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Philosophie und Medien oder Was ist Medienphilosophie?

  • Lorenz Engell / Jiri Bystricky / Katerina Krtilova (Hg.): Medien denken. Von den Bewegungen des Begriffs zu den bewegten Bildern. (Kultur- und Medientheorie) Bielefeld: transcript 2010. 164 S. Paperback. EUR (D) 17,80.
    ISBN: 978-3-8376-1486-2.
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Der vorliegende Sammelband geht zurück auf eine Tagung des Internationalen Kollegs für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie der Bauhaus-Universität Weimar sowie der Karls-Universität Prag mit dem Titel Medien denken. Medien – Begriffe – Bilder. Die Publikation präsentiert das Ergebnis einer Zusammenarbeit von Wissenschaftlern verschiedener Nationen, an der sich neben den deutschen und tschechischen auch Autoren aus der Slowakischen Republik, Großbritannien und Österreich beteiligt haben. Anlass für die internationale Zusammenarbeit gibt die »spezifische Verbindung von Philosophie und Medienforschung« (Einführung, S. 9), die es – so Krtilová – in den osteuropäischen Ländern weitaus schwerer hat als im deutschsprachigen Raum. Das gemeinsame Ziel, »gegenüber der Massenmedienforschung eine andere Art der Medienwissenschaft, zu der auch ein philosophisches Fragen und Hinterfragen gehört, durchzusetzen [...]« (S. 11), gibt dabei jedoch keineswegs eine gemeinsame Marschrichtung vor. Während die tschechische, slowakische und teilweise auch britische Perspektive den Fokus ganz klar auf das Denken in Abgrenzung zum Beschreiben, Messen, Bewerten richtet, wird aus deutscher Sicht der Titel vielmehr als Frage im doppelten Sinn und mit Verweis auf ihre Theorie formuliert: Können Medien denken oder machen sie das Denken erst möglich? – Nicht zuletzt wird das Denken selbst in den Blick genommen und hinterfragt und Denkbares außerhalb der »Idealität des Sinns« und innerhalb einer »Logik des Bildlichen« lokalisiert (S. 12).

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Den Band eröffnet Erich Hörl, der in seinem Beitrag »Die technologische Sinnverschiebung. Über die Metamorphose des Sinns und die große Transformation der Maschine« ein neues Denken aufspüren will, das sich in der Verschiebung des Sinns von Technik hin zu einem neuen Sinn des Sinns zeige. Auch der Beitrag »Telegraf, Orchester, Stadt. Kommunikation als Problem der Menge« von Miroslav Marcelli beschäftigt sich mit dem Phänomen der Verschiebung, hier allerdings als die Verschiebung in den Modellen der medialen Konstruktion von Wirklichkeit und (Massen-)Kommunikation am Beispiel des Telegrafen als lineares beziehungsweise dem Orchester als komplexes Modell. Sowohl Hörls als auch Marcellis Beitrag sind allerdings, da sie ihren Fokus auf das Denken selbst und weniger auf das Medien-Denken richten, als Einstieg in das Thema schlecht gewählt und die Herausgeber wären gut beraten gewesen, diese an späterer Stelle innerhalb des Bandes zu platzieren. Doch so wird der in erster Linie an Medienforschung interessierte Leser gleich zu Beginn mit erkenntnisphilosophischen Überlegungen über das Denken überfordert, die zudem ihren eigentlichen medientheoretischen Bezug vermissen lassen, sodass sich der geneigte Leser dazu verleitet sehen dürfte, das Buch ungelesen aus der Hand zu legen.

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Ein Blick zurück in die Einführung des Bandes macht jedoch erneut neugierig auf den Beitrag »Semiologie oder Magiologie« von Stanislav Hubík, der eine spezifische Magie der Medien verspricht, die die Wirklichkeit (Referenz, Repräsentation, Zeichen, ...) zum »Verschwinden« bringe. Und so fährt man in hoffnungsvoller Erwartung mit der Lektüre fort, nicht ganz abgeneigt, sich selbst ein Stück weit verzaubern zu lassen. Doch bedarf es nicht einmal des Endes des Beitrages, um zu erkennen, dass Hubík die Zauberkunst offenbar nicht ganz beherrscht: Weder der Versuch, die Semiologie anhand der Modelle der ›Kommunikation‹, der ›referentiellen Illusion‹ und schließlich der ›Interpretation‹ bei Barthes, Eco und Derrida als Magiologie zu lesen, kann ernsthaft überzeugen, noch lässt sich in diesen eine Magie der Medien finden. Leider bricht Hubík an der Stelle, an welcher er schließlich die Brücke von der Semiologie zur Medienforschung beziehungsweise zur Mediologie – wie er sie nennt – schlagen will, ab mit dem Hinweis, dass dies über die bisherigen Überlegungen hinausgehen würde (vgl. S. 67).

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Wem das Interesse an der Lektüre aufgrund der zahlreichen grammatikalischen und orthographischen Fehler nicht längst abhanden gekommen ist, der findet in dem recht knapp ausgefallenen Beitrag »Begriff, Bild und Medialität« von Jirí Bystricky zum ersten Mal den Blick auf die Medialität – hier an der Schnittstelle von Bild und Begriff – und damit auf die spezifische Eigenschaft des Mediums selbst gerichtet. Der Beitrag über »Das Medium der Zeichnung. Über Denken in Bildern« von Dieter Mersch liest sich als kongeniale Ergänzung zu Bystricky. Mersch setzt seine Überlegungen an der Schnittstelle von Bild und Schrift, der Linie als »Differenzmarker«, an und beleuchtet die ›Zeich/n/en‹-Dimension des Bildes von der Disegno/Colore-Diskussion bis hin zu technischen Visualisierungsverfahren.

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Eine Fortführung dessen findet sich in dem Beitrag »Worte: verfilmt. Zur Intermedialität der Schrift im Avantgardefilm« von Wolfgang Beilenhoff. Mit dem Begriff der Intermedialität benennt er einen medialen Aspekt, der einen wirklichen Erkenntnisgewinn verspricht. Mit So is this von Michael Snow (1982) untersucht Beilenhoff einen Experimentalfilm, der an der Schnittstelle zweier Medien operiert und somit auf ihre Medialität hinweist. Für Beilenhoff ist So is this ein Film, »der mit konventionellen Annahmen über Film und Schrift, über Bild und Text spielt und unser diesbezügliches Wissen visualisiert« (S. 121). Dieses Wissen, das hier aufgerufen wird, ist »auch Medien-Wissen, das Wissen darum, dass die Eigenschaften von Medien sich allein über einen Vergleich von Medien erschließen lassen« (S. 121). Im Ergebnis liefert Beilenhoffs Beitrag somit erste wegweisende Antworten auf die zentrale Frage, die sich eine philosophisch orientierte Medienforschung in erster Linie zu stellen hat: jene Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Medialität.

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Der anschließende Aufsatz »Kameraden und Kohlköpfe: John Heartfield im Universum der technischen Bilder« von Nancy Roth lässt sich nach diesem Erkenntnisgewinn getrost überspringen. Roth analysiert die Fotomontagen John Heartfields nicht nur als Bestandteil und mediale Reflexion der Zeitung, in der sie publiziert wurden, sondern interpretiert sie gleichzeitig in ihrer Wirkung als imaginär im Sinne Vilém Flussers, indem sie deutlich macht, wie diese durch die Verbindung und Differenz von Schrift und Bild mit den Mechanismen dieser imaginären Wirkung spielen.

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Mit seinem Beitrag über »Kinematographische Agenturen« beschließt Lorenz Engell den Band. Ausgehend von der Frage, ob das Denken anders ausfalle, wenn man im Körper des Films ›denke‹, zeigt Engell das Zusammenspiel von Menschen und Dingen, Reflexion und technischer Apparatur, von Film-Bild und seinen materiellen Bedingungen aus der Perspektive einer kinematographischen Agentur.

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Fazit

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Der Anlass, Philosophie und Medienforschung zu verbinden mit dem Ziel, eine Medienwissenschaft voranzutreiben, die sich explizit philosophisches Fragen und Hinterfragen zur Aufgabe macht, könnte kaum spannender und interessanter sein und ist angesichts des derzeitigen heterogenen Forschungsfeldes notwendiger denn je. Der gewählte Ansatz einer unterschiedlichen Akzentuierung mag für das Thema zunächst konstitutiv und sogar produktiv erscheinen, doch ist es genau dieser Ansatz, welcher das Projekt bereits im Vorfeld zum Scheitern verurteilt. So unterschiedlich die Autoren auch ihre Akzente setzen, scheinen sie doch alle zusammen daran interessiert zu sein, sich keine medientheoretische Blöße zu geben, und schlagen deshalb den sicheren Pfad der Beschreibung und Analyse medialer Gegenstandsbereiche ein. Auf diese Weise lassen sich der Begriff des Mediums und seine Klärung weit möglichst umgehen, und es scheint gerade so, dass sich die Beiträge in der Mehrzahl redlich Mühe geben, den Medium-Begriff gleich ganz zu vermeiden. An den wenigen Stellen, wo von ›Medien‹ überhaupt die Rede ist, wird der Begriff undefiniert und in dem inflationären Sinn gebraucht wie in weiten Teilen der Medienwissenschaft bislang üblich. Einen wirklichen medienphilosophischen Erkenntnisgewinn im Sinne grundlagentheoretischer Überlegungen liefert der Band somit bedauerlicherweise nicht, denn dafür wäre es nötig gewesen, nicht nur die (Epistemo-)Logik näher in den Blick zu nehmen, sondern diese auch von den auf ihrer Basis modellierten Gegenstandsbereichen deutlich zu unterscheiden.