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Wissenschaftsverleger

Zwischen Idealismus und Realität

  • Tilmann Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik. Der Wissenschaftsverlag R. Oldenbourg zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus. (Studien zur modernen Verlagsgeschichte und Wissensproduktion 1) München: Verlagsbuchhandlung GmbH & Co. KG Martin Meidenbauer 2010. 436 S. Gebunden. EUR (D) 69,90.
    ISBN: 978-3-89975-199-4.
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In der Reihe Studien zur modernen Verlagsgeschichte und Wissensproduktion erschien als erster Band die Dissertation von Tilmann Wesolowski. Darin wird die Verlagspolitik und das Handeln der Verlagsakteure vom Kaiserreich bis zum Ende des Nationalsozialismus detailreich untersucht. Die quellenorientierte Arbeit basiert im Wesentlichen auf dem Verlagsnachlass im Bayerischen Wirtschaftsarchiv. Zusätzlich zog der Autor Archivalien unterschiedlicher Provenienz heran, so von Ministerien, Verlagsautoren, und -lektoren. Uwe Puschner und Olaf Blaschke zeichnen als Herausgeber der neuen Studienreihe verantwortlich. Beide haben sich bereits auf dem Gebiet der Buchhandelsforschung hervorgetan.

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Der Autor skizziert eingangs die Geschichte des Verlagshauses von der Gründung bis zum Beginn des Untersuchungszeitraumes und handelt anschließend die jeweiligen Zeitabschnitte chronologisch ab. Kapitel I (S. 37–141) umfasst den Zeitraum von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg, Kapitel II (S. 143–262) die Zeit Weimarer Republik und Kapitel III (S. 263–366) beleuchtet Oldenbourg im Nationalsozialismus. Ein Anhang mit umfangreichen Quellen- und Literaturangaben, Abbildungs- und Tabellenverzeichnis sowie übersichtlich gestaltetem Register schließt sich an.

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Wesolowski bedient sich der Feldtheorie Bourdieus, um die zentrale Forschungsfrage nach der Rolle und dem Einfluss der Verleger Oldenbourg auf die Wissenschaften und Fachgebiete beantworten zu können, »da mit ihr sowohl die soziale Dimension wie auch die historische Dimension verlegerischen Handelns untersucht werden kann« (S. 25–26). Das »symbolische Kapital«, das auf den Ruf und die Stellung des Verlags und Verlegers Oldenbourg ebenso abzielt wie auf das Renommee, welches mit den Autoren und der Qualität der Publikationen in engem Zusammenhang steht, bildet den roten Faden der Dissertation. Zentrale Begriffe der Untersuchung sind das »Selbstverständnis« des Buchunternehmers sowie seine Funktion als »gate-keeper« oder »creative publisher«.

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Der Oldenbourg-Verlag zu Beginn des neuen Jahrhunderts

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Die Zeitschriften des Verlages werden im ersten Teil des Kapitels I »Am Ende des goldenen Verlagszeitalters – von der Jahrhundertwende bis zum Ersten Weltkrieg« behandelt. Exemplarisch werden die »Zugpferde« des Unternehmens dargestellt wie beispielsweise das Gasjournal oder die Blätter für Volksgesundheitspflege. Dabei stehen besonders die Finanzierung der Projekte, Probleme mit den Redakteuren und Herausgebern sowie Kooperationen mit Vereinen und Verbänden im Mittelpunkt.

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Der zweite Teil widmet sich vorrangig den Bereichen Technik, Geschichte und Schulbuchverlag. Mit den Illustrierten Technischen Wörterbüchern (ITW), herausgegeben von Kurt Deinhard und Alfred Schlomann, sollte ein Standardwerk geschaffen werden. Die Wörterbücher hatten in der Tat großen Erfolg und überholten sogar das viel früher geplante Technolexikon des Vereins Deutscher Ingenieure, welches an den Folgen der »eigenen lexikographischen Ansprüche« (S. 88) scheiterte. Im Verlauf des Ersten Weltkrieges hatten die ITW jedoch enorme Einbußen zu verzeichnen und mussten schließlich aufgegeben werden – immerhin erschienen bis 1928 sechzehn Bände.

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Die Abschnitte drei und vier sind allgemeiner gehalten und beleuchten die Situation des Verlags im Ersten Weltkrieg und der Nachkriegszeit unter den Schlagwörtern Papier- und Personalmangel, Zensur und Inflation. Der Autor geht auf die angeschlagene wirtschaftliche Situation des Buchhandels ein, erläutert die Lage für wissenschaftliche Verleger und die »Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft« 1 . Die Publikationstätigkeit während des Krieges hätte an der einen oder anderen Stelle eine gründlichere Vorstellung verdient. Ebenso wären übersichtliche Gesamtdarstellungen, ggf. auch Grafiken, zur Titelproduktion bei Oldenbourg im Vergleich zur Gesamt-Buchhandelsstatistik oder zu Preisentwicklungen auf dem deutschen Buchmarkt sehr hilfreich gewesen.

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Visionen – die Zeit von 1923 bis 1933

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Kapitel II »Im Schatten des ›Mythus‹ – neue Wege in der Weimarer Republik« behandelt vier Themenkomplexe: Edgar Daqué, die Raketentechnik, die Konsolidierung des technischen Verlagszweiges und die Verlagsentwicklung zu Beginn der 1930er Jahre.

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Zunächst werden die Veröffentlichungen des Verlagsautors Edgar Dacqué 2 vorgestellt. Seine völkisch-nationalsozialistischen Ansichten fanden in Wilhelm Oldenbourg einen großen Befürworter. Unter anderem unterstützte Dacqué die von führenden NS-Ideologen favorisierte Pseudowissenschaft der Welteislehre durch sein Grundlagenwerk Urwelt, Sage und Menschheit. 3 Durch die Nähe zu NS-Kreisen und deren Philosophie konnte der Verlag für sich, allerdings nur kurzfristig, einen Nutzen bewirken und vor allem nach dem Krieg mit diesen naturphilosophischen Publikationen keinen Gewinn mehr erzielen. Tilmann Wesolowski macht deutlich, dass Oldenbourg mit der Veröffentlichung dieses in der deutschen und internationalen Wissenschaft weitgehend kritisierten Werkes ein hohes Risiko einging und den Ruf des Verlags beschädigte.

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Die Raketentechnik bei Oldenbourg, verankert im geistes- und naturwissenschaftlichen Verlagszweig, wurde bereits in der 2008 erschienenen Festschrift von Reinhard Wittmann thematisiert. 4 Als neuer Fachbereich etablierte sie sich langsam in den 1920er Jahren und fand gleich zu Beginn Eingang in das Verlagsprogramm. Der Autor analysiert die Dreiecks-Beziehung zwischen Hermann Oberth, dem Verfasser der Pionierstudie Die Rakete zu den Planetenträumen, Max Valier, einem von der Wissenschaft oft belächelten Astronomen, Autor und Raketentechniker sowie Wilhelm Oldenbourg, dem zwischen den Fronten vermittelnden Verleger. Hermann Oberths Buch erschien 1923 und hatte nur mäßigen Erfolg. Max Valier dagegen sorgte mit seinem 1925 in Verlag genommenen eher populärwissenschaftlichem Werk Vorstoß in den Weltenraum für Aufsehen, was dazu führte, dass sich auch die Pionierstudie von 1923 besser verkaufte. Diese Symbiose führte jedoch bald zu Spannungen, da Hermann Oberth und viele andere Wissenschaftler von dem Können Max Valiers nicht überzeugt waren und seinen Ruf als schädigend für das neue Fach empfanden. Tilmann Wesolowski verdeutlicht, wie sich Wilhelm Oldenbourg in den Disput einschaltete und dabei seine verlegerische Erfahrung nutzte, um auf der einen Seite Hermann Oberth zu beschwichtigen und auf der anderen Seite Max Valier weiterhin an den Verlag zu binden.

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Schließlich werden der technische Verlagszweig und dessen Leiter Wilhelm von Cornides sowie die Situation des Oldenbourg Verlages Anfang der 1930er Jahre vorgestellt. Wilhelm von Cornides 5 , dem es in erster Linie darauf ankam ökonomisch zu wirtschaften, wettbewerbsfähig zu bleiben und seine Erfahrungen in allen Bereichen einzubringen, wird dabei als gegensätzliche Figur zu Wilhelm Oldenbourg dargestellt. Der Verlagschef zeigte stets Bereitschaft, finanzielle Opfer in Kauf zu nehmen und hohe Risiken einzugehen. Wilhelm von Cornides konnte dagegen nur innerhalb eines eng gesteckten Rahmens wirken, da die Anforderungen an technische Fachzeitschriften und die Abhängigkeit von Vereinen, Verbänden und Inseraten, im Gegensatz zu Monographien im geisteswissenschaftlichen Bereich, sehr hoch waren. Das Agieren als »creative publisher« war für ihn somit fast unmöglich.

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»Angepasst und doch verschmäht – der Verlag
im Nationalsozialismus«

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Die Analyse zu Oldenbourg im Nationalsozialismus ist allein schon im Hinblick auf das heute noch vorherrschende Defizit an kritischen und fundierten Verlagsuntersuchungen zu dieser Thematik beachtenswert. 6 Der Autor setzt sich mit drei größeren Themenkomplexen auseinander, wobei die Veränderungen im geschichtswissenschaftlichen Bereich am ausführlichsten behandelt werden. Friedrich Meinecke dominierte lange Zeit den historischen Sektor des Verlages. Diese Stellung verdankte er seinem ausgezeichneten wissenschaftlichen Ruf als Historiker, der dem Unternehmen neben Renommee Gewinne brachte. Als Herausgeber der Historischen Zeitschrift führte er bis 1935 die Geschäfte. Tilmann Wesolowski schildert umfassend die Versuche Wilhelm Oldenbourgs, Friedrich Meinecke aus seiner dominanten Stellung zu lösen, ohne dabei Gefahr zu laufen, ihn als Autor zu verlieren. Der Einfluss der neuen Machthaber und ihrer Ideologie auf das Unternehmen wird dabei ebenso thematisiert wie die aufkeimende Revolte der jungen Geschichtswissenschaftler gegen die »alte Elite«.

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Im Abschnitt zwei geht es um die »›Politische Bereinigung‹ des Verlags« (vgl. S. 306 ff.). Die Auflösung der Bayerischen Staatszeitung, ein noch aus dem Kaiserreich stammendes Staatsorgan, wird darin eingehend beleuchtet. Trotz Anbiederung an die Machthaber kam es 1934 zur Stilllegung des Blattes, denn »eine zur Anpassung verpflichtete Zeitung war kein Instrument für die neuen Machthaber, denen wenig an bloßer Opportunität gelegen war« (S. 314). Die Kämpfe, die der Schulbuchverlag zu bestreiten hatte, werden zwar thematisiert, kommen allerdings zu kurz. Dahingegen werden die Umstände des Ausscheidens des Leiters der technischen Sparte, Wilhelm von Cornides, ausführlicher dargestellt. Von Beginn an NS-feindlich eingestellt, konnte er seine Stellung im Verlag bis 1941 behaupten.

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Das letzte Kapitel handelt vom »›Nutzen‹ des Verlags im Nationalsozialismus« (vgl. S. 333 ff.). Vor allem die Betrachtung der Verlagsarbeit im Zweiten Weltkrieg hätte ausführlicher ausfallen können ­– auf nicht ganz 10 Seiten werden die Einschränkungen in der Produktion, die Kriegswichtigkeit des Verlages sowie die Ausbombung 1944 und der sich nach 1945 anschließende Wiederaufbau abgehandelt.

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Die Ausführungen über den geisteswissenschaftlichen Zweig und die Zeitschrift Corona sind dagegen fundiert und erkenntnisreich. 1931 wurde dem Verlag angeboten, das Blatt in der Herstellung und Kommission zu übernehmen. Da der Schweizer Herausgeber Martin Bodmer als großer Förderer der Literatur und zudem als Millionenerbe bekannt war, schlug Wilhelm Oldenbourg in den Handel ein. Da Geld für den Herausgeber nur eine minimale Rolle spielte, waren wirtschaftliche Krisen kein Problem und auch sinkender Absatz konnte finanziell immer wieder ausgeglichen werden. Ab 1936 geriet die Corona aufgrund ihres Inhalts in den Fokus der Machthaber. Mit der Beteuerung, »dass die redaktionelle Betreuung in der Schweiz [...] liege, die Finanzierung aus dem Ausland von wirtschaftlicher Bedeutung sei und auch [...] dem internationalen Ansehen der Literaturpolitik im Reich förderlich wäre« (S. 344) hatte der Verlag Erfolg. 7 Der Autor schildert die schwierige Situation, die sich aus der Anpassungsbereitschaft des Verlages einerseits und aus dem im Ausland erworbenen deviseneinbringenden Renommee durch den liberalen bis zeitweise NS-feindlichen Inhalt andererseits, ergab.

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Fazit

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Der Autor charakterisiert seine Studie anfangs sehr trefflich, indem er schreibt, sie sei »weniger eine Verlags-, sondern vielmehr eine – nicht biographisch verstandene – Verlegergeschichte« (S. 29). Es steht nicht die literaturwissenschaftliche und betriebswirtschaftliche Analyse der Verlagsprogrammatik im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Beziehungen der Verlegerpersönlichkeiten und einiger »Besteller«-Autoren. Diese ziehen sich wie ein roter Faden durch die Arbeit und verbinden die einzelnen Zeitabschnitte sinnvoll miteinander. Dabei greift der Autor exemplarisch auf bewährte und bekannte Publikationen des Verlages wie die Historische Zeitschrift, das Gasjournal oder die Corona zurück, lässt aber auch weniger erfolgreiche Titel mit einfließen. Es wird deutlich, wie in einem Wissenschaftsverlag des frühen 20. Jahrhunderts politische und persönliche Vorlieben die Programmplanung beeinflussten und darüber hinaus auf die verlegten Wissenschaftsdisziplinen zurückwirkten. Die Feldtheorie Bourdieus als angewandte Methodik begegnet dem Leser unentwegt und fügt sich logisch in das Gesamtkonzept. Alles in allem ist die Studie von Tilmann Wesolowski eine Bereicherung auf dem Gebiet der Verlagsforschung. Der neuen Studienreihe sei Erfolg beschieden – eine bessere Ausstattung an dokumentarischen und fotografischen Abbildungen wäre allerdings wünschenswert.

 
 

Anmerkungen

Die 1920 gegründete Notgemeinschaft sollte der prekären Lage in der Wissenschaft durch finanzielle Unterstützung u. a. von Großprojekten und Forschungsinstituten entgegenwirken. Vgl. Ute Schneider: Der wissenschaftliche Verlag. In: Ernst Fischer/Stephan Füssel (Hg.): Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Bd. 2: Weimarer Republik. Teil 1. München: Saur 2007, S. 380.

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Edgar Dacqué war Professor für Paläontologie an der Ludwig-Maximilian-Universität München (vgl. S. 152).   zurück
Das Buch erschien 1924 bei R. Oldenbourg (vgl. S. 154).   zurück
Reinhard Wittmann: Wissen für die Zukunft. 150 Jahre Oldenbourg Verlag. Mit einem Beitrag von Gisela Teistler. Unter Mitarbeit von Christoph Haas. München: Oldenbourg 2008.   zurück
Wilhelm von Cornides war der Schwiegersohn Rudolf August Oldenbourgs und angeheirateter Cousin von Wilhelm Oldenbourg (vgl. S. 81).   zurück
Als positive Beispiele sind unter anderem zu nennen: Saul Friedländer u. a.: Bertelsmann im Dritten Reich. München: Bertelsmann 2002. oder Siegfried Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt. Politisches Buchmarketing im »Dritten Reich«. Frankfurt/M.: Buchh.-Vereinigung 1992.   zurück
Martin Bodmer trat 1942 das Verlagsrecht an Oldenbourg ab, Redaktion und Inhalt wurden geändert (vgl. S. 350).   zurück