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Kultivierung der Kulturtheorie

Die Pflanze als Wissensfigur

  • Benjamin Bühler / Stefan Rieger: Das Wuchern der Pflanzen. Ein Florilegium des Wissens. (edition suhrkamp 2547) Frankfurt/M.: Suhrkamp 2009. 324 S. Paperback. EUR (D) 13,00.
    ISBN: 978-3-518-12547-2.
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Wissensgeschichte epistemischer Dinge

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Die Wissensgeschichte des Autorenteams Benjamin Bühler und Stefan Rieger ist auf insgesamt vier Bände angelegt. Auf den 2006 publizierten ersten Band Vom Übertier. Ein Bestiarium des Wissens folgte 2009 Das Wuchern der Pflanzen. Ein Florilegium des Wissens; voraussichtlich im Juli 2013 werden die beiden abschließenden Bände Kultur: Ein Machinarium des Wissens und Bunte Steine: Ein Lapidarium des Wissens erscheinen. Den vier Bänden unterliegt ein Forschungsprogramm, das die Autoren in Anlehnung an die Forschungen von Hans-Jörg Rheinberger eine »Wissensgeschichte epistemischer Dinge« (S. 7) nennen: Sie erzählt die Geschichte(n) jenes Wissens, das über die Figuren Tier, Pflanze, Maschine und Stein erzeugt wird. Und selbst wenn es sich hierbei jeweils um zoologisches, botanisches, technisches oder geographisches Wissen handelt, so geht es immer auch um vieles mehr.

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Im vorliegenden Band gehen die beiden Verfasser zunächst von physiologischen Fragen aus:

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Vermehren sich Pflanzen sexuell? Können sie sich bewegen? Empfinden sie Reize? Sind sie möglicherweise gar zur Wahrnehmung befähigt? Welche Rolle spielen Rhythmen? Welche Funktionen haben Pflanzen für die Zusammensetzung der atmosphärischen Luft? Kommunizieren sie untereinander und mit ihrer Umwelt? (S. 11)
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Konsequent weitergedacht, führen diese Fragen bald weg vom Bereich des rein Vegetabilen zu grundlegenden philosophischen Fragen nach der Trennung von Lebendigem und Nicht-Lebendigem, die sich anhand von Pflanzen eher als bei der Betrachtung von Tieren aufdrängen.

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Denn wo deren Bewegtheit und Mitteilungsfähigkeiten und somit ihre Lebendigkeit offensichtlich sind, bedarf es im Fall von Pflanzen stets des Einsatzes von technischen Medien wie Fotografie und Film oder von physikalischen Kräften wie Elektrizität und Wind, um den Nachweis ihrer Mobilität und ihrer Kommunikationsgaben zu führen. Daher stehen im Florilegium mit den Untersuchungen von pflanzlichen Fähigkeiten und deren Zuschreibungen stets auch die Medien ihrer Sicht-, Hör- und Fühlbarmachung auf dem Spiel: Es handelt sich also nicht nur um eine Geschichte der Pflanzen oder gar der Botanik, sondern immer auch um eine Geschichte der Medien.

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Ein Sträußchen Buntes

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Die Materialien, die hierzu im Florilegium aufgearbeitet wurden, sind vielfältig: Sie reichen von Klassikern der Botanik wie Julius Sachs oder Alphonse de Candolle über die Pflanzengeographie Alexander von Humboldts bis hin zu historischen und aktuellen populärwissenschaftlichen Texten wie dem Klassiker der späten 1970er Jahre, The Secret Life of Plants von Christopher Bird und Peter Tompkins, oder der (von Rieger und Bühler zurecht stark kritisierten) Studie Der Ruf der Rose von Dagny und Imre Kerner. Doch diese im weitesten Sinne botanischen Texte sind nicht der zentrale Bestandteil des Korpus, von dem ausgehend etwa andere Medien und Genres mit einbezogen werden – vielmehr folgen die Autoren in ihrer Wissensgeschichte dem von Joseph Vogl ausgegebenen Gebot der »Ergänzung und Ausweitung von Gattungsbegriffen«, 1 so dass Horror- und Disneyfilme gleichberechtigt neben Pflanzenfotografien von Karl Blossfeldt und Liedtexten von Genesis behandelt werden. Ziel ist es stets, das jeweilige »epistemische Ding« besser zu erfassen, wobei das Interessante hieran gerade dasjenige ist, »was noch nicht festgelegt ist.« 2

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Ordnungen des Wissens

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Wie schon sein Vorgänger besticht das Florilegium also durch Materialreichtum und die überzeugenden Verbindungen, die die Autoren anhand der Wissensfigur Pflanze zwischen so heterogenen Bereichen wie Elektrizität, Landwirtschaft und Sexualität zu stiften vermögen. Die Bezeichnung der gesammelten Einträge als »Florilegium« fungiert hierbei als ein doppelter Ordnungsbegriff: Im Unterschied zu »Bestiarium« ist »Florilegium« bereits seit dem Barock ein übertragener Ordnungsbegriff für eine Sammlung von besonders aussagekräftigen Beispielen – eine Gattung, die »sich des Pflanzenreiches bedient […], aber das Reich des Wissens meint« (S. 9). Daher kann ein Florilegium neben politischen oder literarischen Belegstellen auch Wissen über Blumen und Pflanzen vermitteln und so zu einem Meta-Florilegium werden, wie dies im vorliegenden Band vorgeführt wird.

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Eng gekoppelt ist das Wissen, das auf diese Weise präsentiert wird, an die »demokratische Ordnungsmacht des Alphabets« (S. 8), die alle vier Bände der Wissensgeschichte von Bühler und Rieger strukturiert. Sie ist jedoch für den Bereich der Pflanzen besonders zentral: Man denke nur an die lange Tradition von Pflanzenalphabeten oder Carl von Linnés Systematisierung der Pflanzen, der das Alphabet als leitende Ordnung unterliegt. Die insgesamt 21 Lemmata des Florilegiums folgen bewusst keinem anderen als diesem übergeordneten Ordnungsschema. So sind einige Einträge auf Latein (Dictyostelium mucoroides), andere auf Deutsch formuliert (Erbse); bei manchen wird der Gattungsname zur Einheit (Leguminosen), andere wiederum umfassen weitaus größere Familien (Grüne Pflanzen). Es finden sich gewissermaßen kanonische Pflanzen wie die Mimosa pudica oder die Mandragora und eher unerwartete Einträge wie derjenige zum Wacholder. Wie stets bei derartigen Zusammenstellungen ließe sich die Liste erweitern: Man denke zum Beispiel an die Tulpe, die zum einen im Laufe ihrer Kultivierungsgeschichte diverse kulturelle Räume (von Zentralasien über die Türkei in die Niederlande) durchwandert hat und so im Hinblick auf Migrationsfähigkeiten von Pflanzen aussagekräftig ist, zum anderen als Objekt der Schönheit und der Spekulation die Verbindung von Ästhetik und Ökonomie illustrieren würde. Der Verdacht liegt nahe, es könne sich hierbei wiederum um eine allzu kanonische Pflanze handeln, denn im vorliegenden Abecedarium wird stets auch das Bemühen der Autoren deutlich, durch das Auffinden möglichst entlegener Belegstellen und unerwarteter Bezüge die Leser zu verblüffen.

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Die einzelnen Einträge im Florilegium sind jeweils von einem der beiden Autoren verfasst. Als Leserin vermag man hierbei keine deutliche Handschrift erkennen, die die einzelnen Lemmata dem jeweiligen Verfasser zuordnen ließe, was dem einheitlichen Leseeindruck des gesamten Bandes sicherlich zugute kommt.

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Ergänzt werden die Lemmata durch Querverweise auf das Bestiarium und ein »Register der Pflanzen, die dem Netz der alphabetischen Gesamtanordnung und seiner Querverweise entgingen«. So wird ein Verweisnetz ausgeworfen, das die enge Verzahnung dieser lediglich aus historischen und editorischen Gründen getrennten Wissensbereiche verdeutlicht. Voraussichtlich werden die kommenden beiden Bände ebenfalls mit Rückverweisen auf die beiden bereits publizierten Bände arbeiten. Da jedoch im vorliegenden Band keine Verweise auf das Machinarium und das Lapidarium zu finden sind, schreibt sich diesen Wissensgeschichten entgegen der Anlage der Bände doch wieder eine Art Chronologie, um nicht zu sagen Geschichtlichkeit ein, die bei einer längerfristigen Vorausplanung eventuell hätte vermieden werden können, wenn sie nicht gar beabsichtigt sein sollte.

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Ordnungen der Ordnung

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Das Florilegium als eigene Wissensordnung, die zugleich andere Ordnungen präsentiert, tritt im Eintrag zu »Rosa« besonders augenfällig in Erscheinung. Gleich zu Beginn des Kapitels wird hier deutlich, auf welche Weise Bühler und Rieger ihr weites Terrain angehen: In einer kleinteiligen, gelegentlich für den uneingeweihten Leser schwer nachvollziehbaren Verschaltung von literarischen und naturwissenschaftlichen Diskursen führen sie über den Roman Der Nachsommer von Adalbert Stifter das Thema des Kapitels ein: Es geht um verschiedene Versuche der Systematisierung des Pflanzenreichs. Stifters Erzählung ist jedoch nicht der direkte Ausgangspunkt, vielmehr wird sie bereits durch die Linse eines späteren amüsanten, aber durchaus kritischen Kommentars von Arno Schmidt präsentiert. Schmidt macht sich in einer Radioglosse über Stifters Roman lustig, dem er eine gewisse Betulichkeit unterstellt, und hebt hierbei besonders das im Stifter’schen Roman zentrale Rosenhaus und die dort vorgeführte Benennung einzelner Rosengattungen hervor. Der Umweg über Stifter führt Rieger (der für dieses Kapitel verantwortlich zeichnet) dann zu einer Gegenfigur zum österreichischen Autor, dem Naturforscher Lorenz Oken. Ihm hat sich Schmidt ebenfalls gewidmet, dieses Mal allerdings in euphorisch-inspirierter Weise.

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Deutlich wird nach ein paar Seiten, dass sich das Kapitel »Rosa« letzten Endes um Taxonomien dreht. Der lateinische Titel gibt hierzu bereits einen Hinweis, ist er doch sicherlich einigen noch aus dem Lateinunterricht als Deklinationsparadigma, mithin also als grammatikalisches Ordnungsschema in Erinnerung. Ähnlich wie man sich ausgehend vom Wort »rosa« die A-Deklination des Lateinischen einprägen kann, sucht Oken nach einer Ordnung im Reich der Pflanzen, die nicht einfach als feststehendes Raster über die Phänomene gelegt wird, sondern sich als Sprache erlernen lässt, das heißt, einer eigenen Grammatik folgt. Dieses Bestreben, »die Ordnung durch oder in der Sprache opak zu halten« (S. 203), unterscheidet seinen in der Wissenschaftsgeschichte verworfenen Ansatz von demjenigen Linnés, der letzten Endes traditionsbildend gewirkt hat.

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Weniger als für das Nachzeichnen erfolgreicher oder vergessener taxonomischer Entwürfe interessiert sich Rieger jedoch dafür, was sich aus dieser Gegenüberstellung in Bezug auf Ordnungssysteme generell ableiten lässt. Mit Verweis auf Michel Foucault kommt er zu dem Schluss: »Taxonomien […] sind vor allem eines: Randgänger der Plausibilitätserzeugung und als solche nicht nur für die Wissenschaften von den fraglichen Gegenständen, sondern auch von einem übergeordneten Interesse« (S. 207). Zugleich erweist sich bei näherem Hinsehen das erfolgreiche Modell Linnés, das die Ordnung des Pflanzenreiches auf Basis der Blüten, also anhand der Sexualorgane der Pflanzen propagiert, zugleich zutiefst in Gendervorstellungen des 18. Jahrhunderts verstrickt 3 und der Ordnungssystematik des Alphabets verschrieben – wodurch die Blume wieder mit der Sprache in Verbindung tritt.

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Kulturtheorie der/mit Pflanzen

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Zeigt das Bestiarium auf, dass bei der Debatte um die Mensch-Tier-Differenz in erster Linie anthropologische Fragestellungen im Mittelpunkt stehen, so zielt die Auseinandersetzung mit Pflanzen vor allem auf den Unterschied zwischen Natur und Kultur, oder genauer: den Moment der Schaffung einer menschlichen, das heißt sesshaften Kultur. Die Pflanze wird in den unterschiedlichen Lektüren, die Bühler und Rieger anbieten, oftmals zum kritischen Punkt, an dem sich dieser Übergang in actu beobachten lässt.

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Es geht demnach bei dem vorliegenden Band nicht nur um ein materialreiches Abecedarium des Pflanzenwissens, sondern stets auch um Kulturtheorien, die ihren Ausgangspunkt im Verhältnis zwischen Mensch und Vegetabilia nehmen. 4 Besonders augenfällig wird dies anhand der Nutzpflanze Roggen im gleichnamigen Abschnitt von Benjamin Bühler aufgezeigt. In der Kombination der »dynamischen Botanik« nach Friedrich Boas und der Pflanzengeographie im Gefolge Alexander von Humboldts wird deutlich, auf welche Weise geopolitische Essentialisierungen mit dem Anbau von Nutzpflanzen in durchaus unheilvolle Verbindung gebracht wurden. Im Roggenanbau kreuzen sich Landwirtschaft, Staatlichkeit und machtpolitische Ansprüche, womit er sich in der doppelten Bedeutung des lateinischen colere als ein »kulturwissenschaftliches Thema« (S. 197) par excellence erweist. Diese reiche begriffliche Ambivalenz durchzieht im Sinne der neueren Kulturwissenschaften das gesamte Florilegium.

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Pflanzenrede und die Medientheorie

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Auf den ersten Blick könnte es durchaus scheinen, als ob Sprache als differencia specifica zwischen Mensch und Tier insbesondere im Bestiarium abgehandelt werden sollte. Nicht nur das Kapitel zur Rose beweist hingegen, dass sie ein ebenso zentrales Thema in Bezug auf Pflanzen ist. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Abschnitt zur Telegraphenpflanze, »Desmodium gyrans«, verfasst von Stefan Rieger.

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Man kennt aus christlichen Parabeln und romantischen Erzählungen, aber auch aus Märchen die Vorstellungen kommunizierender Pflanzen: Bäume und Blumen können in diesen Texten häufig sprechen, was nicht zuletzt mit Vorstellungen von Verwandlung und Metamorphose zu tun hat. Komplizierter wird das Verhältnis zwischen sprechender Pflanze und dem Medium, durch das sie kommuniziert, wenn man sich die Telegraphenpflanze besieht, bei der laut Rieger »das natürliche Modell und der arbiträre Code zur Deckung« (S. 59) kommen. Mit Rückgriff auf die Untersuchungen von Jagadis Chunder Bose geht es ihm im Folgenden darum, die Frage nach der Möglichkeit von Pflanzenkommunikation (verstanden sowohl als Kommunikation von Pflanzen untereinander als auch von Mensch und Pflanze) vom Esoterikverdacht zu befreien und den Blick von den Inhalten dieses Austausches auf dessen Medien hin zu verschieben. Ein solcher Blick, der eher die »Verfahren ihres Berichtetwerdens« als die Inhalte der Pflanzenkommunikation untersucht, führt Rieger zu der Erkenntnis:

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Was aus Magnolien und Aprikosenbäumen, was aus Philodendren und Dieffenbachien spricht, ist ein Wissen um Sprache. Oder anders, weil mit Martin Heidegger und dessen Einschätzung der Sprache sprechend: Es ist die Sprache, die spricht und nicht der Mensch – oder in diesem Fall nicht die Pflanze. (S. 63)
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Die Schlussfolgerung lautet: »Wenn die Pflanze spricht, dann spricht ein Kommunikationsmodell« (S. 67) oder: The medium is the message.

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Wie soll man diese Blüten lesen? Adressierung und Stilfragen

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Wie bei guten Anthologien üblich, handelt es sich beim Florilegium des Wissens um eine beeindruckende Zusammenstellung diversester Text- und Bildmaterialien. Das Kompendium ist informativ, ansprechend geschrieben und lädt ganz im Sinne einer Blütensammlung dazu ein, die dort zitierte Literatur einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Es bietet sich daher an, das Florilegium als Anreiz und Anlass zu nehmen, um den hier zwangsweise nur kursorisch gestreiften Wissensbereichen in ihren Originalkontexten nachzugehen. Ein solches Studium des Pflanzenwissens würde sich, angeleitet durch Bühler und Rieger, sowohl der Lektüre botanischer Fachliteratur seit Linné als auch ausgedehnten Goethestudien widmen, könnte sich aber auch unterschiedliche Batman-Folgen ansehen, um die Figur der Poison Ivy einer vergleichenden Untersuchung zu unterziehen. Insofern bietet das Florilegium einen fundierten Einblick in das Wissen der und über Pflanzen, macht aber vor allen Dingen Lust auf mehr. Es kommt somit seiner Aufgabe einer zugleich selektiven und doch übersichthaften Präsentation eines Wissensfeldes nach.

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Nicht ganz ausgemacht ist hingegen die Frage, an wen dieses Buch eigentlich gerichtet ist. Hat es zum einen den enzyklopädischen Charakter eines klassischen Florilegiums, so ist es doch vielerorts dezidiert nicht für Laien geschrieben, sondern recht voraussetzungsreich. Unter dem Lemma »Apfelmännchen« wird beispielsweise erst auf der siebten Seite erläutert, was mit dieser Anthropomorphisierung eigentlich bezeichnet wird. Gleich zu Beginn des Kapitels »Mimosa pudica I« werden Kleistsche Flaschen (S. 155) erwähnt, dieser Terminus jedoch nicht weiter erklärt. Hinzu kommt, dass er für die weitere Argumentation nicht wirklich relevant ist, was zu einem zweiten Kritikpunkt überleitet: Auch wenn in den meisten Fällen das elegant und ansprechend aufbereitete Material den Leser bei der Stange hält, so gilt es doch manchmal arg viele Informationen zu verarbeiten. Etwas mehr Zielgerichtetheit, etwas weniger Material wäre hier durchaus hilfreich.

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Einher mit der Adressierungsproblematik geht die Frage nach dem Stil. Beide Verfasser zeichnen sich durch eine leichte Feder aus und die Fähigkeit, durchaus voneinander entfernt liegende Wissensfelder miteinander verschalten zu können. Deutlich tritt so in allen Einträgen ein poetologisches Programm zutage, das »die Gegenstände des Wissens nicht in den Referenten der Aussage, sondern insbesondere in den Aussageweisen zu lokalisieren versucht, die sie ermöglichen.« 5 Nicht über die Gegenstände wird geschrieben, sondern stets auch durch sie und mit ihnen. So sehr dieses poetische Schreiben dem Gegenstand angemessen ist, den es nicht einfach abbilden, sondern sprachlich durchdringen und von innen heraus zur Darstellung bringen will, so sehr strapaziert dieser Stilwillen doch manches Mal die Geduld der Leser und damit auch die Aussagekraft relevanter Funde. Vieles in diesem Buch »wuchert« oder »rankt sich« (S. 14) um etwas, da wird der Apfel zum »Kern von Erzählungen darüber, wie der Mensch zu einem Kulturwesen wurde und sich kulturelle Prozesse vollziehen« (S. 30) oder »[D]ie Funktion der Pflanze als Zufallsgenerator […] vom gängigen Narrativ der Pflanzenkommunikationsforschung eher stiefmütterlich behandelt« (S. 66; Hervorhebung I. K.). Die recht metaphernreiche Schreibe schießt so gelegentlich übers Ziel hinaus. Um hier selbst im Bild zu bleiben: Etwas weniger Wuchern, ein wenig mehr Gartenschere wäre manches Mal wünschenswert gewesen.

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Zusammenfassung

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Das Wuchern der Pflanzen: Ein Florilegium des Wissens von Benjamin Bühler und Stefan Rieger ist ein anregendes Buch voller Informationen, steiler Thesen und hilfreicher Materialien. Nachdem in letzter Zeit in den Geisteswissenschaften sowohl das Interesse an einer politischen Zoologie als auch an den Animal Studies zugenommen hat, wird es für diejenigen, die sich dem Zusammenhang von Kultur und Pflanzen widmen, ein unerlässlicher Begleiter sein.

 
 

Anmerkungen

Joseph Vogl: »Einleitung«. In: Joseph Vogl (Hg.): Poetologien des Wissens um 1800. München: Fink 1999, S. 7–16, hier S. 15.   zurück
Hans-Jörg Rheinberger: Experiment – Differenz – Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge. Marburg: Basilisken-Presse 1992, S. 70.   zurück
Wie dies überzeugend Londa Schiebinger nachgezeichnet hat, die bei Bühler/Rieger ebenfalls zitiert wird: Londa Schiebinger: »The Private Life of Plants«. In: Londa Schiebinger: Nature's Body. Gender in the Making of Modern Science. New Brunswick, NJ: Rutgers UP 2004, S. 11–39.   zurück
Ein vergleichbares Projekt, das im vorliegenden Band Erwähnung findet, wäre die Greffologie (Pfropfenkunde) von Uwe Wirth.   zurück
Joseph Vogl (Anm. 1), S. 15.   zurück