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Kaleidoskopische Narratologie

Filmisches Erzählen im Kontext von 'Unzuverlässigkeit', 'Audiovisualität' und 'Musik'

  • Susanne Kaul / Jean-Pierre Palmier / Timo Skrandries (Hg.): Erzählen im Film. Unzuverlässigkeit, Audiovisualität, Musik. (medien-kultur-analyse 6) Bielefeld: transcript 2009. 280 S. Kartoniert. EUR (D) 27,80.
    ISBN: 978-3-8376-1134-2.
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Vorspann

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Filme erzählen Geschichten. In diesem Punkt herrscht innerhalb der Forschung Konsens. Bei der Zusammenführung der Bereiche ›Film‹ und ›Erzählen‹ ergeben sich indes vornehmlich zwei grundlegende Probleme, ein medientheoretisches und ein methodologisches. Zum einen muss man sich fragen, inwiefern die einzelnen medialen Komponenten zusammenwirken, sie ihr jeweiliges Potential zur Geltung bringen und wie und ob überhaupt die Möglichkeit für einen jeweiligen Medienbestandteil besteht, narrativ zu verfahren. Zum anderen − und dies trifft einen aktuellen Diskussionspunkt − ist die Applikation literaturwissenschaftlich geprägter und erprobter Anwendungsmittel zu überprüfen.

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Der angedeutete Grundstock ist es, der ein weites Feld an Desideraten offenlegt und den Eindruck eines insgesamt kaleidoskopischen Charakters der filmwissenschaftlichen Narratologie vermittelt. In dieser Hinsicht ist Erzählen im Film. Unzuverlässigkeit, Audiovisualität, Musik gewissermaßen up to date, wenn er sich den Feldern Unzuverlässigkeit, Audiovisualität und Musik in vierzehn Aufsätzen widmet und die Diskussionen mit einem anschließenden Forschungsbericht abrundet. Der Bereich der Unzuverlässigkeit eröffnet den vorliegenden Band mit elementaren Fragestellungen, die hinsichtlich der Diskrepanz zwischen literaturwissenschaftlichen Terminologien und ihrer Anwendbarkeit auf das Medium Film gestellt werden. Mehrere Sichtweisen belegen den Forschungsbedarf, liefern zugleich aber interessante Weiterführungen. Versteht sich Audiovisualität als Oberbegriff der filmmedialen Vermittlungskompetenz, so kann die Musik als ein Sonderfall im filmischen Gefüge angesehen werden. Die Aufschlüsselungen der einzelnen medialen Komponenten bringen die Einsicht zutage, dass das narratologische Grundgerüst, wenn nicht einer grundlegenden Revision, so doch einer ausführlichen Ergänzung bedarf. Und schließlich wird die Filmmusik der Frage unterzogen, ob sie überhaupt erzählen kann. Welche medialen Probleme ergeben sich, und lassen sich diese überhaupt lösen?

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Ein Sammelband zeichnet sich stets durch eine Multiperspektivität aus, der es einer Rezension gerecht zu werden obliegt. Dennoch soll es hier nicht darum gehen, alle Beiträge zu rekapitulieren, sondern vielmehr Schwerpunkte zu extrahieren und diese in den Kontext der aktuellen filmwissenschaftlichen Narratologie einzubetten. Es sei vorausgeschickt, dass der Band wertvolle, das heißt sachdienliche Ansätze liefert. Allerdings vermag er es stellenweise nicht, ein dem Oberthema entsprechendes Problem in seinem Kern zu erfassen und wiederzugeben.

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Exposition

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Grundlegend für eine Auseinandersetzung mit dem Erzählen im Film ist zunächst die Klärung der Frage nach der transmedialen Applizierbarkeit von narratologischen (literaturwissenschaftlichen) Kategorien. Das zentrale und dezidiert theoretische Problem liegt dabei nach wie vor in der Frage nach einem Filmerzähler. Konzeptionell begrüßenswert ist die Voranstellung des Beitrags von Michael Scheffel (»Was heißt (Film-)Erzählen? Exemplarische Überlegungen mit einem Blick auf Schnitzlers ›Traumnovelle‹ und Stanley Kubricks ›Eyes Wide Shut‹«).

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Scheffel stellt zu Anfang die elementare Frage ›Was heißt Erzählen?‹ und gibt mehrere Antworten, die sich nach einem engen und einem weiten Begriffsverständnis richten. In der Folge schließt er sich Dietrich Weber 1 an, welcher mit seinem engen Erzählbegriff unter anderem die ›Vermittlung von Nicht-Aktuellem‹ prononciert. Scheffel gelangt mit Hilfe dieses Begriffs zu der Einsicht, dass das Erzählen im Film grundsätzlich anderen Mechanismen gehorcht und es vor allem von anderen medialen Bedingungen abhängt als das literarische Erzählen. Dass dabei die Explikation des Filmerzählers als schwierig herausgestellt wird, da mit Blick auf die Kamera (als einzig prädestiniertem Kandidaten für diese Funktion) schwerwiegende Kritikpunkte gesammelt worden sind, erscheint dabei jedoch etwas zu kurz gegriffen. Die Annahme eines Filmerzählers ist zutreffenderweise nach wie vor umstritten. Neueste Ansätze jedoch − wie etwa der von Markus Kuhn 2 − ziehen ebenso andere filmmediale Mittel zur Bestimmung hinzu.

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Die Kamera ist eine präsente Gestaltungsinstanz und hält aufgrund dessen Webers Kriterium der ›Nicht-Aktualität‹ nicht stand. Wie sieht es aber mit der Montage aus? Liegt hier nicht ein Mittel vor, das einen (idealtypisch gesehen) ›nachträglichen‹ Selektions- und Linearisierungsprozess formiert? Freilich bringt sie andere Probleme mit sich, die insbesondere ihre Abstraktheit betreffen. Versucht man indes die Montage als ein narratives Mittel zu verstehen, vermag sie auf einen ›nachträglichen‹ Gestaltungsprozess im Sinn von Webers ›Nicht-Aktualität‹ hinzuweisen. Und wie steht es um den Tonkanal? Es existieren mehrere und in sich verschiedene Formen der sprachlichen Vermittlung narrativer Inhalte: Man denke an die verschiedenen Formen der Wiedergabe von Figurenrede und die syntopen und asyntopen Typen des voice-over narrators. Und auch mittels Musik ist es im Film möglich, verschiedene narrative Muster zu generieren. Einige dieser Punkte werden im weiteren Verlauf des Sammelbandes vorgestellt und einer genaueren Untersuchung unterzogen. Der Einbezug allein der Kamera wird einem Konzept des filmischen Gestaltungsvermögens hinsichtlich der Narration indessen nicht gerecht.

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Und doch gelangt man bereits nach Scheffels Beitrag zu der folgenden Erkenntnis: Es ist durchaus sinnvoll, zunächst an einem filmischen Mittel wie der Kamera diejenigen Probleme aufzuzeigen, die bei der Modellierung einer Filmnarratologie entstehen (können). Die Wurzeln dieser Probleme liegen nicht darin, ein geeignetes Filmerzähler-Konzept zu erarbeiten und vorzulegen, sondern sind im Konzept selbst verhaftet. Es wird in weiten Teilen der Forschung die Tatsache vernachlässigt, dass die Tätigkeit des Erzählens nur dann einen Erzähler voraussetzt, wenn mit dem Medium Sprache operiert wird. Und selbst dann ist er umstritten: Erinnert sei hier an das Drama, an bestimmte Formen der Hyperfiktion oder aber an Hörspiele. Anders gewendet ist die Sprache aber eine medial unerlässliche Voraussetzung eines Erzählers. Wenn der Film nun ein primär visuelles Medium ist, das vornehmlich mit dem Bild und nicht mit der Schriftsprache arbeitet, dann gerät mangels Spracheinsatzes ebenfalls das Erzähler-Konzept ins Wanken. Dieser Feststellung ist Scheffel unumwunden zuzustimmen.

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Unzuverlässigkeit: literaturwissenschaftlich,
anthropologisch, phänomenologisch und praktisch

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In zwei wesentliche Richtungen teilen sich die Beiträge zur Unzuverlässigkeit im Film auf. Zum einen geht es um die theoretische Fundierung des Konzepts in seiner Anwendung auf den Film. Zum anderen findet die Analyse von exemplarischen Fallstudien statt. Dem ersten Bereich können die Ausführungen von Robert Vogt, Sandra Poppe und Josef Rauscher zugerechnet werden; den zweiten formieren Susanne Kaul, Gudrun Heidemann und Sabine Nessel.

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Was zunächst die Konzeptionierung anbelangt, so werden drei unterschiedliche Grundierungen präsentiert. Während Vogt (»Kann ein zuverlässiger Erzähler unzuverlässig erzählen? Zum Begriff der ›Unzuverlässigkeit‹ in Literatur- und Filmwissenschaft«) rein narratologisch argumentiert und den Begriff der Unzuverlässigkeit von seiner literaturwissenschaftlichen Verwendung in einen filmwissenschaftlichen (und letztlich transmedialen) Kontext hebt, bezieht sich Poppe (»Wahrnehmungskrisen − Das Spiel mit Subjektivität, Identität und Realität im unzuverlässig erzählten Film«) auf einen anthropologischen Beweggrund für die Ausprägung des unzuverlässigen Erzählens in literarischen Texten und Filmen. Rauscher (»Unzuverlässigkeit des Erzählens als Steigerung des Reflexionsgrades von ›Bild-Texten‹«) blickt aus philosophischer Perspektive auf das Problem der Funktion dieser narrativen Sonderform. Tatsächlich stehen die drei Verständnisse nicht nur nebeneinander, sondern könnten integrativ verwendet werden: Sie ergänzen einander und liefern eine breite Anwendungsbasis des Begriffes. Da alle drei unterschiedliche Zugänge zum unzuverlässigen Erzählen im Film bieten, sei eine kritische Auseinandersetzung mit ihnen angefügt.

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Narrative und andere Makel

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Ein Zentrum bildet der Beitrag von Vogt. Dieser legt seinen Ausführungen zwei Problemstellungen zugrunde. Die eine resultiert aus der Annahme seitens der Literaturwissenschaft, »das Phänomen der erzählerischen Unzuverlässigkeit primär auf Erzähltexte mit einem personalisierbaren, meist homodiegetischen Erzähler zu beschränken« (S. 35). Die andere zielt auf den Redemodus des unzuverlässigen Erzählens ab − zunächst unabhängig von der Frage nach der Körperschaft des Erzählers −, welcher auf einer auf der Basis der Ironie hergeleiteten Definition fußt. Dieser zufolge ist eine explizite von einer impliziten Botschaft zu unterscheiden: das ›Gesagte‹ und das tatsächlich ›Gemeinte‹. Vogt zeigt anhand von mehreren literarischen und filmischen Beispielen, dass bisherige Theorien zur Unzuverlässigkeit durchaus Gültigkeit haben − dies illustrieren Ian McEwans Kurzgeschichte Dead as They Come und Mary Harrons Film American Psycho (USA/C 2000). Dass dieser Kern aus theoretischen Aussagen zutreffend ist, hieße aber nicht, dass mit ihm alle Fälle unzuverlässigen Erzählens erfasst würden − und dies beträfe Film und Literatur gleichermaßen [vgl. Agatha Christies The Murder of Roger Ackroyd und David Finchers Fight Club (USA/D 1999)].

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Letztlich gelangt Vogt zu dem Ergebnis, dass der Formenreichtum unzuverlässigen Erzählens mit den bisherigen Instrumentarien nicht erfasst worden ist. So macht allein ein Blick auf die literarischen Beispiele deutlich, dass unterschiedliche Beweggründe verschiedene Formen erzeugen. Dies sind der »Makel des Erzählvorgangs« ausgelöst durch einen intendierten Täuschungsversuch des Erzählers und, im Falle des nicht-intendiert Unzuverlässigen, der »psychischer Makel« der Figur (S. 44) − ein diegetisches Phänomen also. Ein andersgearteter Fall liegt in Fight Club vor: Hier ist es der Makel der Figur, der den Makel des Erzählens hervorruft: »Das falsche Bild, das der Zuschauer von der erzählten Welt gewinnt, beruht […] auf der falschen Wahrnehmung der Fokalisierungsinstanz − und nicht auf einer falschen Schilderung der Erzählinstanz« (S. 47). Warum dann jedoch nicht besser von der ›Darstellung einer unzuverlässigen Wahrnehmung‹ gesprochen werden kann, legt der folgende Sachverhalt dar: Hier ist es eben doch der Makel des Erzählvorgangs eines Ichs, ausgelöst durch die subjektiv-gestörte Sicht des erlebenden Ichs, welche filmisch-medial aufgelöst und auf mehrere mediale Kanäle verteilt und nicht (oder nicht ausreichend) markiert präsentiert wird. Vogts Kategorisierung dieser Form als unzuverlässiges Erzählen ist demnach ausreichend begründet.

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Zusammenfassend lassen sich mit Vogt zwei wesentliche Formen unzuverlässigen Erzählens voneinander abgrenzen: eine erste, bei der eine »personalisierbare, psychologisierbare Erzählerfigur« (S. 51) notwendig ist, die gewisse Makel aufweist; und eine zweite, in der die Unzuverlässigkeit keiner Erzählerfigur zuzuordnen ist, sondern sich als »narrative Strategie« (ebd.) im Erzählakt selbst manifestiert. Diese Typen können weiterführend in einem transmedialen Rahmen Verwendung finden. Die Abstufungen und Nuancierungen dieser Typologie werden an konkreten Beispielen (und ihren medialen Eigenschaften und Möglichkeiten), wie hier vorgeführt, deutlich.

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Wahrnehmungs- und Identitätskrisen

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Dem Zusammenhang von Erzählen und Wahrnehmung widmet sich Poppe in ihrem Beitrag zu ›Wahrnehmungskrisen‹. Ihrer Meinung nach problematisiert eine Reihe seit den 1990er Jahren entstandener Spielfilme das Phänomen der Wahrnehmung. Sie unterteilt den Forschungsbereich in drei Felder, die sie mit den Stichworten ›Fokalisierung‹, ›Identitätskonstruktion‹ und ›Verhältnis von Fiktion und Realität‹ benennt.

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Wie zuvor bei Vogt angesprochen, vermutet Poppe in den meisten Filmen zunächst ein »Spiel mit der Fokalisierung und deren fehlender Markierung« (S. 70). Sie spricht angelehnt an James Phelan 3 von under- und misreporting. Interessant ist der Schritt, von der Darstellung einer gestörten Wahrnehmung das Wesen der dahinter stehenden Identität zu erblicken wie auch die Art und Weise der Konstruktion jener Identität: Ganz augenscheinlich handeln Filme wie Abre los ojos (Virtual NightmareOpen your eyes, E/F/I 1997, Regisseur: Alejandro Amenábar)) von gebrochenen Figuren, deren Wahrnehmungskrisen auf eine (latente) Fehlbarkeit und Fehlerhaftigkeit des eigenen Identitätsverständnisses hindeuten. Mit dem Thema der Identitätskrise, seiner Verschiebung in den Diskurs und seine mediale Generierung gelangt die Filmerzählung auch an eine ontologische Grenze: Entspricht das, was erzählt wird, der fiktiven Wirklichkeit oder der Fantasie, der Fiktion, dem Traum?

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Neben der Wahrnehmung und der Identitätskonstruktion führt Poppe als drittes Thema konsequenterweise das Spiel mit der »Ununterscheidbarkeit zwischen Fantasie und Wirklichkeit« (S. 77) an, wie neuerdings auch Christopher Nolans Inception (USA 2010) illustrativ vorführt. Jenes gleichermaßen als Kollision und diskursive Konvergenz realisierte Spiel legt den Schluss nahe, dass sich »Realität und Subjektivität […] gegenseitig bedingen« (S. 79) und unzuverlässiges Erzählen als ein gemäßes narratives Mittel verwendet wird. Darüber hinaus wird aber auch deutlich, dass mit einer subjektivistischen Realität stets eine Unzuverlässigkeit ihrer Konstruktion einhergeht. Ein weiterer Gedankengang könnte die Frage hervorrufen, welche Bedingungen der heutigen Welt es sind, die zu solchen Narrationen herausfordern. Und welche Wege wird der zukünftige Film einschlagen, um die Krisen − die gleichermaßen Aufschwung und Brüchigkeit des Erzählens verkörpern − zu bewältigen?

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Das Ende der Narration im ›Filmtext‹

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Eine dritte, philosophisch ausgerichtete Position vertritt schließlich Rauscher. Für ihn ist die Unzuverlässigkeit filmischen Erzählens bereits dem Medium selbst inhärent, und zwar aufgrund seiner Bildhaftigkeit. Damit hebt er einmal auf Platons konträren Gegensatz von ›mimesis‹ und ›diegesis‹ ab und diagnostiziert für den Film mit John Berger 4 eine ›andere Art des Erzählens‹. Zum anderen kommt er auf die Konstruktion logischer Zusammenhänge durch filmische Bilder und ihre Umdeutung zum Unzuverlässigen zu sprechen.

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Für Rauscher steht fest, dass der Film ein durch seine Medialität bedingtes Hybrid darstellt, das per se zum ›Zeigen‹ verurteilt ist. Ebenso sei er jedoch mittels Schnitt und Montage imstande, eine »syntaktische[…] Fügung« (S. 125) der Einzelbilder herzustellen, um logische Zusammenhänge und somit auch Erzählungen zu generieren. Unzuverlässigkeit finde auf zwei Wegen Eingang in die Filmerzählung: erstens »als Störung der narrativen Bilderketten durch andere Bilder« und zweitens dadurch, »dass Lücken zwischen verschiedenen Bildgefügen nicht sinnvoll zu überbrücken sind« (S. 128). Beides, das Einfügen von ›Fremdmaterial‹ wie auch das Unterlassen von Lückenfüllungen, setze eine narrative Instanz voraus, die jene Inkonsistenzen bewusst herbeiführe und ebenenlogisch ’über’ dem Figurenerzähler zu lokalisieren sei (S. 131).

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Allerdings binde sich das unzuverlässige Erzählen nicht an jene Erzählinstanz, sondern an jenes Phänomen, welches Gilles Deleuze das ›Unbestimmbarkeits- oder Ununterscheidbarkeitsprinzip‹ 5 nennt, im Rahmen dessen die Struktur des Films den Zuschauer zur Reflexion herausfordere. Mit anderen Worten liefert der Film mit seinen Inkonsistenzen, Brüchen und Ambiguitäten keine gradlinige und homogene Erzählung, sondern er verlagert die Leistung einer Herstellung von Zusammenhängen in den Bewusstseins- und Kognitionsapparat des Rezipienten − man erinnert sich dabei auch an David Bordwells viewer’s activity-Konzept. Dieses Extrem der Verlagerung der Erzählung in den Zuschauer lässt Rauscher schließlich vom »Ende der Narration« (S. 133) sprechen.

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Insbesondere der sogenannte postmoderne Film fordert den Zuschauer auf, über das Konzept ›Welt‹ zu sinnieren. Dies erreicht er durch die mittels unzuverlässigen Erzählens forcierte Steigerung der Reflexion und des Reflexionsgrades. Die Reflexion des Zuschauers erfasst nicht nur den Film selbst, sondern richtet sich folglich zudem auf die reale Welt. Die »Unzuverlässigkeit der Erzählungen als das wahre Telos« ermögliche es Rauscher zufolge nunmehr, »jenseits der Erzählung und jenseits der rechnenden Logik im Bilddenken den Geist zur Welt kommen lassen zu können« (S. 137). Mit diesem Statement hat die Auseinandersetzung mit der Unzuverlässigkeit im Film die Immanenz des Mediums verlassen und tendiert in Richtung Diskursanalyse und des andauernden Konflikts, welchen das Individuum mit der Außenwelt auszutragen hat.

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Betrachtet man alle drei Positionen in nuce, so wird schnell deutlich, welchen heuristischen Wert eine ausführliche Beschäftigung mit dem Phänomen der Unzuverlässigkeit haben kann.

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Analysen

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Die mehr an der Analysepraxis orientierten Ansätze von Kaul, Heidemann und Nessel zeigen an verschiedenen Beispielen und Beispielfeldern die Flächigkeit unzuverlässigen Erzählens im Film auf. Mit Michael Hanekes Caché (F u.a. 2005) setzt sich zunächst Kaul (»Bilder aus dem Off. Zu Hanekes ›Caché‹«) auseinander. Dieser Film sei aufgrund seiner »unentscheidbare[n] Inkohährenzen« (S. 61) ein Paradebeispiel zur Veranschaulichung der Problematik des unzuverlässigen Erzählens. Er mache deutlich, dass bei dieser Art des Erzählens nicht allein von einem Figurenerzähler ausgegangen werden kann, sondern der Erzählakt selbst in den Vordergrund rücken sollte − in diesem Sinn verfolgt Kaul dieselbe Linie wie zuvor Vogt. Heidemanns Beitrag (»Narrative Dublikate − Dostojewskijsche Schein- und Seinskämpfe in Finchers ›Fight Club‹«) behandelt weniger medienontologische als vielmehr motivgeschichtliche Fragen, wenn sie Parallelen zwischen Finchers Fight Club und Fjodor Dostojewskis Dvojnik (Der Doppelgänger) aufdeckt. Einen dritten Untersuchungspool, den der Berliner Schule, untersucht Nessel in ihrem Beitrag (»Ferien vom Erzählen: Leerstellen, Ellipsen und das Wissen vom Erzählen in neuen Autorenfilmen der Berliner Schule«) und bezieht sich dabei unter anderen auf Thomas Arslans Film Ferien (D 2007). Nessel bestätigt indirekt Rauschers Erläuterungen, wenn sie − ausgehend von Tom Gunnings vielzitiertem Text ›Cinema of attractions‹ − in besagtem Beispiel eine klare Abwendung von der Narration hin zu einem ›Zeigen‹ konstatiert, das dem Erzählen eigentlich nicht zuzurechnen sei (S. 110).

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Diese der Analyse zugewandten Beiträge bestätigen jeder auf seine Art die vorangegangenen theoretischen Überlegungen. Die erste Sektion erscheint somit in einem runden Gesamtbild.

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Audiovisualität: Von Genres, Gefühlen,
Stimmen und einem ›Erzählen ohne narrative Struktur‹

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Eine der ersten Sektion entsprechende Aufteilung in Theorie und Praxis liegt für den zweiten Abschnitt nicht vor. Vielmehr werden einzelne Phänomene, deren filmmediale Realisierung beachtenswert erscheint, aufgegriffen und behandelt. An und für sich ist dieser Umstand misslich, denn die Audiovisualität ist das elementarste Merkmal des Mediums Film; und nicht nur das: Wie die einzelnen Beiträge implizit bekräftigen, wirkt sich die ›breitflächige‹ Medialität des Films in besonderer Weise auf die Narration, die im Film erzählte Geschichte, aus. Wünschenswert wären demnach auch hier theoretische Fundierungen bezüglich der medialen Eigenschaften des Films gewesen: Erzählung und Medium hängen zusammen, und je nach Medium verändern sich ebenso die Bedingungen des Erzählens und mit ihnen der Aufbau der Erzählung. Jedoch lässt sich auch ein Argument für eine eher praktisch orientierte Behandlung − wie hier vorliegend − ausfindig machen, wie einer der Herausgeber an den vorherigen Untersuchungsbereich anknüpfend betont: »Die stark theoretisierte Debatte hat eine Untersuchung des Phänomens narrativer Unentscheidbarkeit bisher nicht zur Entfaltung kommen lassen« (S. 143). Möglicherweise ist dies auch bei der Audiovisualität der Fall, und die einzelnen Beiträge ließen sich als Chance einer näheren Bestimmung des Phänomens begreifen.

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Genres

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Als erster Bereich ist das Feld des Genres zu nennen. Die verschiedenen Genres zeichnen sich nicht nur durch unterschiedliche Themen, Motive, Handlungsmuster und Erzählweisen aus, sondern auch durch die Art und Weise ihrer medialen Gestaltung. Zu einem besonderen Genre, der Sitcom, arbeitet Roy Sommer mehrere Gedanken aus (»Vom Theaterfilm zum ›mock-documentary‹: Audiovisuelles Erzählen im Fernsehen am Beispiel der britischen Situation Comedies ›Dad’s Army‹ und ›The Office‹«). Dabei ist nicht die Genre-Problematik innerhalb der film- oder literaturwissenschaftlichen Theoriebildung Gegenstand der Ausführungen, sondern vielmehr der Einfluss audiovisueller Mittel auf die Ausbildung von genrespezifischen Narrationsmustern.

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Stimmen

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An zweiter Stelle geht Bernard Dieterle der Stellung und der Funktion der verbalsprachlichen Stimme im Film nach (»Erzählerstimme im Film«). Die ›Erzählerstimme‹ ist das Bindeglied zwischen dem (aus anthropologischer Sicht) ›prototypischen‹ Erzählen mittels Sprache und der polymedialen Ausformung im Film. Beim Terminus ›Stimme‹ denkt der narratologisch arbeitende Literaturwissenschaftler unmittelbar an Gérard Genettes Discours du récit und seine linguistische Herleitung des Begriffs ›voix‹. Allein der Name Genette fällt nicht. Dafür bietet Dieterle ein Tableau mehrerer Stimmen im Film. Er greift Seymour Chatmans grobe Einteilung in On-, Off- und Over-Sound auf und erweitert diese zugleich. Offensichtlich ist der Einsatz von Erzählerstimmen bei genauerer Betrachtung nicht leicht zu bestimmen. Eine solche Bestimmung vermisst man auch bei Dieterle. Aber bereits die Sensibilität des Autors für die ›Stimmenvielfalt‹ imponiert, und weist in eine Richtung, die den Forschungsbedarf aufzeigt. Er arbeitet zum ersten eine Art »Spielleiter« (S. 161) heraus, einen Figurenerzähler, der durch seine Fähigkeit auffällt, in das Geschehen einzugreifen und es (teilweise) zu lenken. Zweitens kommt eine (unter anderen bei Maguerite Duras zu beobachtende) Form der Polyphonie zum Tragen, worin keiner Einzelstimme die leitende Funktion einer Erzählstimme zugesprochen werden kann. Eine dritte Art des ›besonderen‹ Stimmeinsatzes erkennt Dieterle schließlich in Lars von Triers Dogville (DK u.a. 2003), welcher die filmischen Mittel auf ein Minimum reduziert und die Fiktion fast ausschließlich qua Erzählerstimme errichtet.

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Emotionen und Nicht-Narrationen

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Drittens und viertens stehen einmal die Darstellung von Gefühlen (Jean-Pierre Palmier: »Gefühle erzählen. Narrative Unentscheidbarkeit und audiovisuelle Narration in Christoffer Boes ›Reconstruction‹«) und ein andermal ein Spezialfall audiovisuellen Erzählens in Filmen von Peter Greenaway (Sascha Seiler: »Audiovisuelles Erzählen in Peter Greenaways frühen Filmen«) im Fokus der Betrachtung.

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Ersteres wird von Palmier an das Feld der narrativen Unentscheidbarkeit gekoppelt. Das Anliegen ist es zu untersuchen, auf welchen audiovisuellen Ausgangspunkten Emotionen von Figuren manifestiert und zum anderen, wie bestimmte Gefühlslagen beim Zuschauer ausgelöst werden. Reconstruction (DK 2003) scheint ein für das Vorhaben vorteilhaft gewähltes Beispiel zu sein. Denn einmal dreht sich die Handlung hauptsächlich um eine Liebesgeschichte. Zudem wird metareflexiv erzählt: Das Dargestellte weise »logische Widersprüche der Handlung« (S. 148) auf, und narrative Variationen ein und derselben Szene, die »gleichberechtigt nebeneinander« (ebd.) stehen, seien eingefügt. So rücke das Thema der Evokation von Gefühlen ebenfalls ins Zentrum des Filmdiskurses.

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Welche Möglichkeiten sich beim audiovisuellen Erzählen bieten, illustriert ebenfalls Seiler an einem filmischen Grenzfall, nämlich Peter Greenaways frühen Experimentalfilmen, die zwischen Narration und ästhetischer Präsentation zu verorten sind. Dabei erschließt sich allerdings nicht, warum Filmen, die »keiner narrativen Struktur, keiner von Schauspielern performativ vorangetriebenen Handlung folgen« eine »spezifische Art audiovisuellen Erzählens« (S. 175) zugesprochen werden sollte.

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Musik: Grenzfall des Filmischen und der Ausweg ›Musikvideoclip‹

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Die Musik im Film ist ein prominentes und gleichermaßen vernachlässigtes Mittel des filmischen Erzählens. Prominent ist sie deshalb, weil die Forschung zur Filmmusik durchaus prosperiert; vernachlässigt dann aber aus dem Grund, weil die Rolle der Musik innerhalb der Gestaltung der Filmnarration nach wie vor ein Desiderat darstellt. Auch der vorliegende Band vermag keine befriedigende Antwort auf die Frage geben, wie Musik im Spielfilm erzählt. Freilich kann es einem Sammelband nicht obliegen, endgültige Antworten zu geben. Tatsächlich nimmt jedoch keiner der drei Aufsätze (von Lars Oberhaus, Andreas Blödorn und Oliver Krämer) den Spielfilm in den Blick. Stattdessen konzentrieren sich die Autoren auf andere Gattungen (Musikvideo) oder aber auf Spezialfälle (Jazzfilm).

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Jazz

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Die Sektion eröffnet Oberhaus (»Jazz erzählt − Narrativität zwischen Konstruktion und Improvisation in Jazzfilmmusik der 1950er Jahre«), der elementare Grundlagen der filmmusikalischen Auseinandersetzung und die Behandlung eines Grenzfalls filmischen Erzählens vorlegt. Dazu arbeitet er geflissentlich eine Bandbreite verschiedener Positionen in der Philosophie und der Sprachwissenschaft bis hin zu erzähltheoretischen Standpunkten, vor allem von Werner Wolf 6 , heraus. Ein nächster Schritt besteht in der Aufstellung musikalischer Verfahrensweisen im Film, verschiedene Arten des musikalischen Einsatzes in Verbindung mit dem visuellen Kanal also. Dies mündet in die Präsentation unterschiedlicher funktionaler Erzählverfahren, zu denen Oberhaus nach Hansjörg Pauli 7 die Paraphrasierung, die Polarisierung und die Kontrapunktierung zählt. Sicherlich ist dieses Schema zu grobmaschig, und es ließe sich anhand einer Beispielanalyse ergänzend fortführen. Einen Einzelfall liefert der Autor nicht, sondern präsentiert stattdessen ein recht heterogenes Sammelsurium mehrerer der ›Gattung‹ Jazzfilm zugehöriger Filme. Es gelingt ihm dabei zwar zu widerlegen, dass Jazz, einem schlechten Image getreu, lediglich als »musikalische Untermalung niedriger sozialer Umstände oder gestörter Beziehungen« (S. 218) genutzt würde. Dagegen kommen die erzähltheoretischen Themen wie die Kombination von »extra- und intradiegetischer Erzählebenen« (S. 215) am Beispiel von On The Waterfront (Die Faust im Nacken, USA 1954, R.: Elia Kazan) wie auch die besondere »Art interne[r] Fokalisierung« (S. 218) in Ascenseur pour l’échafaud (Fahrstuhl zum Schafott, F 1958, R.: Louis Malle) eindeutig zu kurz. Im Kontext des Erzählens im Film wären dies jedoch interessante Aspekte gewesen.

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Musikvideoclip

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Die beiden abschließenden Beiträge von Krämer (»Erzählstrategien im Videoclip am Beispiel des Songs ›Savin Me‘‹ der kanadischen Rockband Nickelback«) und Blödorn widmen sich dem Problemfeld Musikvideoclip und somit einer besonderen Gattung filmischen Erzählens. Dass hier grundlegend zwischen performativen und narrativen Spielarten unterschieden werden muss, ist ein wesentlicher Grund dafür, das Erzählen lediglich als einen Darstellungsmodus im audiovisuellen Kontext zu betrachten. Blickt man insbesondere auf Blödorns Ausführungen, so lassen sich aber durchaus Erkenntnisse extrahieren, die auch für die Analyse von narrativen Spielfilmen Relevanz haben.

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In Blödorns »Bild / Ton / Text. Narrative Kohärenzbildung im Musikvideo, am Beispiel von Rosenstolz ›Ich bin ich (wir sind wir)‹ « dreht es sich vornehmlich um die narratologischen Kategorien Figur und Zeit. Um dem »audiovisuellen Zusammenspiel« (S. 228) der einzelnen Phänomene des gewählten Beispiels gerecht werden zu können, geht Blödorn von einer »Hervorbringungsinstanz« (S. 224) aus, die nicht mit der »Gesangsinstanz« (S. 225) gleichzusetzen sei und verantwortlich für den Zusammenhang von Bild, Sprache und Musik zu sein scheine, die folglich die Organisation der »visuellen Schicht« (S. 231) sowie die »Vermittlung eines semantischen Mehrwertes« (ebd.) übernehme. Und eben dies stellt den zentralen Punkt der Auseinandersetzung dar: Auch in der Behandlung des Musikvideoclips lassen sich Aussagen zum Erzähler im Film treffen − dass diese hier keinen universalen Charakter behaupten können und der Begriff der ›Hervorbringungsinstanz‹ etwas sperrig daherkommt, ist zweitrangig. Vielmehr überzeugt die Feststellung, dass mit der Einnahme einer textimmanenten Analyseausrichtung keine der medialen Komponenten als strukturgebende Führungs- und Fügungskonstituente auserkoren werden kann − auch nicht der Gesang, obwohl die »Dominanz des sprachlichen Textes« (S. 229) durchaus konstatiert werden muss. Ihr Zusammenspiel untereinander ist ausschlaggebend, da es möglicherweise auf eine wie auch immer geartete abstrakte Gestaltungsinstanz hindeutet. Mit dieser Aussage ließe sich ein Bogen zum vorangestellten Beitrag von Scheffel spannen und der Erzähler-Frage weiter nachgehen. Allerdings wird hier wie auch schon in den anderen versammelten Texten die spannende Frage nach einer Erzählinstanz im Film nicht gestellt.

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Abspann

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Erzählen im Film greift drei wesentliche Bereiche der Diskussion um die Probleme mit dem narrativen Film auf. Versammelt werden hier nicht nur unterschiedlich akzentuierte, sondern über weite Strecken auch versierte Analysen zur Unzuverlässigkeit, Audiovisualität und Musik. Begrüßenswert ist vor allem auch der abschließende Forschungsbericht von Laura Sulzbacher und Monika Socha, der zum filmwissenschaftlichen Weiterforschen und Hinterfragen anregt. Das Grundkonzept ist ein rundes, der Leseeindruck ein guter.

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Insgesamt ist sicherlich die erste Sektion am überzeugendsten zusammengestellt: Die Kombination aus breit gefächerter theoretischer Fundierung und praktischer Anwendung ist ausgeglichen-homogen und vermag doch einen multiperspektivischen Blick auf das Phänomen der Unzuverlässigkeit zu entwerfen. Dies ist auch auf die Tatsache zurückzuführen, dass dieser Teil den größten Platz im Sammelband einnimmt und mit knapp 100 Seiten deutlich stärker repräsentiert ist als die anderen beiden Sektionen. Diese sind wiederum deutlich heterogener, sie weisen vor allem aber einen unterschiedlich starken Bezug zum Titel des Bandes auf.

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Blickt man auf die Titelgebung, so ist auf der editorischen Metaebene nicht ausreichend expliziert, was mit den Begriffen ›Erzählen‹ und ›Film‹ gemeint ist (oder vorausgesetzt wird). Ohne eine gemeinsame definitorische Grundlage oder Zielrichtung gerät der Band in die missliche Lage, genau das Bild widerzuspiegeln, das derzeit ebenfalls in der Forschung vorzufinden ist, nämlich ein uneindeutiges: Die aktuelle filmwissenschaftliche Narratologie zeigt sich disziplinär verzerrt und gleichermaßen erfrischend diskussionsfreudig, indem sie sich zwischen dem Filmerzähler und kognitiven Schemata, zwischen Produktionsebene und Filmebene und somit zwischen textimmanenter Beschreibung und kontextueller Einbettung hin und her bewegt.

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An dieser Stelle bleiben infolgedessen die nachstehenden Fragen offen: Was wird unter Erzählen eigentlich verstanden? In einem transmedialen Verständnis gefragt: Welche narrativen Konstituenten sind zwingend notwendig, welche andererseits lediglich fakultativ, und welche anderen Muster wiederum (zer)stören eine Erzählung? Was wird unter dem Erzählen im Film begriffen, wenn klare Zuweisungen medial-ästhetischer Mittel fehlen (oder in Frage gestellt werden) und von Filmen ohne narrative Struktur als Werke mit einer »spezifische[n] Art audiovisuellen Erzählens« (S. 175) gesprochen wird? Und welches Feld umfasst überhaupt der nach der Lektüre doch einigermaßen unklare Terminus ›Film‹ − nur den Spielfilm oder auch Fernsehserien, Musikvideos und Experimentalfilme? Was gewinnt und was verliert man bei einer Ausweitung des Begriffsverständnisses wie sie offensichtlich zugelassen worden ist?

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Erzählen im Film zeichnet sich durch seine Multiperspektivität aus, seine diversen Zugriffsweisen auf den Gegenstand des narrativen Films. Die entstehende Heterogenität veranlasst zu dem Hinweis, es hier mit keiner Einführung in die Filmnarratologie zu tun zu haben. Im Gegenteil fordern die einzelnen Beiträge dazu auf, in einen kritischen Dialog zu treten. Unterstrichen wird dies letztlich besonders dadurch, dass alle Autoren sehr nahe am Beispiel entlang argumentieren. Im Großen und Ganzen kann diese Umsetzung überzeugen.

 
 

Anmerkungen

Dietrich Weber: Erzählliteratur. Schriftwerk, Kunstwerk, Erzählwerk. Göttingen: 1998.   zurück
Kuhn, Markus: »Film narratology: Who tells? Who shows? Who focalizes? Narrative mediation in self-reflexive fiction films«. In: Peter Hühn / Wolf Schmid / Jörg Schönert (Hg.): Point of view, perspective, and focalization. Modeling mediation in narrative. Berlin, New York: 2009, S. 259–278.   zurück
James Phelan: Living to tell about it. A rhetoric and ethics of character narration. Ithaca, London: 2004, S. 52.   zurück
John Berger / Jean Mohr: Eine andere Art zu erzählen. München: 1984.   zurück
Gilles Deleuze: Das Zeitbild. Kino 2. Frankfurt/M.: 1991, S. 33.   zurück
Werner Wolf: »Das Problem der Narrativität in Literatur, Bildender Kunst und Musik. Ein Beitrag zu einer intermedialen Erzähltheorie«. In: Ansgar Nünning / Vera Nünning (Hg.): Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär. Trier: 2002, S. 23–104.   zurück
Hansjörg Pauli: »Filmmusik. Ein historisch-kritischer Abriß«. In: Hans-Christian Schmidt (Hg.): Musik in den Massenmedien, Rundfunk und Fernsehen. Mainz: 1976, S. 91–119.   zurück