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Der vorliegende Sammelband ist der Versuch, komplexen Erzählweisen auf die Spur zu kommen, deren Bedeutung bislang seitens der Forschung in einer langen Reihe von Forschungsarbeiten zwar bereits herausgestellt worden ist,
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deren Realisierung explizit im Bereich der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur bislang jedoch ein blinder Fleck der Literaturwissenschaft geblieben ist. In diese Lücke stößt der Band vor und widmet sich ihr in Form mehrerer Fallstudien, deren Leitbegriff ›Metafiktion‹ zugleich dem Band seinen viel sagenden Namen gibt.
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Das Vorwort der Herausgeber erklärt in aller Kürze, welches Phänomen hier auf dem Prüfstand steht: So vehement die Rede von ›Metafiktion‹, ›metafiktionalen Erzählweisen‹ und ›Metaisierungen‹ »sowohl in Bezug auf die Theoriebildung als auch im Hinblick auf die literarische Praxis« (S. 7) betont werden könne, so wenig könne von einer allgemein akzeptierten Definition gesprochen werden, so dass eine »der wichtigsten Implikationen der vielfältigen und bisweilen disparaten Definitionsvorschläge von Metafiktion« die »nach wie vor umstrittene Frage« aufrufe, »was denn Fiktion sei, die im Rahmen der Metafiktion eine Metaisierung erfahren solle«; versucht werden solle daher »gar nicht erst, die theoretischen Auseinandersetzungen und Definitionsversuche zu vereinheitlichen oder gar aufzulösen«; vielmehr gehe »es in den einzelnen Beiträgen darum, die Vielfalt nicht nur der theoretischen, sondern gerade auch der funktionalen interpretatorischen Betrachtungsweisen zu zeigen«, denn die deutschsprachige Forschung zu metafiktionalen Erzählweisen habe »zwar zahlreiche theoretisch ausgerichtete Studien und Beiträge zum Thema hervorgebracht, die das jeweilige theoretische Modell an unterschiedlichen literarischen Texten exemplifizieren«, doch sei »damit das Funktionspotential metafiktionaler Erzählstrategien nicht komplett erschlossen«. (S. 8)
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Dass diesem wichtigen Ziel sich in Hinsicht auf den Bereich der neuesten deutschsprachigen Literatur ab 1990 nur exemplarisch angenommen werden kann, ist nachvollziehbar. Dass im Zuge dessen sowohl zahlreiche literarische Neuerscheinungen zum Untersuchungsgegenstand der insgesamt zwölf Aufsätze – auf die hier im Folgenden nur exemplarisch etwas ausführlicher eingegangen werden kann – avancieren, für die ansonsten wenige oder gar keine literaturwissenschaftliche bzw. erzähltheoretische Analysen vorzuweisen sind, als auch populäre Titel nicht unberücksichtig bleiben, ist erfreulich, zumal die meisten Beiträge dabei explizit jene theoretischen Überlegungen und Konzepte aufgreifen und teilweise modifizieren, die zum betrachteten Phänomen bislang bestehen. Im Einzelnen ergeben sich schlaglichtartig folgende Blickwinkel:
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Andreas Böhn betrachtet eine Konstellation, die sich um die Begriffe ›Metafiktionalität‹, ›Erinnerung‹ und ›Medialität‹ in einer Literatur »an der Wende zum 21. Jahrhundert« aus dieser Sicht formiert. »Gerade ein Erzählen, das sich auf die Authentizität des tatsächlich Geschehenen« berufe oder auch nur damit spiele, »sei es dass historische Fakten in die Darstellung integriert werden, sei es dass eine persönliche Lebensgeschichte zumindest mit dem Anspruch der Stimmigkeit des emotionalen Erlebens gestaltet« werde, komme um den Aspekt der Erinnerung nicht herum: »Geschehen muss zunächst erinnert werden, bevor es erzählt werden kann, und zwischen die Erinnerung, die ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, und das konkrete Erzählen« schiebe sich »die metanarrative Reflexion über die sinnvolle Art der Präsentation.« (S. 19) Dass Böhn diesen Aspekt des Themas schließlich mit einem, wie er es nennt, ›metamedialen‹ Erzählen kurzzuschließen vermag, macht seinen Beitrag zu einem der Interessanten des hier besprochenen Bandes. In den Fokus gestellt werden solche Romane, die »die narrative Vermittlung einer fiktionalen Geschichte auf Umwegen ins Werk setzen, die die Vermittlung und die Medien, die sie benötigen, hervorheben« (S. 20), nämlich Michael Kleebergs Ein Garten im Norden (1998), Thomas Lehrs Nabokovs Katze (1999) und Wolf Haas’ Das Wetter vor 15 Jahren (2006). Fiktion werde als Fiktion thematisiert; bedient werde sich bestimmter medialer Möglichkeiten, »die in Konkurrenz zu anderen Medien stehen, und diese spezifische Medialität im Zusammenhang mit der Fiktionalität in ihrer Rolle für die Konstitution von Erinnerung reflektieren.« (Ebd.)
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Während Frank Thomas Grub Leben, Werk und Poetik von Giwi Margwelaschwili vorstellt, untersucht Sonja Klimek Wolfram Fleischhauers Roman Der gestohlene Abend (2008), der ganz offensichtlich die literarische Auseinandersetzung mit der Geschichte und Theorie des Dekonstruktivismus, namentlich mit der Person Paul de Man darstellt, der darin als die Figur Jacques De Vander erscheint. Klimek liest Fleischhauers Werk denn auch als Campus- und Schlüsselroman und versucht diese Beobachtung mit den Parametern der Metafiktionalität zu verbinden. Eine ähnliche Perspektive wählt Villö Huszai, die eine »Spielart des Metafiktionalen« als »eine Art Wiederkehr des Entwicklungsromans und seines Optimismus« u.a. am Beispiel von Roberts Musils Der Mann ohne Eigenschaften (1930 ff.) und Michel Mettlers Spange (2006) deutet: »Wenn fiktive Helden sich schon nicht mehr zu richtigem Heldentum entfalten können«, schreibt Huszai, so reiche »es doch zumindest zu einer fiktiven Autorschaft. Oder sogar als eine eigentümliche Potenzierung dieses Optimismus: An die Stelle des in der Moderne unmöglich gewordenen Heldentums im Leben« trete »das Heldentum des Schreibens.« (S. 88)
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Tilmann Köppe erläutert eingehend die ›Theorie der Metafiktionalität‹, indem er sich u.a. den Fragen zuwendet, wer oder was hierbei Bezug nimmt, worauf (genau) Bezug genommen wird und wie Bezug genommen wird (vgl. S. 119), und kommt zu dem Ergebnis, dass der Begriff der Metafiktionalität »in einem (schwach) funktionalistischen Sinne bestimmt werden« sollte: Ein literarisches Werk sei »demnach metafiktional, wenn es sich plausibel in Hinblick auf Aspekte seiner Fiktionalität interpretieren« lasse, was voraussetze, »dass der Text über Eigenschaften/Aspekte« verfüge, »die eine solche Interpretation nahelegen«; und: »[d]ie einschlägige (fiktionalitätsbezogene) Interpretation« sei »nur dann fruchtbar, wenn sie relevante Aspekte des Textes unter sich« begreife bzw. »erklären/verständlich machen« könne, was wiederum voraussetze, dass entsprechende Aspekte vorhanden seien (S. 125 f.). Köppe exemplifiziert seine Überlegungen schließlich – leider äußerst knapp – am Beispiel von Andreas Maiers Roman Wäldchestag (2000).
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Nachdem sich Klaus Schenk mit Schreibinszenierungen (etwa hinsichtlich Schreibgeschichten, Schreiborten, Schreibmaterialien, Schreibprozessen etc.) in Christa Wolfs Kindheitsmuster (1976) auseinander gesetzt hat und dazu mit dem Begriff der Metaskription arbeitet, der Inszenierungen im Text beschreiben soll, »die Formen der imaginären Einschreibung« umfassen, »die mit dem Schriftstatus des Textes korrespondieren« (S. 137), legt Brigitte Kaute eine epistemologische Lektüre von Christa Wolfs Medea. Stimmen (1996) vor. Untersuchungsgegenstand von Jan Wiele ist Peter Handkes Don Juan (erzählt von ihm selbst) (2004), wohingegen Michael Jaumann wiederum Wolf Haas’ Das Wetter vor 15 Jahren (2006) und Linda Karlsson Katja Lange-Müllers Böse Schafe (2007) aus jeweils metafiktionaler Sicht lesen.
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Die Beiträge von Remigius Bunia und J. Alexander Bareis stellen schließlich zwei Solitäre im vorliegenden Band dar, zumal sich beide explizit mit Bestsellerautoren der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur beschäftigen: Bunia beleuchtet Walter Moers Die Stadt der träumenden Bücher (2004) – ein metafiktionaler Roman par excellence, da dieser ein Spiel von Selbstreflexivität und Erfundenheitsreflexion darbietet, für das Bunia u.a. die Form der Syndiegese als Untersuchungsbegriff in Anschlag bringt (vgl. S. 196f.). Bareis rückt zum Abschluss Daniel Kehlmanns Roman in neun Geschichten Ruhm (2009) in den Fokus seines erzähltheoretischen Interesses und kann letztendlich zusammenfassend darstellen, wie darin das »komplizierte Geflecht von Bezugnahmen der Geschichten untereinander, unterschiedlichen Formen von Metalepsen und anderen Metaisierungen« sich zwar »bis zu einem gewissen Grad dahingehend entwirren« lassen, »dass man von zumindest zwei ontologisch unterschiedlichen Erzählebenen ausgehen« könne; doch bleibe »vor allem die fiktionale Urheberschaft des Romans dadurch in ein spärlich ausleuchtbares Dunkel gehüllt« (S. 265). – Vielleicht ist dies auch eine der zentralen Funktionen metafiktionale Erscheinungen: Den Leser gleichsam in ein Dunkel zu hüllen, aus dem es (scheinbar?) keinen wirklichen Ausweg gibt.
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So begrüßenswert es insgesamt ist, dass alle Autorinnen und Autoren, wie gesagt, auf in der Regel breiter Basis die bekannten theoretischen Überlegungen und Konzepte aufgreifen (und m.E. auch weiter entwickeln), so kurz kommen teilweise die Analysen der literarischen Texte. Dennoch ist der Platz, der der theoretischen Reflexion zu Recht eingeräumt wird, notwendig, so dass ggf. ein eigener Block mit rein theoretischen Grundlagenarbeiten ratsam gewesen wäre. Überhaupt fehlt auch eine genauer benannte Bandeinteilung, um einen stringenten Aufbau des Bandes zu realisieren.
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Im Ganzen sind die einzelnen Beiträge als Exemplifikationen aufschlussreich im Hinblick auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten eines Metafiktionalitätskonzeptes, wodurch der Gesamteindruck noch einmal verstärkt wird, dass der Band den eingangs formulierten Anspruch durchaus erfüllen kann, die verschiedenen Forschungsdiskurse gerade nicht vereinheitlichen zu wollen, sondern mit ihnen in ihrer Diversität produktive, innovative Erkenntnisse für einzelne (jüngere wie jüngste) Untersuchungsgegenstände zu erbringen.
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