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Theatrale Infektionen

Die Transformation des Publikums im Postdramatischen

  • Katharina Pewny: Das Drama des Prekären: Über die Wiederkehr der Ethik in Theater und Performance. (Theater) Bielefeld: transcript 2011. 334 S. Kartoniert. EUR (D) 32,80.
    ISBN: 978-3-8376-1651-4.
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Wirtschaftstheater und Postdramatik

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Das Theater hat Armut, Unsicherheit und Arbeitslosigkeit vor allem nach der Wende entdeckt, nicht zuletzt aufgrund der eigenen sich verschlechternden Lage. Denn die Wende brachte, so Hans-Thies Lehmann, »Strukturdebatten, Finanz-, Orientierungs- und Funktionsprobleme«, 1 führte zur Zusammenlegung von Sparten, ja zu Schließungen ganzer Häuser, zu Publikumsschwund und Legitimationskrisen. Auch deshalb interessieren sich die Theater seitdem für die sich vermarktenden, sich selbst disziplinierenden Subjekte, 2 zudem für die »diskriminierende« Prekarität, 3 wie sie zunehmend selbst die gesellschaftliche Mitte bedroht. 4

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Seit etwa 1995 entsteht eine große Zahl an »Wirtschaftsdramen« 5 – genannt werden könnten neben vielen anderen Urs Widmers Top Dogs, Falk Richters Zyklus Unter Eis, Kathrin Rögglas genau recherchierte Theatertexte draußen tobt die dunkelziffer und wir schlafen nicht, Moritz Rinkes auch verfilmte Republik Vineta, Gesine Danckwarts Täglich Brot und Robert Schimmelpfennigs Push up 1–3. Diese Stücke grenzen sich in der Regel von der Mitleidsdramaturgie der 1970er Jahre ab und rücken neue Gruppen ins Zentrum: Sie beschäftigen sich mit dem Dienstleistungssektor, mit Praktikanten, der New Economy, dem Arbeitskraftunternehmer, vor allem aber mit arbeitslosen Managern und Akademikern, vereinzelt mit Börsianern; der alte Konflikt zwischen Kapital und Arbeit scheint ausgedient zu haben. 6

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Diesen Dramen, die auf das klassische Repräsentationstheater zugeschnitten sind, wird zuweilen eine parasitäre Attitüde attestiert, weil man auf eine sozialrealistische Verkörperung des Elends setzt und die bildungsbürgerlichen Vorbehalte gegenüber einer (als proletarisch angenommenen) Masse fortschreibt. 7 Insbesondere der Berliner Schaubühne unter der Intendanz von Thomas Ostermeier, der sich bei seinem Amtsantritt zum Sprachrohr des Prekariats erklärt hatte, 8 wird der Vorwurf gemacht, sich an den Prekären zu delektieren, auf ihre Kosten ein politisches Engagement zu simulieren, das auf seiner Kehrseite das Theater als hochkulturelle Bildungsinstitution wahrt, ohne die eigene Involviertheit in die Sphäre der ›Verwundbarkeit‹ – so ein zentraler Ausdruck von Robert Castel – zu überdenken bzw. die Zuschauer/innen zu affizieren. Das Repräsentationstheater scheint also nicht das geeignete Medium für eine Ästhetik des Prekären zu sein.

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Ästhetik und Ethik

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Die Studie von Katharina Pewny profiliert entsprechend das Theater jenseits der Repräsentation, also das postdramatische Theater, die Performance und das Happening als genuine Orte, um Prekarität zu bearbeiten, und zwar auch deshalb, weil hier das Verhältnis zwischen Bühne und Zuschauer/innen weit eher prekär werden kann als im Stadttheatersystem mit seiner Guckkastenbühne. Die (partielle) Gleichsetzung von Postdramatik und prekärem Theater, die Pewny vornimmt, ist deshalb stimmig, weil jene sehr viel stärker als das auf Identifikation basierende Repräsentationstheater eine fragile multisensuelle Begegnung mit dem Anderen ermöglicht.

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Pewnys Untersuchung überträgt die soziologische Kategorie der Prekarität auf theatrale Formen, um ästhetische Phänomene in ihrer Verknüpfung mit ethischen zu erfassen. Sie erweitert diesen ›ungesicherten‹ Begriff zu einer fundamentalen analytischen Kategorie, die sowohl das labile, ›schwierige‹ Verhältnis zwischen Zuschauer/innen und Geschehen auf der Bühne als auch die Verknüpfungen zwischen theatralem Geschehen und anderen Wirklichkeiten beschreibt. Pewny vernetzt im ersten Teil ihrer Studie, der das Prekäre als ethisch-ästhetische Analysekategorie konturiert, philosophische Ansätze zum Verhältnis von Ich und Anderem – im Zentrum steht die Ethik von Émmanuel Lévinas – mit arbeitssoziologischen Erkenntnissen sowie der Geschichte der Performance Studies und der Theaterwissenschaft. In einem zweiten Schritt wird die Kategorie des Prekären in ein posttraumatisches, transformatorisches und relationales Theater ausdifferenziert und ein eingehendes close reading von Stücken und Inszenierungen vorgelegt.

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Pewny beginnt mit einer ausführlichen und ergebnisreichen Rekonstruktion der Etymologie des Wortes »prekär«, das in den letzten Jahren einen Medienboom erlebt hat – auch diesen skizziert die Studie – und diverse Bedeutungen umfasst. Entwickelt wird zunächst diejenige Konnotation, die »prekär« als vorläufiges Bleibe- oder Wohnrecht definiert, das von einem Gnadenakt abhängt, also terminiert ist und ein Machtverhältnis impliziert. Diese Bedeutung veranschaulicht Pewny am Beispiel des antiken Dramas Die Schutzflehenden von Aischylos.

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Sie entfaltet dann die Bedeutung von »prekär« als »widerruflich«, wobei sie die Semantik buchstäblich nimmt und den akustischen Aspekt des Prekären profiliert. Konsequenterweise schließt sich an diese Ausführungen Althussers Anrufungsmodell an, das Judith Butler als eines der subversiven Überschreitung (durch die Domestikation) liest. »Prekär« enthält zudem eine ›transformatorische‹ Dimension, denn das Wort meint unter anderem »abwechselnd«, ähnlich wie die philosophischen Ansätze, die hier zum Tragen kommen, die dynamische Interaktion zwischen Ich und Anderem betonen. Diese etymologischen Bedeutungen werden jeweils am Beispiel von Performances illustriert, unter anderem an den EuroMayDay-Paraden, auf denen sich Menschen in prekären Situationen als Subjekte konstituieren und ermächtigen (im Sinne von agency). Die Überlegungen dieses Abschnitts bewegen sich auf einem hohen philosophischen Niveau und überraschen durch ihre zum Teil stupenden Wendungen, die konsequent an dem theatralen Material und über philosophische Ansätze plausibilisiert werden.

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Theoreme der Verletzlichkeit

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Im Anschluss an die etymologischen Ausführungen referiert und kommentiert Pewny die Ansätze von Émmanuel Lévinas und Judith Butler. Ersterer legt eine Ethik der Verletzlichkeit vor, das heißt er denkt das Ich (anders als gemeinhin in der abendländischen Philosophie) ausschließlich vom Anderen her und definiert diese Relation als ethische (nicht als erkenntnistheoretische); das Antlitz des Anderen bringt das Ich performativ hervor und unterstellt es einer Verantwortlichkeit, die nicht im Sinne einer Repräsentation verstanden werden kann. Pewny bezieht diese Ethik konsequent auf theaterwissenschaftliche Begrifflichkeiten, allem voran auf Performanz und Postdramatik. Denn die Begegnung, wie sie Lévinas konstruiert, ist eine sinnlich-performative, die sich durch ihre Unmittelbarkeit und eine sinnliche Sprache auszeichnet. Lévinas verortet seine Ethik darüber hinaus historisch und bezieht sie auf den Holocaust – in ihren Analysen geht Pewny wiederholt auf Stücke ein, die sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzen.

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In Peace and Proximity unterstreicht der Philosoph darüber hinaus den Widerstreit im Anderen, der einerseits zur Verletzung aufruft und diese andererseits verbietet. Lévinas illustriert das prekäre Verhältnis zwischen Ich und Anderem nicht nur seinerseits an literarischen Texten, sondern überträgt die Labilität der Begegnung auf seinen eigenen Text und seine Leserin, wie Pewny auf subtile Weise zeigt.

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Die Kategorie des Prekären spielt auch in Judith Butlers Studie über die Situation des Menschen nach dem 11. September eine zentrale Rolle. Butler geht von der grundlegenden Verletzlichkeit des Anderen aus, die die Verantwortlichkeit des Einen potenziert, und bringt, ähnlich wie Lévinas, Akustik und Sensualität ins Spiel, um die Begegnung zu definieren – Medien also, die auch für die ästhetische Arbeit von Bedeutung sind bzw. einen ästhetischen Rezeptionsmodus kennzeichnen. Die vorgestellten Philosopheme werden mithin konsequent auf ihre Anschlussstellen für eine ästhetisch vermittelte (Theater-)Ethik befragt.

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In einem weiteren Abschnitt stellt Pewny arbeitssoziologische sowie kunstpolitische Diskurse vor, zunächst die einschlägigen Studien zu ungesicherten Arbeitsformen, die sich bezeichnenderweise der Metapher der Verwundbarkeit bedienen (Castel). Die soziologischen Untersuchungen profilieren den Paradigmenwechsel, der von der Norm eines unkündbaren Vertrags zu flexibilisierten, mobilen, projektförmigen Arbeitsformen führt (die Projektförmigkeit hätte in Bezug auf die Diskussion über den Arbeitskraftunternehmer noch unterstrichen werden können) und der durch die permanenten Abstiegsdrohungen, die neuerdings auch die Mitte der Gesellschaft betreffen, eine Zone der Verwundbarkeit, der Verunsicherung generiert. Pewny ergänzt diese Debatten durch den Blick auf drei Produktionen, die das Thema der prekären Arbeit mit unterschiedlichen ästhetischen Mitteln erarbeiten, beispielsweise mithilfe der Taktik der Selbst-Erzählung – Taktik im Sinne von Michel Certeau.

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Alterität im Theater

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Um das Verhältnis zwischen Theater und Wirklichkeit zu klären, folgt ein historischer Rückblick auf die Genese der Performance Studies sowie der Performance und eine Definition dieses Verhältnisses als Möbiusband – verabschiedet wird mithin der Hiatus von Wirklichkeit und Kunst, der die Diskussionen über das Theater vielfach gelähmt hat. Das Verhältnis zwischen Zuschauer/in und theatralem Geschehen wird im Anschluss an Erika Fischer-Lichte als autopoetische Feedback-Schleife bestimmt, wobei das Theater des Prekären die Zuschauer/innen in besonderem Maße anspricht und involviert bzw. idealiter ihre Notwendigkeit und Unersetzbarkeit erfahrbar macht (also ganz andere Adressierungen vornimmt als der Kapitalismus). Insofern bildet das Theater des Prekären, das Pewny konturiert, ein Widerlager gegen die Erfahrungen der Kontingenz des Einzelnen und seine Überflüssigkeit.

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Vor diesem Hintergrund lässt sich das Theater des Prekären in Bezug auf Lévinas genauer definieren: Die Zuschauer/innen bilden die Einen, die auf das Andere bezogen sind, von diesem performativ hervorgebracht werden und die Verantwortung zu einer Antwort übernehmen. Lässt sich das Bühnengeschehen mithin als ›Anderes‹ definieren, das dem Ich Verantwortung für das Andere überträgt, so könnte man gleichwohl überlegen, ob nicht auch die Zuschauer/innen das Andere sein könnten, für das das Bühnengeschehen Verantwortung übernimmt, ohne es zu repräsentieren – die Adressierung wäre also zirkulär zu denken. Zum Zweiten könnte das Verhältnis zwischen Publikum und Bühne als Anrufung begriffen werden, das heißt das theatrale Ereignis nimmt Setzungen und Definitionen vor, die das zuschauende Ich konstituieren und zu denen es sich ins Verhältnis setzen kann (auch im Sinne einer Übertretung bzw. Verschiebung).

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Den Übergang zu den Lektüren einzelner Performances und Inszenierungen bilden Reflexionen zu einer Methodik der Überschreibung. Das meint hier eine kontextualisierende Lektüre (wie sie Wolfgang Isers Theorie der Leerstellen entwickelt – auf diese wird Bezug genommen) und eine Berücksichtigung intertextueller Referenzen, wobei auch die Verkennungen reflektiert werden, die jeglicher Lektüre eigen sind, denn Lesen bedeutet immer auch Ver-lesen, Schreiben Ver-schreiben; Pewny appliziert diese dekonstruktivistisch-ethische Position auch auf ihre eigenen Lektüren.

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Trauma, Körper und Ritus

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Der analytische Teil gliedert sich in drei große Blöcke, die die Kategorie des prekären Theaters ausdifferenzieren: in das posttraumatische Theater, das transformatorische und das relationale. Für die erste Kategorie knüpft Pewny an die weitläufige Traumaforschung an, die im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zentrale Bedeutung besitzt und auf die (ästhetische) Struktur des Ent- und Verhüllens fixiert werden kann – eventuell hätte man hier Sigmund Freud etwas prominenter behandeln können, dessen Theorie der Deckgeschichte (wie sie Elfriede Jelinek in Stecken, Stab und Stangl buchstäblich wendet) die Dynamik eines traumatisierten Bewusstseins präzisiert. Die Bewegung zwischen Ent- und Verhüllen verfolgt Pewny am Beispiel von Christoph Marthalers Schutz vor der Zukunft – ein Abend, der die Traumatisierungen der Geschichte als physische Immobilisierung auf die Zuschauer/innen überträgt, indem der Nacken zur prekären Körperzone wird. Marthaler enthüllt, dass der Nützlichkeitsgedanke bruchlos von der NS-Eugenik zu einer biopolitisch organisierten Gegenwart führt, die die Gesundheit zum zentralen Wert des Menschen erklärt.

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Auch im Kontext von Jelineks/Schleefs Ein Sportstück legt Pewny die Dynamik von Ent- und Verhüllen frei, unter anderem im Verhältnis von Haupt- und Nebentext, und sie rekonstruiert die diskursiven Deckgeschichten einer Gesellschaft, die im Zeichen der ökonomischen Verwertung von Körpern steht (hier exemplifiziert am Sport). Dabei richtet sie ihren Blick wiederholt auf die Position der Zuschauenden bzw. auf das »ideale« Publikum (um mit Iser zu sprechen), das die Theateraufführung generiert: In Dea Lohers Stück Das letzte Feuer wird das Publikum durch eine immanente Spiegelfigur zum Zeugen, wobei Zeugenschaft (das wäre hier vielleicht zu ergänzen) bei Loher grundsätzlich Mittäterschaft meint. Derjenige, der etwas gesehen hat, ist unweigerlich am Geschehen beteiligt (und das gilt auch für das Kollektiv, das das Geschehen erzählt) – insofern wird auch hier, ähnlich wie bei Jelinek, die Differenz zwischen Opfer, Täter und Beobachter aufgehoben. Anhand von Lohers Die Schere zeigt Pewny zudem, dass das Trauma ausgespart bleiben, sich gleichwohl in der Trennung von Körperbewegung und Sprechen manifestieren kann – Postdramatik als Symptom.

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Das Transformatorische, das vielfach zur Beschreibung des Gegenwartstheaters herangezogen wurde, kann ebenfalls unter das Theater des Prekären subsumiert werden und knüpft sowohl an klassische Transformationstheorien wie die aristotelische Katharsislehre als auch an ethnologische Studien zur Liminalität an (Schechner, Turner etc.). Illustriert wird dieses Theater unter anderem an Christoph Schlingensiefs Church of Fear, einer Performance, die Traumata zum rituell-kollektiven Ereignis werden lässt und so eine Entprekarisierung vornimmt, wie sie Pewny zudem an Stemanns/Jelineks Ulrike Maria Stuart und Home sweet Home von Emre Koyuncuoglu verfolgt. In seiner Jelinek-Adaption transformiert Stemann das Begehren nach der politischen Intervention, dessen Blockade in körperlichen Gesten wie dem Hinken zum Ausdruck kommt, in die körperliche Aktivität der Zuschauer/innen eines popkulturellen Spektakels. In Home sweet Home vollziehen Form und Inhalt Wanderschaften und übergeben die Migrationsgeschichten den Zuschauer/innen. Anschließend wird gezeigt, wie das Sujet Armut und Beschäftigungslosigkeit, das auch Jochen Roller und René Pollesch prominent verhandeln, zur Entprekarisierung der eigenen Lebensform (als Theatermacher) führen kann – schlicht durch den Erfolg.

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Das relationale Theater beschreibt Schnittstellen zwischen diversen Künsten bzw. Ästhetiken (zum Beispiel in Diese Beschäftigung von Tino Sehgal) und eine partizipative Publikumsstrategie, die die Notwendigkeit des Zuschauens, allgemeiner gesprochen: die Verhältnishaftigkeit des Menschen, seine Existenz als soziales Wesen dokumentiert. Diese Erfahrung kann auch über die radikale Abwesenheit des Anderen vermittelt werden wie im Theater der Veronika Blumstein Group und von Margareth Oberexer.

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Fazit

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Die Studie von Katharina Pewny zeichnet sich durch ihr hohes innovatives Potenzial und durch ihre intellektuelle Stringenz aus. Überzeugend ist die Verklammerung von scheinbar disparaten Disziplinen und Ansätzen, wenn über das Thema des Prekären Arbeitssoziologie, Philosophie und Theaterwissenschaft verquickt werden. Sehr sorgfältig legt die Verfasserin die Schnittstellen frei, an denen die Ansätze ineinander greifen, um eine Theaterethik/ästhetik des Prekären zu entwerfen, die sowohl dringliche zeitgenössische Themen (Armut, Arbeitslosigkeit etc.) umfasst als auch das prekäre Verhältnis zwischen Zuschauer/innen und theatralem Ereignis präzisiert. Vor dem Hintergrund der an Lévinas geschulten Theaterethik entstehen Überschreibungen bzw. Lektüren von Aufführungen, die durch ihren neuen Blick bestechen. Fokussiert werden insbesondere körperliche Befindlichkeiten der Zuschauer/innen, die Transformation von Traumata in kollektive Ereignisse sowie die Verwandlung von Wünschen und Begehren (die Genre-Verschiebungen mit sich bringen können). Damit wird dem Theater grundsätzlich die Möglichkeit der Entprekarisierung bzw. der umcodierenden Transformation von prekären Zuständen (zur Selbstermächtigung) zugesprochen.

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Es handelt sich um eine Studie, die auch durch ihre Konzentration auf physische Dispositionen (als Ausdruck für ethische) neue Impulse für die Aufführungsanalyse liefert, zudem die politischen Interventionsmöglichkeiten des Theaters (in einer postfordistischen Arbeitswelt mit ihren spezifischen Subjektivierungsformen) profiliert und wohl nicht nur in der Theaterwissenschaft große Aufmerksamkeit finden wird.

 
 

Anmerkungen

Hans-Thies Lehmann: Die Gegenwart des Theaters. In: Erika Fischer-Lichte / Doris Kolesch / Christel Weiler (Hg.): Transformationen. Theater der neunziger Jahre. (Recherchen 2) Berlin: Theater der Zeit 1999, S. 13–26, hier S. 15.

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Vgl. zum Phänomen des Arbeitskraftunternehmers (als theoretische Figur) G. Günther Voß / Hans J. Pongratz: Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft? In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 50 (1998), S. 131–158; Richard Weiskopf: Gouvernementabilität: Die Produktion des regierbaren Menschen in post-disziplinären Regionen. In: Zeitschrift für Personalforschung 19 (2005), S. 289–311; Ulrich Bröckling: Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007.

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Vgl. zu diesem Begriff Klaus Dörre: Prekarität im Finanzmarkt-Kapitalismus. In: Robert Castel / Klaus Dörre (Hg.): Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts. Frankfurt/M., New York: Campus 2009, S. 35–64.

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Allerdings wird diese Bedrohung von linker Seite in manchen Bereichen als Mentalitätsphänomen wahrgenommen; Eske Wollrad: White trash – das rassifizierte ›Prekariat‹ im postkolonialen Deutschland. In: Claudio Altenhain / Anja Danilina / Erik Hildebrandt / Stefan Kausch / Annekathrin Müller / Tobias Roscher (Hg.): Von ›Neuer Unterschicht‹ und Prekariat. Gesellschaftliche Verhältnisse und Kategorien im Umbruch. Kritische Perspektiven auf aktuelle Debatten. Bielefeld: Transcript 2008, S. 35–47, hier S. 45.

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Vgl. dazu auch Franziska Schößler: Augen-Blicke. Erinnerung, Zeit und Geschichte in Dramen der neunziger Jahre. (Forum modernes Theater) Tübingen: Gunter Narr 2004, S. 288 f.

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Bernd Blaschke: »McKinseys Killerkommandos. Subventioniertes Abgruseln«. Kleine Morphologie (Tool Box) zur Darstellung aktueller Wirtschaftsweisen im Theater. In: Franziska Schößler / Christine Bähr (Hg.): Ökonomie im Theater der Gegenwart: Ästhetik, Produktion, Institution. Bielefeld: Transcript 2009, S. 209–224.

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Evelyn Annuß: Tatort Theater. Über Prekarität und Bühne. In: ebd., S. 23–38.

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Thomas Ostermeier fordert bei seinem Amtsantritt, das Theater müsse eine Nabelschnur zur Welt legen und soziale Geschichten auf die Bühne bringen: »Die Haltung des Realismus versucht die Welt zu vermitteln, wie sie ist, nicht wie sie aussieht. Sie versucht, Wirklichkeiten zu begreifen und sie zu refigurieren, ihr Gestalt zu geben. [...] Sie zeigt Vorgänge, das heißt, eine Handlung hat eine Folge, eine Konsequenz. Das ist die Unerbittlichkeit des Lebens, und wenn diese Unerbittlichkeit auf die Bühne kommt, entsteht Drama. [...] Der Kern des Realismus ist die Tragödie des gewöhnlichen Lebens.« Thomas Ostermeier: Theater im Zeitalter seiner Beschleunigung. In: Theater der Zeit 4 (1999), S. 10–15, hier S. 13.

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