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Frecher Historismus.

Ludwig Tiecks poetische Kunstgeschichte

  • Jutta Voorhoeve: Romantisierte Kunstwissenschaft. Franz Sternbalds Wanderungen von Ludwig Tieck und die Emergenz moderner Bildlichkeit. München: Wilhelm Fink 2010. 204 S. Kartoniert. EUR (D) 24,90.
    ISBN: 978-3-7705-5048-7.
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Tiecks Sternbald steht einerseits in der Tradition von Heinses Ardinghello und Goethes Wilhelm Meister und fungiert andererseits als Folie, vor der Novalis’ Heinrich von Ofterdingen und Eichendorffs Ahnung und Gegenwart Kontur gewinnen. So weit, so bekannt. Dass sich der Roman darüber hinaus in einen wissens- und disziplingeschichtlichen Zusammenhang stellen lässt, mag auf den ersten Blick überraschen – stehen doch die der laut Untertitel altdeutschen Geschichte attestierte lose Handlungsführung, der absolut gesetzte Stimmungszauber und die Problematisierung einer durch Kunst/Natur vermittelten Lesbarkeit der Welt und des Hieroglyphischen nicht gerade im Ruf, die Entstehung moderner Wissenschaftlichkeit und die Fundierung von Wissensstandards befördert zu haben. Jedoch hat diese Lesart einiges für sich. Wie die 2005 an der Universität Frankfurt/Oder im Fach Kunstgeschichte verteidigte Dissertation von Jutta Voorhoeve zeigt, gibt es gute Gründe dafür, den Sternbald nicht als Text einer »vorwissenschaftlichen Phase der Kunstgeschichte«, sondern – im Gegenteil – als eigenständige »Quellenschrift für die Kunstwissenschaft« (S. 9) zu betrachten.

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Die Romantisierung der Wissenschaft durch den Roman
– die These der Arbeit

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In der Überlagerung künstlerischer und wissenschaftlicher Wissensordnungen als Form einer spezifisch romantischen Epistemologie macht die Autorin jene von der offiziellen Kunstgeschichtshistoriographie ausgegrenzte Kinderstube der Kunstgeschichte aus. Historisches Wissen und das Wissen um die Historizität der Geschichte gehen demnach in den Roman ein, ja werden von der romantischen Textualität des Romans, so eine der Leitthesen Voorhoeves, erst hervorgebracht. Der Horizont der kunstwissenschaftlichen Wissensordnung wird hierbei maßgeblich von Johann Dominik Fiorillos Geschichte der zeichnenden Künste von ihrer Wiederauflebung bis auf die neuesten Zeiten (5 Bde., 1798–1808) gesetzt, die ihrerseits in nicht unerheblichem Maße Vasaris Vite verpflichtet ist. Für die künstlerische Wissensordnung sorgt der Roman, indem er die vom kunstgeschichtlichen Diskurs bereitgestellten Argumente in eine eigenständige Textualität einschmilzt, die die Grenzen von Kunst und Kunsttheorie verschwimmen lässt. Die transzendentalpoetische Grundierung des Romans, wie sie Voorhoeve unter Hinweisen auf Friedrich Schlegel zu plausibilisieren sucht, erweist sich so als Spielart historiographischer Praxis um 1800: In dem Maße, in dem Tiecks Sternbald Darstellung und Darstellungsreflexion miteinander verbindet, sind auch die kunstgeschichtlichen Exkurse schon immer von jener Reflexion begleitet, die sich aus dem Wissen um die unbedingte Historizität des als faktisch Ausgewiesenen ergibt. Im (selbst)reflexiven Spiel des Textes mit seinen Darstellungsinhalten entsteht so das, was Voorhoeve als »romantisierte Kunstwissenschaft« anspricht. Mit der sich im 19. Jahrhundert disziplinär konsolidierenden Kunstgeschichte, teile der Sternbald demnach das historische Bewusstsein der Aneignung und Durchformung von Geschichte und müsse somit als Zeugnis eines frühen Historismus gelesen werden.

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Der Ausweis transzendentalpoetischer Darstellungsreflexion als kunstgeschichtliche Roman-Praxis verweist auf die seit nunmehr schon 30 Jahren etablierte Fragestellung nach der literarisch-ästhetischen Verfasstheit der Geschichtsschreibung. Auf Voorhoeves Arbeit gemünzt bedeutet dies: Tiecks Roman arbeitet mit den ihm eigenen rhetorischen und poetischen Mitteln an einer Kunstgeschichte mit, die erst durch den Autor – durch die Beziehung also, die dieser einzelnen, etwa durch seinen Lehrer Fiorillo vermittelten Geschichten gibt – entsteht. Jedoch – und da erscheint das von Voorhoeve anvisierte Renaissance-Bild Jakob Burckhardts brüchig – treibt der Roman sein Verweisspiel zu bunt, will sagen: ohne dem Kohärenzgedanken Genüge zu tun, wenn er lediglich »[o]rnamentale Unvollständigkeit« (Kapitel 1.3) inszeniert. Lässt man das gemeinsame Interesse an einem kohärenten Geschehen (Erzählung als strukturelle Koppelung von Anfang, Höhepunkt und Ende) als maßgeblich für die historistische Indifferenz von Geschichte und Literatur gelten, so stellt sich die Frage, warum sich bereits in der Konstitutionsphase der Verbindung von ästhetischem und historischem Darstellungsprinzip die Kunst gegenüber der Geschichte verselbständigt. Mit Blick auf Voorhoeves Vorhaben, das kunstgeschichtliche »Theorieangebot von Tiecks Roman trotz verwirrender narrativer Organisation ernst zu nehmen« (S. 20), bleibt doch der grundsätzliche Vorbehalt bestehen, dem Roman gehe es nicht so sehr um eine reflektierte Aneignung der zeitgenössischen kunstgeschichtlichen Diskurse, eine allgemeinverständliche Vermittlung von Kunstgeschichte oder gar um die Produktion von historischem Wissen, sondern um Literatur, die – wie in vergleichbarem Maße Wilhelm Heinses Ardhinghello – andere Diskurse lediglich nutzt, um Literatur sein zu können.

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Abgrenzung oder Ausgrenzung?
Der Sternbald im kunstgeschichtlichen Kontext

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Ein wesentliches Anliegen von Voorhoeves Studie besteht darin, den kunstgeschichtlichen Kontext zu erschließen, den der Roman verarbeitet und gleichzeitig innerhalb dieser Verarbeitung ein neues Schreibmodell auszumachen, das zum einen auf eine Popularisierung des biografischen Modells im 19. Jahrhundert verweist und zum anderen – so der Untertitel von Voorhoeves Studie – zur »Emergenz moderner Bildlichkeit« führt.

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Dieser Maßgabe folgt der Aufbau der Arbeit. Das zweite Kapitel widmet sich Fiorillo und Christoph Gottlieb von Murrs Journal zur Kunstgeschichte und zur allgemeinen Litteratur (17 Bde., 1775–1789). Murrs Periodikum ist maßgeblich an der Entdeckung und Herausbildung einer spezifisch ›altdeutschen Kunst‹ beteiligt, wie sie etwa in den Dürer-Szenen des Sternbald relevant wird (vgl. dazu Kapitel 5.1 und 6.1). Mit Blick auf Fiorillo betont Voorhoeve das Changieren zwischen historisch-kritischer Methodik und geschichtshagiographischer sowie biographischer Anekdote; ein Spannungsfeld, das – wie das vierte Kapitel zur zeigen sucht – im Sternbald zur textuellen Konstruktion der rinascita, der späteren Renaissance führt. Hier wäre zumindest ein kurzer Hinweis auf Heinses rinascita-Konzeption im Ardinghello angebracht, da dessen Einfluss auf den Sternbald über motivische und topographische Parallelen hinaus gerade auch in diesem Punkt – vermittelt durch die Diskussion von Versatzstücken aus Vasaris Vite – mindestens gleichrangig zum Einfluss Fiorillos zu veranschlagen ist. Von der Einteilung der italienischen Malerei in regionale (florentinische, venezianische) Schulen bis zur Diskussion des disegno-colore-Verhältnisses ist die Kontinuität markanter kunstgeschichtlicher Diskurse vom Ardinghello zum Sternbald unübersehbar – und freilich ein eigenes Kapitel kunsthistoriographischer Praxis im ausgehenden 18. Jahrhundert wert, das die Studie von Voorhoeve ausspart.

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Das dritte Kapitel widmet sich dem Göttinger Kupferstichkabinett und der Kasseler Gemäldegalerie. Besonders interessant sind Voorhoeves Einlassungen zu den in Kassel ausgestellten Landschaften, mit denen Tieck im Rahmen seiner kunstgeschichtlichen Ausbildung bei Fiorillo vertraut gemacht wurde, lässt sich doch hier in Gestalt der holländischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts im Detail die Folie für die moderne (Landschafts-)Bildlichkeit aufweisen, die der Roman entwirft. Die relative Enge des in die Untersuchung einbezogenen Kontextes zeigt sich zunächst in der Konzentration auf mögliche Lese- und Seherlebnisse Tiecks, sie zeigt sich aber auch in einer Fokussierung auf jene von der Disziplin anerkannten und für relevant erklärten Textsorten. Das Interesse an der kunsthistoriographischen Relevanz des Sternbald führt demnach zu einer Kontextualisierung des Romans, die im Rekurs auf den sich Mitte des 19. Jahrhunderts semantisch, das heißt kultur- und kunstgeschichtlich, konsolidierenden Renaissancebegriff gewonnen wird. Interessant sind der Sternbald und sein diskursiver Kontext da, wo sie einerseits auf je unterschiedliche Art und Weise Geschichte erschreiben, indem sie bekannte Topoi neu gestalten. Damit arbeiten sie andererseits an einer Vermittlung von kunstgeschichtlichem Wissen mit und stellen eigenständige »Praktiken der Verständlichmachung« (S. 146) und der Aufbereitung von Geschichte dar.

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Die moderne Bildlichkeit, die der Roman entwirft, verdankt sich demnach einer zitierenden Aneignung von Kunstgeschichte und Kunstgemälden, die in der Wiederholung umgestaltet und neucodiert werden. Indem Voorhoeve in Kap. 7.2 versucht, Fiorillos Geschichte der zeichnenden Künste und Tiecks Sternbald mit der Hayden-White-Deutung Daniel Fuldas als »differente Redesysteme mit unterschiedlichem epistemologischem Anspruch« (S. 153) zu konturieren, die jedoch über das Prinzip der Narrativität und eine vergleichbare Tropologie miteinander verbunden seien, gerät die Begründungsfunktion der Geschichtsschreibung für eine neue Bildlichkeit etwas aus dem Blick. Denn so schlüssig die Popularisierungsthese ist, so wenig trägt doch die von Voorhoeve anvisierte biographische Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts zur »Emergenz moderner Bildlichkeit« bei.

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Demgegenüber gilt es den Nexus von »systematische[r] Ästhetik und empirische[r] Kunstgeschichte« um 1800 stärker hervorzuheben, wie ihn Burkhart Steinwachs herausgestellt hat. 1 Gemeint ist damit jene geschichtsphilosophische Ästhetik, die, wie etwa August Wilhelm Schlegel, die Geschichte der Kunst in der theoretischen Reflexion von Grundbegriffen zu fundieren sucht. Lassen sich nicht zahlreiche Landschaften aus Tiecks Sternbald, die maßgeblich an neuen Bildlichkeitsmustern arbeiten, mit dem Begriff des Malerischen/Pittoresken fassen, wie ihn Schlegel für die Kunstpraxis der Modernen – im Gegensatz zum Plastischen der Alten – reserviert wissen will?

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Dass eine Diskussion dieser Frage nicht nur für die Zeit um 1800 aufschlussreich sein kann, sondern auch mit Blick auf die Analyse der Begrifflichkeiten späterer kunstgeschichtlicher Diskussionen, zeigt das Auftauchen des Malerischen um und nach 1900, etwa bei August Schmarsow und – besonders prominent – bei Heinrich Wölfflin. Gerade mit Blick auf die Begriffsarbeit und eine genealogische Verortung der sogenannten ›strengen Kunstwissenschaft‹ hätten sich argumentative Anknüpfungspunkte ergeben, die die von Voorhoeve anvisierte, eher kulturgeschichtlich und biographisch orientierte Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts kaum bietet. Dass die Frage nach dem Malerischen nicht in den Blick gerät, liegt auch darin begründet, dass Voorhoeve den gesamten ästhetiktheoretischen Kontext des Sternbald ausblendet. Dieser ist jedoch auch in dezidiert kunstgeschichtlicher Hinsicht durchaus von Interesse, wie die herausgehobene Bedeutung des Ahnens, Empfindens und der Stimmung innerhalb des Romans zeigt.

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So ist etwa der Topos der ›musikalischen Landschaft‹ ohne die (spät)aufklärerischen Konzepte von Rührung und Stimmung und deren anthropologisch-ästhetischer Fundierung genauso wenig verständlich wie die daran anschließende »Musikalisierung der Sinne« (Helmuth Plessner) im Rahmen der Verschränkung physiologischen und ästhetischen Wissens im Impressionismus. Dass die Musikalität der Tieckschen Landschaften bei Voorhoeve keine Erwähnung findet, überrascht angesichts des gesetzten Kontextes nicht, wird dieser doch maßgeblich unter den Auspizien einer disziplinären Konsolidierung des Faches formuliert, die, folgt man Voorhoeve, im Sternbald ihren genealogischen, aber lange Zeit nicht anerkannten und damit ausgegrenzten Bezugstext hat.

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In diesem Punkt hätte eine großzügigere Projektierung des Kontextes der Arbeit gut getan. In einen größeren problemgeschichtlichen Rahmen gestellt, ließe sich etwa die Frage formulieren, inwiefern das Verhältnis zwischen Ästhetik und allgemeiner wie auch ›strenger‹ Kunstwissenschaft um und nach 1900 als Reformulierung der Verbindung von systematischer Ästhetik (Kunstlehre) und empirischer Kunstwissenschaft um 1800 gelten könne. Darüber hinaus kann das Malerische ohne Zweifel als Einfallstor jener bildlichen Abstraktionstendenzen gelten, die durch ihre Fundierung in der physiologischen Optik des 19. Jahrhunderts ebenfalls zu einer »Emergenz moderner Bildlichkeit« geführt haben. Über solche Verbindungslinien hätte man gern mehr erfahren.

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Arabeske Kohärenz, brüchige Allegorie, unübersichtliche Handlung

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Dem kunstgeschichtlichen Subtext der semiotischen Verweisstruktur des Romans widmet Voorhoeve innerhalb des achten Kapitels besonderes Augenmerk. Die »ornamental organisierte Arabeske« gilt ihr als »geschlossenes Verweiszeichen« (S. 166), das in seinem dekonstruierenden, referenzverweigernden Potenzial sowohl auf der Textoberfläche, also mit Blick auf die (verworrene) Handlungsführung, Unruhe stifte, als auch den vom Text entworfenen selbstreferentiellen Kunstbegriff charakterisiere. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Deutung von Michelangelos Jüngstem Gericht. Diesem kommt in Tiecks Deutung nach Voorhoeve insofern die Rolle der »Präfiguration des Arabesken« (Kapitel 6.2) zu, als dass hier »Formalästhetik und Affektivität argumentativ verklammert« (S. 139) werden. Mit dieser Verbindung gelingt es Voorhoeve souverän, die selbstreflexive Strukturalität der Arabeske in wirkungsästhetischer Hinsicht zu akzentuieren und damit sowohl der »stärkere[n] Betonung der Konturlinien und des Formalen« (S. 141) in der von Tieck benutzten grafischen Reproduktion des Jüngsten Gerichts gerecht zu werden, als auch der imaginierten Überwältigung angesichts der unüberschaubar bewegten Fülle des Originals.

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Indem Voorhoeve das Jüngste Gericht in eine Reihe mit den Landschaftskonzeptionen und der berühmten Eisenhütten-Szene des Romans stellt (S. 166), in der Tiecks Vorliebe für lichtgesättigtes Farbspiel einen deutlichen Ausdruck findet, ergibt sich jedoch die Frage nach dem Status der Michelangelo-Deutung innerhalb des Sternbald. Denn lässt man sich erst einmal darauf ein, die (landschaftlichen) Licht- und Farbeffekte als Arabeske anzusprechen, wird nicht nur deren wirkungsästhetische Konstitution ausgeblendet und eine eher metaphorische, sich von den formalästhetischen Prinzipien des Arabesken verabschiedende Rede etabliert; es ist darüber hinaus fraglich, ob das Bekehrungserlebnis, das Sternbald angesichts der Rätselhaftigkeit des Jüngsten Gerichts macht, tatsächlich in einer Linie mit jener Farblust zu sehen ist, die den Tieckschen Helden doch immer konsequenter von der keuschen geistigen inneren Bildlichkeit, die seiner geliebten Marie gilt, entfernt. Konsequenterweise hat denn auch die bisherige Forschung zum einen die Erfahrung des Jüngsten Gerichts als vorbereitende Rückwendung zu jener Urbildlichkeit Maries gedeutet, deren tatsächliches Wiederfinden der Roman auf den letzten Seiten gestaltet 2 . Zum anderen ist damit ein Insistieren auf die allegorische Grundstruktur des Romans verbunden, die gegen die Zeichen sprengende, unübersichtliche Fülle der italienischen Episode stark gemacht wird. 3 Bei Voorhoeve firmiert das Jüngste Gericht hingegen als selbstreflexiver Ausweis der verwirrenden Gesamtanlage des Textes, als »Allegorie auf den Roman selber, weswegen es prominent an letzter Stelle im Sternbald wie ein finales Schlaglicht auftaucht« (S. 166).

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Es wird an diesem Beispiel deutlich, dass Voorhoeve den maßgeblich über eine inhaltliche Pointierung vorgenommenen kunstgeschichtlichen Referenzen nicht nachgeht. Zu fragen wäre hier etwa, ob Sternbalds Urbildlichkeitsphantasmen nicht in der Tradition der geistigen mentalen Bilderschau stehen, wie sie nicht nur im Enthusiasmuskonzept des 18. Jahrhunderts noch präsent sind, sondern auch den Gegensatz von geistiger Schau des disegno und sinnlichem Farbsehen prägen. An dieser Entgegensetzung ließe sich etwa zeigen, dass jene die Restitution des Vertrauens in das Prinzip Urbildlichkeit präludierende Überwältigung angesichts des Jüngsten Gerichts durchaus in einer anderen Tradition verortet werden kann, als in der des selbstbezüglichen Farbspiels. Beide als arabeske Konfigurationen anzusprechen, bedeutet auch, den divergierenden kunstgeschichtlichen Begründungszusammenhang einzuebnen.

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Welche Modernität der Kunstgeschichte? – Fazit

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Voorhoeves Studie schließt mit Blick auf die von Tieck konsultierten Autoren und gesehenen Gemälde eine Forschungslücke, wie sie sich seit Silvio Viettas Bemühungen um Wackenroders Quellen, die in die gemeinsam mit Richard Littlejohns besorgte historisch-kritische Ausgabe mündeten, immer deutlicher zeigte. In diesem Sinne ist ihre Untersuchung Grundlagenarbeit, die für eine weitere Beschäftigung mit dem Sternbald maßgeblich ist. Maßgeblich ist sie auch insofern, als dass sie nicht nur ein dichtes Netz von Bezugstexten kenntlich macht, sondern auch die dezidiert romantische Anverwandlung als eine transzendentalpoetische wie geschichtshistoriographisch reflexive Praxis beschreibt, die einen festen Platz in der Genealogie des Historismus beansprucht. Man kann sicherlich darüber diskutieren, ob nicht bereits Heinses Ardinghello in vielem jener intertextuellen Zitationspraxis vorarbeitet, die der Sternbald sozusagen perfektionieren wird. Legt man jedoch das Augenmerk auf die transzendentalästhetische Grundierung von Tiecks poetischer Kunstgeschichte, so ist auch die Rede vom ›Romantisieren‹ überzeugend und originell, verweist sie doch auf den literästhetischen Kern der Aneignung von Geschichte, der einen »produktive[n]« – man kann auch sagen mutigen und übermütigen, eben frechen –»Historismus« (S. 153) begründet.

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Dass die Verfasserin den Sternbald vornehmlich als Text ausgegrenzten Wissens liest, das innerhalb Fiorillos Bemühungen um wissenschaftliche Objektivität keinen Platz mehr habe und auf diesem Weg gleichsam über die Hintertür einer popularisierten Aufbereitung von Kunst- und Künstlergeschichte im 19. Jahrhundert auch für die sich institutionalisierende und disziplinär konsolidierende Kunstgeschichte interessant werde, ist jedoch nicht unproblematisch. Zum einen, das räumt Voorhoeve selber ein, führt Fiorillo entgegen der Bekundung einer historisch-kritischen Grundlegung Vasaris Vitenmodell »mehr schlecht als recht verdeckt« (S. 47) mit. Von ausgegrenztem Wissen kann also kaum die Rede sein, eher, wie die Verfasserin an anderer Stelle schreibt, von »affektive[r] Datenaufbereitung« (S. 148), die der Roman leiste. Zum anderen ist es nicht recht verständlich, wie die sich an breiten Leserschichten orientierende wissenschaftliche Kunstgeschichte in ihrer biografisch, implizit am Sternbald orientierten Vorgehensweise zur »Evokation einer neuen Bildkultur« (S. 149), also zur »Emergenz moderner Bildlichkeit« beigetragen hat. Jene nicht nur begriffliche Renaissance des Malerischen um 1900, die implizit jene Bildlichkeitsenwürfe des Sternbald thematisiert, die die Verfasserin als ›modern‹ bezeichnet, konstituiert sich vielmehr maßgeblich aus einer Wendung gegen eine kultur- und biographiegeschichtliche Akzentuierung des Faches und greift dabei auf ein stiltypologisches Vokabular zurück, das sich vor und nach 1800, etwa bei Herder oder A.W. Schlegel, herauszubilden beginnt. Hier liegen die Bezugspunkte einer »romantisierten Kunstwissenschaft«, die es weiter zu verfolgen lohnt.

 
 

Anmerkungen

Burkhart Steinwachs: Epochenbewußtsein und Kunsterfahrung. Studien zur geschichtsphilosophischen Ästhetik an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert in Deutschland und Frankreich, München: Fink 1986, S. 9.   zurück
Vgl. zu einer solchen Lesart Gideon Stiening: Die Metaphysik des Hieroglyphischen. Zur Begründungsstruktur religiöser Ästhetik in Ludwig Tiecks Roman »Franz Sternbalds Wanderungen«. In: Jahrbuch des freien deutschen Hochstifts 1999, S. 121–163, besonders S  154–163.   zurück
Vgl. dazu Hans Geulen: Zeit und Allegorie im Erzählvorgang von Ludwig Tiecks Roman »Franz Sternbalds Wanderungen«. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift. Neue Folgen XVII/1968, S. 281–298.   zurück