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Das Jahr 2000 fand statt

Das Y2k-Problem als maschinen-kommunikative Beinahe-Katastrophe

  • Peter Fey: Kommunizierende Automaten. Die Dynamisierung der Schrift als medienhistorische Zäsur. (Kultur- und Medientheorie) Bielefeld: transcript 2009. 250 S. Paperback. EUR (D) 25,80.
    ISBN: 978-3-8376-1335-3.
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Das zentrale Thema von Peter Feys Monografie Kommunizierende Automaten. Die Dynamisierung der Schrift als medienhistorische Zäsur ist die Frage, ob und wie Computer miteinander kommunizieren, warum es dabei zu Problemen kommt und in welcher Gestalt sich diese Probleme schließlich zeigen. In dem Moment nämlich, wo Geräte, die Daten verarbeiten, miteinander vernetzt und auf den Datenaustausch untereinander programmiert werden, treten neben gewollten auch ungewollte Effekte auf. Darin unterscheiden sich kommunizierende Computer zunächst nicht von anderen kommunizierenden Systemen (z.B. Menschen). Der Punkt, um den es Fey geht, ist allerdings, dass Computer ihre Kommunikation nicht zum Selbstzweck, sondern als eine von Menschen definierte und programmierte Aufgabe vollziehen sollen, mithin also eine Verlängerung seiner eigenen kommunikativen Fähigkeiten und eine Erweiterung seines Kommunikationsraums darstellen. Wenn es bei solcher Kommunikation nun zu »Missverständnissen« kommt, kann dies entweder keine, harmlose oder katastrophale Folgen nach sich ziehen.

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Computer-Katastrophen

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Peter Fey wählt eine Beinahe-Katastrophe aus, die er als Beispiel fehlgelaufener »Automatenkommunikation« zum Anlass seiner Analyse macht: das so genannte »Jahr-2000-Problem« (wahlweise auch »Millennium-Bug« oder »Y2k-Bug«). Dieses Problem, so rekonstruiert er historisch wie systematisch im zweiten Kapitel des Bandes, war bereits lange bevor es akut wurde bekannt, ist jedoch Jahrzehnte lang als ein »dirty old secret« (S. 58) verschwiegen worden. Da es in der Anfangszeit der schriftlichen Programmierung von Computern kaum Absprachen und keinerlei Normierungen gab – jeder Entwickler setzte seine Hard- und Software frei nach eigenen Vorstellungen in die Welt –, ist es auch bei der Verarbeitung von Datums- und Zeit-Angaben zu einer wirren Vielfalt von Formaten gekommen. Mehrere Dutzend mögliche Schreibweisen wurden so auf verschiedenen Systemen implementiert und in dem Moment, wo zwei solcher Systeme Informationen untereinander austauschen sollten, zu denen auch diese Datumsangaben gehören, wurde die Inkompatibilität zum Problem und offenbarte sich entweder als Absturz des Systems oder als Rechenfehler. Gerade letzterer konnte sich auf diese Weise über lange Zeiträume hinweg wie beim Stille-Post-Spiel »fortschreiben« und dazu führen, dass sich die falsche Interpretation eines Datensatzes von System A in System B als Welleneffekt auf weitere Systeme übertrug. Massiv wurde dieses Problem, als der Jahrtausendwechsel nahte und bloß zweistellige Jahresangaben von »99« auf »00« umzuschalten drohten, wobei unklar war, ob das jeweilige System darunter dann das Jahr »2000«, »1900« oder gar »0000« verstehen würde. Welche Auswirkungen ein solches Missverständnis auf außerinformatische Systeme haben würde, wird schnell deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie wichtig derlei Angaben für die Zins- und Zinseszinsrechnung bei Geldgeschäften sind, mit denen seit Jahrzehnten vorrangig Computer betraut sind.

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Diese und noch einige Facetten mehr, die als unvorhergesehene oder verheimlichte Folgen misslingender »Automatenkommunikation« auftreten, benennt und untersucht Fey in seinem Buch. Darin ist es ihm jedoch an wesentlich mehr gelegen als bloß einer Aufbereitung des Jahr-2000-Problems. Es sieht – wie der Untertitel verkündet – dieses Problem als das Symptom eines medienhistorischen Umbruchs, für den die Verursacher (die Informatik, die Programmierer, die Hardware-Entwickler) noch keine angemessene Praxis besitzen, geschweige denn eine Theorie existiert (vgl. S. 173). Eine solche Theorie versucht Fey in seinem Buch zu umreißen, in dem er – die einzelnen Aspekte der durch das Jahr-2000-Fehlers verursachten Probleme analysierend – eine Untersuchung der Kommunikationsmöglichkeiten und -grenzen von »Automaten« anstellt. So trägt er zunächst (in Kapitel 3) Überlegungen aus der Sprachwissenschaft, Philosophie und Informatik über das Phänomen »Schrift« und »Verschriftung von Information« zusammen, zeigt (in Kapitel 4) auf, wie aus Information durch Computation Wissen und Wirklichkeit erzeugt wird und führt seine Überlegungen (in Kapitel 5) schließlich in einer Betrachtung gegenwärtiger Bestrebungen von »Automatenkommunikation« zusammen, die aus dem Jahr-2000-Problem noch nicht oder zu wenig gelernt hat (hier etwa die RFID-Technologie und das »Internet der Dinge«).

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Kommunikationswissenschaftliche Perspektive

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Peter Fey kennt die Auswirkungen solcher Fehler und versucht nun in Hinblick darauf eine neue Perspektive auf die Beziehung zwischen Informatik und Kommunikations- und (teilweise) Medienwissenschaft einzunehmen – namentlich eine kommunikationswissenschaftliche. Obwohl er im Hauptteil, dem dritten Kapitel, also um eine detaillierte sprachwissenschaftliche und -philosophische Engführung von so genannten »formalen Sprachen« (Programmiersprachen) und natürlicher Sprache bemüht ist, sind es doch zunächst seine Begriffe, die Fragen aufwerfen. So verwundert es schon beim Blick auf den Umschlag, dass Fey von und über »Automaten« schreibt, im Buch dann damit wohl aber eigentlich durchweg »Computer«meint. In der Etymologie des Begriffs »Automat« ist bereits ein Moment von Handlungsfreiheit enthalten, die es bei Computern ja durchaus scheinbar in dem Moment gibt, wo eine Interaktion zwischen Mensch und Computer stattfindet. Der Computer wirkt durch sein Verhalten, mehr aber noch durch sein Fehlverhalten, als handele er eigenwillig (»autó-matos«). Dieser Anschein wird jedoch erst von außen qua Evokation 1 durch den Nutzer in den Prozess und die Maschine hinein projiziert. Der Automaten-Begriff ist insofern, wenngleich er zuvorderst eine technisch neutrale Definition (als Gerät, das vorbestimmte Abläufe selbstständig durchläuft und dabei zum Empfänger von Kommunikaten wird) 2 besitzt, insbesondere in Hinblick auf die von Fey untersuchten Emergenz-Effekte zu stark vorbelastet. Denn bei der »Kommunikation von Automaten« und dort vor allem bei Fragen der Sprachpragmatik schiebt sich gerade dieses Nebenverständnis an zahlreichen Stellen zu stark in den Vordergrund.

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Im Verlauf des Textes werden die beiden Begriffe »Automat« und »Computer« (wie auch der gelegentlich hinzutretende »Apparat«) weitgehend synonym gebraucht und entweder gar nicht oder allenfalls sporadisch definiert (vgl. S. 28 f.) und voneinander abgegrenzt. Dass Automaten miteinander kommunizieren, versucht Fey in sprachwissenschaftlicher Hinsicht zu belegen mit Verweisen auf die Morphologie, Syntax-Theorie und Pragmatik und mithilfe kanonischer Theorien (von Wittgenstein bis Chomsky, von Heinz Vater bis Angelika Linke u.a.), die er sodann vor allem in kritischer Hinsicht (hier gehören Jospeh Weizenbaum und Wolfgang Coy als »kritische Informatiker« zu seinen hauptsächlichen Stichwortgebern) auf die Informatik appliziert. Bei aller Belesenheit verwundert es daher sehr, dass er ausgerechnet den vielleicht einschlägigsten Theoretiker pragmatischer Sprachphilosophie, Paul Grice, und dessen »Konversationsmaximen«-Modell 3 unerwähnt lässt. Ein Problem wird durch diese Auslassung allerdings vermieden: die Frage, ob sich die Wissenschaft natürlicher Sprachen überhaupt in der von Fey vorgestellten Rigorosität auf formale Sprachen anwenden lässt, wenn man den »Sprecher« und »Empfänger« in den Fokus rückt. Spekulativ werden seine Überlegungen nämlich bereits bei der Frage nach der Kommunikationsintention (S. 140 ff.) und inwiefern diese bei »Automatenkommunikation« zu finden sind. Das oben erwähnte Grice’sche Modell der Implikaturen operiert ganz zentral mit der Sprecherabsicht, die – wollte man aus den »Missverständnissen« bei maschinellen Kommunikationsakten keinen Beleg für eine »harte KI« herauslesen – wohl nur schwerlich auf das von Fey untersuchte Phänomen anwendbar wären. Computer »beabsichtigen« mit ihrer Kommunikation keine Wirkung; es sind die Menschen, die die Computer als Medien mit Wirkungsabsichten einsetzen. Das schreibt Fey zwar, die allzu enge Applikation der Sprachwissenschaft auf die Informatik lässt es (ihn?) jedoch häufig vergessen.

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Probleme der Programmiersprache

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So konkret der Autor bei Theorien der Sprachwissenschaft ist, so abstrakt bleiben seine Ausführungen zu Programmiersprachen. Der in dieser Hinsicht fehlende Nahblick besteht darin, dass Fey bis auf der einmaligen Erwähnung des Namens der Programmiersprache COBOL die konkrete Auseinandersetzung mit den »Automatensprachen« ausspart und allenfalls eine eher triviale Beschreibung dessen, was Programmieren heißt, liefert (vgl. S. 75). Dabei wäre (in diachroner Perspektive) doch gerade die Entwicklungsgeschichte von Programmiersprachen auch als eine Reaktion auf die immer schon bestehenden »Kommunikationsprobleme« zwischen Mensch und Maschine beziehungsweise Maschine und Maschine zu verstehen, die es deshalb durchaus detailliert zu betrachten und zu kritisieren gälte. Und darüber hinaus findet sich (in synchroner Perspektive) in der immer größeren Komplexität und Kompliziertheit der so genannten »Hochsprachen« wahrscheinlich auch eine wichtige Ursache von fehllaufender »Automatenkommunikation«. Ein Blick auf Programmiersprachen beziehungsweise in ihre Geschichte wäre daher meines Erachtens zwingend notwendig für eine adäquate Analyse, die für sich die medienepistemologische These in Anspruch nimmt, einer »medienhistorischen Zäsur« auf der Spur zu sein.

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Zu dieser Weitsichtigkeit gesellt sich noch eine Kurzsichtigkeit: Wenngleich nämlich das Buch das Jahr-2000-Problem und seine zahlreichen theoretischen und praktischen Folgen wie kein Text zuvor ins Auge fasst, ist Feys Frage dennoch nur auf diesen Gegenstand bezogen originell. Denn – um noch einmal zur fehlenden Auseinandersetzung mit konkreten Programmiersprachen zu kommen – beispielsweise die Sprache »Ada« sollte das von Fey beschriebene Problem bereits in den 1960er/70er-Jahren beheben. Zu dieser Zeit des Kalten Krieges richteten sich die Blicke der Militär-Computerwissenschaftler auf ihre Geräte und deren mögliche Vernetzbarkeit. Dabei erkannte man schnell Inkompatibilitäten – in Fey’scher Diktion »Kommunikationsprobleme« – zwischen den einzelnen Hard- und Software-Komponenten. Aufgrund der Tatsache, dass deswegen zusehends mehr Geld für die Entwicklung und das darauf folgende Debugging immens großer Programme ausgegeben wurde, was um 1965 schließlich zu einem Auseinanderklaffen der Entwicklungsgeschwindigkeit von Hard- und Software (der so genannten »Softwarekrise«) 4 führte, beschloss man eine Normierung: eine fest implementierte Programmiersprache, bei der die Funktionalität der Programme sogar mathematisch beweisbar sein sollte. »Ada« (benannt nach der ideellen Mutter aller Programmiersprache, Lady Ada Lovelace) hieß das Ergebnis und sollte in die mit kritischen Aufgaben wie der Raketensteuerung betrauten Systeme (über die Fey nur an einer einzigen Stelle, kurz vor Schluss auf S. 173 eingeht) programmiererische Sicherheit bringen. Insofern hat Fey zwar vielleicht recht, wenn er von einer medienhistorischen Zäsur durch Maschinenkommunikation spricht, sie wäre jedoch mindestens 40 Jahre zurückzudatieren – wenn nicht sogar noch früher, nämlich zur Zeit der Erfindung der ersten symbolischen Computerprogrammiersprachen in den 1940ern (Konrad Zuses »Plankalkül«), weil auch dort schon »Probleme« auftraten.

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Künstlerische Verarbeitungen

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Kurz vor Schluss des Textes widmet sich der Autor den kulturellen Auswirkungen des »Jahr-2000-Problems« in Hörspielen und Videofilmen (S. 174 f.) und der Tatsache, dass »das Programm [..] zum Erreger« wird, wie er es in der Zwischenüberschrift nennt. Das Hörspiel »Bugs Jitterclub« (1999 vom WDR ausgestrahlt) und der Fernsehfilm »Die Millennium-Katastrophe« (D 1999) nahmen die Szenarien kurz vor dem Jahrtausendwechsel vorweg. In diesen beiden Produktionen zeigt sich bereits der produktive Aspekt, den (fehl)kommunizierende Automaten für die Kultur besitzen. Dies wird von Fey wird hier nur kursorisch gestreift, verdiente jedoch eine eingehendere Betrachtung. Es ist seit Karel Čapeks Theaterstück »R.U.R.« (1920), in welchem Roboter-Arbeitssklaven den erfolgreichen Aufstand gegen ihre Erbauer durchführen, ein Thema der Techno-Science-Fiction, dass die zunehmende Automatisierung unvorhersehbare Folgen zeitigt. Insbesondere der Computer ist hier immer wieder in den Fokus der Dystopien gerückt. Ganz zentral wurde dieses Motiv in D. F. Jones zwischen 1966 und 1977 entstandener »Colossus«-Trilogie, in der ein US-amerikanischer Super-Computer, der eigentlich Verteidigung- und Angriffsfunktionen für den Atomkrieg automatisieren sollte, autonom wird und sich mit seinem sowjetischen Pendant vernetzt. 5 Gemeinsam unterjochen sie die Welt, der sich – aufgrund ihrer Kommunikation in Lichtgeschwindigkeit – immer mehrere Schritte in ihrem Bemühen, die »durchgedrehten Automaten« abzuschalten, voraus sind. Jones‘ SF-Romane sind in der Zeit der Software-Krise und der Ada-Konzeption hervorgegangen und aspektieren Emergenz-Effekte »kommunizierender Automaten« daher als nahe Diskursbeiträge.

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Fazit

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Doch so tief taucht Peter Feys in seinem Essay nicht in die »Erreger«-Funktion des Problems ein. »Kommunizierende Automaten« offenbart vielleicht genau darin ein Problem, das in der sich seit Anfang der 1990er-Jahre mit dem Medium Computer beschäftigenden Medien- und Kulturwissenschaft immer noch akut ist. Es ist die Frage, ob man dem kulturwissenschaftlich orientierten Leser eine Auseinandersetzung mit detaillierten informatischen Problemstellungen (in doppeltem Wortsinne) »verkaufen« kann? Mit wie viel Mathematik und Technik darf man ihn behelligen? Andererseits – und das bleibt als Eindruck von Feys Buch durchaus auch stehen – wäre die Frage zu stellen, wie detailliert man diesen Leser (noch einmal) in die Geschichte und Theorie der Sprachwissenschaft und -philosophie einführen muss. Zeitweise wirken die Zitate und Paraphrasen im dritten Kapitel schon wie Namedropping, wenn da Wittgenstein, Derrida, Kittler, Lacan, Frege, Carnap, Flusser, Luhmann, Russel, Chomsky, Shannon, Max Weber und McLuhan oftmals nur für einen Gedanken »herbeizitiert« werden. Das Buch wird auch gerade dadurch schwer lesbar; die oftmalige Redundanz der zentralen Thesen und Argumente (Automaten kommunizieren nicht unproblematisch miteinander) und zeitweilige Trivialität von Parenthesen (beispielsweise S. 75: »binäre Zeichen […] sind als zwei Landungszustände beschreibbar«) tragen ein Übriges dazu bei. So bleibt zuletzt also der Eindruck, es mit der Analyse eines wichtigen Gegenstandes zu tun zu haben, die jedoch zu wenige Dimensionen ins Auge fasst, um abgeschlossen zu wirken und ihren knappen Raum (von weniger als 200 Seiten) durch zu detaillierte Ausflüge in Allzubekanntes verschenkt.

 
 

Anmerkungen

vgl. Turkle, Sherry: Die Wunschmaschine. Vom Entstehen der Computerkultur. Reinbek: Rowohlt 1984 und Tietel, Erhardt: Das Zwischending. Die Anthropomorphisierung und Personifizierung des Computers. Regensburg: S. Roderer Verlag 1995.   zurück
Petri, Carl Adam: Kommunikation mit Automaten. Dissertation. Technische Hochschule Darmstadt 1962.   zurück
Grice, H. Paul: »Logik und Konversation.« In: Meggle (Hg.): Handlung, Kommunikation, Bedeutung. Frankfurt/M. 1993 (stw 1083), S. 243–265.   zurück
vgl. Iburg, Holger: Abschreckung und Software. Computertechnologie als Instrument der amerikanischen Sicherheitspolitik. Frankfurt/M., New York: Campus 1991.   zurück
Jones, D. F.: Colossus. München: Goldmann 1968; Ders.: Der Sturz von Colossus. München: Goldmann 1974; Ders.: Colossus and the Crab. Berkeley 1977.   zurück