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Das kybernetische Selbst der Beratung

  • Boris Traue: Das Subjekt der Beratung: Zur Soziologie einer Psycho-Technik. (Sozialtheorie) Bielefeld: transcript 2010. 324 S. Kartoniert. EUR (D) 29,80.
    ISBN: 978-3-8376-1300-1.
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Woran erkennt man eine gute Beratung? Der Informationsbroschüre der Deutschen Gesellschaft für Beratung (DGfB), der Dachorganisation von zweiunddreißig Verbänden der Branche, ist zu entnehmen, dass der Beratene sich verstanden fühlen soll, dass er Denk- und Handlungsanstöße erhalten muss, dass er Einblick in seine Situation bekommen muss, dass ihm die Erfahrungen in der Beratung Mut machen sollen, dass er durch die Beratung Schwierigkeiten leichter bewältigen können soll, und dass ihm die Beratung die Möglichkeit einräumen soll, den eigenen Weg und die Konsequenzen zu bedenken.

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Das hört sich doch alles ganz gut an. Wie sollte man da Nein sagen wollen? Gesetzt, man hat Beratung nötig. Boris Traue holt in seinem Buch weit aus und stellt das Design der Beratung in einen umfassenden Kontext, um dieser Frage nachzugehen. Dies geschieht mit einem dezidiert soziologischen Erkenntnisinteresse, das methodologisch an die Diskursanalyse und die Wissenssoziologie anknüpft.

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Was ist Beratung?

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Wie lässt sich der Untersuchungsgegenstand unter diesen Voraussetzungen definieren? Traue operiert mit Hilfe der folgenden Abgrenzung:

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Die Asymmetrie zwischen Beratendem und Beratenem unterscheidet die Beratung vom Rat, d.h. von der Praxis des ›sich gemeinsam Beratens‹, die von einem Kollektiv der Handelnden vollzogen wird. Beratung besteht darin, dass auf eine Person so eingewirkt wird, dass sie in Folge dessen ein Handeln (mit (von anderen oder ihr selbst) erwünschten Merkmalen oder Folgen vollzieht. (S. 30)
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Unter diesen Voraussetzungen lässt sich die Beratung als eine »soziale Technologie« (S. 30) betrachten. Aus anderen Perspektiven erscheint diese Abgrenzung von Rat und Beratung allerdings fragwürdig. Traue stellt zunächst selbst fest, dass wir in »alltäglichen und außeralltäglichen Zusammenhängen« beraten werden, und dass diese Form der Kommunikation »seitens einer der beteiligten Personen eine Desorientierung« impliziert, die in einem »Nicht-Wissen« oder »Nicht-Können« bestehe (S. 29). Diese Desorientierung führt aber in jedem Fall zu einer Asymmetrie, nicht nur bei dem, was Traue »Beratung« nennt, sondern auch bei dem, was er »Rat« nennt und im folgenden unter den Tisch fallen lässt. Wer sich einen Rat holt, tut dies in der Regel keineswegs im Rahmen einer Praxis des ›sich gemeinsam Beratens‹. So etwas findet etwa paradigmatisch in einer richterlichen Beratung statt, nicht aber dort, wo jemand um Rat gefragt wird.

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Das soll keineswegs heißen, dass die von Traue gewählte soziologische Perspektive nicht berechtigt wäre – ohne sie ist das Beraten als »soziale Technologie« wohl schwerlich zu fassen. Es soll nur darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie sich bestimmten Vorentscheidungen verdankt. Durch diese Vorentscheidungen gerät das weite Spektrum von sozialen Interaktionen aus dem Blick, innerhalb dessen Sprechakte des Beratens und Ratgebens im Allgemeinen und die von Traue genauer ins Auge gefassten Beratungsformen im Besonderen stattfinden können. Bei den Formen der Beratung, die Traue untersucht, könnte man sich fragen, warum man sie überhaupt so nennen soll und darf. Besteht denn Beratung darin, dass auf eine Person »eingewirkt wird«? Bei den von der Deutschen Gesellschaft für Beratung ausgegebenen Merkmalen guter Beratung ist davon jedenfalls nicht die Rede.

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Traue möchte von der Auffassung abrücken, dass »Beratung in einer allgemeinen Öffentlichkeit, aber teilweise auch im wissenschaftlichen Diskurs als neutrale, angemessene Antwort auf die zunehmende Komplexität zeitgenössischer Gesellschaften verstanden wird« (S. 12). Vielmehr ist Beratung auch etwas, mit deren Hilfe auf die Subjekte eingewirkt, mit deren Hilfe Subjekte gesteuert werden. Sie können gesteuert werden, indem ihnen Selbststeuerung implementiert wird. In einer Beratung wird auf die Subjekte dergestalt eingewirkt, dass die Einwirkung mit den Merkmalen guter Beratung nicht kollidiert. Daraus ergibt sich für Traue die folgende Eingrenzung: »Empirischer Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die Produktion von Subjekten durch die therapeutische Beratung, genauer: die Problematisierung des Subjekts im Wissen der Therapeutik« (S. 12). Mit einem Begriff: Gegenstand dieser Untersuchung ist das Coaching.

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Das ist keine ungerechtfertigte Einschränkung. Das Coaching ist kein Spezialfall der Beratung, sondern – wie man sagen könnte – als dessen Speerspitze aufzufassen: »Coaching steht im Rahmen dieser Untersuchung für den gegenwärtigen Stand der Beratung, die subjektiviert, ohne zu pathologisieren, und die problematisiert, ohne offen zu belehren.« (S. 14) Coaching ist Beratung, weil es sich von zwei anderen Formen asymmetrischer Kommunikation signifikant unterscheidet. Es ist weder »Betreuung« (bei der stellvertretend Entscheidungen getroffen werden) noch »Belehrung« (das lediglich der Wissensvermittlung und Unterweisung dient) (S. 17). Zugleich aber werden – das zeigt diese Untersuchung eindrucksvoll – auch die Aporien des Beratens im Coaching zur Kenntlichkeit entstellt. Denn Coaching gehört zur »Sprache des Managements« (S. 14). Die Beratung des Subjekts erfolgt nicht um seiner Selbst willen, sondern um der Formung eines Selbst willen, das sich je nach Bedarf formt.

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Die Untersuchung von Traue ist sehr klar und zielführend aufgebaut. Nach dem ersten Kapitel, das diese Vorklärungen enthält, ist das zweite Kapitel den theoretischen Zugängen gewidmet. Hier erfährt man, wie Wissenssoziologie und Diskursanalyse ineinander greifen können, um das Phänomen des Coaching als Psychotechnik und soziale Technologie der Formung von Subjekten der Selbstsorge angemessen beschreiben zu können. Beschreibungskategorien wie »Diskurs«, »Topik«, »Aufschreibesystem«, »Dispositiv«, »Programm« und »Gouvernementalität« werden in diesem Rahmen geklärt. Das ist natürlich nicht neu und dient nicht zuletzt der Selbstverständigung (das Buch ist eine Dissertation), aber man hat es selten so konzise und prägnant lesen können. Das Kapitel schließt mit einem kurzen Abschnitt zur »Pharmakologie« (S. 66), der den einen oder anderen überraschen wird, für das Verständnis der Gesamtausrichtung dieser Untersuchung jedoch von großer Bedeutung ist, auch wenn er methodologisch keine Rolle spielt. Traue bezieht sich mit diesem Begriff auf den zeitgenössischen Medien- und Technikphilosophen Bernard Stiegler, der ihn natürlich von Jacques Derridas Auseinandersetzung mit Platons Auseinandersetzung mit der Schrift übernommen hat.

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Die Schrift ist eine Technik und als solche pharmakon – nämlich sowohl ein Gift wie auch ein Heilmittel. Nach Stiegler ist diese Doppeldeutigkeit für jede Technologie essentiell, und Traue übernimmt diese Anschauung für die Beratung als soziale Technologie der Subjektivierung: »Es kommt also darauf an, in welchen sozialen Zusammenhängen, mit welcher strategischen Zielsetzung und unter wessen Kontrolle soziale Technologien und Selbsttechniken entstehen und angewandt werden. (S. 67) Ist das die Auskunft der Soziologie? Jedenfalls läuft eine solche Auffassung Gefahr, zur Trivialität zu verflachen – dass alles Neue seine guten und seine schlechten Seiten hat, dass die Technik gar Fluch und Segen sein kann, das haben wir schon vorher gewusst. Die Probleme fangen an, wenn man es genauer wissen will.

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Empirie?

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Im dritten Kapitel zeigt sich eine eigentümliche, aber auch lehrreiche Disproportioniertheit dieser Untersuchung. Es beschäftigt sich mit der Kategorie des Experten und ihrer Bedeutung im Rahmen der Governementalität. Die Experten sind in diesem Falle eine bestimmte Berufsgruppe: die Berater. Die »zentrale Frage« ist also in diesem Zusammenhang: »In welchen Strukturen gesellschaftlicher Arbeitsteilung und in welchen Produktions- und Medienverhältnissen institutionalisiert sich die Wissensordnung der Beratung?« (S. 77) Coaching findet nicht im luftleeren Raum, sondern in bestimmten organisatorischen Zusammenhängen statt. Häufig werden Mitarbeiter eines Unternehmens gecoacht, um ihre Leistung zu optimieren; die Berater stehen nicht einfach im Dienste der Beratenen, sondern sind auch – informell oder formell in Form sogenannter »Dreieckskontrakt[e]« (S. 93) – der Organisation verpflichtet, in deren Rahmen sie stattfindet. Berufssoziologisch gesehen resultiert daraus eine Problemlage, der Traue im empirischen Teil seiner Untersuchung nachgeht. Sie besteht in gut soziologischer Tradition in einer Anzahl von Experteninterviews, die er geführt hat – nämlich insgesamt »22 ausführliche Gespräche« von »Coaching-Beratern«. (S. 26) Die Interviews werden in diesem Kapitel auf Gott sei Dank moderate Weise ausgewertet.

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Beleuchtet werden neben den Arbeitsverhältnissen der therapeutischen Berater auch ihre möglichen Berufswege und ihr berufliches Selbstverständnis. Sowie natürlich ihre Klientel, die sich »in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet« (S. 88) hat. Die therapeutischen Berater sehen sich als eine Berufsgruppe mit Zukunft. Anders kann es auch nicht sein, da sie ja den Beratenen ihrerseits Zukünfte eröffnen müssen. Dass Coaching in seinen verschiedenen Formen vor allem im Managementbereich größerer Unternehmen gang und gäbe ist, macht gleichwohl deutlich, dass die Verbreitung der gesellschaftlichen Erscheinung, mit der sich Traue in seinem Buch beschäftigt, noch einigermaßen beschränkt ist. Aber gerade deshalb scheinen sich die Berater gleichsam als Speerspitze einer Bewegung auffassen zu können. Verstärkt wird dies durch das Bewusstsein, dass sie sich mit ihrer professionellen Beratertätigkeit auf dem freien Markt durchsetzen können.

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Die Experteninterviews sind gewiss der entbehrlichste Teil dieser Untersuchung. Es ließe sich sogar fragen, ob man nicht einer strukturellen ideologischen Verzerrung ausgesetzt ist, wenn man einen Berufsstand als Experten in einer Sache befragt, dem es vor allem darauf ankommt, die Dinge stets möglichst positiv darzustellen. Was Traue unter der Überschrift »Zur Expertise der Beratung« (S. 100) an Punkten zusammenträgt, lässt sich jedenfalls ebenso gut den zahllosen Informationsbroschüren und sonstigen Selbstdarstellungen entnehmen, die von der Branche gerne in die Welt geschickt werden. Es sind etwa die Topoi der »›Prozessbegleitung‹ als Ethos« (S. 100) und der »Erschließung von Leistungsvermögen« (S. 101), aber auch die Vorstellung, dass die »Autonomisierung von Individuen« und das »Empowerment«, die das Coaching sich zum Ziel zu setzen hat, insgesamt als ein »gesellschaftliches Projekt« vorgestellt wird (S. 103). Jeder kann einen Coach brauchen – auch der Coach.

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Durch welche Eigenschaften sich ein Coach auszeichnen muss, ist eine interessante Frage, bei der nun allerdings die empirische Untersuchung gänzlich zwielichtig wird. In einem kurzen Abschnitt zur »charismatische[n] Virtuosität« weist Traue auf die Nähe des Coaches zum »Motivational Speaker« hin, der seine »beraterische Autorität aus der eigenen Leidens- und Erfolgsgeschichte« zieht, als ein »Beispiel, das zur Nachahmung aufruft«. (S. 104) »Auch Berater«, so Traue, »flechten ihre eigene Bildungsgeschichte in Beratungsgespräche ein«, um zum »Objekt von Faszination« zu werden. (S. 105) Insoweit verpflichtet sie das Charisma, das sie sich zuzusprechen haben, darauf, als eine Art Gesamtkunstwerk zu firmieren, was einer ungeschminkten Darstellung der eigenen beruflichen Tätigkeit im Experteninterview nicht gerade förderlich sein kann.

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Freilich ziehen die therapeutischen Berater ihre Legitimation nicht bloß aus ihrem Charisma, das stets eine Art Versprechen beinhaltet. Sie sind vielmehr ein »Mischtyp«:

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Sie sind Spezialisten, insofern sie sich in betriebswirtschaftlichen Sachfragen auskennen, sie sind Professionelle, insofern sie sich über einen starken Klientenbezug ihrer Tätigkeit definieren, sie sind Virtuosen, insofern ihre eigene gelingende Selbst- und Lebensführung die Wirksamkeit ihrer Methoden zum Ausdruck bringen. (S. 105f)
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Abgesehen davon, dass diese drei Typiken »in einem gewissen Spannungsverhältnis« (S. 106) zueinander stehen, muss man sich fragen, warum derjenige, der über all diese Kompetenzen verfügt, sein Geld noch als Coach verdienen muss. Auch daraus resultiert, was das hier betrachtete Berufsbild betrifft, ein spezifisches »Darstellungsproblem«, das sich aus »inszenierungstheoretischer Perspektive« mit Ronald Hitzler anhand des schönen Etiketts der »Kompetenzdarstellungskompetenz« (S. 110) bestimmen lässt.

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Genealogie

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Das vierte Kapitel verspricht im Titel eine »Genealogie der Beratung« (S. 117) und damit etwas sehr Umfassendes. Es handelt sich aber um etwas anderes, als man erwartet. Läge es nicht gerade bei einer Genealogie der therapeutischen Beratung nahe, auf antike Realisierungen der ›Sorge um sich‹ und christliche Formen der Seelenführung aller Art einzugehen? Traue hingegen beginnt seine Genealogie ohne weitere Erklärung mit der »Krisenhervorbringungstechnik« (S. 117) von Johann Anton Mesmer im ausgehenden 18. Jahrhundert. Das ist erst bei näherem Nachdenken folgerichtig. Wesentlich für Traues Ansatz ist, dass es sich um »Alternativtherapien« handelt (daher bringt er sie auch mit den kirchlichen Praktiken des Exorzismus in Verbindung, nicht aber mit der christlichen Seelsorge), deren Vertreter sich einen Markt erst schaffen müssen und in einem nicht klar definierten Verhältnis zu den bestehenden Institutionen stehen.

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Die Krisenhervorbringungstechnik stellt für Traue eine andere Art von Einflussnahme auf das zu therapierende Subjekt dar, in der die Vernunft des Subjekts gewissermaßen umgangen wird. Entsprechend führt sie zunächst zu verschiedenen Formen der Hypnotherapie. Spätestens um 1900, wenn Emile Coué als ein weiterer Vertreter der »heterodoxen Schulen« eine auf Autosuggestion beruhende Form der Selbsterziehung propagiert, scheint dabei die ›Figur des Dritten‹ zu verschwinden. Wenn Coué empfiehlt, morgens und abends die zwanzigfache Wiederholung des Satzes »Es geht mir mit jedem Tag in jeder Hinsicht immer besser und besser!« zu praktizieren, so darf man darin durchaus das unablässige Hintergrundmurmeln aller therapeutischen Berater hören.

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Auch die Psychoanalyse ist eine heterodoxe Schule, die als Hypnotherapie begonnen hat. Aber sie hat sich von ihr abgewandt und – so Traue in einer kurzen und bisweilen verkürzten Zusammenfassung – ein »›textuelles Paradigma‹ der Erforschung der Psyche« (S. 130) etabliert. Sie ist also der Vergangenheit und der Entzifferung zugewandt und nicht der Zukunft und ihrer Machbarkeit. Gleichwohl ist es im weiteren Verlauf des 20. Jahrhundert in den USA gelungen, die psychoanalytische Therapie zu jenem social engineering umzubauen, gegen welches Jacques Lacan immer wieder zu Felde gezogen ist. Die Etappen dieser Entwicklung (bzw. dieser Degeneration) werden von Traue auf sehr erhellende Weise rekonstruiert. Das Bestreben gilt einer positiven Psychologie, einem »Humanismus«, der die Selbstverwirklichung als Befreiung menschlicher Potentiale verspricht, wofür Namen wie Carl Rogers und Abraham Maslow oder Strömungen wie die Gestalttherapie und die humanistische Psychologie stehen. Von großer Bedeutung dabei ist die Stellung dieser Strömungen (in deren Geschichte europäische Emigranten wie Erich Fromm und Wilhelm Reich eine Hauptrolle spielen) zum wissenschaftlichen Diskurs.

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Es handelt sich mehr um eine ›Bewegung‹, der es nicht mehr um eine »experimentalpsychologische Erprobung bzw. Bestätigung« (S. 140) der Ansätze geht, sondern um deren Fruchtbarmachung. Schon in den vierziger Jahren bemüht sich etwa Kurt Lewin um »Anwendungsmöglichkeiten der Psychologie in der Industrie«, indem er unter anderem das Konzept der »training groups« für Arbeitnehmer ins Leben ruft. Carl Rogers entwirft in seinem 1942 veröffentlichten Buch Counseling and Psychotherapy die Umrisse der Counseling Psychology, in der die therapeutische Beziehung zu einer Beratungsbeziehung umdefiniert wird, in der von einer Übertragungsbeziehung nicht mehr die Rede sein soll: Der Berater soll vielmehr »Empfänglichkeit« und »professionelle ›Wärme‹ bereitstellen«, während sich der Klient zu öffnen und »seine eigenen Entwicklungsmöglichkeiten wahrzunehmen« hat. (S. 142f.) »Transparenz«, »Wachstum« und »Selbststeuerung« werden zu zentralen Topoi bzw. Metaphern.

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Damit sind die Elemente, aus denen die schöne neue Welt der Beratung gemacht ist, beinahe beisammen. Was Traue zufolge noch fehlt, ist eine »Wiederentdeckung der Suggestion«, die im Rahmen der Entwicklung der Kybernetik in den USA stattgefunden habe, die ein explizit interdisziplinäres und damit auch bis zu einem gewissen Grade ebenfalls heterodoxes, jedenfalls zu den etablierten Wissenschaften schräg stehendes Diskursprojekt darstelle (vgl. S. 155). Für die Anwendung der Kybernetik auf die menschliche Kommunikation stehen vor allem der Name Gregory Bateson und die Palo-Alto-Schule inklusive Paul Watzlawick, dessen Ratgeber Anleitung zum Unglücklichsein ein erster Höhepunkt für die Anwendung eines systemisch geschulten Blicks auf das therapiebedürftige Subjekt war. »Der ›systemische Ansatz‹«, so Traue, »auf den sich heute die Mehrzahl der Organisationsberater und Coaches berufen, ist aus den sozialphilosophischen, psychologischen und sozialtechnologischen Anwendungsmöglichkeiten entstanden, die die Kybernetik angeregt hat.« (S. 153).Das Credo lautet, dass jedes Individuum sich um seine optimale Selbststeuerung kümmern muss und dazu von außen nur angeregt werden kann, indem es ›gestört‹ wird.

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In der weiteren Ausgestaltung dieses Ansatzes komme es auch zu einem »Rückgriff auf die Hypnotherapeutik« (S. 164) à la Mesmer. Die hält gewissermaßen Körper und Geist im Geiste des Vitalismus zusammen: »Die Verknüpfung der alten vitalistisch-hypnotherapeutischen Linie mit der kybernetischen Steuerungstheorie, mit der die animalischen Energien einer Bearbeitung und Verwertung zugänglich gemacht werden, ist als eine Art Ei des Kolumbus im Bereich der therapeutischen Dispositive anzusehen.« (S. 165) Es lebe das neurolinguistische Programmieren, das beim Coaching »in Gattungen der Phantasiereise, des Rollenspiels, der Arbeit an Zielen und Visionen sowie der Einrichtung von Feedback-Instanzen« (S. 165) umgesetzt wird.

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Ohne direkt auf Lacan Bezug zu nehmen, fasst Traue diese ›Ideologie‹ – um dieses von ihm nicht gebrauchte Wort einmal in Anschlag zu bringen – wie folgt zusammen: »Die kybernetische Therapeutik subjektiviert Individuen, indem die symbolische Ordnung umgangen wird und die Individuen zur Verantwortung für ihre Vitalität gezogen werden. Der Coach fungiert dabei als temporäres Vorbild, gleichsam als temporärer Spiegel« (S. 166) Das ist das »Imperium des Managements«, wie es Pierre Legendre – in einer etwas anderen Genealogie – genannt hat. 1 Hier geht es um die »Ausschöpfung des Humankapitals« und um den »Markt als Ort der Wahrheit« (S. 181).

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Selbstbeschreibungen des Coaching

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Wie der weitere Verlauf der Untersuchung aussehen kann, ist nicht allzu schwer zu erraten. Um das Dispositiv und den Diskurs der therapeutischen Beratung zu beschreiben, muss man nur die Selbstbeschreibungen etwa der entsprechenden Handbücher mit einem diskursanalytisch gewappneten Auge lesen, wie Traue es im Rest des Kapitels über die »Genealogie der Beratung« und im anschließenden, letzten Kapitel »Selbsttechniken der Therapeutik« (S. 215–292) tut. Und es genügt, Stichworte zu geben, damit man sich diesen Diskurs einigermaßen vorstellen kann, den man in seinen verschiedenen Abarten ohnehin in die Ohren geträufelt bekommt. So analysiert Traue unter anderem die interdiskursiven Topoi, in denen sich »Managerialismus« und »Therapeutik« (S. 193) im Coaching verschränken, sowie die »Topoi der Beratung« (S. 199) im engeren Sinne. Zu ihnen gehören die Prozessorientiertheit des Coachings (der Coach begleitet den Gecoachten bei einen Prozess, er hilft ihm aber auch, sich in Prozesse einzufügen), Selbstorganisation (der Gecoachte muss erkennen, dass er nicht auf einen Therapeuten warten darf, selbstgesteuert tätig werden muss) oder Kreativität und Innovation (der Gecoachte muss sein kreatives Potential entwickeln und sich ständig erneuern).

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Diese Topoi verweisen, wie Traue ausführt, zurück auf die Subjektkonstruktion des ausgehenden 18. Jahrhunderts, in der das einzelne Individuum als ›volles Subjekt‹, als Ort eines energetischen Potentials gedacht wird, das es lediglich freizusetzen gilt. Mit den entbundenen Energien soll freilich ökonomisch umgegangen werden: »Das Subjekt soll Hemmungen ablegen, um sein Leistungspotential und seine Kreativität entfalten zu können. Zugleich sucht die Beratung die durch diese Enthemmung und die damit verbundenen Entgrenzungen von Arbeit und Leben häufig eintretenden Erschöpfungszustände zu bekämpfen.« Da sollen dann Begriffe wie »Work-Life-Balance« (S. 212) wahre Wunder wirken. Das verweist aber nur darauf, dass das ›volle Subjekt‹ immer – und zwar in einem fundamentalen Sinne –»zugleich ein gefährdetes Subjekt« (S. 212) ist.

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Darüber hinaus gehört zur Selbstbeschreibung des Coaching die Selbstbeschreibung der Techniken, die in ihm zur Anwendung kommen und die natürlich ihrerseits nur »Selbsttechniken« sein können. Zu ihnen gehört zum Beispiel die »Kunst des Zielens« (S. 217). Um angemessene Ziele zu formulieren, muss man seine »Ressourcen« (S. 218) kennen. Dazu gehört auch die »Messung«, die uns darüber aufklärt, wie weit wir noch von der Erreichung unserer Ziele entfernt sind. Und dazu gehören »Visualisierungen und Visionen« (S. 220). Diese dienen – und das ist die kybernetische Version der Autosuggestion – dazu, die Energien freizusetzen, über die wir in Wahrheit verfügen. Ohne ein intimes Imaginarium, ohne innere Bilder, finden wir nicht die Kraft, uns auf den kraftraubenden Weg zu machen.

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Der Coach hilft insbesondere dabei, das »Verhältnis der Wünsche zu den konkreten Zielen der Person« zu beurteilen. Wird das Erreichen des Ziels von »den oft verborgenen, latenten Wunschbildern« (S. 229) konterkariert oder befördert? Lassen sich überhaupt konkrete Ziele aus den Wunschbildern ableiten, bei deren Verfolgung sich der selbstmotivationale ›Flow‹ einstellt und der »Klient gewissermaßen zum ›Personalentwickler seiner selbst‹« (S. 232) wird? Gelingt es dem Klienten, »Feedbackschleifen einzurichten, die seine Zielvorstellung positiv verstärken«? (S. 242)

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Die Selbstführung, die sich auf diese Weise Bahn brechen soll, entspricht – mit Foucault gesprochen – einer spezifischen ›Unterwerfungsweise‹. In ihr ist letztlich jedes Subjekt beratungsbedürftig. Wer meint, er brauche keine Beratung, der ist in Wahrheit nur beratungsresistent (und damit natürlich umso beratungsbedürftiger). Wie man weiß, darf man nie stehenbleiben und muss sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen, die letztlich immer auf die anderen bezogen sind. Die Beratungsbeziehung ist insofern »ein funktionales Äquivalent für die Intersubjektivität oder Kollektivität des Handelns« (S. 233f). Zwar ist Coaching zunächst auf ein berufliches Umfeld bezogen, aber es ist seinem Wesen nach umfassend und umgreift das gesamte Subjekt. Die Coaching-Literatur umfasst – ganz gleich, ob es sich um die Praktikerliteratur der Experten handelt oder um die Selbsthilfeliteratur, die sich an den Laien wendet – immer auch Hinweise auf die Gestaltung sozialer Beziehungen. Selbstführung ist »Selbstmodellierung« (S. 244), eine »tiefgreifende Veränderung der eigenen Person« (S. 245) mittels einer »Veralltäglichung der Krisentechnik« (S. 244). In den Ohren derjenigen, die es sich in ihrer »›Komfortzone‹« (S. 252) bequem gemacht haben, klingt diese allgemeine Mobilmachung freilich nicht sonderlich verführerisch.

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Schließlich ist noch auf einen weiteren Aspekt der Beratung zu sprechen zu kommen, dessen strukturelle Bedeutung bei Traue deutlich wird. An ihm wird darüber hinaus deutlich, dass es – von der Konzeption des Bandes her gesehen – möglich gewesen wäre, eine andere Genealogie der therapeutischen Beratung zu verfolgen: Das Subjekt der Beratung bedarf der »Glaubensarbeit« (S. 248). Das Coaching pflegt eine »Rhetorik des Glaubens« und kann darin eine Nähe zum Religiösen nicht verleugnen. Auf den konkreten Inhalt des Glaubens kommt es dabei freilich erst in zweiter Linie an. Und es ist kein Zufall, dass ein Mönch wie Anselm Grün auch als Organisationsberater und Coach arbeiten kann. Die Glaubensarbeit betrifft dabei neben dem obligatorischen Glauben an sich selbst auch monastische Techniken (die ruminatio als Wiederkäuen von frommen Worten) und eine Bekenntniskultur: »Die Selbsttechniken der Beratung«, stellt Traue fest, »ähneln der Form nach dem Bekenntnis«. (S. 251) Man könnte die gesamte Geschichte des Christentums als Vorgeschichte des Subjekts der Beratung verhandeln.

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Der oben bereits erwähnte Pierre Legendre hat ausgeführt, dass die abendländische Zivilisation im Allgemeinen und das ›Imperium des Managements‹ im Besonderen auf dem Amalgam von Christentum und Römischem Recht beruhen. Letzteres beruht vor allem auf der Idee des Vertraglichen. Es ist kein Zufall, dass Traue gegen Ende seines Buches die »Kontraktualisierung« thematisiert, die in den Techniken der Beratung auf verschiedenen Ebenen eine große Rolle spielt. Wie der Glaube ohne Inhalt sollte auch die hier waltende Art des Vertraglichen als etwas durchaus Merkwürdiges wahrgenommen werden. Das Verhältnis zwischen dem Coach und dem Gecoachten ist durch einen »impliziten oder mündlich ausgesprochenen Vertrag« strukturiert, durch einen gerne als »commitment« bezeichneten »psychologischen Vertrag« (S. 253).

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In der Beratungsbeziehung werde die Hierarchie (im Verhältnis zur Therapiebeziehung) verflacht und gleichzeitig eine Logik der Verpflichtungen aufgebaut: »Der Professionelle, der sich für die Ziele des Klienten ›persönlich‹ interessiert, ohne allerdings Vorgaben zu machen, fordert eine bestimmte Intensität der Reziprozität ein. Der Klient ist zur Entfaltung von Eigenaktivität aufgerufen, die der Helfer im Gegenzug für seine Mühe verlangen kann.« Im Ergebnis soll dieses komplexe Geflecht unscharfer Verpflichtungen dazu führen, dass das Subjekt »einen Vertrag mit sich selbst« (S. 254) eingeht. Auch der Kontraktualismus gerinnt also zu einer Selbsttechnik. Die ›Verbesserung‹ des Gecoachten erscheint als eine Art gemeinsames Projekt, bei der nach Maßgabe einer solchen quasi-vertraglichen Rahmung »durch Mikro-Kontrakte Verhaltensregulierungen möglich werden« (S. 256).

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Fazit

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All dies formt – wie Traue durchgehend überzeugend vorführt – das »kybernetische Selbst der Beratung« (S. 272). Die Überzeugungskraft rührt allerdings auch daher, dass das Feld der Untersuchung auf eine zwar diskussionswürdige, aber nicht wirklich diskutierte Weise entsprechend vorstrukturiert wurde. Traue spricht über das, worüber er spricht. Die Entscheidungen, die im Vorfeld getroffen wurden, um auf diese Weise darüber sprechen zu können, werden nicht thematisch. Das zu bedenken, bleibt dem mündigen Leser überlassen. Wohltuend ist zunächst die deskriptive Neutralität, die Traue seinem Gegenstand zuteil werden lässt. Es ist jederzeit ein Leichtes, den Diskurs der Beratung zu denunzieren. Ein geeignetes Zitat aus einer ›motivational speech‹ gerinnt tendenziell zur Realsatire, und man könnte – freilich eher aus kulturwissenschaftlicher denn aus soziologischer Perspektive – weiterführende Überlegungen darüber anstellen, warum das so ist. Jedenfalls hat sich Traue dessen enthalten.

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Nur an wenigen Stellen kommt er explizit auf das zu sprechen, was hier der Einfachheit halber als die Ideologie der therapeutischen Beratung bezeichnet wurde – etwa, wenn er dem »sanktionsbewehrten Zwang zur Darstellung der eigenen Zustimmung zu den Anforderungen an die eigene Person« eine »totalitäre[ ] Tendenz« (S. 277) bescheinigt. Man könnte natürlich sagen, dass sich der ideologische Charakter schon in der neutralen Beschreibung entlarvt, die Traue seinem Gegenstand angedeihen lässt. Als Psychotechnik ist die therapeutische Beratung – ist das Coaching – gewiss die Perversion des Ratgebens. Aber es wäre sehr kurzsichtig, das schon für der Weisheit letzten Schluss zu halten. Auch das lehrt dieses Buch.

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Traues kritische Würdigung des Beratungsdispositivs erfolgt ganz am Ende in seinen Überlegungen zur »Optionalisierungsgesellschaft« (S. 284). Das Beratungsdispositiv ist für ihn – und das ist nun wiederum sehr soziologisch – Teil eines umfassenderen »Optionalisierungsdispositivs«, dessen hervorstechendes Merkmal – der Literaturbeflissene erinnert sich an Musils ›Möglichkeitssinn‹ –»die Kommunikation über Gelegenheiten, Möglichkeiten, Chancen« sei (S. 284). Auf diese Weise werde eine Subjektivität »als Ressource« mobilisiert, »um sie in der Produktionssphäre nutzbar, durch staatliche Akteure regierbar und für Individuen erlebbar zu machen« (S. 285). Daher ist festzuhalten, was wir ohnehin wussten: »Optionalisierende Beratung stützt de facto neoliberale Regierungsformen.« (S. 286)

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Die mit ihr verbundene Befrachtung des Subjekts mit einer umfassenden Verantwortung für sich selbst ist für Traue zugleich eine Schule der »Verantwortungslosigkeit« (S. 291). Der Stab kann über die therapeutische Beratung angesichts dieser Expertise gleichwohl nicht gebrochen werden. In Anbetracht der selbstgestellten Alternative »Selbstsorge oder Psychomacht« bleibt der soziologischen Perspektive eben nur die anfangs bereits angesprochene Auskunft des pharmakon: Man müsse fragen, »unter welchen Umständen und in welchen gesellschaftlichen Verhältnissen die Praktiken der Beratung und die in der Beratung vermittelten Selbsttechniken tatsächlich dazu geeignet sind, Subjekte zusammenzusetzen, die der Vereinnahmung durch die eigenen Impulse und durch die Methoden der ›Nutzung‹ des Humankapitals widerstehen können« (S. 281). Genau. Machen wir eine Machbarkeitsstudie.

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Eine Anmerkung am Schluss muss noch gestattet sein. Wer bei der Lektüre von Büchern dazu neigt, sich über technische oder handwerkliche Fehler zu ärgern, dem sollte um seines Seelenheils willen von diesem Buch eher abgeraten werden. Es enthält nämlich eine ganz erstaunliche Anzahl solcher Fehler – insgesamt dürften sie im dreistelligen Bereich liegen. Sie reichen von einfachen Flüchtigkeitsfehlern über stehengelassene oder fehlende Worte etc. bis zu falschen Formatierungen – auch in den Zitaten, die in dieser Rezension wiedergegeben wurden, hat der Rezensent stillschweigend drei Fehler verbessert (wer das nicht glaubt, kann sich das Buch besorgen und nachprüfen). Der transcript-Verlag hat summa summarum ein ausgezeichnetes Verlagsprogramm. Daraus folgt nicht, dass er sich auch durch ein gründliches Lektorat auszeichnet. Das sollte man wissen.

 
 

Anmerkungen

Vgl. Pierre Legendre: »Dominium Mundi. Das Imperium des Managements«. In: ders.: Vom Imperativ der Interpretation. Wien – Berlin 2010, S. 101–164. Für einen Überblick siehe: Michael Niehaus: Hors d’œuvre. Pierre Legendres »Vom Imperativ der Interpretation«. (Rezension über: Pierre Legendre: Vom Imperativ der Interpretation. Wien, Berlin: Turia+Kant 2010), http://www.iaslonline.lmu.de/index.php?vorgang_id=3260 (22.12.2010).   zurück