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Schriftliche Irritationen im philologischen Erwartungsraum

Über Christine Stenzers historiografische Betrachtungsweise zu filmischer Schrift

  • Christine Stenzer: Hauptdarsteller Schrift. Ein Überblick über Schrift in Film und Video von 1895-2009. (Epistemata Literaturwissenschaft 693) Würzburg: Königshausen & Neumann 2010. 504 S. Kartoniert. EUR (D) 68,00.
    ISBN: 978-3-8260-4237-9.
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Kennzeichnend für unsere aktuelle Schriftkultur sind sowohl die medial vermittelte Nähe zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit als auch die technisch erwirkte Annäherung von Buchstabe und Bild. Schrift und Bild werden im digitalen Zeitalter als deutlich weniger distinkt wahrgenommen, da sie beide als Pixel-Formationen dem Dispositiv des Displays folgen und auf dieser Bildpunktgrundlage offen für kinetische Verfahren der suggestiven Metamorphose etwa durch Größen-, Farb- und Formwandel werden und montiert oder sequentiell geschnitten, rhythmisiert und entlang der Koordinaten des Bildfeldes linearisiert werden können. Letzteres weist auf eine grundlegende Praxis hin: Die Überführung von statischer Schrift in eine dynamische Laufschrift, die durch Scrollen bewegt wird und durch Tastendruck ein- und ausgeblendet werden kann. Auch Schrift wird damit, anstatt dauerhaft zu erscheinen, von momenthafter nutzergesteuerter Präsenz und erlebnisorientierter Wahrnehmung bestimmt.

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Bereits mit dieser kurzen Skizze deutet sich an, dass die Kinemato-Grafie als historische Vorbedingung das Schulungszentrum für die Ausprägung filmischer Lesegewohnheiten abgibt – und als prägender Einfluss auf die medientechnische Nutzung für alltägliche oder künstlerische Schriftlichkeit zu untersuchen ist. Christine Stenzers Monografie zur Geschichte filmischer Schrift leistet hierzu einen wichtigen Beitrag.

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An der Schwelle zum 20. Jahrhundert wurde das Kino als Entrée zur Moderne verstanden: Von diesem Ort aus wurde eine umfassende Ablösung der Schriftkultur durch eine visuelle Kultur und das Paradigma des Totalen Sehens prognostiziert. Daher bezieht Schrift innerhalb der filmischen Semiose bis heute denn auch Aufmerksamkeit über ihren Status als filmisches Ausnahmephänomen. Ohne eine besondere Gestaltung oder prominente Ausrichtung im Bildkader bietet sie ein untergeordnetes und zu übersehendes Randphänomen der filmischen Narration. Nach kurzer Spanne in der frühen Filmdramaturgie, die Schrift bis zur Etablierung des Tonfilms als Brückentechnologie benötigte, um zwischen den Bilderfolgen in Form lesbarer Inserts konkrete raumzeitliche Angaben zu liefern oder dialogischen Wortlaut mitzuteilen, ist sie als Teil des Vor- oder Abspanns ein struktureller Marker des filmischen Rahmens oder liefert als Untertitel die Übersetzung fremdsprachlicher Dialoge. Zu konstatieren ist also, dass diese filmischen Schriftverwendungen informierende oder verständnissichernde Funktion haben. Interessant wird es da, wo Schrift im Film auch eine künstlerische Funktion erhält, indem sie zum filmischen Objekt wird, Celluloid und Emulsionsschicht als Trägermaterial für In- und Aufschriften fungieren und die filmspezifischen Modi wie Licht- und Größenverhältnisse sowie Veränderung der Geschwindigkeit und des Rhythmus’ bei Aufnahme, Projektion oder Montage auf sie einwirken.

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Eine Besinnung auf den historischen Prozess der Einbeziehung von Schrift in filmische Aussagen sowie in den frühen filmischen Diskurs mutet gegenwärtig als eine historiografische Voraussetzung an, um Bildschirmschriftlichkeit und die hybriden Formative aus Schrift-Bild-Ton-Artikulationen angemessen zu reflektieren. Transparenz herrscht bereits im Diskurs der Digital Humanities: Der Mauerfall zwischen Schriftkultur und Bildkultur hat sich infolge der proliferierenden Medienpraxis in den Künsten und des zunehmenden Screen-to-Screen-Kommunikationsalltags längst ereignet, die Produktionslogik unserer Semantisierungen vollzieht sich nicht mehr in einer rigiden Dichotomie aus elitärem Text und populärem Bild. Vielmehr bietet der Film als Ton- und Bildspurkombination ein semiotisches Mittel, um die grundsätzliche Unterscheidbarkeit zwischen visueller und akustischer Repräsentation von Sprache einerseits und von bildlichen und schriftlichen Zeichen andererseits für differenzierte Aussagen und der Information, Dokumentation, Memorabilität und Unterhaltung zu nutzen. Aus dieser omnipräsenten produktiven Semiose heraus ist ein philologischer Legitimationsraum erwachsen, in dem sich auch das textphilologische Begehren – vielfach angetrieben durch den akademischen Intermedialitätstrieb und durch Impulse aus den so genannten e(nhanced)-Humanities – mit größerer Selbstverständlichkeit auf die digital-skripturalen Modi richtet, um u.a. auch ein Beschreibungsinstrumentarium für Filmschrift als integrativen Teil der digitalen Kultur zu entwickeln. 1

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Christine Stenzer reagiert zeitnah auf dieses kulturwissenschaftliche Bedürfnis, erklärt Schriftfilme zur Sache der Literaturwissenschaft und verspricht mit ihrem historiografischen Überblickswerk eine grundlegende Orientierung in einem für mehrere Disziplinen relevanten Arbeitsfeld (Medien-, Film-, Kunst- und Textwissenschaft). Das seitenstarke Kompendium über 265 filmische Artikulationen mit Schriftvorkommen bietet eine beeindruckende Datengrundlage, um die Erscheinungsweisen und Bedeutungen von Schrift als Teil der Filmgeschichte erstmals umfassend zur Kenntnis zu nehmen. Zudem bieten die umfangreiche Bibliografie, ein Register aus Personen, Begriffen und Werktiteln sowie die solide Gesamtstruktur die Überblicksgarantie.

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Die Arbeit besitzt mit vier thematischen und in sich chronologisch geordneten Teilen einen wegweisenden Handbuchcharakter zu Schriftfilmvorkommen im narrativen Film, in Clips mit Reklamefunktion sowie in popkulturellen und avantgardistischen Filmexperimenten. Anhand der ersten drei Themenfelder (»Stummfilm«, »Avantgarde- und Experimentalfilm«, »Videokunst«) werden die wichtigen Etappen und Klassiker der frühen Filmgeschichte in ihren Bezügen zur filmischen Schriftverwendung dargestellt (vom Stummfilm zu Filmen der klassischen Avantgarde wie Impressionismus und Expressionismus). Darauf folgen die teilweise weniger bekannten künstlerischen Experimentalformen des Materialfilms (Konzeptkunst, Konkrete Poesie, Flicker), die Animationsfilme der Nachkriegszeit und TV-Filme der 60er/70er, Schrift-Videos mit teilweise medien- oder gesellschaftskritischen Intentionen, schließlich Clips aus der Poetry-Szene und Popkultur. Abgrenzend hierzu wird im vierten Teil zu »Werbespots, Musikvideos, TV- und Filmtitel-Design« eine Ausdifferenzierung des frühen Reklamefilms hin zu den Werbespots und Fernseh-Intros des 20. u. 21. Jahrhunderts vorgestellt.

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Worum es der Verfasserin geht, vermittelt eingangs eine einprägsame schriftbildliche Gestaltung des Buchdeckels aus Bild und der darunter platzierten Überschrift in technoid-filmischer Gesamtaufmachung. Vor aller Einleitung hat der Verlag für das Titeldesign grafische Expertise eingeholt und eine Establishing-Komposition vorangestellt, die den Zugang zum Inhalt optisch sichert und aus der zugleich die sorgfältige formale Gestaltung des Bandes zu antizipieren ist.

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Doppelt motiviert: die Schrift als Schauspieler

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Präsentiert wird als Teil des Aufmachers ein Einzelbild, das ein Freeze rotierender und schwebender Buchstabencluster aus einer Intro-Version des Kulturmagazins Metropolis zeigt und im abschließenden Teil des Buches behandelt wird (vgl. S. 385). Diese prominente Bildinformation ist Teil eines mehrdeutigen Bild-Text-Syntagmas, in dem der Buchtitel, der optisch durch einen abgrenzenden Warmtonkontrast Leuchtkraft besitzt, seinerseits mit einem sprachlichen Bild operiert: Mit der plakativen Setzung eines oder mehrerer Hauptdarsteller Schrift wird nicht nur der Untersuchungsgegenstand benannt und auf die Analyse der inszenierten Beziehung von Visualität und Skripturalität in Film und Video verwiesen. Doppelt motiviert wird der Gegenstand Schrift mit dieser Schaubühnenmetaphorik in Zusammenhang mit dem TV-Intro auf künstlerische Werke justiert, sein moderner performativer Charakter ausgestellt sowie retrospektiv die Traditionslinie zu den Anfängen des Kinos als Budenzauber eröffnet. Diese reklamierende Hyperbolik des sprachlichen Bildes von der Schrift als Schauspieler soll deutlich darauf aufmerksam machen, dass Schrift konventionell als filmfern begriffen wird und das Untersuchungsthema als geisteswissenschaftliches Desiderat gilt, denn in Christine Stenzers Perspektivierung werden, wie aus der Skizze zur Gesamtanlage ersichtlich, nicht nur die tatsächlich schriftdominierten Arbeiten, so genannte Schriftfilme erfasst. Diese sind eingebettet in die weitgreifende Berücksichtigung des filmischen Spektrums von 1895 bis 2009. Die Komposition des Buches als ein Kompendium, das umfassend und sorgsam die wichtigen deutsch-, englisch- und französischsprachigen Werke sowie weitere europäische und außereuropäische Produktionen versammelt, ermöglicht es, kontextualisierend Spuren von Schrift und minimale Schriftvorkommen als filmsprachliche ›Mitspieler‹ und ›Komparsen‹ auszumachen, Filme als produktive Belege für die theoretische oder künstlerische Auseinandersetzung mit Schrift als einer filmrelevanten Größe wahrzunehmen oder Hintergründe der kulturkritischen Schrift-vs.-Filmbild-Debatte zu bedenken.

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Verfahren

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Die methodischen Leitlinien für die in der Arbeit vorgenommene vergleichende Behandlung der Einzelfilme werden grundlegend aus der chronologischen Anlage bezogen. Parameter wie die Art der Schriftvorkommen im Film (z.B. Aufschriften oder monumentale Buchstabenskulpturen), die handwerkliche Technik (z.B. abgefilmte vs. eingeritzte Schrift), der Status und besonders die Wirkung von inszenierter Schrift (z.B. Verunsicherung, Desorientierung, Reflexion über musterisierte Wahrnehmungsprozesse oder über die medial erzeugte Illusion eines filmischen Artefakts) dienen dazu, Entwicklungslinien zwischen den besprochenen Einzelfilmen herzustellen. Ausgangspunkt für die Analyse filmischer Formate mit Schrifteinsatz bietet der Prototyp des narrativen Films, der aus der Herkunft des Kinos als Massenunterhaltungsinstitution resultiert.

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Die Matrix, vor der die Schriftfilme betrachtet werden, besteht daher zum einen aus der Frage nach der Kohärenz zwischen Schrift und Bild. Zum anderen wird sie bestimmt von dem Versuch, den künstlerischen Anspruch nachzuweisen, dass durch filmische Experimente konventionelle Erwartungen an Lesbarkeit und Sichtbarkeit konterkariert werden (vgl. S. 402). Als Charakteristika der untersuchten Werke ermittelt die Verfasserin »komplexe Sinnfälligkeiten«, »fragile Narrationen« oder »Irritationen« aufgrund scheiternder Leseszenarios.

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Christine Stenzers akribische Katalogisierung bringt dabei weitgehend unbekannte Werke zutage. Stark ist das Buch als Nachschlagewerk und dort, wo es informativ Filmtitel und Sekundärreferenzen verzeichnet, Forschungszitate zu den Filmwerken bietet. Ergiebig sind auch die Hinweise auf kleinere Publikationen aus der Frühzeit des Films im Fußnotenapparat, doch leider ist diese Arbeit auch in zweierlei Hinsicht kritikwürdig. Die von der Verfasserin als kursorische Betrachtungen ausgegebene Herangehensweise ist ebenso wenig zufriedenstellend wie die Erklärung in der Einleitung über einige Redundanzen, die als methodische Schärfung ausgegeben werden:

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Durch die deskriptiven Analysen der ausgewählten Filme lassen sich zwar signifikante Unterschiede in der Handhabe und den Wirkpotentialen von Schrift herausstellen, aber auch Ähnlichkeiten feststellen. Hinsichtlich der Möglichkeiten, diese zu beschreiben und zu kommentieren, lassen sich Wiederholungen nicht vermeiden. Gerade solche Wiederholungen machen es allerdings möglich, aus den Beschreibungen und Kommentaren Kernaspekte ›filmischer Schrift‹ zu extrahieren. (S. 34)
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Gegenüber dieser Legitimationsstrategie zur methodischen Verfahrensweise ist Skepsis angebracht. Selbst wenn man den Verdacht nicht teilen mag, dass die »Wiederholungen« Resultat eines wenig differenzierten Analyseinstrumentariums sind, so widerspricht die Vielzahl an sprachlichen und inhaltlichen Wiederholungen in der Arbeit den grundlegenden Prinzipien einer informierenden Textsorte.

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Es kann nun nicht erwartet werden, dass zu jedem der genannten Filmwerke eine umfassende Analyse vorgelegt wird. Die unterschiedlich ausgearbeiteten Erläuterungen bleiben jedoch hinsichtlich ihrer Gewichtungssystematik undurchsichtig. Informationen zu technischen Herstellungsverfahren, Beschreibungen des Films und Kommentierungen lösen einander unvermittelt ab, ergeben ein heterogenes Bild und ein mitunter argumentatives Flirren. Zu schnell erschöpfen sich die wichtigen Erkenntnisse zu den vorgestellten Filmen in generalisierenden Blurbs, während einfache Beobachtungen bisweilen über Gebühr entfaltet werden. So wird wiederkehrend ausgeführt, dass der delinearisierende Umgang mit Buchstaben im filmischen Medium neuen Formgebungen und Bewegungsdimensionen folgt. Unbefriedigend bleibt auch, die Problematik einer Einlassung auf das konkrete Material von sich zu weisen, so etwa durch die rasche und wiederholte Feststellung, dass durch eine dekontextualisierte Verwendung von Einzelbuchstaben, Wörtern und Schwarzblenden Ambiguitäten evoziert würden, die sich der Leser je nach kultureller Zugehörigkeit selbst deutet. Anstatt Deutungen zu riskieren, werden ein aufs andere Mal Deutungsaufgaben an mögliche Rezipienten delegiert, die den semantischen Horizont der Werke nach ihrem Dünken auszumessen haben. An anderen Stellen werden Kunstwerke dann kurzerhand mit Apologien bedacht und der Schrifteinsatz in ihnen als gelungen bezeichnet. Nicht zuletzt erhalten Künstleraussagen, die teilweise aus dem Briefverkehr mit der Verfasserin stammen, den Status der Letztwörtlichkeit – anstatt diese als wertvolles Quellenmaterial zu kontextualisieren.

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Das Gros der analytischen Aussagen stützt sich auf Beiträge der Forschungsliteratur, die gegenüber eigenen Befunden üppig präsent erscheinen und von der Verfasserin mehrfach zitativ wiederholt werden. Auch werden merksatzartige Passagen und Zwischenergebnisse, die kursiv hervorgehoben sind, ebenfalls in Copy-Past-Technik auf mehreren Seiten hintereinander recycelt (vgl. S. 415f.). Das repetitive rhetorische Verfahren, mit dem beispielsweise auf die Irritationswirkung der Schriftverwendung hingewiesen wird, bleibt bei Nutzung der Texte als einzelne Handbuchartikel unauffällig, macht sich jedoch bei vollständiger Lektüre des Buches als Fluchtstrategie gegenüber einer Problematisierung sperriger Einzelwerke bemerkbar. In der Einleitung wird auf die Irritationsqualität als wichtiges Potenzial filmischer Schrift hingewiesen:

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Schrift irritiert den Zuschauer in seiner filmischen Erwartungshaltung, in seiner konditionierten filmischen Wahrnehmung, aber auch in der Wahrnehmung dessen, was dieser unter einem ›Film‹ versteht. Schrift irritiert den Leser in seinen außerfilmischen Erfahrungen mit Schrift und in der (durch außerfilmische Erfahrungen konditionierten) Wahrnehmung dessen, was dieser unter ›Schrift‹ versteht. Schrift im Film lässt den Zuschauer/Leser sein eigenes Rezeptionsverhalten hinterfragen. (S. 13)
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Was in diesem Zitat als stilistische Formung erscheint, gestaltet sich in der Arbeit zur systematischen Anlage aus wörtlichen Wiederholungen und Redundanzen und in der Folge zu einem methodischen Problem: In den Überlegungen zur Wirkung der Schriftverwendungen bekommt der Leser/Betrachter die Rolle des Gewährsmannes, wobei mal die Sicht des Lesers zur Produktionszeit des besprochenen Films, mal die Sicht des heutigen Lesers herangezogen wird. Die so aufgerufenen Rezipienten sind fiktiv und kaum mehr als Projektionen der Autorin. Ihnen fehlt eine empirisch erarbeitete soziale und kulturelle Kontur. Zu erwarten wäre, dass Rezipientenreaktionen anhand von Quellen nachgewiesen werden. Vor allem die pauschale Zuschreibung, dass von den experimentellen Filmen eine Irritationswirkung ausgehe, wäre nachzuweisen und kann für die ästhetisch geschulten Milieus zu keiner Zeit so allgemein behauptet werden.

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Unbehagen erzeugt die quälende Künstlichkeit der angeworfenen Schreibmaschine, die mit den Vokabeln beflissener Gelehrsamkeit und reklamierenden Werbeformeln des Kunstmarkts gleichermaßen den Tod des Kunstwerks wie des schriftlichen Diskurses in diesem Buch herbeiführt, indem kurzerhand gelungene Sinnfälligkeiten etikettiert werden, ohne diese verständlich zu machen und zwischen Worten und Wörtern nicht differenziert wird. Es entsteht der Eindruck, dass mit diesem Automatismus eine besänftigende Kunstauffassung verkündet werden soll angesichts eines Gefühls des abgründigen Unbehagens im nach oben und unten offenen Kunstraum der Moderne.

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Fazit und philologisches Begehren

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Am Ende, wenn der Leser das Buch verlässt, steht fest: Einen genealogischen Überblick zu rund 100 Jahren Schriftfilm zumal in dieser angelegten Breite zu erarbeiten, ist eine beachtliche Leistung. Doch das Buch, das so engagiert von Schrift handelt, inszeniert die eigene Schriftlichkeit als ein akademisches Genre-Experiment, das sich mitunter wie eine Parodie auf eine Dissertation ausnimmt, wenn Gefundenes mit großen Namen zu eilig und zusammenhangslos montiert wird, hingegen die Wiederkehr von gleichen Befunden bei unterschiedlichen Gegenständen redaktionell nicht ausgebremst wird. Wünschen möchte man sich, ein bisschen weniger gewichtigen Anspruch in Händen zu halten, etwa nur ein Nachschlagewerk, das auf die genaue Materialrecherche beschränkt bleibt, oder aber eine Klartextvariante mit einem systematischen Einführungsteil, wenigen kontrastiven Beispielanalysen, die das Kunstwerk eröffnen, sowie einem annotierten Filmverzeichnis, das es bei kurzen systematischen Erläuterungen belässt.

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So aber bleibt die Metapher vom Hauptdarsteller Schrift unkonturiert. Ein Verzeichnis der Bühnenrollen eines Schauspielers verlangt nach Deutung und weckt vor allem Sehnsucht nach der Inszenierung. Glücklicherweise sind bei Christine Stenzer die Quellen der aufgenommenen Filmwerke angegeben, damit der Schau- und Leselust eigenständig nachgekommen werden kann und die Korsettage der von der Verfasserin modellierten Leserrolle gesprengt wird – der gegenüber zumindest eine Leserin Beklemmung verspürt.

 
 

Anmerkungen

Wegweisend sind hierfür z.B. die Bände der von Bernd Scheffer u. Oliver Jahraus herausgegebenen Reihe »Schrift und Bild in Bewegung« (Bielefeld: Aisthesis 2001ff.) oder Gendolla, Peter: The Aesthetics of Net Literature. Bielefeld: Transcript 2007.   zurück