IASLonline

Europäische Jesuiten in Lateinamerika

  • Johannes Meier / Fernando A. Aymoré (Hg.): Jesuiten aus Zentraleuropa in Portugiesisch und Spanisch-Amerika. Ein bio-bibliographisches Handbuch. Band 1: Brasilien (1618-1760). Münster: Buchverlag Aschendorff 2006. XXXIX, 356 S. Gebunden. EUR (D) 49,00.
    ISBN: 978-3-402-03780-5.
  • Johannes Meier / Christoph Nebgen (Hg.): Jesuiten aus Zentraleuropa in Portugiesisch- und Spanisch-Amerika. Ein bio-bibliographisches Handbuch. Band 3: Neugranada (1618-1771). Münster: Buchverlag Aschendorff 2009. XXXIV, 244 S. Gebunden. EUR (D) 43,00.
    ISBN: 978-3-402-11788-0.
[1] 

Die beiden Bände sind die ersten erschienenen Ergebnisse eines Forschungsprojekts Jesuiten aus Zentraleuropa in Portugiesisch- und Spanisch-Amerika der Universität Mainz am Seminar für Kirchengeschichte unter der Leitung von Professor Johannes Meier. Der Chileband und die Bände über Quito, Peru und Paraguay werden folgen.

[2] 

Ein Handbuch zu dem Wirken der deutschen Jesuiten in Südamerika war sicherlich seit langer Zeit ein Desiderat, zumal die neuere Forschung auch außerhalb der Kirchengeschichte im engeren Sinn die kulturellen Leistungen der Jesuiten herauszuarbeiten hat, die etwa das Erziehungswesen in Brasilien betreut oder sich in zahlreichen Wissenschaften betätigt haben. Bleibende Berühmtheit haben die Reduktionen in der Provinz Paraguay erworben, wo die Jesuiten die oft nicht sesshaften Indianer in dorfähnlichen Strukturen zusammenführten (so der ursprüngliche Sinn von spanisch reducir in diesem Kontext), missionarisch betreuten und ihr soziales Leben weitgehend unabhängig von der Kolonialverwaltung organisiert haben, auch wenn sie nie einen Jesuitenstaat formten.

[3] 

Der Brasilienband

[4] 

Der Brasilienband wurde bearbeitet von Fernando Amado Aymoré. Brasilien war die erste südamerikanische jesuitische Provinz, die1553 gegründet wurde, nachdem die ersten Jesuiten schon 1549 mit dem ersten Generalgouverneur nach Brasilien kamen, als sich die vorhergehende Erschließung des Landes durch Capitanien, denen Donatários vorstanden, als nicht nachhaltig erwiesen hatte. Die Jesuiten wirkten in Brasilien bis zu ihrer Vertreibung 1759, als sie nicht mehr in das Selbstverständnis des aufgeklärten absolutistischen Staats passend von dem portugiesischen Minister Pombal unter für die Betroffenen oft bedauernswerten Umständen vertrieben wurden. In den spanischen Kolonien erfolgte die Vertreibung 1767 / 1768.

[5] 

Das Handbuch versteht sich als bio-bibliographisches Werk und sollte in dieser Beschränkung gesehen werden, da eine grundlegende Erfassung der vorhandenen Quellen, viele auch unpubliziert als Manuskripte in Archiven verstreut vorliegend, vorrangig nötig war. Die einzelnen Bände sind einheitlich strukturiert. Zuerst wird die Geschichte der jeweiligen Ordensprovinz vorgestellt, historisch, topographisch und in Bezug auf die wirtschaftlichen Grundlagen. Es folgt ein Teil über die Ethnologie der indigenen Bevölkerung, und schließlich Informationen über die Entwicklung der Missionsgebiete. Dann beginnt das eigentliche Ziel des Projekts, die Vorstellung der Missionare zentraleuropäischer Provenienz, sowohl was ihre Herkunft und ihren Werdegang als auch ihr Indianerbild und ihr Missionsverständnis betrifft, soweit die Dokumente dies ermitteln lassen. In einigen anschließenden Kapiteln werden besondere Leistungen gewürdigt, also etwa Beiträge in der Wissenschaft oder, wie im Neugranadaband, die Seelsorge für die afrikanischen Sklaven oder administrative Tätigkeiten, schriftstellerische Arbeiten, etwa Werke zur Ordenshistoriographie. Es folgt ein leider nur überschlägiges Kapitel über die Mission im Verständnis der betroffenen indigenen Völker und schließlich die Schilderung der Ausweisung und eine knappe Bewertung des jesuitischen Wirkens aus heutiger Sicht. Anschließend finden sich die eigentlichen Projektergebnisse, der bio-bibliographische Teil, gegliedert nach den Missionaren, wobei Priester und Brüder unterschieden werden, sowie einige Sonderfälle, etwa auf der Reise Verstorbene oder Jesuiten, deren Zugehörigkeit zu den zentraleuropäischen Provinzen man nicht sicher kennt.

[6] 

Die meisten der behandelten Jesuiten sind inzwischen wohl nur noch den Spezialisten bekannt. Vor allem einige in Brasilien Wirkende haben aber ein wichtiges Œuvre hinterlassen, das in den bio-bibliographischen Anhängen erschlossen ist und auch über die Missionsgeschichte hinaus von großer Bedeutung ist. Anselm Eckart konnte etwa mit Hilfe seines protestantischen Gönners Christoph Gottlieb Murr Artikel zur Indianersprache Tupi veröffentlichen. Von Laurenz Wilhelm Kaulen (1716 bis circa 1797) gibt es Zeugnisse über den langjährigen Gefängnisaufenthalt in Portugal nach der Ausweisung, den er auf Order von Pombal erdulden musste. Kaulen schrieb in seiner Kerkerhaft auch ein kleines Werk, die Resposta apologetica, gegen das 1769 entstandene antijesuitisch inspirierte Epos O Uraguay von José Basilio da Gama. Das Schicksal der in Neugranada wirkenden Jesuiten nach ihrer Vertreibung war weniger grausam, sie konnten in ihre Heimat zurückkehren, einer ging in den Kirchenstaat.

[7] 

Der Neugranadaband

[8] 

Der zweite bisher vorliegende Band ist Band 3, der die Provinz Neugranada behandelt. Er wurde bearbeitet von Christoph Nebgen. Neugranada umfasste die heutigen Staaten Kolumbien, Panama und Venezuela und zumindest bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, als die Insel zwischen Spanien und Frankreich geteilt wurde, auch ganz Hispaniola, wobei der französische Teil danach wegfiel. Entstanden ist die Provinz 1696 auch aus Teilen der schon 1605 von Peru unabhängigen Vizeprovinz Neugranada und Quito. Die dauerhafte jesuitische Präsenz hat in diesem Teil Südamerikas also sehr viel später als in Brasilien und Paraguay (dort ab 1608) begonnen. In diesem Gebiet waren insgesamt 45 Jesuiten aus den fünf zentraleuropäischen Provinzen tätig, nicht alle gelangten auch in das Gebiet. Die Studie behandelt entsprechend der Aufteilung nach Assistenzen (regional gefasste Zuständigkeitsbereiche, zu denen die in sie eingetretenen Jesuiten kirchenrechtlich zugehörig waren, auch wenn sie zeitweise in anderen Provinzen wirkten) die drei zur französischen Assistenz gehörenden Jesuiten zentraleuropäischer Herkunft nur am Rande. Im Gegensatz zu den persönlichen Zeugnissen aus Brasilien hat keiner der behandelten Jesuiten aus Neugranada sich über die Ausweisung geäußert.

[9] 

Das jesuitische Modell der Integration kultureller Identität, allerdings unter Ausschluss indigener religiöser Elemente und Vorstellungen, die Betreuung der Sklaven (auch wenn der Orden selber Sklaven hielt) wird von Nebgen positiv gesehen, ebenso die Bildungsarbeit an der Universität Javeriana in Santa Fé de Bogotá, die sich heute noch auf die jesuitische Tradition beruft. Die behandelten Jesuiten aus Neugranada haben keine bedeutenden literarischen Werke hinterlassen, viele Briefe, Berichte und interne Dokumente werden im bibliographischen Teil aufgeführt. Hervorgehoben zu werden verdient, dass einige der Brüder als Architekten und Künstler tätig waren, von Jacob Loessing stammt die Innenausstattung der Kirche San Ignacio in Santa Fé de Bogotá (1618–1640), Bruder Johannes Michael Schlesinger erbaute die Kirche San Pedro Claver in Cartagena de Índias. Schlesinger war auch der einzige aus den zentraleuropäischen Ordensprovinzen Stammende, der nicht in seine Heimat zurückkehrte, sondern mit anderen Jesuiten in den Kirchenstaat übersiedelte, mutmaßlich weil er vom spanischen Staat für seine Verdienste um den Wiederaufbau von Caracas in Venezuela nach einem Erdbeben 1766 seine Rente bezog.

[10] 

Gesamtwürdigung

[11] 

Bedauern wird man sicher, dass die Beschränkung auf Mitglieder der »zentraleuropäischen Provinzen« im Brasilienteil den für die Amazonasregion im 17. Jahrhundert zentralen Luxemburger Johann Philipp Betendorf (1627–1698), Verfasser einer Chronica über die Mission (erstmals veröffentlicht 1910) und eines Compêndio da Doutrina Cristã na língua portuguesa e brasílìca do jesuíta (Lissabon 1687), ausschloss, der in die gallo-belgische Provinz eingetreten war. Auch die Zuordnung der Jesuiten zu ihrer Provinz führt dazu, dass der böhmische Jesuit Samuel Fritz, der von Quito aus den Amazonas bereist und die erste brauchbare Amazonaskarte erstellt hat, im Brasilienteil nicht gewürdigt wird. Diese Einschränkungen liegen aber in den Projektvorgaben, beziehungsweise der Gliederung der Bände begründet.

[12] 

Natürlich bemühen sich die Bearbeiter um eine ausgewogene Bewertung jesuitischen Wirkens, was auch kritische Aspekte einschließt. So wird im Brasilienband hervorgehoben, dass im Gegensatz zu Paraguay und dem La Plata-Raum die missionierten Indianer selbst nach ihrer vollständigen sozialen Integration in die koloniale Gesellschaft keine sozialen Perspektiven hatten, während in den Reduktionen Paraguays eine indianische Elite von Kaziken zumindest mit sozial niedrigeren Verwaltungsaufgaben, etwa der Leitung einzelner indianischer Dörfer, betraut wurde. Im Neugranadaband wird das Engagement der Jesuiten für die Betreuung der schwarzen Sklaven hervorgehoben. Der später wegen seiner Beziehung zu einer Frau aus dem Orden ausscheidende Pater Schnabel wirkte Ende des 17. Jahrhunderts in Curação und beklagte dort die Lebenssituation der schwarzen Sklaven. Allerdings verzichtete der Orden in Südamerika nicht auf eigene Sklavenhaltung.

[13] 

Als Einstieg in das Thema wird das Handbuch, nicht zuletzt wegen der wertvollen Nachweise der Quellen sicher ein Standardwerk werden für jeden, der sich mit jesuitischem Wirken in Südamerika beschäftigt. Die Beschränkung auf die zentraleuropäischen Jesuiten ist durch das Thema und den Forschungsschwerpunkt vorgegeben, weitere Forschung wird zeigen, ob die Vorgaben des Projektes eine gruppenspezifische Sicht dieser Jesuiten aufzeigen werden. Im Brasilienband ist diese kaum erkennbar, allenfalls weitgehende »Arbeitspartnerschaften« (Bd.1, S.146), der zumeist in Zweiergruppen nach Südamerika gesandten Jesuiten, die durchaus eigene Identitäten schufen, werden konstatiert. Hinzu kam generell die große räumliche Entfernung der Wirkungsstätten, soweit die Jesuiten direkt in der Mission und nicht in einem der colegios wirkten. Das ergiebige Thema des jesuitischen Wirkens in Südamerika wird hoffentlich im Gefolge dieser Publikation hier weitere Detailstudien anregen.