aufgabe des Buches, eine Einführung in das komplizierte Verhältnis von Recht und Literatur und deren wechselseitige Wahrnehmung zu geben (S. 8). Assoziationsketten allerdings, die zu einer Dominanz der Literatur über das Recht führen, kappt Weitin gleich zu Beginn. Sein Text fußt eben nicht – wie bereits in der Einleitung deutlich gemacht wird (S. 7f.) – auf einer deutschen Variante des ›Law as Literature‹-Blickwinkels, welcher ›Recht als Literatur‹ begreifen und eine kritische Analyse des Rechts mit den Mitteln der Literaturtheorie betreiben will, sondern hierzu hält der Autor Distanz. Er lenkt stattdessen den Blick gerade auf die Eigenständigkeit von Recht und Literatur. Zu Recht verweist Weitin auf die sehr wohl trotz der Gemeinsamkeiten bestehenden Unterschiede und folgt damit den Kritikern des ›Law as Literature‹-Konzepts, die die Bedeutung des Literarischen für das Recht weitaus geringer einschätzen als es die Vertreter dieses vor allem in den USA verbreiteten Konzepts tun. Das Buch dreht sich also nicht um Literatur und Recht als gemeinsames Feld, sondern es umkreist vielmehr gerade die Abgrenzungslinien, die beide Felder voneinander trennen. Dabei bedeutet es keinen Widerspruch, wenn Weitin gleichwohl immer wieder auf die Gemeinsamkeiten von Recht und Literatur zu sprechen kommt. Denn genau besehen, ist es Teil der Abgrenzungsarbeit zu bestimmen, wo sich allfällige Kongruenzen auftun. Im Übrigen liegt der Hauptgrund dafür, dass Literatur und Recht überhaupt so häufig in Beziehung zueinander gesetzt werden, in einer einfachen Erkenntnis: Recht vermittelt sich – wie auch die Literatur – über Sprache. Mit anderen Worten: Das »strukturell Literarische im Recht« liegt im gemeinsamen Medium der Sprache (S. 32). Vor diesem Panorama denkbarer gemeinsamer und trennender Aspekte verspricht Weitins Gegenüberstellung von Recht und Literatur, eine überaus lohnenswerte Lektüre zu sein. Und dieses Versprechen wird – soviel darf vorweg genommen werden – letztlich vollständig eingelöst.

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Weitin fächert das Themenspektrum des Buches in acht Kapitel auf. Das erste Kapitel (S. 11–21) behandelt mit dem erwähnten spektakulären Fall Esra, der (begleitet von einem enormen Presseecho) durch alle zivilgerichtlichen Instanzen hindurch verhandelt wurde und schließlich vor das Bundesverfassungsgericht gelangte, die wie es Weitin nennt »Verfahrensebene« (S. 8) – die Ebene, auf der literarische und juristische Verfahren in Konflikt geraten können. Dieses erste Kapitel ist historisch angelegt wie auch die folgenden drei Kapitel. Diese behandeln die Darstellung des Rechts am Beispiel von Kleists Lustspiel Der zerbrochne Krug (2. Kapitel, S. 22–36), Geschmacksurteile (3. Kapitel, S. 37–42) und schließlich die Hermeneutik als Basis gleichermaßen von Gesetzesauslegung wie auch der Interpretation literarischer Texte (4. Kapitel, S. 43–63). Demgegenüber wendet sich der Autor in den sich anschließenden drei Kapiteln den literaturwissenschaftlichen Theorien der Gegenwart zu, »die sich bewusst zum Recht ins Verhältnis setzen und dabei helfen können, die Beziehung von Recht und Literatur zu bestimmen« (S. 9), mithin der ›Dekonstruktion des Rechts‹ (5. Kapitel, S. 64–74), Luhmanns ›Systemtheorie‹ (6. Kapitel, S. 75–87) sowie der Diskurstheorie und der hierauf aufbauenden ›Poetik des Wissens‹ (7. Kapitel, S. 88–107). Den Abschluss bildet das achte Kapitel, welches mit der Thematisierung des Urheberrechts als ›geistiges Eigentum‹ das sichtbarste Schnittfeld aufzeigt, in dem Recht und Literatur in eine konkrete Beziehung treten, nämlich in Form eines urheberrechtlich geschützten Sprachwerks (S. 108–131).

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Richten über Kunst und Kunstrichter

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Die Entscheidung, mit der das Bundesverfassungsgericht das Verbreitungsverbot für Maxim Billers Roman Esra bestätigte, 1 hat die Wogen der Empörung gerade in literaturwissenschaftlichen Foren hoch schlagen lassen. Der Vorwurf lautet, das Wesen des literarischen Kunstwerks werde in seiner Eigengesetzlichkeit verkannt, es mangele den Richtern an literaturwissenschaftlicher Kompetenz, kurz: hier seien ›Kunstrichter‹ am Werk. Weitin reißt in seinem Eingangskapitel diese Diskussion kurz an, um sodann dem aus der Zeit der Frühaufklärung stammenden Begriff des ›Kunstrichters‹ auf den ideengeschichtlichen Grund einer angeblich fixierbaren Regelpoetik zu gehen. Ebenso wie in der Literaturwissenschaft eine – wie es Weitin ausdrückt – »Pendelbewegung der Literaturtheorie« (S. 16) von der Idee einer objektivierbaren Regelpoetik zur Idee der subjektivierten Genieästhetik führte, so lasse sich auch im Recht eine ähnliche Bewegung nachzeichnen. Weitin demonstriert dies an der Ausgestaltung des Beweisrechts, welches sich von starren Beweisregeln ab- und zur freien Beweiswürdigung des Richters hinwendete. Ob die literaturtheoretische Kritik am Esra-Beschluss als unzeitgemäßer Umgang mit der Literatur gerechtfertigt ist, bleibt offen, doch verweist Weitin zu Recht auf den wesentlichen Unterschied zwischen Literatur und Recht, der auch einen Schlüssel zum Verständnis der Esra-Entscheidung bietet (S. 13): Das Recht muss in Form des Richterspruchs eine Entscheidung fällen. Der Literaturwissenschaft ist hingegen eine Argumentation mit unentschiedenem Ausgang erlaubt.

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Recht auf der Bühne und Sprechakttheorie

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Eine weitere Demarkationslinie zwischen Literatur und Recht will Weitin mit dem Mittel der Rechtskomödie ziehen, wobei er das Exempel an Kleists Der zerbrochne Krug statuiert. Als entscheidenden Unterschied macht Weitin hier – und im Gleichklang mit seiner schon im vorangehenden Kapitel geäußerten Bemerkung – die Bedeutung der ›Performanz‹ von Sprechakten aus: Nur in der Literatur besteht die Möglichkeit des Fehlgehens von Performanz. Das Recht zielt demgegenüber auf gelingende performative Sprechakte ab; das Urteil muss mithin gefällt werden, ob als ›richtiges‹ Urteil auf Basis der geltenden Gesetze oder als Fehlurteil, welches im Instanzenzug korrigiert wird. Im ›Schauspiel‹ der Gerichtsverhandlung (diese weist in der Tat wesentliche Attribute eines solchen auf) darf und kann das Ende nicht in der Schwebe bleiben. Ein offenes Ende zu belassen, ist vielmehr das Privileg der Literatur. Damit ist die wichtigste Grenze zwischen Literatur und Recht benannt.

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Über Geschmack lässt sich (nicht) streiten!?

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In seinem dritten Kapitel beschäftigt sich Weitin mit dem sozialen, nach Zustimmung heischenden Wesen des Geschmacksurteils. Denn Fragen des Geschmacks sind einem objektiven Urteil gerade nicht zugänglich, sondern beruhen auf einer subjektiven Wahrnehmung. Der Autor schlägt den Bogen in erhellender Weise zurück zur Analyse von Kleists Der zerbrochne Krug und zeigt, in welchem Maße das Kulinarische den Fortgang der Handlung beeinflusst und als Mittel der Gegenüberstellung dient - einerseits von willkürlicher Entscheidungsfindung durch Dorfrichter Adam und andererseits der Förmlichkeit des Verfahrens, die durch Gerichtsrat Walter verkörpert wird. Dieses Ergebnis verknüpft Weitin mit der rechtswissenschaftlichen Grundproblematik schlechthin: der Frage nach dem Spannungsverhältnis von gesetztem (›positiven‹) Recht zur Auslegung durch den Richter.

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Wenn demnach vom »steten Konflikt von Regelhaftigkeit und Subjektivität« die Rede ist (S. 40) und im unmittelbaren Anschluss auch auf den frühromantischen ›ästhetischen Subjektivismus‹ und die ›progressive Universalpoesie‹ (wonach jedes Kunstwerk offen und ergänzungsbedürftig sei) eingegangen wird (S. 41), könnte man anmerken, dass sich ein Blick auf den Begriff der Kunst in der Rechtswissenschaft anbieten würde und ein Kapitel über das Kunstverständnis des Grundgesetzes in der Interpretation des Bundesverfassungsgerichts und der Rechtswissenschaft fehlt. Auch dem Grundgesetz liegt ein ›offener Kunstbegriff‹ zugrunde, d.h. das Verständnis von Kunst ist von Verfassung wegen denkbar weit und neuen, avantgardistischen Ausdrucksformen gegenüber offen. Wenn es selbstredend dennoch einer definitorischen Festlegung von Kunst – schon allein um Kunst überhaupt mit Mitteln des Rechts schützen zu können – bedarf, so nähert sich das Bundesverfassungsgericht dieser mit folgender Formel:

Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. 2

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Juristische Hermeneutik als dritter Weg oder
Entscheiden ist mehr als Rechnen

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Im vierten Kapitel beschäftigt sich der Autor – nachdem er die historische Hermeneutik in der Vorstellung von Savignys (in einer Linie mit Schleiermacher) als Mittel zur Rekonstruktion des ursprünglichen Gesetzessinns und demgegenüber Gadamers Forderung nach einer ›Applikation‹ im Sinne einer Einbeziehung des aktuellen Vorverständnisses ausgebreitet hat – mit der juristischen Hermeneutik als drittem Weg, die im Sinne Arthur Kaufmanns das Recht als offenes System versteht, das Gesetz anwendet und objektiv – nicht dem subjektiven Willen des historischen Gesetzgebers verpflichtet – auslegt (S. 55). An dieser Stelle rückt die Sprache in den Mittelpunkt und es lässt sich eine ›Rechtstheorie als Sprachtheorie des Rechts‹ denken. Weitin zeichnet diese Ideen des Rechtsphilosophen Kaufmann zur Zweidimensionalität der Gesetzessprache, ihrer Ein- und Vieldeutigkeit nach und gelangt schließlich zum Problem der Formalisierung der juristischen Fachsprache, die allerdings nicht so weit geht (und gehen kann), dass die Sprache verschwindet und bloße Datenverarbeitung oder –berechnung verbleibt. Denn Entscheiden ist mehr als Rechnen, es beruht auf der Verarbeitung von Informationen, die sich bisweilen überhaupt nicht im Gesetz wiederfinden. Weitin zieht hier die Parallele zum literaturwissenschaftlichen Phänomen der Intertextualität und vergleicht diese mit den Hyperlinks im Internet (S. 60). Würde man die sich auf die Intertextualität stützende strukturalistische Relativierung von Autorschaft allerdings auf das Recht übertragen, so müsste dies den urheberrechtlichen Werkbegriff ad absurdum führen.

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Von der ›Dekonstruktion des Rechts‹
über die Systemtheorie zur Kritik, Wahrheitsermittlung
und ›Poesie des Rechts‹

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In den Kapiteln fünf bis sieben präsentiert Weitin als mögliche Erklärungsansätze für das Verhältnis von Literatur und Recht literaturwissenschaftliche Theorien der Gegenwart, beginnend im fünften Kapitel mit Jacques Derridas ›Dekonstruktion des Rechts‹, die in zwei Aporien wurzelt: Zum einen könne das Recht nicht legitime Entscheidungsmacht sein, ohne zugleich illegitime Gewalt anzuwenden; zum anderen sei die Existenz von Unentscheidbarem notwendige Bedingung für die Möglichkeit von Entscheidungen, da andernfalls die Entscheidung bereits gefallen sei und nur ›erkannt‹ werden müsse (S. 67f.).

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Niklas Luhmanns Systemtheorie, die Weitin im sechsten Kapitel näher beleuchtet, versteht Recht und Kunst jeweils als Teilsysteme in dem übergeordneten und funktional ausdifferenzierten System der Gesellschaft. Während für die Kunst der binäre Code ›schön/hässlich‹ die identitätsstiftende ›Leitdifferenz‹ ist, ist es für das Recht der Code ›recht/unrecht‹. Diese Systeme sollen nach Luhmann in sich geschlossen (›operative Geschlossenheit‹), nicht aus äußeren Gründen funktionierend, sondern selbstreferentiell, und als Teilsysteme alle gleich aufgebaut sein (S. 75 f.). Im Folgenden kontrastiert der Autor für das hier interessierende Feld Luhmanns Erklärungen eines notwendigerweise redundanten Rechts mit einer autonomen Kunst.

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Nach Auffassung des Autors fehlt es der Systemtheorie allerdings an der Kritik, die nach Michel Foucault daraus resultiere, dass die Wahrheit auf ihre Machteffekte und die Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse befragt werden (S. 88–93). In seinem siebten Kapitel stellt Weitin die Wahrheitsformen und –diskurse anhand des Strafrechts dar. Für Weitin liegt die Stärke des diskursanalytischen Ansatzes »in [seiner] Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen heterogenen Wissensbereichen historisch nachvollziehbar werden zu lassen « (S. 105). Zu Recht weist Weitin in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Wissen durch bestimmte sprachliche Darstellungs- und Vermittlungsakte hervorgebracht wird, so dass der ästhetisch-sprachliche Schöpfungsakt der Wissensproduktion von entscheidender Bedeutung ist. Man könnte im Hinblick auf die Produktion juristischen Wissens auch von der ›Poesie des Rechts‹ sprechen, wie es bereits Jakob Grimm in seinem Aufsatz unter dem Titel »Von der Poesie im Recht« tat, veröffentlicht im Jahr 1815 in von Savignys Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft (S. 106).

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Von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks über den ›Geist des Genies‹ bis zum
›Digital Rights Management‹

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Mit dem Abschlusskapitel (S. 108–131) wendet sich Weitin schließlich dem Urheberrecht zu. Ihm ist daran gelegen, das heute heftig diskutierte Urheberrecht von seinen Anfängen her aufzuzeigen, genauer müsste man sagen: die Wurzeln des Urheberrechts zu ergründen und sodann die Auswüchse im heutigen Internetzeitalter darzustellen. Das ist ein gewagter Sprung vom Gestern ins Heute auf knappem Raum, der aber doch bei der Intention, die der Verfasser verfolgt, legitim ist. Dabei stellt Weitin die Entwicklung vom Privilegienzeitalter, also den Anfängen eines noch nicht als ›Urheberrecht‹ zu bezeichnenden Verlegerschutzes, über die Kontroverse zur Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks und den ›Geist des Genies‹ bis zum heutigen Problem des ›Digital Rights Managements‹ dar. Er zeigt hierbei, dass die Entstehung eines Bewusstseins von Autorschaft und eines Schutzbedürfnisses des Geistes des Autors mit der Epoche des ›Genie-Zeitalters‹ zusammenfällt (S. 115), also eine parallele Entwicklung auszumachen ist. Die Eigentümlichkeit der Originalwerke dieses Geniegeistes sollte nach jener Vorstellung ein ›geistiges Eigentum‹ begründen. Interessanterweise ist der Begriff der Eigentümlichkeit im modernen juristischen (jedenfalls gesetzlichen) 3 Sprachgebrauch etwas qualitativ hinter der urheberrechtsbegründenden ›Individualität‹ (im französischen Recht ›originalité‹) Zurückbleibendes. Eigentümlichkeit bezeichnete vielmehr bis vor Kurzem neben dem Merkmal der Neuheit die wesentliche Schutzvoraussetzung für das Geschmacksmuster (§ 2 Abs. 1 Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen, alte Fassung), welches im Sinne einer graduellen Abstufung in Schutzvoraussetzung und -inhalt ein Weniger gegenüber dem Urheberrecht darstellt. Daran hat sich mit der Neufassung des Gesetzes im Grundsatz nichts geändert, doch wurde der Begriff der ›Eigentümlichkeit‹ durch den der ›Eigenart‹ ersetzt (vgl. § 2 Abs. 1 Gesetz über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen). Dies mag praktisch also nur den Charakter einer Randbemerkung haben. Demgegenüber hat der Begriff des ›geistigen Eigentums‹ noch heute erhebliche Sprengkraft. Er wird von einigen Urheberrechtlern als »ideologischer Kampfbegriff« betrachtet, den es wegen der damit verbundenen rechtspolitischen Forderungen zu meiden gelte. 4

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Juristisch nicht ganz stimmig ist die vom Autor augenscheinlich als provokante Phrase eingeschobene Bemerkung, den »Urheberrechtsschutz des Internetzeitalters« nenne man heute ›Digital Rights Management‹ (S. 128). ›Digital Rights Management‹ bezeichnet lediglich eine im digitalen Medium mögliche punktgenaue Abrechnung von Werknutzungen. Wäre das digitale Rechtemanagement lückenlos durchführbar, könnte diese individuelle Vergütungsform das seit Jahrzehnten praktizierte pauschale Vergütungssystem ablösen. Bis auf Weiteres bleibt dies allerdings eine Illusion. Der Begriff lässt sich damit keineswegs als Ersatzbegrifflichkeit verstehen; dies selbst dann nicht, wenn das digitale Rechtemanagement das Pauschalvergütungssystem ersetzen sollte, denn benannt wird aus dem Urheberrecht allein der Ausschnitt der gesetzlichen Vergütungen für berechtigte Schrankennutzung.

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Es überrascht ferner, dass Weitin plötzlich nicht mehr von ›Urheberrecht‹ spricht (den Begriff hatte er in der geschichtlichen Darstellung noch in rechtstechnisch nicht zutreffender, aber als Bedeutungsvorgabe statthafter Weise verwendet), sondern nun den Begriff ›copyright‹ offenbar synonym setzt (S. 127). In juristischer Hinsicht ist dies freilich nicht korrekt. Der Unterschied zwischen ›copyright‹ und ›Urheberrecht‹ oder (im französischen Recht) ›droit d‘auteur‹ trennt vielmehr gerade die beiden großen und trotz aller konvergierender Entwicklungen noch immer konträren Urheberrechtssysteme, nämlich das anglo-amerikanische ›copyright‹-System und das kontinentaleuropäische ›droit d‘auteur‹-System. Es ist daher nicht einerlei, ob der eine oder andere Begriff verwendet wird. Verwendet man einer in Anglizismen vernarrten Sprachmode folgend den Begriff ›copyright‹, so schwingt damit auch ein inhaltlicher Wandel des Verständnisses von Urheberschutz mit. Denn das ›copyright‹ ist von seiner Grundidee her (und aus dem eigentlichen Wortsinn ohne weiteres ableitbar) ein Verwertungsrecht, welches die persönlichkeitsrechtlichen Schutzaspekte eines Urheberrechts nach kontinentaleuropäischem Verständnis gerade nicht umfasst. Man könnte es auch so formulieren: In der vermeintlich modernen Begrifflichkeit steckt gerade eine Reduzierung oder – wenn man so will – eine Degradierung des Urheberrechts.

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Resümee

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Als Fazit kann gelten: Der schlanke Band ist randvoll mit tiefsinnigen Gedanken zum Verhältnis von Literatur und Recht. Weitin führt seine Leserschaft in die Weiten der Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie sowie der literaturwissenschaftlichen Theorieansätze und philosophischen Ideengeschichte. Das Buch hat die Kraft, dem Dialog zweier Disziplinen mit vielerlei – in der Sprache als gemeinsames Medium begründeten – Ähnlichkeiten bei dennoch scharfer Abgrenzbarkeit zu befördern und wiederzubeleben. Ein insbesondere auch für Juristen höchst lesenswertes Werk.

 
 

Anmerkungen

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 13.6.2007, in: Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht (ZUM) 2007, S. 829–839. Siehe dazu näher Eva Inés Obergfell: Der Fall Esra – Eine Neujustierung des Verhältnisses von Persönlichkeitsrecht und literarischer Kunstfreiheit? In Claude C. Conter (Hg.): Justitiabilität und Rechtmäßigkeit – Verrechtlichungsprozesse von Literatur und Film in der Moderne. (Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 73) Amsterdam, New York: Rodopi 2010, S. 65–81.   zurück
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bd. 30, S. 173 (189); vgl. auch Bd. 67, S. 213 (226); Bd. 83, S. 130 (138).    zurück
Die Rechtsprechung verwendet den Begriff der Eigentümlichkeit hingegen synonym mit den Begriffen Schöpfungshöhe und Gestaltungshöhe, die auf die erforderliche Individualität eines urheberrechtlichen Werkes hindeuten.   zurück
In diesem Sinne Manfred Rehbinder: Urheberrecht. 16. Aufl. München: C. H. Beck 2010, S. 46.   zurück